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Begegnung mit Graf Dürckheim
von Beda Müller OSB

LeerLieber Herr Pfarrer Blum! Ihr Artikel in Quatember „Begegnung mit Graf Dürckheim” bewegt mich zu diesem Brief. Auch ich bin Graf Dürckheim sehr zu Dank verpflichtet. Er kam 1970 zu unserer „Neresheimer Werkwoche” und führte uns damals in seine Meditationsmethode ein. Mir hat diese Woche eine der wichtigsten Weichenstellungen in meinem Leben gebracht.

LeerIn unserem Orden wurde ja immer schon Meditation praktiziert. Wir nannten sie meist „Betrachtung”. Es handelt sich um Textmeditation, ignatianische Methode in verwässerter Form. Die Einführung durch unsern Novizenmeister war sehr mäßig. Die Praxis war eine Pflichtübung ohne bedeutende Erfahrung. Es handelte sich um nicht viel mehr als um eine besinnliche Lektüre. Die Begegnung mit Dürckheim bewirkte bei mir eine ähnliche Erfahrung wie das berühmte Turmerlebnis von Martin Luther. Nicht auf meine Anstrengungen und Leistungen kommt es an, sondern auf das Loslassen der Gedanken, Worte, Bilder, Absichten, Wünsche und Ängste; auf das einfache Da-sein, so schlicht wie nur möglich. „Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten, laß mich so, still und froh, Deine Strahlen fassen und Dich wirken lassen”. Dieser Vers von Tersteegen erwies sich als unübertroffene Beschreibung dieses Meditationsgeschehens. Es wird ein Sich-öffnen für die größere Wirklichkeit Gottes geschenkt, aus dem das Gebet aufblühen kann. Auch die ignatianische Methode will zu diesem Ergebnis fahren. Doch bei mir bewirkten die „drei Punkte” einen Leistungsdruck, der sich eher als Hindernis erwies.

LeerDürckheim hat uns vor allem hingewiesen auf die Bedeutung des Leibes und des Atems bei der Meditation. Dabei hat er mir geholfen, unsere liturgischen Gebärden neu zu verstehen, die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Leib und Geist zu entdecken. Seit 1970 habe ich in zahlreichen Meditationskursen das bei Dürckheim Gelernte weitergegeben und durfte dabei viel Freude erleben. Es ist erstaunlich, wie vielen Menschen man mit ganz einfachen Hinweisen und Übungen helfen kann. Wie oft wurde gesagt: „Sie . haben mir eine neue Welt erschlossen”. „Seit vielen Jahren habe ich nach einer solchen Erfahrung, einer solchen Vertiefung gesucht”. Fast alle, die im deutschen Sprachraum und darüber hinaus Meditationskurse leiten, sind Dürckheim zu Dank verpflichtet. Deswegen kann ich Ihr ehrendes Wort über diesen Lehrer der Meditation weitgehend mitvollziehen. Dennoch bleiben einige ungeklärte Fragen.

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LeerDürckheim ist nicht Theologe, sondern Psychologe und Therapeut. Er fühlt sich vor allem den vielen Menschen verpflichtet, die in ihrem Leben keinen Sinn mehr erkennen und sich enttäuscht von den christlichen Kirchen abgewandt haben. Diesen will er einen neuen Zugang zum „überweltlichen Sein” eröffnen. Er hat uns auf den Weg der Erfahrung verwiesen. Wir Christen, vor allem wir Männer der Kirche, haben diesen Erfahrungsweg oft vergessen oder vernachlässigt und haben fast ausschließlich Belehrung vermittelt. Diese Belehrung aber hat viele Zeitgenossen, vor allem der jungen Generation unbefriedigt gelassen. Sie suchen nach neuen Weisen, die Realität Gottes zu erfassen. Wenn wir die Bibel befragen: Jesus hat seinen Hörern nicht nur Belehrungen zuteil werden lassen, sondern auch Erfahrungen.

LeerDoch scheint es mir nicht richtig, wenn Dürckheim den Erfahrungsweg verabsolutiert. Der Glaube kommt nun einmal doch vom Hören, vom lebendigen Zeugnis. Und die Erlösung vollzieht sich nicht durch die Versenkung in unser eigenes Wesen. Die Priorität des Handelns Gottes, wie es vor allem in der Menschwerdung Christi sich ereignete, ist festzuhalten, wie sie in der Stiftung der Sakramente, der biblischen Offenbarung und in der Institution Kirche sich manifestiert. Bei meinem letzten Besuch bei Dürckheim habe ich versucht, dies mit einem ganz einfachen Vergleich deutlich zu machen, nämlich mit der Kerze, die bei Gesprächen mit ihm auf dem Tische brennt. Obwohl die Kerze zu brennen geschaffen ist, kann sie sich nicht selbst entzünden. Es bedarf dazu eines Eingriffs aus einer anderen Dimension. Sie kann sich nicht selbst „verwirklichen”. Christliche Meditation hat deshalb immer dialogische Struktur, ist hingeordnet auf das große DU Gottes, der nach Augustin „innerlicher als unser Innerstes und höher als unser Höchstes” ist, immanent und transzendent zugleich.

