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Was heißt den apostolischen Glauben heute bekennen -
im liturgischen Vollzug des Gottesdienstes?

von Norbert Müller

Leer„Apostolischer Glaube heute” - erstaunlich reichhaltig und vielfältig sind die Impulse, die von dieser Themenformulierung ausgehen, wenn sich dabei ökumenische Weite und theologische Tiefe der Fragestellung verbinden. Die Arbeitsaufgabe, die aus dem Vorschlag der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen erwuchs, sollte in drei Schritten bewältigt werden:

Leer(1) Feststellung eines gemeinsamen authentischen Textes des Bekenntnisses;
Leer(2) sachgerechte Auslegung dieses Textes;
Leer(3) Erschließung der Möglichkeiten neuen Bekennens.

LeerUnsere Betrachtungen sind - unter der Voraussetzung der Bewältigung der ersten beiden, die hier nicht zur Diskussion stehen - eindeutig dem dritten Arbeitsschritt zugeordnet.

LeerHier wiederum gilt es, einer speziellen Teilaufgabe zu dienen: der Frage nach dem Bekennen in der konkreten liturgischen Gestalt des christlichen Gemeindegottesdienstes. Und ich möchte die Aufgabenstellung gleich noch genauer präzisieren: Es soll dabei um die „Liturgie” im engeren Sinne gehen: um den Meßgottesdienst, die eucharistische Feier. In den orthodoxen Kirchen wird das Wort „Liturgie” übrigens nur in diesem Sinne verwendet. Doch es soll in den folgenden Betrachtungen nicht um spekulative Konstruktionen gehen. Wir orientieren uns an den Phänomenen selbst und suchen ihr Wesen zu erfassen. So ergeben sich drei Betrachtungsgänge, von denen der erste eher einführenden Charakter hat, die anderen beiden sich in dialektischer Weise ergänzen:

LeerI. Das Bekenntnis im Gottesdienst
LeerII. Das Bekenntnis als Gottesdienst
LeerIII. Der Gottesdienst als Bekenntnis

I. Das Bekenntnis im Gottesdienst
1. Die geschichtlichen Voraussetzungen


LeerDie liturgie- und textgeschichtlichen Entwicklungen, aus denen sich der für uns heute gültige Wortlaut des Bekenntnisses von Nizäa und Konstantinopel (oder, vielleicht korrekter: von Chalkedon) und seine Stellung in unserer Liturgie erklärt, sollen, wie angedeutet, hier nicht Gegenstand ausführlicher Untersuchungen sein. Daß es sich um das Ergebnis geschichtlicher Entwicklungen handelt, daß die Gestalt, in der die Grundaussagen christlicher Glaubenserkenntnis zum ökumenischen und liturgischen „Symbolum” geworden sind, sich erst allmählich herausgebildet hat, daß sie nicht von den Anfängen her „fertig” war, daß der „apostolische Glaube” nicht unabhängig von den Zeitläuften gültig zur Sprache fand und daß darum „apostolisch” kein Prädikat ist, das im Sinn einer chronologischen Fixierung verstanden werden darf, sondern eine Wertung darstellt: Hier haben wir den Glauben der Kirche, wie er uns von den Aposteln überliefert wurde. In der Grundstruktur stimmt unser Symbol überein mit den alten trinitarischen Taufbekenntnissen und so auch mit dem Apostolicum, der Spätform des Glaubensbekenntnisses von Rom. Allerdings handelt es sich beim Nizänum und Apostolikum um Repräsentanten zweier verschiedener Traditionslinien, einer östlichen und einer westlichen. Der östliche Typ ist gekennzeichnet durch ein stärkeres Interesse an Aussagen, die das ewige Sein Gottes betreffen, der westliche enthält ursprünglich reichere Aussagen im Blick auf die Kirche (vgl. John N. D. Kelly: Altkirchliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie. Berlin [DDR], 1971).

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LeerWichtig für unsere Fragestellung scheint mir zu sein, daß beide Traditionslinien auf die Taufe als liturgischen Ort des Bekennens zurückweisen. In der dreigliedrigen Grundstruktur der Formel bildet sich nicht nur die trinitarische Prägung der christlichen Gotteserkenntnis ab, sondern auch der liturgische Bewegungsvorgang des Taufaktes mit der dreifachen Befragung des Täuflings und dem dreifachen Untertauchen, und ebenso die Lebensbewegung des Täuflings auf die Taufe zu, in der er durch die katechetische Unterweisung planvoll und schrittweise geführt wurde.

