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und Theologie Martin Luthers von Ernst Schering |
Das Jahr 1983 war ein Luther-Jahr, auch wenn es dazu offiziell nicht erklärt worden war. Vom November 1982 an fanden vielerorts unzählige Vorträge, Tagungen und Kongresse statt, bei denen von verschiedenen Ausgangspositionen und unterschiedlichen Aspekten Luthers Theologie und Frömmigkeit, deren Wirkungsgeschichte und gegenwärtige Bedeutung erhellt werden sollte. Das Lutherjahr hat auch eine wahre Woge von Luther-Büchern an Land gebracht. Man kann wohl hier wie auch sonst bei vergleichbaren Anlässen ohne allen Argwohn feststellen, daß jene Publikationen, die zu „Rennern”, zu Bestsellern wurden, sicherlich nicht die besten waren, wohl Zeitkolorit prächtig wiedergaben, dafür aber Glaube, Theologie und Frömmigkeit in den Hintergrund treten ließen. Demgegenüber haben die Werke der katholischen Lutherforscher wie Peter Manns, Otto Hermann Pesch und Daniel Olivier sachkundig, redlich und theologisch solide die Bedeutung der Theologie Luthers gerade für die neue Epoche nach dem zweiten Vatikanischen Konzil und damit für unsere katholischen Mitchristen hervorgehoben. Luthers Theologie kann nun nicht mehr als „Stolperstein”, als Stein des Anstoßes erachtet werden. Eine vergleichbare ökumenische Offenheit zeichnen auch die neueren Werke von evangelischen Theologen wie Walther von Loewenich und Heiko Oberman, Bernhard Lohse und Martin Brecht aus, um nur diese Namen hier zu nennen. Wohl etwas pauschal, aber dennoch zutreffend kann man mit Peter Manns sagen, Martin Luther ist heute nicht nur für Protestanten, sondern für Christen aller Konfessionen ein „Vater im Glauben”. Von hier aus stellt sich erneut die früher oft ausgeklammerte Frage nach der monastischen Tradition bei Luther. Sie stand im Zentrum eines Symposiums, das vom 21 .-24. März 1984 in dem (ev. luth.) Zisterzienserkloster Amelungsborn unter dem Thema „Martin Luther als Mönch” stattfand, zu dem der Abt Dr. Kurt Schmidt-Clausen den Abt des Zisterzienserklosters Himmerod Dr. Ambrosius Schneider und andere Ordensleute, evangelische und katholische Professoren, Geistliche und Laien begrüßen konnte. Sich in diesem Kreis mit dem monastischen Vermächtnis in Luthers Existenz und Denken zu befassen, hatte primär nicht das Ziel, die Summe neuerer katholischer und evangelischer Forschung zusammenzufassen. Noch viel weniger war es die vordergründige Intention, gleichsam nach dem Auslaufen des „Luther-Jahres” nun einmal einen anderen als sonst üblichen Akzent setzen zu wollen. Leitgedanke war vielmehr das zunächst recht schlicht erscheinende, im Grunde aber höchst bedeutsame Faktum, daß der Professor der damals jungen Universität Wittenberg die wichtigsten Jahre seines Lebens und Wirkens und zugleich die entscheidenden Jahre der Reformation in einem Augustinerkloster der strikten Observanz verbracht hat. Diese Epoche wird hingegen auf Grund gewisser alter, zäh konservativer Vorurteile hüben und drüben weithin unsachgemäß beurteilt. Jedermann weiß zwar, daß Martin Luther ein Mönch gewesen ist. Jedes Schulkind kennt die zahlreichen Bilder, die ihn in der Kutte und mit der Tonsur zeigen. Man meint auch, die spontan aufbrechenden Motive seines Eintritts in das Kloster der Augustiner-Eremiten zu Erfurt zu kennen. (Stotternheim: „Hilf, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!”) Auch ist bekannt, daß er diesen Entschluß bald bereut hatte, dennoch im Kloster blieb, was zu einem zeitweiligen Zerwürfnis mit seinem Vater führte, der ihm noch am Tage seiner Priesterweihe das vierte Gebot vorhielt. Man hat hingegen auf Grund seiner späteren höchst kritischen Äußerungen zur „Möncherei” gefolgert, diese Jahre im Konvent als eine Epoche der Anfechtungen