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Die schwarze Madonna
von Carl Happich

LeerDas polnische Volk und die Kirche in Polen sind heute in ganz anderer Weise in unser Blickfeld geraten, als es vor einem halben Jahrhundert der Fall war. Wer wußte vor 50 Jahren schon - wenn er nicht aus den früheren Ostgebieten des Reiches stammte - von der „Mutter Gottes von Tschenstochau”? Um so bemerkenswerter ist es, daß der Arzt Carl Happich, der Vater der „gegenständlichen Meditation” in der Michaelsbruderschaft, im Fastenbrief 1934 einen Aufsatz über „Die schwarze Madonna” geschrieben hat. Wir lesen:

Leer„In Alt-Oetting wurde mir erzählt, die Madonna mit dem Kinde sei schwarz, weil vor langen Jahren einmal die Kapelle, in der sie sich befindet, abgebrannt sei und nur durch ein Wunder die Gottesmutter mit dem Kinde verschont blieb. Alle diese sehr äußerlichen Erklärungen über die Schwarzfärbung befriedigen nicht; warum hätte man auch auf dem Bilde in Czenstochau Mutter und Kind von vornherein schwarz gemalt? Warum findet man schwarze Madonnen im Freien, wie am Monte Verità bei Ascona? Sehr auffällig ist es, daß die Mutter Gottes in der Krypta von Chartres sich genau an der Stelle befindet, wo in vorchristlicher Zeit von den keltischen Druiden die „Virgo paritura” verehrt wurde, die Jungfrau, die in späteren Zeiten einmal den Erlöser gebären sollte. Diese „gälische Jungfrau” der Druiden, die Urmutterjungfrau, sollte den „König der Elemente” zur Welt bringen. An einer Seitenpforte von Notre Dame zu Paris erinnert eine Madonnenstatue mit ihrer Umrahmung an diese Vorstellung. Alles bewegend war immer die Frage: wie konnte der Boden und die Hülle des sich entwickelnden Menschenwesens, das den Gottessohn in sich barg, untadelig und fehllos sein? Man hat u. a. geglaubt, die schwarze Farbe stamme aus der Zeit Augustins, als das Zentrum des Christentums sich in Nordafrika befand; aber dafür fehlen genügende Beweise.

LeerWir wissen aus der frühesten Geschichte der Chemie, daß unsere Vorväter die Erscheinungen bei dem Prozeß der Metallverwandlung als Symbol für die Verwandlungen, die Entwicklungen und die Neugeburt der menschlichen Seele benutzten. In dem Prozeß der Metallverwandlung erschien ihnen die entscheidende Phase, die Bedingung, ohne welche es gar keine Entwicklung gab, diejenige, bei der die chemische Mischung eine schwarze Farbe annahm. Schwarz war für sie die Farbe der entscheidenden Verwandlung. Darüber hinaus aber hatten sie noch eine andere Vorstellung: sie nannten den Zustand der Materie vor der heutigen Mischung der Elemente, in dem heute nach dem Sündenfall alle Welt vom Menschen bis zu den Elementen fehlerhaft, sündenvoll, verführerisch, farbig und bunt ist, „das Chaos”. Das Chaos war für diese alten Meister nicht ein Zustand der Unordnung, sondern der Zustand einer anderen Ordnung der Elemente als der heutigen, der Zustand der Elemente vor dem Sündenfall. Und weil die damalige Elementordnung nicht sündig, nicht verführerisch und daher auch nicht farbig und bunt war, gab man der damaligen Elementmischung des sündefreien Chaos die schwarze Farbe. Man gab die schwarze Farbe der Madonna, der Gottesbereiterin, um anzuzeigen, daß sie nicht teilhabe an der heutigen Elementmischung der sündigen und farbigen Welt.

LeerEs sind die Bilder der schwarzen Madonna für uns eine Mahnung, daß wir darum bitten sollen, es möge die sündige Elementmischung in uns sich ordnen, damit sie das Sündhafte und Verführerische der heutigen bunten Welt aus sich ausscheiden könne; damit wir bereit werden, daß täglich, wie Meister Eckehart es wollte, Christus in uns neu lebendig werden könne.

LeerDas schwarze Gewand des Priesters ist nicht nur der farblose Verzicht auf diese Welt, die auch die herrliche Schöpfung Gottes ist; sie bringt ja auch die weißgoldene Lilie hervor, die zu allen Zeiten das Symbol für die Reinheit der Jungfrau Maria war. Das schwarze Gewand des Priesters soll auch ein Symbol für die Verwandlung seines Inneren sein, so wie in der alten Chemie durch die Säure das Gold vom unedlen Metall geschieden wurde und dabei den Prozeß der Schwärzung durchmachen mußte. Die schwarze Farbe endlich ist in diesem Zusammenhang das Zeichen der Sehnsucht, erlöst zu werden aus den Verstrickungen der Erscheinungen unserer heutigen Welt und ihren bunten Verführungen.

LeerAlles dieses dachten und fühlten unsere Vorväter, wenn sie die Madonna schwarz darstellten.”

Quatember 1984, S. 48-49

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-08
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