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Ökumenische Spiritualität aus katholischer Sicht
von Laurentius Klein OSB

LeerAuf einem Offenen Konvent des Berneuchener Dienstes und der Evangelischen Michaelsbruderschaft in Berlin (West), zu dem auch die UNA SANCTA BERLIN eingeladen hatte, hielt der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) den hier abgedruckten Vortrag. Pater Laurentius war schon als Abt von St. Matthias in Trier, vor seiner Zeit in Jerusalem, der Michaelsbruderschaft eng verbunden und hat auch öfter an den „Kirchberger Gesprächen” teilgenommen.

LeerZur ökumenischen Spiritualität gehört es zunächst, daß wir uns über die geistlichen Wurzeln der Spaltung und auch der Einheit der Christen Gedanken machen.

LeerWir können heute nicht mehr zurück zu einer ungeteilten Christenheit. Wir müßten tatsächlich ins Apostelkollegium zurückgehen. Aber auch in diesem ehrwürdigen Kreis herrschten ja bekanntlich nicht unerhebliche Spannungen, wenn auch keine Spaltungen. Aber die Christenheit hat im Laufe der Geschichte vielmehr in einer Art von Gemeinsamkeit in Gegensätzen existiert als in einer Einheit. Das Wort Einheit ist im Neuen Testament auch nur selten bezeugt, Eins-sein etwas häufiger, aber das geläufigere Wort heißt Koinonia, Gemeinschaft. Koinonia setzt immer Verschiedenheiten voraus. Wenn wir uns so auf die Spaltung und die Einheit der Christen besinnen, ist es gut, diesen neutestamentlichen Begriff der Koinonia im Auge zu behalten. Es gibt ja eine Einheit in biblischer Vorstellung, die von Gott verurteilt wird, das ist die babylonische Einheit wie sie im Bericht vom Turmbau zu Babel geschildert wird. Dort wollten die Menschen eine Einheit aufrichten, weil sie fürchteten, sonst in alle Enden der Erde zerstreut zu werden. Diese Einheitsvorstellung ist der Versuchung zur Macht erlegen. Sie wollten sich selbst einen Namen machen und eine Stadt bauen mit einem Turm, dessen Spitze bis in den Himmel reicht. Sie wollten Gott entthronen und anstelle des Namens Gottes ihren eigenen Namen setzen.

LeerEine Einheit, die auf einer solchen Machtvorstellung beruht, wird von Gott verworfen. Der Wille zur Macht ist immer auch der Wille zur Uneinigkeit. Es gehört zu den dunklen Geheimnissen des Willens zur Macht, daß er zur Uneinigkeit, zur Zerspaltung und zur Selbstzerstörung führt. Wird die Einheit überzogen, entstehen Spaltungen. Am Pfingstfest ereignet sich eine andere Einheit als die von Babylon. In zerteilten Zungen kommt der Heilige Geist auf die Jünger herab. Ein Geist, viele Sprachen und dennoch nur eine, ein Verständnis und ein Lobpreis Gottes. Am Pfingstfest führt Gott der Herr die Menschen nicht nach Babylon zurück, sondern zu einer Einheit in Gegensätzen und Mannigfaltigkeit. Nicht umsonst sind ja dem Bericht von Babylon und von Pfingsten „Völkertafeln” vorangestellt. An Pfingsten bleiben die vielen Sprachen bestehen, aber trotzdem hören sie die eine frohe Botschaft.

LeerEinheit der Christen darf nicht ein neues Babel, sondern muß ein neues Pfingsten werden. Einheit bedeutet Fülle der Gaben des Heiligen Geistes zum Lobpreis Gottes. Eine geistliche Besinnung über die Wurzeln der Einheit und auch der Spaltung kann daher nicht an einer Betrachtung der Geschichte der Konzilien, der Bekenntnisbildungen alter und neuer Art vorübergehen. Wieviele Konzilien, wieviele Bekenntnisbildungen der verschiedenen Kirchen haben die Einheit nicht dauerhaft gefestigt, wohl aber Spaltungen zur Folge gehabt oder vorausgegangene zementiert!

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LeerAuf dem Hintergrund einer solchen Besinnung wird es dann leichter fallen, sich mit den heutigen Modellen der Einheit zu befassen. Das Modell der Koinonia in versöhnter Verschiedenheit sollte daher vor allem in seinen geistlichen Dimensionen verstanden werden.

