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Hören auf die Stimme des Herzens
von Gerhard Steege

LeerWir besitzen einen geistlichen Schatz, der der ganzen christlichen Kirche angehört, weil er den ersten Jahrhunderten unserer Kirche entstammt. Es sind die „Sprüche der Väter” (lat. Apophthegmata patrum) aus dem 3. bis 6. Jahrhundert. In der unterägyptischen Wüste, nicht weit vom Nildelta, lebte zu dieser Zeit eine erhebliche Zahl von Mönchen, in Gemeinschaften und einzeln. Antonius gilt dabei als der Ur-Mönch. Diese Männer und Frauen hatten sich in jener Zeit der ausgehenden Antike mit ihren moralischen und sozialen Verfallserscheinungen entschlossen, ihr Leben Gott hinzugeben, und sie taten es in einer unerhörten Radikalität und Intensität. Ihr geistliches Leben hatte schon damals eine derartige Ausstrahlung, daß Menschen aus vielen Ländern kamen, um Impulse zu empfangen. So manche Begebenheit und viele Gespräche wurden aufgeschrieben, verbreitet, abgeschrieben, und auf diesem Wege haben vor allem die Ostkirchen, gerade auch die Russische Orthodoxe Kirche, einen ganz wesentlichen Teil ihres geistlichen Fundus aus diesen Vätersprüchen gewonnen (griechisch Philokalia, russisch Dobrotoljubie).

LeerEs ist die besondere Eigenart dieser Sprüche, die wir zum Teil als (ernsthafte) Anekdoten bezeichnen würden, daß sie geistliche Einsichten und Impulse vermitteln, die zwar einer ganz anderen Epoche entstammen, aber dennoch uns am Ende des zweiten Jahrtausends nach Christus eine besondere Hilfe auf unserem Wege sein können - und möglicherweise gerade wieder uns heute!

LeerWir werden von diesem Heft an jeweils einen dieser Vätersprüche auswählen und kommentieren und damit die Brücke zum geistlichen Leben heute zu schlagen suchen.
Nisteroos, der Freund des seligen Antonius, wurde einmal gefragt: „Welches Tun ist das beste für mich?” Er antwortete: „Nicht alle Bemühungen gelten für die Menschen in gleicher Weise. Denn die Schrift sagt, daß Abraham Gastfreundschaft liebte und daß Gott mit ihm war. Elia liebte die schweigende Versenkung, und Gott war mit ihm. David wieder war ein demütiger Mann, und Gott war mit ihm. Darum: Wessen Seele nach Gott trachtet, der tue, wozu sein Herz neigt und bewahre sich vor Üblem.”
LeerEiner fragt nach dem besten Werk, dem „besten Tun” für sich, nach dem Verhalten, worin er Gottes Willen am besten entspricht. Ich höre das Dringende aus dieser Frage, sie ist für den Fragenden die wichtigste, die entscheidende Frage. Er ist auf seinem inneren Weg nicht mehr auf vieles aus, das gut und sogar wichtig sein könnte. Er will nicht in die Breite, in die Vielfalt gehen, sondern in die Tiefe. Er spürt, daß seine Wünsche und Bedürfnisse, seine Vorstellungen und Hoffnungen eine Rangordnung brauchen. Er spürt, daß es vor Gott Wesentliches und weniger Wesentliches gibt. Es kann allerdings eine längere Wegstrecke in Anspruch nehmen, bis diese Frage auftaucht, wenn nämlich die Zeit dafür reif geworden ist, das heißt, wenn der Mensch diese Frage mit vollem Bewußtsein stellen kann: „Welches Werk ist das beste für mich?” Es ist nicht die Frage nach einer Berufswahl, erst recht nicht die Frage nach einer Lieblingsbeschäftigung. Dies alles zu seiner Zeit. Jetzt ist für diesen Mann die Zeit gekommen, nach dem besten Werk, nach dem in Gottes Augen für ihn wesentlichen Tun zu fragen.

LeerEr stellt die Frage einem geistlich erfahrenen Mann. Aber er bekommt keine eindeutige Antwort. Und dies nicht, weil der Gefragte überfragt wäre, unfähig oder hilflos angesichts dieser Frage. Er antwortet vielmehr mit einem Hinweis darauf, wie es bei Männern in der Bibel war (und es versteht sich von selbst, daß er die Akzente anders setzt, als wir bibelwissenschaftlich bewanderten Leute es heute täten): Für Abraham sei Gastfreundschaft das beste gewesen, für Elia die Versenkung und bei David die Demut, und bei jedem sei Gott gegenwärtig gewesen. Verschiedene Personen - verschiedene Ausdrucksformen für das Wesentliche. Unausgesprochen hören wir die Folgerung: So war es bei diesen Männern; was für dich das Wesentlichste in der Nachfolge ist - du mußt es selbst entdecken. Richte dein Herz auf Gott. Von dieser Ausrichtung her wirst du erkennen, wozu dein Herz neigt, was deine dir zugedachte und damit deine ureigene Möglichkeit in der Nachfolge Jesu ist - und damit zugleich deine Aufgabe.

LeerWas dein Tun sein soll: ob es Hilfeleistung für einen Mitmenschen ist; ob es die Fähigkeit zum aufnehmenden Zuhören oder die Kunst der Gesprächsleitung ist; ob es das aufhellende Erzählen von Geschichten, das Lichtbringen dorthin, wo Düsterkeit ist, das Vor-Gott-Bringen der Leiden der Mitmenschen, der gesellschaftliche Einsatz oder ... - wenn du beharrlich auf die Stimme deines Herzens achtest, wirst du hören, was eben gerade dein Tun sein soll.

LeerMancher braucht für seine Gestalt der Nachfolge sicher einen konkreteren Hinweis, als er hier gegeben wird. Die Konkretheit für diesen Frager in unserem „Spruch” bestand gerade darin, daß ihm zugemutet wird, selber zu entdecken, was er tun soll. Und daß dies nicht zum Freibrief für die Erfüllung von allerlei privaten „Herzenswünschen” wird - davor bewahrt ihn die klare Ausrichtung des Herzens auf Gott, entsprechend dem Wort Jesu: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes ...

Quatember 1987, S. 26-27

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
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