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„O König Jesu Christe”
von Walter Kiefner

LeerDieses damals neue Lied wurde im „Michaelisbrief 1936 ” mit Text und Melodie von Walter Kiefner vorgestellt. In dem gleichnamigen Aufsatz auf den Seiten 131 bis 134 in diesem Heft wird auf die Ausführungen von Kiefner Bezug genommen.

LeerBekanntlich hatten die Kirchenlieddichter des 16. Jahrhunderts nicht den Ehrgeiz, original im heutigen Sinne zu sein. Es gibt nur verhältnismäßig wenige Lieder aus diesem Jahrhundert, die gar keine textliche oder musikalische Vorlage haben; in den meisten steckt - mehr oder weniger deutlich erkennbar - ein biblischer oder liturgischer Text oder eine gregorianische oder eine Volksweise. Besonders reizvoll ist es, den sog. Parodien nachzugehen, den Umformungen weltlicher Volkslieder in Kirchenlieder. Man nahm entweder einen bekannten „Ton” und unterlegte ihm einen neuen kirchlichen Text, oder man formte einen Liedtext, ihn gleichsam allegorisierend, ins Geistliche um. Dabei kamen Geschmacklosigkeiten und Albernheiten vor, die uns heute nicht mehr erträglich wären. Wie Melchior Vulpius dazu kam, das Regnartsche Liedchen „Venus, du und dein Kind seid alle beide blind” mit dem Text von Weingärtner „Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Not” zu verbinden, bleibt ein Rätsel. . .

LeerAber das sind die Ausnahmen. Im ganzen zeugen diese Parodien nicht nur von Geschmack, sondern auch von Tiefsinn. Fast möchte man sagen: es steckt eine Theologie dahinter, die, vom Glauben der Kirche aus zurückschauend in das Gebiet des Natürlichen, dort Gleichnisse der in Christo erschienenen Wahrheit erkennt. (Damit ist noch nicht einer „natürlichen Theologie” das Wort geredet!). Luther lehnte sein Kinderlied auf die Weihnacht an die Volksweise an „Aus fremden Landen komm ich her”. Aus dem Abschiedslied „Innsbruck, ich muß dich lassen” formte Johann Hesse „O Welt, ich muß dich lassen”. Der Bruder-Veits-Ton, einem Landsknechtslied zugehörig, mußte für das „evangelische Streit- und Jubellied Lobt Gott, ihr frommen Christen” herhalten; der „Lindenschmid”, eine Ballade von einem Strauchritter, der nach vielen üblen Taten samt Sohn und Knappen hingerichtet wurde, ließ seine Melodie dem Bußlied Georg Grünwalds „Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn”. Und besteht nicht zwischen „Mein Gmüt ist mir verwirret, das macht ein Jungfrau zart” und dem auf seine Melodie gedichteten „O Haupt voll Blut und Wunden” ungeachtet des ganz verschiedenen Gegenstandes eine Gemeinsamkeit der Haltung, des tiefsten Erschüttertseins gegenüber einer von dem unerforschlichen Gott gesetzten übermächtigen und unbegreiflichen Wirklichkeit?

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LeerZu diesen Parodien gehört nun auch unser Michaelis-Lied von Leonhard Roth „O König Jesu Christe”. Die Melodie ist die des jüngeren Hildebrandliedes „Ich will zu Land ausreiten”; eine echte Balladenmelodie im dorischen Ton, einfach, geschritten, stark pentatonisch gebaut, klar gegliedert; wem fiele nicht das Angreifende, Zupackende der vielen nach oben zielenden Tonschritte auf? Dazu schwang bei den Menschen des 16. Jahrhunderts die Erinnerung an den Text des beliebten Heldenliedes mit; die vorhandenen Drucke aus dem ganzen deutschen Sprachgebiet bezeugen, wie weit es verbreitet war. Der Hildebrands-Ton war der volkstümliche Helden-Ton, nach dem man auch sonst allerlei Texte sang. Auf diesen Ton dichtete nun Leonhard Roth unser Lied! Wieder nicht aus dem Eigenen heraus; fast jeder Ausdruck ist ja der Schrift entnommen; es wäre eine reizvolle Aufgabe, dem im Einzelnen nachzugehen. Wir geben nicht einer Zeitströmung nach, wenn wir den Herrn Christus „König”, „Held”, „Herzog” nennen und uns als seine Soldaten fühlen; die Schrift selbst sagt so, und es ist an der Zeit, daß wir uns auf diese Seite unseres Christenberufes auf Erden wieder besinnen. Kirche, die nicht ecclesia militans ist, ist dumm gewordenes Salz.

LeerNur dürfen wir nie vergessen, was für ein Kampf es ist, in den wir gestellt sind. Wer ist der Feind? Immer nur der alt böse Feind, der „Höllen Pfort” in all ihren Tarnungen. Was sind unsere Waffen? Keine anderen als das „geistlich Schwert” des Wortes, der Harnisch der Wahrheit, der Panzer der Gerechtigkeit, der Schild des Glaubens; alle anderen verfangen nicht gegen den Feind, vor den wir als Gemeinde Christi gestellt sind. Was ist die uns befohlene Aufgabe? Lediglich „das Feld behalten”, „streiten” und „fechten”; den endgültigen Sieg, die Überwindung des Feindes schafft ein anderer! Was für eine Gefahr ist am meisten zu fürchten? Daß in unsere eigenen Reihen unbemerkt der Feind einschleicht und die Herzen verhärtet und Unrecht geschehen läßt. Worauf können wir bauen? Auf gute Arbeitsmethoden oder kluge Kirchenführung, auf unsere Entschlossenheit oder Hilfe von anderswoher? Einzig auf die Gnade des Herrn, die in aller Schwäche seiner Gefolgschaft mächtig ist. Was sind die Aussichten unseres Kampfes? Daß er durch Gottes Ratschluß von Anbeginn an schon entschieden ist und wir nur noch auszuharren haben, bis er den letzten Streich führt und seine Herrschaft auf Erden aufrichtet.

LeerSollte nicht alles Kämpfen auf Erden, im Einzelleben wie im Völkerleben, das leibliche wie das geistige, ein Gleichnis und eine Zurüstung sein für den Kampf, von dem unser Lied redet, in dem es, ernsthaft und gläubig gesungen, selber mitten darinnen steht?

Quatember 1986, S. 179-180

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-21
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