Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1984
Autoren
Themen
Stichworte


Das Recht der Gnade im Aspekt der Einheit
von Hans Adolf Dombois

Schlußwort des Autors beim Symposion in der Evangelischen Akademie Hofgeismar

LeerIn einem der Referate, die auf diesem Symposion über mein kirchenrechtliches Gesamtwerk gehalten wurden, ist mir ein eigenes, fast vergessenes Wort aus dem ersten Band wiederbegegnet, - das Kirchenrecht sei eine große Leidenschaft wert. Dasselbe Wort fand ich in der Einladung zu einer kirchenrechtlichen Informationstagung des Bensheimer Konfessionskundlichen Instituts. Eine große Leidenschaft setzt einen großen Gegenstand voraus, - schwerlich gibt es einen größeren Gegenstand als die universale Kirche in ihrer Geschichte. Bei alledem klingt dies Wort subjektiv; eine solche Leidenschaft setzt jedoch eine unabweisbare Betroffenheit voraus. Dies ist offenbar auch bei Rudolph Sohm so gewesen, in dessen Fußstapfen ich insofern trete. Diese Betroffenheit war zu allererst die Erfahrung der Geschichte im Kirchenkampf - gerade für mich als Juristen hat damals die Regimentenlehre kein Problem und kein Hindernis bedeutet.

LeerDiese Betroffenheit wiederholte sich in den 50er Jahren. Damals gingen wesentliche kirchengeschichtliche Erkenntnisse, wie Maurers „Bekenntnis und Sakrament”, Schlinks „Doxologie”, Ehlerts „Kirchengemeinschaft”, Heilers „Altkirchliche Autonomie”, folgenlos für die Kirche im Strom der wissenschaftlichen Theologie unter. Ich habe dies schon damals im kritischen Gespräch über eigene Positionen jüngeren Kritikern gesagt, die das respektieren mußten. Eine weitere Erfahrung war Anfang der 70er Jahre mit der „Hierarchie”-Schrift verbunden. Es zeigte sich, daß keine der beiden streitenden Konfessionen eine theoretische Einsicht in das Wesen einer so wirksamen und so umstrittenen Institution wie der Hierarchie besaß, daß also die Konfessionen in Wirklichkeit sich selbst und einander nicht vollständig überschauten und verstanden. Und zuletzt wurde ich durch Schrift und Bekenntnis betroffen, durch historisch bedingte Vorverständnisse in der Übersetzung und das authentische Nicaenum. Jeder Band hat sein eigenes Ärgernis.

LeerAuf der anderen Seite habe ich das Gesamtwerk, das wir in diesen Tagen besprochen haben, in dem Untertitel des letzten Bandes unter den Begriff der Verantwortung gestellt. Das ist in der Kirchenrechtslehre neu. Es erinnert daran, daß die Kirche für die Wahrnehmung ihres apostolischen Mandats einzustehen hat. Gerade dies aber erfordert eine Prüfung der Lage. Diese Lage zeichnet sich heute in einer Anzahl von verbindlich formulierten Dokumenten ab. Sie steht aber zugleich unter einem neuen, einzigartigen und entscheidenden Fortschritt. Diesem räume ich deshalb den Vorrang ein.


1. Edmund Schlink, vormals Vertreter der EKD auf dem II. Vatikanischen Konzil, hat kurz nach dem Erscheinen meines dritten Bandes seine umfangreiche „Ökumenische Dogmatik” veröffentlicht. Es ist keine konfessionelle Dogmatik mehr, wie er sie früher wohl geschrieben haben würde. Er versteht sie selbst und ausdrücklich als eine „kopernikanische Wende” (Seite 696). Er definiert diese Wende so: „Wir haben die anderen nicht mit uns zu vergleichen, sondern wir haben uns mit ihnen zusammen mit dem apostolischen Christuszeugnis zu vergleichen ... Wir müssen lernen, uns gewissermaßen von außen zu sehen ... ‚Lassen wir uns zueinander bekehren’.”
LeerDie Professoren Fries und Nissiotis haben sich für die beiden vorreformatorischen großen Kirchen diese Thesen und Methoden zu eigen gemacht und die Gesamtdarstellung Schlinks akzeptiert. Dies ist also wesentlich mehr als Konsens und versöhnte Verschiedenheit. Die Autarkie der Konfessionen ist in Frage gestellt, ja aufgehoben.
2. Die hier beschworene Wende zeichnet sich bereits als methodisches Element ab in den Lima-Thesen zu Taufe, Abendmahl und Amt, die der Ökumenische Rat der Kirchen mit dem Ziele vorgelegt hat, in wechselseitiger Ergänzung von Erfahrungen und Traditionen aus Konvergenzen und Antithesen zu einem Konsens voranzuschreiten.
3. Die katholischen Ökumeniker Rahner und Fries vertreten in Band 100 der „Quaestiones disputatae” die Einigung der Kirche als reale Möglichkeit und versuchen, dies an einer Reihe von schwierigen Hauptfragen zu erweisen. Ihr weitestgehender Vorschlag ist, es möge der Papst - wenn auch de iure humano - verbindlich erklären, er werde von der Infallibilität seines Amtes - unter Anerkennung der Eigenständigkeit der Teilkirchen - nur in einer Weise Gebrauch machen, welche einem allgemeinen Konzil entspricht. Dies enthält die Einsicht, daß das I. Vaticanum, wie schon oft gesagt, das größte Hindernis der Einigung ist.
4. In meinem Band III habe ich - in Fortentwicklung von Konzeptionen des lutherischen Ökumenikers Gerhard Gloege (†) - das Verhältnis der getrennten Kirchen in einer Defizienztheorie beschrieben, so daß die Engführungen der einzelnen Kirchen nach Methode und Gehalt einander entsprechen - und sich auch so ergänzen. Dies bedeutet in Erweiterung der früheren Aussagen eine via negativa, welche der Philosoph Theunissen für dieses Thema als methodisch notwendig bezeichnet hat.
LeerZugleich habe ich mit Gloege die Lehre von den drei Ämtern Christi als Richt- und Grundmaß des Aufbaus der Kirche in prozeßförmiger Auslegung zu entwickeln unternommen - unter Hinweis auf die jetzt fast allgemeine Anerkennung dieses Gedankens, der jedoch in seiner Tragweite noch nicht bedacht und ebensowenig ausgewertet worden ist.

