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Charismatische Bewegung und Michaelsbruderschaft
von Hans-Joachim Dummer

LeerBruder Klaus Hoffmann, Pfarrer in Frankfurt/Main, hatte zum dritten Mal zu einer dreitägigen charismatischen Zusammenkunft auf dem Kirchberg eingeladen. Das Thema hieß: „Die Früchte des Geistes als Heilung des Lebens”. Fünfundfünfzig Personen aus verschiedensten Berufen und Altersgruppen waren gekommen, ein gutes Drittel Männer, darunter acht Michaelsbrüder und fünf Katholiken. Einige Teilnehmer kannten sich schon von den ersten beiden Tagungen: 1979 („Der Heilige Geist und sein Wirken heute”) und 1980 („Sakrament und Heilung”). Einige waren aber noch nie bei einem solchen Treffen gewesen. Grundlage bildete eine intensive Bibelarbeit, die den Morgen und Nachmittag der beiden ersten Tage ausfüllte. Bruder Hoffmann referierte ausführlich über die Themen „Was sagt die Bibel über Gericht, Gnade und Lohn?” und als Fortsetzung über „Die Früchte des Geistes” nach Gal 5,22. Alle Vorträge sind auf Kassetten beim Leiter zu bestellen. Für eine allgemeine Information ist auch das Büchlein Hoffmanns zu empfehlen „Die Gabe und die Gaben”, 1981, in dem er auf die Notwendigkeit der Prüfung und Unterscheidung der Geister eingeht.

LeerIch war zum ersten Mal in diesem Kreis und hielt eine Bibelstudie über das Thema „Heiliger Geist und Heilung bei dem Evangelisten und Arzt Lukas” (vgl. meine Schrift „Lukas, Arzt und Evangelist. Die therapeutisch-seelsorgerliche Bedeutung der besonderen Überlieferungen im Lukas-Evangelium”, 1984). Abends sprach ich über persönliche Eindrücke von der anglikanischen Heilungsbewegung. Im Anschluß daran legte der zweite Leiter der Tagung, der Verleger Günther Dürrmeier, ein führendes Mitglied der „Geschäftsleute des vollen Evangeliums” ein ausführliches Zeugnis ab über seine persönlichen Erfahrungen mit dem Gebet für Heilung. Im Laufe der Zusammenkunft berichteten auch andere Teilnehmer von ihrer Umkehr und ihrem neuen Leben aus der Kraft des Heiligen Geistes.

LeerEinen besonderen Akzent erhielt die Tagung durch das Singen neuer Lieder, so daß man immer wieder „von den Stühlen gerissen” wurde (ähnliche Erfahrungen machte Alfred Radeloff bei einem charismatischen Pfingsttreffen in Straßburg, Quatember 4/1982). Es wurde geleitet von dem Volksmissionar Rolf Herdejost, der selbst einige dieser Lob- und Anbetungslieder gedichtet und komponiert hat. Sehr eingängige Melodien von ihm zum Kyrie, Gloria und Halleluja haben wir am Sonntagmorgen in der Evangelischen Messe gesungen.

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LeerHöhepunkt für die meisten Teilnehmer aber war der Segnungs-Gottesdienst. Er fand am letzten Abend von 19.30 bis 23.00 Uhr statt und hatte noch eine Fortsetzung am Sonntagmorgen von 10.00 bis 11.30 Uhr, da sehr viele diesen besonderen seelsorgerlichen Dienst begehrten. Die Feier begann mit einem ausführlichen Sündenbekenntnis, der Beichtfrage und der Absolution durch Bruder Hoffmann. Nach Lob- und Dankliedern folgte eine längere Predigt des Volksmissionars mit freien Gebeten der Gemeinde. Bei der Segnung kniete man vor dem Altar und sagte dem Leiter leise sein Anliegen, unter anderem die Bitte um Stärkung in besonderen Konfliktsituationen (Ehe, Beruf, Gemeinde), um Heilung von seelischen und körperlichen Gebrechen, um Befreiung von bösen Gedanken, um Erneuerung des Taufbundes und anderer Gelöbnisse. Der Leiter betete dann mit drei oder vier Assistenten, die jeweils neu hinzutreten konnten, entsprechende Fürbitten. Sie legten zusammen die Hände auf und der Leiter sprach den abschließenden Segen. Die Gemeinde begleitete die Handlung mit alten und neuen Liedern und stillen Gebeten. Auf Wunsch ging der Leiter oder sein Stellvertreter bei besonderen intimen Anliegen mit dem Bittsteller in die Beichtkammer, wo übrigens während der ganzen Tagung sehr viele seelsorgerliche Einzelgespräche und Beichten stattfanden. Wem die Zeit zu lang wurde, der konnte auch weggehen.