und Qualen, der Selbsttäuschung und Enttäuschung negativ beurteilen zu sollen. Hinzu kommt, daß evangelische Christen, zumal wenn sie ein Kloster nicht von innen kennen, einer recht abwegigen Vorstellung vom Klosterleben verhaftet sind. Gegenüber den verbreiteten Vorurteilen ist zunächst geltend zu machen, daß die beiden Jahrzehnte, die Luther im Kloster verbracht hat, seine Frömmigkeit und Theologie entscheidend geprägt haben. Dr. Christoph Burger, Tübingen, referierte sodann über Luther als Augustiner-Eremit. Das Studium im Kloster zu Erfurt, eines der acht Orte des Generalstudiums des Ordens, eröffnete ihm den Zugang zur philosophischen Tradition. Er begann, wie üblich, in der Artistenfakultät, die die Lehre des Nominalismus vertrat. Wie A. Zumkeller OESA nachweisen konnte, hatte der Nominalismus die Heilige Schrift zum Maßstab für alles erhoben. Der Eintritt in ein Kloster der Reformkongregation bedeutete keineswegs einen Abstieg, sondern erschloß ihm, da er gewissenhaft und klug war und von seinen Oberen gefördert wurde, einen beachtenswerten Aufstieg. Er wurde zum Studium der Theologie bestimmt, was durchaus nicht selbstverständlich war; nicht jeder Ordensmann wurde zum Priester geweiht, nicht jeder Theologiestudent zugelassen; man konnte auch zum Priester geweiht werden, ohne Theologie studiert zu haben. Mit dem Theologiestudium begann Luthers erfolgreicher Weg als Ordensmann. Bald wurden ihm höhere Aufgaben übertragen; er wurde Subprior, Distriktleiter, Provinzial und Professor. In dieser vielfältigen Arbeit mußte er, wie einst Augustinus, die vita contemplativa der vita activa opfern. Damit waren gleichsam die äußeren Lebensbedingungen abgesteckt. Daraus ergeben sich die bisher noch nicht hinlänglich geklärten Fragen: Welchen Gewinn zog er aus der monastischen Zeit? Wie stark hat das Stundengebet seine persönliche Frömmigkeit und sein Verhältnis zur Bibel geprägt? Welchen Einfluß übt die Regel Augustins aus? Wie stark hat Bernhard von Clairvaux, der größte Ordenstheologe, Luthers Frömmigkeit und Theologie geprägt? Die deutsche Mystik lernte er relativ spät kennen; ihre Terminologie hat seine Auslegung des Magnificat bestimmt, aber er interpretierte sie im augustinischen Sinne, daß der alte Mensch sterbe und der neue durch Gottes Gnade lebe. Der Einfluß der Mystik trat später in den Hintergrund. Auch für den alten Luther lag der „Fehler” des Mönchtums nicht in der monastischen Lebensform, sondern in deren Begründung („zweite Taufe”). Diesen Aspekt der Kritik am Mönchtum hat Bernhard Lohse stark betont; es ist jedoch noch zu erhellen, was bei ihm vom Mönchtum hängen geblieben ist. Deshalb stimmt auch die These von Joseph Lortz nicht, Luther habe in sich einen Katholizismus niedergerungen, den es nicht gegeben hat. Es kann kein Zweifel bestehen, daß er ein guter katholischer Christ und ein guter Mönch gewesen ist. Nur deshalb wurde er in einer wichtigen Ordensangelegenheit nach Rom entsandt; daß er dort keinen Erfolg hatte, lag nicht an ihm, wenn er auch bald manche Vorwürfe dieser Art in seinem Konvent vernehmen mußte. Der Protestantismus sollte nicht vergessen, daß er seine Existenz einem vorbildlichen Mönch zu verdanken hat. Luthers inniges Verhältnis zur monastischen Theologie und seine eigenständige Aufarbeitung zeigt sich besonders in der frühen Psalmenvorlesung. Dort stellt er ebenso radikal wie der Kirchenvater Augustinus, der Patron seines Ordens, humilitas (Demut) und superbia (Hochmut), den Weg des Heils und den Weg des Verderbens, gegenüber. In diesen frühen Jahren sind für ihn die drei Gelübde die Abwehr gegen die drei Versuchungen dieser Welt (Ehre, Reichtum, Lust). Im monastischen Leben sind Gehorsam und Ungehorsam die Kräfte, die das Corpus Christi mysticum - den „Leib Christi” aufbauen oder zerstören. So kann er auch dann bei der Auslegung der Worte „den Tempel Gottes in drei Tagen auferbauen” (Mark. 14, 58) die drei Tage auf die drei Gelübde beziehen. Vom Corpus Christi mysticum her versteht sich, daß der Vorgesetzte der Stellvertreter Christi ist, der den Untergebenen den Willen Christi mitteilt, eine Vorstellung, die er später verworfen hat. Das Leben im Konvent wird durch das seelsorgerische, ermahnende Wort aufrecht erhalten. Die geistliche Kraft des monastischen Lebens quillt aus dem täglich meditierten Psalter, dessen Auslegung andererseits das monastische Leben bewußt macht. So werden die Worte des Psalters zu Worten Christi, zu Worten der Kirche, die durch Tropologie auf jeden einzelnen bezogen werden. Daß Luther Mönch war, bedeutet, daß er das christliche Leben nicht intellektuell, sondern existenziell kennenlernte. Daß er Augustiner wurde, ergab die hervorragende Bedeutung des Corpus Christi mysticum in seiner Theologie. Als Glied am Leibe Christi empfängt der Einzelne sein Heil. Was für Christus gilt, gilt für den Einzelnen, allerdings in abgeschwächter Form. Das incorporatum perfidem schenkt neues Leben: liberi sumus - wir sind Kinder, wir sind Freie - im doppelten Sinne des Wortes. Für ihn waren vielmehr die Ratschläge Bestimmungen für jedes christliche Leben. Es müßte jedoch, wie die anschließende Diskussion aufwies, noch präziser untersucht werden, wie Luther nach dem Bann und in späterer Zeit die Auffassung vom Corpus Christi mysticum sowohl durchgehalten als auch modifiziert hat. Auch müßte die Gültigkeit der an sich erhellenden Gegenüberstellung von monastischer und scholastischer Theologie noch weiterhin überprüft werden; dabei wäre auch zu bedenken, daß die großen Scholastiker Ordensleute waren und daß das Ordensstudium in das Universitätsstudium inkorporiert war. Pfarrer Dr. Johannes Halkenhäuser, Spiritual der Kommunität Casteller Ring, hatte sich dem Thema „Luther und das monastische Leben heute” gestellt, ging von der Ablehnung des Mönchtums beim alten Luther, in der Confessio Augustana und den Schmalkaldener Artikeln aus, machte deutlich, daß die Kritik keineswegs so ablehnend war, wie man später konfessionalistisch betonte. In der Kirchengeschichte sind immer wieder neue Aufbrüche zum monastischen Leben, zu ordensähnlichen Dienstgemeinschaften nachweisbar. Diese Neuansätze im Pietismus, Herrnhutertum sowie bei den Vätern der modernen Diakonie wie Wilhelm Löhe und Johann Hinrich Wichern sind zugleich von neuen ökumenischen und eschatologischen Aspekten geprägt. Bei den diakonischen Kommunitäten verdrängte sodann zunehmend die Caritas den Ordo. Die im 20. Jahrhundert entstandenen Kommunitäten zeichnen sich durch freiwillige Bindung an die drei Gelübde aus, wodurch ein altes „protestantisches Tabu” (Siegfried von Kortzfleisch) gebrochen wird. Man stellt zugleich die Frage, ob und inwieweit Luthers Kampf gegen den Verdienstcharakter, seine Ablehnung eines Christenlebens höherer Potenz, die Infragestellung des Status perfectionis - des Stand.es der Vollkommenheit - neu zu überdenken ist. Auch sollte man dessen Rat an die Herforder Fraterherren und die Wittenberger Artikel von 1536 aufmerksamer lesen als früher. Wenn auch nach wie vor die Profeß nicht als „zweite Taufe” gewertet wird, muß dies nicht zugleich eine Verwerfung der Gelübde überhaupt bedeuten. Unbestritten ist Mitte und Maß alles Christenlebens und alles Ordenslebens die Rechtfertigungslehre. Das monastische Leben steht unter dem Glanz des Dankes für empfangene Gnade. Pater Dr. Gerhard Voss, OSB, Leiter des Ökumenischen Instituts der Abtei Niederaltaich, gab in seinem Referat über „Leben im Gehorsam” eine Interpretation von der Kap. VII der Regula Benedicti bezeugten