LeerZur ökumenischen Spiritualität gehört auch die Besinnung über die Einsamkeit der Gläubigen in der Welt. Sie wissen, daß die Zahl der Christen in der Welt trotz des Missionsauftrages Jesu Christi prozentual ständig abnimmt. Die großen Religionen wie Islam, Buddhismus und Hinduismus wachsen dagegen an, auch prozentual auf die Gesamtbevölkerung umgerechnet. Heute, im Zeitalter globaler Information, werden wir uns vielleicht intensiver als früher dieser Tatsache bewußt. Wir dürfen ihr nicht aus dem Wege gehen, auch nicht in unserem Gebet und unserer Meditation.

LeerWir brauchen aber nicht nur an die Diaspora in der Welt zu denken, sondern auch an die Diaspora in unseren eigenen Kirchen. Dies gilt insbesondere für die sogenannten Volkskirchen. Die innere und auch die äußere Emigration werden größer, und die Zahl der engagierten Gläubigen bleibt entweder auf demselben Stand oder schrumpft zusammen. Fast jeder kommt mit dieser inneren Emigration in Kontakt, in der Nachbarschaft, an den Arbeitsplätzen oder vielleicht sogar in der eigenen Verwandtschaft.

LeerDiese Diasporasituation in der Welt und auch in der Kirche schafft allerdings eine neue Realität, nämlich die, daß engagierte Christen verschiedener Konfession sich einander näher fühlen als den sogenannten Randexistenzen der eigenen Konfession. Ein engagierter evangelischer Christ hat sicherlich ein intensiveres gläubiges und christliches Verhältnis zu einem engagierten Kat-tholiken als zu einem ganz Abständigen seiner eigenen Konfession. Umgekehrt gilt ganz gewiß dasselbe. Es gibt eine große Fülle solcher Begegnungen und solchen Erlebens der Gemeinsamkeit über die Konfessionsgrenzen hinweg. Dies braucht in gar keiner Weise eine Nivellierung der Konfessionsgrenzen zu bedeuten, aber es ist ein Erlebnis, eine geistliche Erfahrung, die zu denken gibt. Unser Glaube zeigt sich ja nicht nur in der Lehre, im Glaubensverstehen, sondern auch im Gottesdienst und im Lebensvollzug der Nachfolge Jesu. So kann es sehr wohl geschehen, daß zwar in der Lehre noch Gegensätze bestehen, aber im Gebetsleben und in der praktischen Nachfolge Jesu diese Grenzen verschwunden sind.

LeerDies ist ein Erlebnis, eine geistliche Erfahrung und eine theologische Größe, die zu denken gibt. Ökumenische Spiritualität wird diese Tatsache immer wieder im Gebet vor Gott hintragen und sie auch theologisch durchdenken, und die Betroffenen werden im Gespräch überlegen, welche praktischen Konsequenzen daraus zu ziehen sind.

LeerWelche Konsequenzen sind zu ziehen? An erster Stelle sind hier Bekehrung und Umkehr zu nennen. Dies sind ja keine einmaligen Akte, sondern etwas, was immer wieder vollzogen werden muß, was das ganze menschliche Leben in der Nachfolge Jesu prägt. Umkehr (Metanoia) wird ja nach neutestamentlichem Zeugnis nicht nur den Heiden gepredigt, sondern auch - vielleicht sogar vornehmlich - den Frommen. Könnte man nicht die Metanoia als Aufforderung zur Kurskorrektur an fromme Seelen verstehen? Haben sich nicht die Aufrufe der Propheten und nicht zuletzt die Umkehrrufe Jesu an die Frommen, an die Pharisäer gewandt? Auch die Menschen, die die Erfahrung machen, wieviel Gemeinsames sie über die Konfessionen hinaus besitzen, müssen sich vom Ruf zur Umkehr und Bekehrung treffen lassen. Was besagt dies? Es besagt einerseits, daß wir nicht schuld daran sind, in eine Spaltung hineingeboren zu sein, daß wir aber schuldig werden, wenn die nächste Generation auch noch in der Spaltung lebt.

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LeerGanz gewiß können wir nichts dafür, daß unsere Eltern evangelisch, katholisch, freikirchlich oder orthodox waren. Das ist uns vorgegeben. Aber ob die nächste Generation noch unter einer gespaltenen Christenheit leben und leiden muß, das ist zum großen Teil in unsere Verantwortung gegeben. Wenn wir nun die Erfahrung machen können, daß über Konfessionsgrenzen hinweg sich eine geistliche Einheit zu bilden beginnt, ist der Ruf nach Umkehr um so intensiver. Es wäre kurzschlüssig, daraus nun direkt die organisatorischen Folgerungen ziehen zu wollen. Darauf kommt es zunächst auch nicht an. Hier und jetzt geht es zunächst darum, daß wir uns in dieser geistlichen Erfahrung vom Ruf zur Umkehr und Bekehrung hart treffen lassen.