LeerIn der Zen-Meditation ist das Ziel die „Erleuchtung”. Die christliche Meditation will weiterführen. Via purgativa, via illuminativa, via unitiva werden in der christlichen Mystik die aufeinander folgenden Phasen genannt. Ziel ist die Liebe zu Gott und dem Mitmenschen, nicht das „Einswerden mit dem Alleinen”. Mir hat hier der Vergleich der griechischen Theologen geholfen: Wie das Eisen im Feuer die Natur des Feuers annimmt, ohne aufzuhören, Eisen zu bleiben, so soll der Mensch in der Vereinigung mit Gott Anteil bekommen an der göttlichen Natur (2 Petr. 1, 4), ohne aufzuhören, Geschöpf zu bleiben. Der fundamentale Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf bleibt bestehen. Deshalb sind die klassischen Vergleiche für dieses Geschehen der Vereinigung nicht „Versenkung” (wie ein Wassertropfen im Meer, der seine Identität verliert), sondern „Einwohnung” und „Vermählung”, bei denen die Identität erhalten bleibt. Nicht verständlich ist mir Ihr Satz (Seite 224 Mitte): das Jesus-Gebet „ist eine Möglichkeit christlicher Sinngebung dieser Versenkungsübung, natürlich immer vorausgesetzt, daß Jesus Christus nicht mehr ein Gegenstand dieser Welt ist, sondern in seiner Allmacht alles umgreift und erfüllt”. Ist das nicht eine falsche Alternative? Jesus Christus ist Gott und Mensch, auch im überweltlichen Zustand der Verherrlichung.

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LeerEs mag überheblich klingen, wenn ich den Eindruck äußere, daß die Zen-Meditation oder die „übergegenständliche”, wie Dürckheim sie lehrt, erst im christlichen Raum zu ihrer eigentlichen Erfüllung gelangt. Wir machen zum Beispiel die Erfahrung, daß Schweigemeditation und Eucharistie sich gegenseitig erst so recht fruchtbar machen. Das äußere und innere Schweigen ist die Bereitung des Menschen. Leib und Blut Christi sind die freien Gnadengeschenke Gottes. Wenn beides aufeinandertrifft, dann kann geschehen, was kürzlich eine Teilnehmerin beim Schlußgespräch beschrieb: „Vor 35 Jahren wurde ich konfirmiert. Das Abendmahl hat mir damals nichts bedeutet. Die ganzen Jahre habe ich gesucht. Heute morgen bei der Eucharistiefeier wurde mir klar: Das ist es!” Wir stehen in der Zeit von Epiphanie. Bei einer Eucharistiefeier an diesem Fest wurde mir einmal deutlich, daß die Weissagung des Jesaia (60, 5 ff) sich in der Anbetung der Magier aus dem Osten erst anfanghaft erfüllt hat. Sie brachten Gold, Weihrauch und Myrrhe, die Kostbarkeiten ihrer Heimat, zum neugeborenen Jesus. Damit haben diese Gaben eine ganz neue, tiefere Sinngebung erfahren.

LeerHeute werden noch ganz andere Schätze des Ostens, nämlich Joga und Zen zu Christus gebracht. Könnte es nicht sein, daß auch diese Kostbarkeiten des Ostens erst hier zu ihrer eigentlichen Bestimmung finden? Vom himmlischen Jerusalem wird gesagt, daß alle Schätze der Völker, alle Kostbarkeiten der Könige in sie hineingetragen werden (Off. 21, 24.26). Dürfen wir das Wirken Dürckheims nicht als Vorfeldbereitung für eine ganz neue Hinwendung zu Gott, für ein neues Pfingsten in der Christenheit verstehen? Ein Physiker sagte mir, daß gerade für den Naturwissenschaftler, dem das Experiment eine so wichtige Erkenntnisquelle ist, der Erfahrungsweg der Schweigemeditation der Zugang zur Wirklichkeit Gottes sei. Wenn ich diesem Urteil in einer solchen Ausschließlichkeit auch nicht zustimmen kann, so steckt darin doch eine Wahrheit. Diese Methode schafft eine „Antenne für Gott”. Doch damit ist noch nicht gegeben, daß dem Horchen auch das Ge-horchen folgt. Psychologie und Theologie führen erst zusammen zum Erfolg.

LeerDas wurde mir auch noch auf einem ganz anderen Gebiet deutlich. Ich stellte Dürckheim die Frage, was geschehen solle, wenn ein Ehepartner den „initiatischen Weg” entdeckt, sein Partner ihn aber auf diesem Weg nicht folgen kann. Darf er dann nach einem anderen Partner Ausschau halten, der ihn auf dem „initiatischen Weg” begleitet? Dürckheim scheint diese Frage bejaht zu haben. Nicht nur er, sondern viele Therapeuten bedürfen hier einer Orientierung an der biblischen Ehelehre. Uns Theologen ist hier eine große Aufgabe zugewachsen, nämlich der Klärung und Unterscheidung, der Ergänzung und Vertiefung. Diese Aufgabe können wir aber nicht durch bloße Reflexion erfüllen. Wir müssen uns in diesen Erfahrungsbereich hineinbegeben. Nur eine „Theologie auf den Knien” wird hier weiterhelfen. Unser Dank an Dürckheim kann auch nur auf den Knien abgestattet werden.

Quatember 1985, S. 57-60

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-10
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