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von Walter Uhsadel |
In einem seiner „Briefe” innerhalb des „Fastenbriefes 1936” schrieb Wilhelm Stählin zu den Worten eines jungen Freundes, der auf die „neuesten Nachrichten über die kirchliche Lage” erpicht war: „Es ist ein ganz gefährlicher Irrtum zu meinen, daß diese neuesten Nachrichten so furchtbar wichtig wären. Glaubt ihr wirklich, daß wir für den Kampf Jesu Christi, für den priesterlichen Dienst an der Welt, für unser Zeugenamt, in der vergehenden Welt das kommende Reich zu verkündigen, am besten ausgerüstet werden, wenn wir in ständiger Aufregung hinter den Ereignissen herrennen?” Hat Wilhelm Stählin Recht, hatte er damals Recht? Auf jeden Fall: Was Walter Uhsadel, von dem wir im vorigen Jahr Abschied genommen haben, damals über das Fasten geschrieben hat, gilt heute in gleicher Weise. Es lohnt sich, diesen Aufsatz noch einmal zu lesen, auch wenn inzwischen das Fasten - aus verschiedener Motivation und mit unterschiedlicher Bestimmung - häufiger als vor einem halben Jahrhundert geübt und selbst unter Protestanten kaum noch als „katholisch” rundweg abgelehnt wird. Wie fern der heutige sich auf Luther berufende „Protestantismus” dem wirklichen Luther gerückt ist, kommt für den, der sehen will, mit aller Deutlichkeit zum Vorschein, wenn wir uns von Luther sagen lassen, wie er über die Übung des Betens und Fastens dachte. Der Protestantismus unserer Zeit ist von einer unüberwindlichen Scheu erfüllt, im Gebet und Fasten eine Übung zu sehen, die dem Christen not tut. Einen Schein des Rechts gewinnt diese Ablehnung dadurch, daß der Christ in solcher Übung Gefahr läuft, in die Werkgerechtigkeit, in das Vertrauen auf das, was er tut, zu entgleiten, - als ob nicht die Möglichkeit des Abgleitens in die Zuversicht zur eigenen Leistung allerenden gegeben wäre, und als ob nicht z. B. die Meinung, daß der Christ in der Erfüllung seiner täglichen Pflichten Gottes Wohlgefallen fände, genau die gleiche Entartung darstellte. Die eigene Übung hebt an mit der Abwehr dessen, wohin unser „Fleisch, Sinne, Wille, Gedanken” uns reizen. „Hier muß der Mensch die Gebete täglich in Übung haben, die David betet: Herr, führe mich in deinem Wege und laß mich nicht meine Wege gehen”. „Dies ist das höchste und erste Werk Gottes in uns und die beste Übung, unser Werk nachzulassen ...” „Dem folgen die Übungen des Fleisches nach.” Ihre Mittel sind „Fasten, Wachen, Arbeiten”. „Und aus diesem Grund lernen wir, warum wir fasten, wachen oder arbeiten sollen.” Wenn „leider viele blinde Menschen” meinen, es sei ihr Fasten und Kasteien ein verdienstliches Werk und es sei wohlgetan, wenn sie es nur vollbracht haben, so darf deswegen nicht das rechte Fasten verworfen werden. „Darum lasse ich's geschehen, daß sich ein jeglicher erwähle Tag, Speise, Menge zu fasten, wie er will, sofern er es nicht dabei lasse bleiben, sondern habe Achtung auf sein Fleisch. Wieviel dasselbe geil und mutwillig ist, so viel lege er an Fasten, Wachen und Arbeit drauf, und nicht mehr.” Auch die Wahl der Speisen darf nach Luthers Meinung nicht von einem gesetzlichen Gesichtspunkte aus stattfinden. Sie empfängt ihr Gesetz vielmehr von dem, was not ist, den „Mutwillen” des Leibes zu „töten”. „Wo nun jemand fände, daß von Fischen mehr Mutwillen in seinem Fleisch, denn von Eiern und Fleisch sie erhübe, soll er Fleisch und nicht Fisch essen. Wiederum, so er stände, daß ihm der Kopf wüst und toll oder der Leib und Magen verderbt würden vom Fasten oder es nicht not ist noch bedarf, zu töten seinen Mutwillen im Fleisch, soll er das Fasten ganz lassen anstehen und essen, schlafen, müßig gehen, so viel ihm not ist zur Gesundheit, unangesehen, ob es wider der Kirche Gebot oder Gesetze von Orden und Ständen . . . Wo dies Ziel wird übergangen und das Fasten, Speisen, Schlafen, Wachen höher getrieben, denn das Fleisch leiden kann oder zur Tötung der Lust not ist, und damit die Natur verderbt, der Kopf zerbrochen wird, da nehm sich niemand vor, daß er gute Werke getan habe . . .” „Denn der Leib ist nicht darum gegeben, ihm sein natürlich Leben oder Werk zu töten, sondern allein seinen Mutwillen zu töten.” Die andere Übung, die Luther zum Fasten rechnet, ist das „Treiben” anderer Menschen und der Welt rings um uns. Um den alten Adam zu töten, „schickt uns Gott über den Hals viele Anstöße, die uns zu Zorn bewegen, viel Leiden, die zu Ungeduld reizen, zuletzt auch den Tod und Schmach der Welt. Damit sucht er nichts anderes, denn daß er Zorn, Ungeduld und Unfriede austreibe und zu seinem Werke, das ist zum Frieden in uns komme. Also spricht Jesaias (28, 21): ‚Er nimmt sich eines fremden Werkes an, auf daß er zu seinem eigenen Werk komme. ’ Was ist das? Er schickt Leiden und Unfrieden zu, auf daß er uns lehre, Geduld und Frieden haben; er heißet sterben, auf daß er lebendig mache, so lange, bis der Mensch es durchgeübt, so friedsam und still werde, daß er nicht bewegt werde, es gehe ihm wohl oder übel, er sterbe oder lebe, er werde geehrt oder geschändet. Da wohnet dann Gott selbst allein; da sind nimmer Menschenwerke”. Luther hat die Übung des Betens und Fastens von einer gesetzlichen Auffassung befreit. Der neuere „Protestantismus” hat darin eine Geringschätzung, wenn nicht gar Verwerfung des Fastens als einer Wegbereitung für das Werk Gottes gesehen und hat das Gebet dem privaten Bedürfnis überlassen. Wir sehen hier den Verfall eines der Grundpfeiler der Kirche vor uns. Welche Bedeutung könnte es für unsere Kirche und für unser Leben haben, wenn die „Passionszeit” wieder aus dem bloß gefühlsmäßigen Erleben herausgehoben würde und zur Fastenzeit würde, die - vielleicht nur wenige - Menschen, ein jeder auf seine Weise, sich dazu dienen ließen, sich an Leib und Seele in Zucht zu nehmen! Quatember 1986, S. 43-46 |
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