LeerDiese vier - vor kurzer Zeit noch kaum denkbaren - programmatischen Schriften machen zusammen die ökumenische Lage aus. Sie greifen weiter als die vorliegende komplexe Fülle der zwei- und mehrseitigen Konsenserklärungen im früheren Stile.

LeerDabei ist die kirchenrechtliche Problematik in unterschiedlichem Maße einbezogen. Schlink hat in kurzer Zusammenfassung den Rechtscharakter kirchlichen Handelns nach dem Stande der gegenwärtigen Theorie übernommen und einbezogen (S. 660 ff.). Sie fehlt trotz bedeutender institutioneller Implikationen in dem Lima-Text völlig, da Ökumenischer Rat und Weltbünde von jeher hier der Information und Beratung entbehren. Meine Position ist am weitesten kritisch, aber auch am weitesten konzeptionsförmig durchgeführt.

LeerDem deutlichen Zusammenhang dieser Schriften stehen weitere wesentliche Positionen gegenüber.


1. Deutlicher als jeder Katholik habe ich die Auffassung vertreten, daß die konziliare Bewegung rechts- und verfassungsgeschichtlich höchst bedeutsame Entscheidungen hervorgebracht hat - von der Episkopalisierung des Primates und des Episkopates bis zur Beendigung des Universalienstreits im Kirchenbegriff (ecclesia = corpus ecclesiarum). Dies ist sogar sachlich die Voraussetzung der oben beschriebenen Bewegung. Wegweisend ist weiter die Übernahme der munera/(= Ämter)-Lehre. Nunmehr hat die katholische Kirche mit dem Codex 1983 stillschweigend den Plan Papst Paul VI., ein die Unterschiedenheit der lateinischen und orientalischen Kirchen übergreifendes Grundgesetz der Kirche (Lex Ecclesiae Fundamentalis) zu schaffen, aufgegeben. Die stets ex consensu - zunehmend kritischer - begründeten alternativen Entwürfe der Heidelberger Kirchenrechtlichen Arbeitsgemeinschaft, an denen auch Schlink und Kasper beteiligt waren, wurden dadurch gegenstandslos. Zum Programm der nachkonziliaren Gesetzgebung hatte ich mich 1967 im Einvernehmen mit Rudolf Smend in dem Konzilsbuch von Hampe (II/527 ff.) geäußert. Schon der erste Entwurf der Lex zeigte indessen, daß der nachkonziliaren Gesetzgebung eine weiterführende Konzeption mangelte. Dies war schon 1970 Gegenstand eines Gespräches mit Professor Beyer in Rom, aus dem sich ein wesentliches Einverständnis bis zu seinem Referat in dieser Tagung durchgehalten hat. Papst Paul VI. hat übrigens den Mailänder Kongreß der Kanonisten von 1973 mit einer programmatischen Erklärung über den theologischen Charakter der Kirchenrechtslehre abgeschlossen.
LeerDer Codex 1983 stellt nun zur Enttäuschung der Träger der konziliaren Bewegung das I. und das II. Vaticanum unmittelbar nebeneinander. Eine verfassungsrechtliche Entwicklung der grundsätzlich zugesprochenen Partizipation der universitas fidelium an allen drei rnunera ist nicht zu erkennen. So bestätigt sich das Urteil von Rouco Varela, daß das Konzil mit einem Remis geendet habe. Übrigens bestehen zwischen Codex und Lima weder objektiv noch subjektiv oder intentional Verbindungen.
2. Zum Jubiläum von Barmen bemühen sich heute in Deutschland evangelische Kirche und Theologie intensiv um die Erschließung des programmatischen Inhalts der Barmer Erklärung, welche sich komplexer und inhaltsreicher erweist als der einfache Text erkennen läßt. Dieser Bemühung steht bisher auf der konfessionslutherischen Seite die Schrift „Bekenntnis des einen Glaubens” im Sinne „versöhnter Verschiedenheit” gegenüber.
3. In der Stiftungsurkunde der Evangelischen Michaelsbruderschaft vom 1. Oktober 1931 in Marburg stehen zwei weit vorausgreifende Texte. Hier heißt es:
Leer„In allem, worin die Kirche erscheint, es sei ihre Verkündigung, ihr Gebet und Sakrament, ihr Liebeswerk oder ihre Verfassung, will Christus bezeugt werden.”
LeerUnd:
Leer„Wir glauben daran, daß alle Einzelkirchen Glieder sind der einen Kirche und ihren Beruf im gegenseitigen Empfangen und Dienen erfüllen.”
LeerDie erste Aussage nimmt Barmen im vollen Sinne vorweg und deckt sich sachlich mit der These Gloeges von der Gleichläufigkeit von Regiment, Lehre und Kultus (munera-Lehre).
LeerDie zweite Aussage entspricht in grundsätzlicher Offenheit für die ganze lebendige Tradition der Kirche der oben beschriebenen Bewegung. Beide Thesen wurden bisher nicht zur theologischen Debatte gestellt. Aber ihre frühe Entstehung zeigt, daß die heutige Bewegung längst angezeigt war. Mit alledem wird Bedeutung und Verpflichtung einer ökumenischen Kirchenrechtslehre erst recht deutlich. In jener Wende ist der Ausbruch aus anachronistisch werdender Identität und Autarkie zu suchen. Für die getrennten Kirchen geht es um die Gestalt der Einheit, für die Hierarchien um die Lösung der Laienfrage.

