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„Christ unser Herr zum Jordan kam”
von Walter Kiefner

LeerDer Johannisbrief 1936 des Berneuchener Kreises wurde mit dem Tauflied von Martin Luther „Christ unser Herr zum Jordan kam ”, das in dem damals gültigen Evangelischen Gesangbuch nicht enthalten war, eröffnet. In ihrem Aufsatz „Die Familie in der Kirche” kam Esther von Kirchbach auch auf die Taufe zu sprechen, und neben einem längeren Zitat aus Martin Luthers Schrift „Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche ” zur Taufe ist der hier folgende Aufsatz zu lesen. Der Autor, Walter Kiefner, war damals Kirchenmusikdirektor in Tübingen. - Das Tauflied von Luther war übrigens in den 1936 im Bärenreiter-Verlag in 2. Auflage erschienenen „Liedern für das Jahr der Kirche ” zu finden, allerdings nur mit drei Strophen. Es ist auch in der vorläufigen Liederliste für das neue evangelische Gesangbuch aufgeführt.

LeerEs ist schon verständlich, daß Luthers „geistlich Lied von unser heiligen Tauffe, darin fein kurz gefasset, was sie sey, wer sie gestiftet habe, was sie nütze, etc.” aus den Gesangbüchern verschwunden ist und die Hymnologen ihm gegenüber eine gewisse Verlegenheit zeigen. Es streitet denn doch zu sehr gegen unsere herkömmlichen Begriffe sowohl von Taufen wie von Lied. Es ist ein ausgesprochenes Lehrlied, eine „kleine Taufpostille”, wie Cyriakus Spangenberg es genannt hat; für das Abendmahl entspricht ihm Luthers „Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt” und für die Rechtfertigung Speratus' „Es ist das Heil uns kommen her”. Lehrlied - ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst? Luther war nicht dieser Meinung. Wir aber müssen ein altes Vorurteil gegen die Lehre überwinden. Muß sie denn wesensmäßig „trocken”, intellektualistisch, und damit unsangbar sein? Kann sie nicht ebensogut wie das praktisch-sittliche Handeln oder der Kultus eine Funktion des ganzen Menschen sein? Wenn der totale Vorgang der Lebenserneuerung durch Jesus Christus auf dem Teilgebiet des intellektuellen Lebens in Frage gestellt oder bedroht wird, wie sollte man da nicht mit dem Einsatz der ganzen Person auf diesem Kampfplatz streiten können, wie wir es im Neuen Testament etwa in den Johannesbriefen sehen? Lebendige, gesunde Lehre ist aber auch sehr wohl sangbar; was auf dem Papier wie gereimte Dogmatik aussieht, wird im Munde einer singenden Gemeinde zum Bekenntnis, zum anbetenden Lobpreis der Gnade Gottes, die uns diese lehrhaft dargestellten Gaben geschenkt hat.

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LeerNun ist sehr zu vermuten, daß unser Lied nicht nur seines lehrhaften Charakters, sondern seiner Lehrsubstanz wegen abgekommen ist. Es paßte nicht mehr zu der Art, wie man schon im Pietismus, der bis heute kein rechtes Verhältnis zur Taufe gewinnen konnte, aber dann vollends in der Zeit des Rationalismus und der Romantik die Taufe ansah und feierte. Laßt uns nicht richten, liebe Brüder! Ist Luthers Tauflied bei den Taufen, die wir bis vor kurzem selbst vollzogen und noch vollziehen, nicht ein Fremdkörper mit seiner mehr als unsentimentalen Sprache, mit seinem völligen Absehen von den immerhin auch wichtigen Dingen wie leibliche Geburt, Freude am Kinde, Wachstum und Gedeihen, Erziehungsanliegen? Dieses Lied redet mit rücksichtslosester Ausschließlichkeit vom Zentralen der Taufe, um das wir - sei es aus theologischer Hilflosigkeit, sei es aus vermeintlich pädagogischer Rücksicht auf die Taufversammlung - so gern herumreden, und das doch allein das Dasein einer so merkwürdigen Sache erklärt.

Leer„Was sie sey?” Nicht eine christliche Familienfeier oder ein feierlicher Aufnahmeakt in die christliche Gemeinde, sondern zuerst und wesensmäßig ein Sakrament im strengen Sinn des Wortes, ein Handeln des dreieinigen Gottes am Menschen im Räume der Kirche. Hier wird nicht nur etwas ohnehin Seiendes „sinnbildlich dargestellt”, etwa die göttliche Gnade über dem Menschenleben, hier geschieht vielmehr etwas. Hier erschallt, verborgen im menschlichen Wort und irdischen Zeichen, die Stimme des Vaters, die den Menschen in die Gemeinde des Sohnes ruft und mit der Kraft des Geistes begabt. Hier wird die Tür vom irdischen ins ewige Leben aufgetan. Hier wird die Krankheit, die diesem irdischen Dasein anhaftet, geheilt und der Erbbann durchbrochen. Hier beginnt, zu früher oder späterer Lebenstunde, durch Gottes freies Eingreifen in dieses Leben, die Möglichkeit, nein, die Wirklichkeit eines neuen Lebens. Dieses Eingreifen geschieht in Wort und „Bild”, wie es in unserem Lied statt des sonst üblichen „Zeichen” heißt. Das Wort wendet sich an das Ohr, das Bild an das Auge; durch beide Eingangspforten zu unserem geistigen Leben soll die selige Botschaft in uns hinein. Bekanntlich stand in früheren Zeiten das „Bild” noch plastischer vor den Augen der Taufgemeinde, als der Täufling noch von Kopf zu Fuß dreimal im Wasser untergetaucht wurde; es darf bei der Taufe wohl zum Ausdruck kommen, daß sie genau wie die leibliche Geburt etwas Gefährliches ist, eine Krisis unseres Lebens, bei der es um Leben und Tod geht . . .

LeerIst es noch nötig, auszuführen, „was sie nütze”? Wir wollen uns durch unser Lied daran erinnern lassen, daß der „Nutzen” der Taufe am Glauben hängt. Die Taufe ist wohl zu unterscheiden von dem, was in der Schrift Versiegelung heißt und kein Sakrament, sondern Gottes Geheimnis ist. Uns bleibt die Möglichkeit, den Ruf Gottes zu überhören oder abzuweisen, uns der echten Geschichte zu entziehen. Und wir können das gerade dadurch tun, daß wir zu viel und abstrakt theologisieren etwa über das Verhältnis von Wort und Element in der Taufe, daß wir uns aufhalten lassen bei dem, was dem Auge und dem Intellekt bei dieser wunderlichen Handlung an Problemen aufsteigt. Die sind auch ernst zu nehmen; aber wahrlich nicht ernster als das einhellige Zeugnis der ganzen christlichen Kirche über die Jahrhunderte hinweg, in das wir einstimmen in deutscher Zunge, wenn wir unser Tauflied singen: Confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum.

Quatember 1986, S. 115-116

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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