LeerWar die Grundstruktur des Textes durch die Lebensbeziehung des Bekenntnisses zur Taufe festgelegt, so sind freilich charakteristische Textmerkmale durch den Umstand geprägt, daß die Konzilien von Nizäa und Konstantinopel ihre theologischen Entscheidungen im Rahmen der vorgegebenen Symbolstruktur niederlegten. So kam es zu den trinitätstheologischen und christologischen Aussagen, die unserem Credo seine Tiefe und Fülle geben, freilich auch die Realisierung des Programms „Apostolischer Glaube heute” im Blick auf die mit dem Wort „heute” angesprochenen Rahmenbedingungen in spezifischer Weise erschweren. Aber das Programm gibt nun doch auch das Mandat, diese Ergebnisse theologischen Ringens der Alten Kirche nicht einfach wieder abzustoßen. Daß die Kirche in ihr Symbol Sätze aufgenommen hat, die von der leidenschaftlichen Suche nach der Wahrheit des Glaubens und nach Deutlichkeit in ihrer sprachlichen Ausformung, aber auch von dem Willen und der Bereitschaft zur Einigung im Glauben zeugen, und daß solche Sätze nicht als Spezialwissen einzelner Experten der Allgemeinheit vorenthalten blieben, sondern der ganzen Gemeinde anvertraut sind, ist von unmittelbar ekklesiologischer Relevanz; es hat etwas mit der Personalität, dem Wortcharakter der christlichen Existenz und damit auch mit der Mündigkeit der Gemeinde zu tun.

LeerUrsprung unserer trinitarischen Bekenntnisformeln in liturgiegeschichtlicher Sicht ist also der Taufgottesdienst. Schon in der umrißhaften Darstellung Justins des Märtyrers finden wir den Hinweis auf die trinitarische Taufformel, die mit dem Bekenntnis des Täuflings in unmittelbarem liturgischem und strukturellem Zusammenhang steht. In der Darstellung der Eucharistie, des sonntäglichen Gemeindegottesdienstes, findet sich bei Justin dagegen kein Hinweis auf ein gemeinsames trinitarisches Bekenntnis. Joseph Andreas Jungmann (Missarum Solemnia. Wien3, 1952, 1. Bd., S. 591 ff.) weist darauf hin, daß das Nizaenum zunächst gerade in seiner Eigenschaft als Taufbekenntnis, nämlich im Zusammenhang mit der karfreitäglichen Prüfung der Taufbewerber, auch im allgemeinen Gottesdienst zur Sprache kam (in einem Vorgang also, der unserer „Konfirmandenprüfung” vergleichbar ist). Dieser Brauch, so wäre es vorzustellen, wurde dann im 6. Jahrhundert verallgemeinert und im Osten, später auch im Westen liturgische Ordnung, in der römischen Kirche allerdings auf Sonn- und Festtagsmessen beschränkt. Wichtig ist, daß im Prinzip - nicht immer in der liturgischen Praxis - das Bekenntnis von der ganzen Gemeinde gemeinsam mit den Priestern gesungen oder gesprochen wird.

2. Der liturgische Ort des Bekenntnisses

LeerWie wir wissen, ist die Stellung des Credo im liturgischen Ablauf gewissen Unterschieden unterworfen:

LeerIn der orthodoxen Liturgie geht es dem eucharistischen Hochgebet unmittelbar voraus; es folgt auf den Großen Einzug und die Große Ektenie; in der römischen Liturgie folgt es unmittelbar auf Evangelienlesung und anschließende Homilie; es geht der Gabenbereitung und -darbringung voraus; im evangelischen Gottesdienst lutherischer Prägung folgt es in der Regel unmittelbar auf die Evangelienlesung und geht der Predigt voran. Trotz einer gewissen Variationsbreite ist im Hinblick auf die Gesamtstruktur des Gottesdienstes ein gemeinsames Anordnungsprinzip nicht zu verkennen: Das Credo hat seine Stelle im Gottesdienst dort, wo der Wort- oder Verkündigungsteil in den Sakramentsteil, die Mahlfeier, übergeleitet wird, oder, geschichtlich betrachtet, an der Nahtstelle zwischen Katechumenen- und Gläubigenmesse. Markierung einer Stelle in einem Ablauf bedeutet aber noch nicht Ortsbestimmung im wesentlichen Verständnis des Wortes. Diese setzt vielmehr Sinndeutung voraus. Die Stelle aber weist auf den Ort des Bekenntnisaktes im Gesamtgeschehen des Gottesdienstes hin: Das Bekennen kann von da aus als Antwort auf die Wortdarbietung verstanden werden, als Antwort mit der Bedeutung des Dankes, des „Lobopfers”, der anbetenden Zustimmung, der Rekapitulation und persönlichen Aneignung durch jeden einzelnen und damit zugleich als mystagogische Vorbereitung auf den Abendmahlsgang.