LeerFür mich selbst blieb die dialektische Methode der via negativa das notwendige Mittel, um die Bezüglichkeit des Ganzen zu erhellen. In der Kritik der geschichtlichen Folgen habe ich das große Gewicht tieferer Informationen nicht mit voller Gerechtigkeit abwägen und zur Geltung bringen können. Keine willkürliche Verschärfung des Urteils, sondern jene Beschwernisse haben meine Arbeit bestimmt. Der Widerstreit zwischen geschichtlicher Vollmacht und geschichtlicher Bedingtheit war nur schwer zu lösen. Aber eine geistliche Bewegung, die Paul Gerhardt und J. S. Bach hervorgebracht hat, steht in einem bestimmten Sinne außerhalb jeder Kritik.

LeerDie Gesamtarbeit ist ein - zuweilen allzu ausgedehntes - Plädoyer in zwei großen Teilen vor und nach 1970 geworden. Zugleich hat mir die Begegnung mit der großen Öffentlichkeit der römischen Kirche in freier Offenheit und ohne Anpassung über die Brücke der lateinischen Sprache den Zugang zur Latinität, Vertrauen und Kollegialität im europäischen Katholizismus erschlossen, eine Beziehung, die sich auch in diesen Tagen unseres Zusammenseins von neuem bewährt hat. Wenn in den beiden großen Teilen der Christenheit die Arbeit ökumenischer Kirchenrechtslehre dringender ist als je, so ist die Frage entscheidend, ob und wie die Kräfte entbunden werden können, um jener wechselseitigen Ergänzung zum lebendigen Leben zu verhelfen - damit nicht vergeblich versucht wird, das Wasser der Einheit den Berg der Traditionen hinaufzutreiben. Indessen ist die sollicitudo omnium ecclesiarum - die Sorge um alle Kirchen - kein Privileg des Papstes, sondern jedem Christen aufgetragen, damit - wie ich Kardinal Felici einmal geschrieben habe (II/24):

Leer„ut adsint qui pergrave onus vestrum ut proprium suscipiant - Menschen da sein mögen, die Ihre so schwere Last als ihre eigene auf sich nehmen.”

LeerSo beantwortet sich in diesem Horizont die oft gestellt Frage nach der „Lex Christi in ordine canonico.”

LeerAuch für die Kirchenrechtslehre gilt das Wort der Schrift „Die Wahrheit wird Euch frei machen.” Dies ist ein Gerichtswort. Es ist ein dialektisches Wort: die Wahrheit ist in dem Maße für uns, in dem wir sie auch wider uns anerkennen.

Quatember 1984, S. 71-75

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-08
Haftungsausschluss
TOP