LeerIch muß bekennen, daß ich vor dieser Veranstaltung Bedenken hatte, ob sich der charismatische Charakter mit Geist und Stil des Kirchbergs und unserer Michaelsbruderschaft vertragen würde. Rückblickend habe ich jedoch viele Beziehungspunkte entdeckt:
1. Beide Gruppen fühlten sich berufen, eine geistliche Bewegung „innerhalb” der Kirchen und Gemeinden in Gang zu setzen. Ihre Leiter betonten das immer wieder. Die Bewegung wird jetzt in der evangelischen und katholischen Kirche Deutschlands offiziell „Geistliche Gemeinde-Erneuerung” genannt.
2. Für diesen Einsatz wird besonders die Unterstützung des Heiligen Geistes angerufen (vgl. W. Stählin: Die Bitte um den Hl. Geist, 1969, wo er uns zu einem tieferen Verständnis seines Wirkens ermahnt). Wir heben diese Bitte am Anfang der Messe und in der Epiklese liturgisch hervor und haben einige entsprechende Gebete im Tagzeitenbuch.
3. Erkenntnis und Bekenntnis unserer Schuld in allgemeiner und besonderer Form, d. h. der Wille zur Umkehr und persönlicher Zuspruch der Vergebung werden für die Erneuerung vorausgesetzt. Das ist auch in unseren Helferverhältnissen, in den Rechenschaftskonventen und Einzelbeichten zu finden.
4. Das Zeugnis von persönlicher geistlicher Erfahrung wird auch bei uns als notwendig gehalten und bei privaten und besonderen brüderlichen Zusammenkünften abgelegt.
5. Leibliche Gebärden sind nach unserem Verständnis durchaus notwendig als ganzheitliche Äußerungen der Anbetung: das biblisch belegte Knien und Emporheben der Hände (nicht nur der Liturgen!), das Bekreuzigen, das Händereichen beim Friedensgruß und die brüderliche Umarmung.
6. Die Handauflegung geschieht bei uns außer bei den Kasualien (Taufe, Konfirmation, Trauung und Ordination) - noch bei der Aufnahme eines neuen Bruders, der Einführung eines Ältesten, bei der Beichte und bei Brüdern in besonders schwierigen Lebenslagen.
7. Schließlich ist uns ebenfalls die Notwendigkeit des immer neuen Lobpreises und der Anbetung bekannt. Die biblischen Lobgesänge des Zacharias, der Maria und des Simeon sind feststehende Höhepunkte der täglichen Stundengebete. Bei Singe- und Familienfreizeiten werden oft neue geistliche Lieder gesungen.
LeerEs war für mich erstaunlich, daß sich auch die Teilnehmer der Tagung in unsere festformulierten Ordnungen der Tageszeiten und der Messe und in das Psalmodieren einfügten, denen diese Art des Betens völlig fremd war. Sie bemühten sich sehr! Alle kommunizierten am Sonntagmorgen. Es wird sicherlich auch in unseren Kreisen Brüder und Schwestern geben, die sich manchmal nach einem spontanen und begeisterten Loben und Anbeten mit entsprechenden Gebärden und freien Gebeten sehnen als Ausdruck der überströmenden Freude über Gottes Gnadengaben durch den Heiligen Geist. Sie sollten einmal an einem charismatischen Treffen dieser Art unvoreingenommen teilnehmen!

Quatember 1985, S. 42-44

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-10
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