Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1987
Autoren
Themen
Stichworte

„beichten” - was heißt das?
von Heinrich Kahl


Mensch, bleibest du verbost, so ist dir nichts erworben;
Gott ist nur für das Schaf, nicht für den Bock gestorben.

Leer- Mit diesem plastischen, vielleicht auch drastischen Zweizeiler sagt Angelus Silesius in seinem „Cherubinischen Wandersmann”, was beichten sein soll, und er spielt darin auch auf das bockige Verstockt-Sein an, das dem Beichten und damit der Vergebung im Wege steht.

LeerDie Frage nach der Bedeutung des Tätigkeitswortes „beichten” wird im allgemeinen leicht und richtig zu beantworten sein; nämlich das öffentliche oder geheime Aussprechen der Sünden. Dennoch kann eine gründlichere Beschäftigung mit der Herkunft und Bedeutung des Wortes Anlaß geben zum Staunen.

LeerDa ist zum ersten die Vermutung, das Wort gäbe es bei uns erst seit der Christianisierung, auf die unsere religiösen Begriffe weitgehend zurückzuführen seien. Dem ist hier nicht so; denn der Wortstamm von „beichten” hat eine indogermanische Wurzel „iek” in der Bedeutung von „(feierlich) sprechen, reden”. Diese indogermanische Wurzel findet sich unter anderem auch in dem altindischen Wort „yácati” - „fleht, fordert” und in dem lateinischen „iocus” = „Scherz(rede)”. Diesen vorchristlichen Sprachzeugnissen entsprechen das althochdeutsche „jehan”, das altsächsische „gehan” und das mittelhochdeutsche „jehen” = „(aus)sagen, bekennen”.

LeerDas althochdeutsche Tätigkeitswort „jehan” ist aus dem Hauptwort (Nomen) „jiht” entstanden, welches sich weiterentwickelte zum mittelhochdeutschen „giht”, und dieses dann zum neuhochdeutschen „Gicht”. Damit ist die bekannte Stoffwechselkrankheit gemeint, während noch das mittelhochdeutsche Wort die Heilmethode bedeutete, mit der diese Krankheit behandelt wurde, nämlich das sogenannte Besprechen und Raten, mit dem man dieser Krankheit beizukommen glaubte. - So weit gehen also die Bedeutungszusammenhänge, so daß beim Betrachten unseres Wortes „beichten” der Anklang an die mittelalterliche magische Verbal-Therapie mit beachtet werden sollte.

Linie

LeerAus dem althochdeutschen „jehan” ist - über das altfranzösische „gehir” -unser „genieren” abgeleitet. „Genieren” bedeutet bekanntlich „sich schämen, unsicher sein, verlegen sein”, auch „verlegen machen”. So gehört also zum Beichten auch das Aussprechen dessen, was „genant” ist, wessen wir uns schämen müssen. Dieses Aussprechen des Beschämenden sollte Praxis sein; denn es ist, wie in dem eingangs zitierten Vers gesagt, Voraussetzung für Gottes Vergebung, die wir erlangen können, wenn wir vorweg bekennen und aussprechen.

LeerEs hat laienhafte Versuche gegeben, das Wort „beichten” zu erklären, indem man eine willkürliche Trennung des Zwielautes ei vornahm; so kam man zu einer - nicht richtigen - Lösung: „beichten” hieße „be-ich-ten” = „auf sich zurückweisen”. Diese Betrachtungsweise klammert jedoch das Aussprechen des Beschämenden weitgehend aus, ja, es nimmt die eigene Person, das Ich, viel zu wichtig, so daß eine Art Egoismus herauskommt. Dagegen ist das rechte Verständnis von „beichten”, wie wir es sehen, eher eine Abkehr von der falschen Selbstschätzung und -hochschätzung. Angelus Silesius:


Verkleinere dich selbst, so wirst du groß, mein Christ;
je schnöder du dich schätzt, je würdiger du bist!

LeerWerfen wir einen Blick über unsere Sprachgrenzen hinaus: Lateinisch heißt „Beichte” „confessio” = „Bekenntnis”. Dieses Hauptwort kommt von dem Tätigkeitswort „confiteor” = „ich bekenne”. Das lateinische „confessio” haben wir im Deutschen auch; wir sprechen beispielsweise von „(lutherischer) Konfession”. Unsere europäischen Nachbarn kennen, soweit sie zur romanischen Sprachfamilie gehören, nur den lateinischen Wortstamm „con-fes-”; auch die Engländer kennen nur „confession”. Die Niederländer haben das Wort „biechten”, die Schweden „bikta”, die Dänen und Norweger jedoch „skrifte”, was möglicherweise mit dem in diesen Sprachen vorhandenen Wort „skrift” = „Schrift” zusammenhängt.

LeerStellen wir nun die Frage nach der Bedeutung, die die Beichte bei uns hat, so müssen wir feststellen, daß sie in der volkskirchlichen Praxis selten vorkommt. Die Agenden lutherischer und unierter Kirchen haben zwar Ordnungen für die „Allgemeine Beichte” und die Einzelbeichte, aber diese wird kaum begehrt und auch jene ist seit einiger Zeit seltener geworden. Unsere lutherischen Gottesdienstordnungen und auch die ökumenisch ausgerichtete Eucharistiefeier der Evangelischen Michaelsbruderschaft kennen jedoch das Confiteor (= Ich bekenne). Die Michaelsbrüder praktizieren dieses wechselseitige Schuldbekenntnis mit der Bitte um Vergebung zu Beginn der Liturgie. In den neuen geistlichen Gemeinschaften und bei besonderen Anlässen, zum Beispiel auf Kirchentagen, wird aber auch wieder häufiger die Einzelbeichte mit Absolution praktiziert. - Ist sie nicht eine Art „geistliche Drachenstürzung?” (Angelus Silesius)


Wenn du aus dir verjagst die Sünd und ihr Getümmel,
so wirft Sankt Michael den Drachen aus dem Himmel.

LeerWenn wir das Getümmel des Drachen verjagen, so verhindern wir, daß Luzifer sich tummelt. Dann ist der Drache nicht aus einem fernen oder gar irrealen, sondern vielmehr aus dem allernächsten und konkretesten Himmel hinausgeworfen. Dann ist der Michaelskampf nicht Außen-Ereignis geblieben, sondern zum Innen-Vorgang geworden.

Quatember 1987, S. 151-153

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
Haftungsausschluss
TOP