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Vom Apokalyptiker zum Hoffnungsdenker
von Gerhard Fischer

LeerAm 12. Februar dieses Jahres wäre Erich Müller-Gangloff achtzig Jahre alt geworden. Zum Gedenken ihres Gründers und langjährigen Leiters veranstaltete die Evangelische Akademie Berlin vom 20. bis 22. Februar, also unmittelbar vor seinem Todestag (23.2.1980), eine Wochenendtagung mit dem Thema: „Mit der Teilung leben - Chancen für Berlin”. „Mit der Teilung leben” war ja der Titel eines seiner Bücher - und er hätte seine Freude gehabt an dieser Tagung, in der sein Lebensthema seit den fünfziger Jahren wieder aufgegriffen wurde. Erich Müller-Gangloff hat einmal seinen Werdegang mit der Formulierung „Vom Apokalyptiker zum Hoffnungsdenker” umschrieben. Die Apokalypse des Johannes war ihm in der Kriegsgefangenschaft zum Deutungsmuster für erlebte Geschichte geworden; die Bücher der ersten Nachkriegsjahre („Vorläufer des Antichrist”; „Dreifaltigkeit des Bösen”) sind noch stark von diesem Geschichtsdenken bestimmt.

LeerDann aber führte der Weg weiter zu den „Horizonten der Nachmoderne”. Weggenossen waren dabei Dietrich Bonhoeffer, Reinhold Schneider, Ernst Bloch und Teilhard de Chardin. Wer dieses vor 25 Jahren erschienene Buch wieder zur Hand nimmt, wird von der Aktualität vieler Aussagen betroffen sein. So war es denn auch konsequent, daß diese Müller-Gangloff-Tagung die Zukunft zum Thema hatte, die Zukunft vor allem Berlins. Robert Jungk beklagte in einem Impulsreferat am Sonnabendvormittag den Mangel an Zielprojektionen für Berlin, gab aber zugleich auch kräftige Denkanstöße für die Arbeitsgruppen. Die Frage war: Ist Berlin eine ganz normale Stadt oder eine Stadt mit einer besonderen Aufgabe? Da sich die erste Frage mit Sicherheit verneinen läßt, bleibt als Aufgabe, sofern Berlin überhaupt noch eine Zukunft lhat, wohl die, Scharnier zu sein zwischen den getrennten Deutschen in Ost und West.

LeerAngesichts einer Situation, in der durch die Reformpolitik Gorbatschows vieles in Bewegung geraten ist, gilt es, sensibel zu sein und Phantasie zu entwickeln. Damit diese Gedanken nicht im akademischen Raum stehen blieben, waren für den Sonntagvormittag Vertreter der Fraktionen des Abgeordnetenhauses zum Gespräch eingeladen worden. Der Sonnabend aber klang aus in einem liebevoll vorbereiteten Empfang, bei dem auch Altbischof Scharf zugegen war. Dies war nun der Abend der Erinnerungen. Waltraud Hopstock und Reinhold Sachs erzählten von den Anfängen der Akademie und ihres Tagungshauses am Kleinen Wannsee 19, das jetzt Adam-von-Trott-Haus heißt. Dabei wurde deutlich, wie viele Anstöße zu einem neuen Verhältnis zur Sowjetunion, zu Polen und zur DDR gerade von diesem Haus ausgegangen sind. Mir kam die Aufgabe zu, unter dem Gesichtspunkt „Spiritualität und Kommunität” vom Weg Erich Müller-Gangloffs in die Michaelsbruderschaft zu erzählen. Dieser Weg war ja seit der Kriegsgefangenschaft in Frankreich vorgezeichnet; unser Bruder hat 1948 in einer Schrift „Christen in Kriegsgefangenschaft” darüber berichtet. Ein Satz aus diesem Büchlein macht offenbar, was Erich Müller-Gangloff in der Kirche und auch bei uns gesucht hat: „Wie hier die Gemeinde hinter Stacheldraht zusammenstand, ohne Selbstgerechtigkeit oder selbstgefällige Frömmelei in der Zuversicht des Gotteswortes ausharrte und so zu einem festen seelischen Halt auch für die Nicht-glaubenden wurde, so steht heute jede gläubige Gemeinde in der Welt, vielen ein Anstoß und ein Ärgernis und doch der geheime Mittelpunkt, in dem ein unermüdliches liebendes Herz schlägt und ein unbestechliches Gewissen wacht.”

Quatember 1987, S. 113

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
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