LeerDiese Bekehrung, zu der wir gerufen sind, die Spaltungen zu überwinden, hat auch korporative Dimensionen. Deshalb sind diejenigen, die diesen Ruf zur Umkehr vernehmen, zunächst zur Erneuerung der eigenen Kirche auf Einheit hin berufen. Diese Erneuerung der eigenen Kirche kann nicht primär darin bestehen, daß wir sie erneuern auf die Einheit der Kirche hin. Wenn wir die Kirche an die erste Stelle setzen, die strukturierte Koinonia, dann könnte tatsächlich ein Machtfaktor babylonischer Prägung entstehen. Erneuerung der Kirche gilt zunächst als Erneuerung auf Christus hin. Durch diese Erneuerung auf Jesus Christus hin kommen wir auch einander näher. Dann wird die Erfahrung, die einzelne miteinander machen, als eine bestehende Einheit über Konfessionsgrenzen hinweg auch für die Kirchen als Kirchen wirksam.

LeerDiese Erneuerung auf Jesus Christus hin hat natürlich eine eschatologische Komponente. Das heißt, wenn wir uns auf Jesus Christus hin ausrichten, orientieren wir uns ja auf den wiederkommenden Herrn hin. Wir alle sind unterwegs zu ihm, und er ist auf dem Weg zu uns. Der Gedanke von der pilgernden Kirche, die durch die Bekehrung immer wieder auf dem rechten Weg erhalten werden muß, spielt für die Ökumene eine große Rolle. Die vollendete Einheit werden wir sicherlich erst im Reiche Gottes finden. Aber es ist aufgrund unserer geistlichen Erfahrungen, die wir über Konfessionsgrenzen hinweg machen, und aufgrund der Erneuerung der Kirche heute schon möglich, daß wir diesen Pilgerweg auf weite Strecken hin gemeinsam gehen. Und dies zeigt sich besonders im gemeinsamen Gebet.

LeerÖkumenische Begegnungen werden nicht nur von Gebeten „eingerahmt”, sondern sind vom Gebet durchdrungen. Ich erinnere mich gerne an die Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Vancouver, wo die Gottesdienste das Herz und die Mitte der ganzen Beratungen bildeten und die drohende Auseinandersprengung des Ökumenischen Rates verhindert haben. Auch bei den Beratungen, den theologischen Überlegungen und den „strategischen” Planungen war das Gebet präsent. Mir scheint, daß gerade von dieser gemeinsamen geistlichen Erfahrung her dem Ökumenischen Rat eine neue Aufgabe zugewachsen ist, die er in dieser Weise bis jetzt noch nicht wahrgenommen hat, nämlich die Dynamik zwischen Spiritualität, Theologie und Aktion.

LeerWir wissen, daß wir in Jesu Namen versammelt sind, wenn wir miteinander um unsere Einheit beten. Dann erfüllt sich die Verheißung: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.” So hat in diesem gemeinsamen Beten die Einheit der Christen begonnen. Sie ist eine sichtbare, greifbare, hörbare und anschauliche Einheit geworden, wenn Christen verschiedener Konfession an einem Ort zusammenkommen und miteinander beten. Gewiß es ist noch nicht die vollendete Einheit, aber es ist wesenhafte Einheit, weil Christus dabei ist. Wir dürfen es uns nicht anmaßen, das Herrenwort so zu biegen und zu deuten, als handele es sich dabei nicht um eine echte Realpräsenz. Mir scheint, daß wir diese Art der Einheit noch viel zu niedrig bewerten. Natürlich ergibt sich daraus auch die Tatsache, daß die Einheit der Christen nicht primär eine organisatorische ist. Es ist zunächst die Einheit in Glauben, Hoffnung und Liebe, im gemeinsamen Bekenntnis des Glaubens, im gemeinsamen Gebet und in der konkreten Nachfolge Jesu Christi.

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LeerFreilich werden dieser grundlegenden Einheit auch Strukturen folgen müssen, die sie schützen, so wie sich um den heranwachsenden Baum die Rinde bildet.