benediktinischen Lebensform und zeigte die befreiende Kraft des Gehorsams in einer brüderlichen Gemeinschaft. In der anschließenden Diskussion ging es auch um die theologische Komplexität der für alle Orden konstitutiven Gelübde. Dabei wurde unter anderem auch auf das in der Geschichte der Orden oft aufbrechende Problem der Verweigerung des Gehorsams unter Berufung auf einen höheren Gehorsam eingegangen. Professor Dr. Gerhard Ruhbach, Bethel, Spiritual der Familiaritas Amelungsborn, ging in seiner Auslegung von 1 Thess 4 auf „Heiligung und Rechtfertigung bei Paulus” ein und bot einen neuen Zugang zur Thematik des Luther-Symposions. Die Aussprachen im Anschluß an die Referate waren lebhaft und wiesen auf neue Aspekte hin. Einmütig war man der Ansicht, daß es biographisch, geschichtlich und theologisch völlig berechtigt war, auf die in der gängigen Literatur überstrapazierten Klosterkämpfe nicht ausdrücklich einzugehen. Rein psychologisch sind sie gewiß nicht zu „ergründen”, da es dabei sowohl um exegetische und theologische als auch um existenzielle Fragen ging. Diese Klosterkämpfe wurden in den 44 Sendungen, die zum Lutherjahr im Fernsehen übertragen wurden, ausführlich behandelt, dramatisch aufbereitet und oft mit weit hergeholten Texten unterstrichen. Man kann nur hoffen, daß diese „Seelenergründung” vergessen, dafür etwas mehr von Luthers Theologie behalten wird. Wären die in diesen Filmen mit so viel colour und action dargebotenen Klosterkämpfe wirklich so dramatisch verlaufen, so wäre es überhaupt nicht zu verstehen, daß ausgerechnet ein so „skrupulöser” junger Mann so rasch Karriere in seinem Orden machen konnte. Auch ist nicht an dem Faktum zu rühren, daß diese Anfechtungen eben keinen psychologischen Dauerzustand darstellten. Einer allzu hurtigen psychologischen „Erklärung” widerspricht auch der andere Tatbestand, daß Luther in dieser Zeit ungeheuer aktiv war. Man sollte auch nicht, wie es seit Jahrzehnten als modern erachtet wird, eine psychologische gegen eine theologische Erkenntnis setzen, um sodann das Psychologische als etwas Psychopathisches zu schildern (etwa E. Erikson). Die Menschen des Mittelalters wußten von der Weite und Tiefe seelischen Erlebens weit mehr als heutige Interpreten. Das Symposion über die monastische Tradition in der Frömmigkeit und Theologie Martin Luthers erhielt durch gemeinsame tägliche Stundengebete in der mittelalterlichen Klosterkirche Rhythmus und Gepräge. Das Kloster Amelungsborn war sicherlich der rechte Tagungsort für diese Thematik, da es ebenso wie das jüngere, jedoch wesentlich bekanntere Kloster Loccum (gegr. 1163) zu den beiden einzigen deutschen Zisterzen mit ununterbrochener Tradition gehört. Beide wurden einst von Kamp am Niederrhein, einem Tochterkloster von Morimont, aus besiedelt. Im 16. Jahrhundert traten beide Zisterzen zur lutherischen Konfession über, behielten ihren Abt und Konvent, wahrten die Tradition. Im Juni 1985 wird der Abt zu Loccum D. Eduard Lohse das Kloster Amelungsborn als dessen Visitator visitieren. Das Kloster Amelungsborn will hernach seinen Gründungstag (20. November 1135) mit einem Festgottesdienst feiern. Die seit 1960 durch den 55. Abt Christhard Mahrenholz zu neuem Leben erweckte Arnelungsborner Bruderschaft will lutherische Spiritualität in Anlehnung an das Beispiel der Zisterzienser leben. Zur 850-Jahr-Feier des Klosters soll im Herbst dieses Jahres auch ein Gedenkband erscheinen. Im zweiten Teil sollen die Referate des hier angezeigten Symposions wiedergegeben werden, um sie einem größeren Kreis zugänglich zu machen; der erste Teil bringt Aufsätze über Geschichte und heutiges Leben des Klosters und seiner Bruderschaft. Quatember 1985, S. 92-99 |
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