LeerNach den Jahren ökumenischer Erfahrung, die ich erleben durfte, ereignet sich für mich die Einheit aber auch im guten Gespräch. Mir scheint, daß man den Dialog unterbewertet, wenn man ihn nur als „Mittel” zur Einheit betrachtet. Im guten Gespräch kann sich auch die Einheit ereignen. Es gehört zur Ökumene hinzu, freilich muß es erlernt sein. Es ist immer getragen von der Liebe zum Gesprächspartner und von der Liebe zur Wahrheit. Diese Balance ist gewiß nicht immer leicht zu halten. Christen haben den Auftrag, von der Wahrheit über Jesus Christus Zeugnis zu geben, aber sie sind auch gebunden, einander so zu lieben, wie der Herr uns geliebt hat. Eines ohne das andere erfaßt niemals die ganze Wirklichkeit. Es geht also bei dieser zweifachen Liebe nicht um ethische Appelle, sondern um volle christliche Wirklichkeit. Eines ohne das andere kann es nicht geben.

LeerDa ich bereits vieles zum guten Gespräch gesagt und geschrieben habe, möchte ich mich hier nur auf weniges beschränken. Jeder der ökumenischen Gesprächspartner hat seinen festen Stand in seiner eigenen Konfession. Sonst ist kein ökumenisches Gespräch möglich. Und damit kommt auch die Gesamtverhaltensweise der Konfession mit zum Schwingen. Auch die ganze Vergangenheit, an die wir mit tausend Fäden nun einmal gebunden sind, wird irgendwie lebendig. Und diese gemeinsame Vergangenheit mit ihren heißen und kalten Konfessionskriegen, Gehässigkeiten, Verfolgungen, Verleumdungen und Mißverständnissen hat die Herzen der Vorfahren oft so vergiftet, daß dieses Gift des Hasses bis ins eigene geistliche Erbgut vorgedrungen sein kann. Auch heute, im Zeitalter der Ökumene, ist kaum jemand völlig frei von der Gefahr, daß in seinem Herzen verkapselte Giftherde sind. Es kann schon vorkommen, daß im Lauf eines langen und zähen Ringens um die Wahrheit sich Unwille und Ärger anmelden, die dann plötzlich zu Ausbrüchen führen, in denen die ganze feindselige Vergangenheit plötzlich wieder präsent erscheint. Wir machen zur Zeit die bedauerliche Erfahrung, daß dies sogar bis in öffentliche literarische Diskussionen dringt, daß hier und da wieder eine Sprache gesprochen wird, von der wir glaubten, sie sei längst erstorben. Was tut man, wenn man selbst so etwas in seinem eigenen Herzen feststellt, ohne daß man es ausspricht? Eines dürfen wir sicher nicht tun, nämlich diesen Unmut ins Herzenskämmerlein einsperren, wie dies eine falsche Askese meint, denn dann würden diese unbewußten Vorurteile dort ihr gefährliches Dasein weiter fristen. Genau dann aber ist der Christ zum Vergeben aufgefordert. Er wird ohne jeden Vorbehalt vergeben.

LeerDie Redeweise vom gegenseitigen Vergeben ist also keine leere Phrase, auch wenn man dem Gesprächspartner konkret nichts vorzuwerfen hat. Nur durch diese gemeinsame Vergebung wird jede Form von Verbitterung im Denken, Reden und Handeln radikal ausgerottet. Mir scheint, daß gerade in dem augenblicklichen Stadium der Ökumene, in dem alte Emotionen wieder aufwallen, die gegenseitige Vergebung neu einzufordern ist. Dies hat auch eine Bedeutung für die Kirchen, die ja immer zum guten Gespräch ermuntern, aber in dem Augenblick, da Entscheidungen fällig werden, vor Konsequenzen zurückzuschrecken scheinen. Vielleicht liegt es daran, daß dann Angstgefühle um die eigene Identität aufkommen, so vermutet man wenigstens. Aber könnte es nicht auch daran liegen, daß die gegenseitige Vergebung noch nicht bis in alle Tiefen vollzogen wurde, so daß die Angstgefühle eigentlich mehr den Partner als die Sorge um die eigene Identität betreffen? Wenn dem so ist, dann wird die Vergebung wirklich fällig.

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LeerDoch lassen Sie mich bitte noch einiges zum guten Gespräch sagen. Zu einem guten Gespräch gehört das, was man auf englisch fellowship nennt. Dies kann man mit Gemeinschaftlichkeit übersetzen. Es ist mehr als billige Kumpanei und weniger als perfekte Gemeinschaft. Es bedeutet so etwas wie „gemeinsam auf dem Weg sein”. Menschen, die miteinander sprechen und ihre geistlichen Erfahrungen austauschen, sind Partner geworden, aber Wegpartner. Fellowship bezeichnet daher jene Komponente eines guten Gesprächs, die man die Wegkomponente nennen kann. Somit hat jedes Gespräch auch eine gewisse Vorläufigkeit. Vielleicht ist es eine Gefahr der Konvergenztexte, dies nicht immer und überall deutlich zu machen. Solche Texte sollen ja nicht etwas ein für allemal festschreiben, sondern sollen Gespräche auf dem Weg sein, fellowship in Lehre, Liturgie und Leben dokumentieren.

LeerWenn man miteinander ein gutes Gespräch führen will, muß man die Bereitschaft zum Hören mitbringen, jene geistliche Gastfreundschaft, die bereit ist, den anderen in Ohr und Herz hineinzulassen. Wer dem anderen nur äußerlich zuhört, der gleicht einem Gastgeber, der dem Gast nur die Haustüre öffnet und ihn dann sich selber überläßt. Beim guten Hören geht es darum, den anderen ins Herz hineinzulassen. Es geht um das eigene Stillewerden, so daß das Wort des anderen sich entfalten kann. Dies ist in ganz auffälliger Weise im Rahmen des Rezeptionsprozesses der Konvergenz- und Konsenstexte aktuell geworden, auch wenn es dabei nicht primär um das Hören, sondern um das Lesen geht. Ist man wirklich in der Lage, den Text „sprechen” zu lassen? Welch schöne deutsche Redeweise, daß auch ein Text sprechen kann! Aber geht es uns nicht oft so, daß wir bereits zu sprechen anfangen, ehe wir dem Text Raum in Herz, Seele und Verstand gewährt haben? Das mag schwer sein, besonders dann, wenn sich solche Texte in einer Tonart (Literaturgattung) präsentieren, die uns ungewohnt ist. Auch hier ist - wenn auch im übertragenen Sinn - die Bereitschaft zum Hören gefordert und damit auch die grundsätzliche Bereitschaft zur eigenen Korrektur.

LeerAuch die Korrekturwilligkeit gehört zum geistlichen Gespräch. Wer nicht bereit ist, sich selbst zu prüfen und wenn nötig zu korrigieren, der verliert an geistlichem Format. Er wird auf kurz oder lang unfähig, ein Gespräch zu führen. Wenn ich den anderen ganz in mich hineinlasse, so muß ich damit rechnen, daß sein Wort und seine geistliche Erfahrung auch ein Stück von mir werden. Dadurch verändere ich mich. Ökumene schafft Veränderung. Aber dies bedeutet nicht Preisgabe, wohl aber Veränderung zur Gemeinschaft hin.

LeerZu einem guten Gespräch gehört schließlich auch die Fairneß. Sie bedeutet einerseits, daß man dem Partner mehr gibt als es die Gerechtigkeit verlangt, ihn aber niemals überfordert. Gerade das letztere ist beim augenblicklichen Stand der Ökumene von größter Bedeutsamkeit. Die Partner dürfen sich gegenseitig nicht überfordern. Um ein Bild aus dem Fußballsport zu brauchen: Ich darf einem Mitspieler nur solche Vorlagen geben, die er auch erreichen kann. Als der Ratsvorsitzende Landesbischof Lohse dem Papst seine berühmten drei Bitten unterbreitete, hat er ihm eine faszinierende Vorlage gegeben. Ich bin der Überzeugung, daß Johannes Paul II. sie gerne genützt hätte, aber sie war nach Lage der Dinge zu weit gegeben. Man kann in diesem Zusammenhang auch die Forderung nach gegenseitiger Anerkennung der Ämter erwähnen, vor allem auch die immer wieder erhobene Forderung nach einem gemeinsamen geistlichen Amt. Das ist eine steile Formulierung, eine Steilwand, die selbst auch gute ökumenische Bergsteiger zur Zeit nicht bezwingen. - Könnte man vielleicht folgende bescheidene Anregung geben: Die an der Arbeitsgemeinschaft für Ökumenisches Liedgut beteiligten Kirchen übertragen dieser Arbeitsgemeinschaft die Autorität, über dieses gemeinsame geistliche Gut zu wachen, und verpflichten sich, dieses gemeinsame Gut nicht zu vermindern ohne die ausgesprochene Erlaubnis dieses gemeinsamen geistlichen Amtes? Ist auch diese Vorlage zu weit gegeben?

LeerDies sind einige Anregungen zur ökumenischen Spiritualität aus katholischer Sicht. Sie stehen unter dem Motto der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen: „Wo wir Christus suchen, finden wir einander.”

Quatember 1986, S. 15-21

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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