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LeerDas Bekenntnis im Gottesdienst ist also nach beiden Richtungen hin offen, ist dem Wort- wie dem Sakramentsgottesdienst zugewandt, ist beiden verbunden und verbindet beide. Man könnte Wort- und Sakramentsteil des Gottesdienstes als zwei Kreise vorstellen, die jeder ihren eigenen Mittelpunkt haben, aber nicht unverbunden nebeneinanderstehen, sondern sich überschneiden: In jenem Bereiche, der beiden Kreisen angehört, ist der Ort des Bekenntnisses. Oder der Gottesdienst wäre als Ellipse mit zwei Brennpunkten darstellbar; im Mittelpunkt dieser Ellipse stünde dann das Bekenntnis. Diese geometrischen Metaphern mögen freilich anschaulich, aber zu formal erscheinen. Es sei deshalb an die liturgiegeschichtliche Beobachtung erinnert, daß das trinitarische Bekenntnis ursprünglich der Taufliturgie angehört und zuerst noch in bewußter Rückverbindung zur Taufe, in zeitlicher Beziehung mit der Tauffeier am Osterfest, in den Meßgottesdienst aufgenommen wurde. Mit dem Bekenntnis ist ein zentrales Element der Taufliturgie zum Teil des sonntäglichen Gemeindegottesdienstes geworden. Liturgisch greifbar ist diese Beziehung noch in der Feier der Osternacht, wenn nach dem umfangreichen Verkündigungsteil und vor der Eucharistie die Weihe des Taufwassers stattfindet und dann, in der Mitte der gesamten frühmorgendlichen Feier, Taufe und Taufgedächtnis begangen werden. Dabei kommt es zu einer wiederholenden Erneuerung des Taufbekenntnisses, das hier (nach dem erneuerten römischen Ritus) in Form von Frage und Antwort („Glaubt ihr an Gott...?”, „Ich glaube”) dargebracht wird.

LeerIst die Schlußfolgerung abwegig, daß das trinitarische Bekenntnis auch im Verlauf des normalen Gemeindegottesdienstes diesen Rückbezug zur Taufe weiterhin, wenn auch unausgesprochen, wahrt; daß es den Übergang von der Katechumenenmesse zur Gläubigenmesse gerade dadurch gewährleistet, daß hier der einzelne und die Gemeinde im ganzen zu Taufgedächtnis und Tauferneuerung angeleitet werden? Der liturgische Ort und die Vorgeschichte jedenfalls sprechen für diese Deutung. Wenn sie zutrifft, dann wäre die sonntägliche Wiederholung alles andere als die Zustimmung zu vergangenen und abgeschlossenen dogmatischen Entscheidungen. Sie wäre, im Bild gesprochen, nicht etwas wie das regelmäßige Einnehmen eines ungelösten, unzerkauten Medikaments. Sondern diese Wiederholung käme erst dann zu ihrem Ziel, wenn es beim Bekennen geschieht, „daß wir hie mögen schmecken / dein Süßigkeit im Herzen / und dürsten stets nach dir”, wie es in dem Lied von Elisabeth Kreuziger (EKG 46) heißt.

II. Das Bekenntnis als Gottesdienst

LeerDer Versuch einer liturgischen Ortsbestimmung hat den Gegenwartsaspekt zunächst scheinbar etwas zurücktreten lassen; freilich ist wohl deutlich geworden, daß es nicht um historische Details, sondern um einen Zugang zum Wesen gottesdienstlichen Bekennens ging. Wichtig war uns, daß das Credo zwar nicht als die Mitte des Gottesdienstes bezeichnet werden kann, aber seinen Ort in der Mitte hat, daß es diese Mitte markiert und in einer wesentlichen Beziehung zu den beiden Brennpunkten der Liturgie steht. So dürfen wir erwarten, daß hier etwas erkennbar wird, das den christlichen Gottesdienst im ganzen kennzeichnet, ja daß das Bekenntnis in gewisser Weise vielleicht den Gottesdienst im ganzen repräsentiert. Jedenfalls können wir davon ausgehen, daß Bekennen selbst eine Form von Gottesdienst ist und Grundzüge christlichen Gottesdienstes überhaupt aufweist. Wir wollen versuchen, diese Betrachtungsweise zu verdeutlichen, indem wir uns durch Begriffe leiten lassen, die in Tradition und Gegenwart zur Kennzeichnung für christliches Bekenntnis und Bekennen dienen.

1. Symbolum

LeerDie alte griechische Bezeichnung für das Glaubensbekenntnis hat ja bedeutungsgeschichtlich keineswegs eine spezifisch religiöse Herkunft. Die allgemeine Bedeutung von symbolon - „Kennzeichen”, „Merkmal” - in ihrem durchaus nüchtern-profanen Sinn ist gerade auch für unseren Zusammenhang aufschlußreich. Denn von da aus wird die Bedeutung des „heute” in unserer Gesamtthematik bedrängend hervorgehoben: Erkennungszeichen im vollen Sinn kann das Glaubensbekenntnis der Gemeinde doch nur sein, wenn wir uns damit in unverwechselbarer Weise eindeutig vorstellen, wenn es möglich ist, uns mit seiner Hilfe zu identifizieren. Anders ausgedrückt: Wir erweisen unsere Identität als Christen vor uns selbst, vor den anderen Gemeindegliedern und vor Gott nicht ausschließlich, aber auf bestimmte, spezifische und repräsentative Art durch das Aussprechen des Credo. Und diese Selbstidentifizierung vollzieht sich zugleich, da sie durch keine Arkandisziplin mehr eingeschränkt ist, auch vor der Öffentlichkeit der Welt. Zweierlei ergibt sich daraus für den gottesdienstlichen Bekenntnisakt:

Leera) Er muß seiner sprachlichen Gestalt und seinem Sachgehalt nach verständlich, nachvollziehbar und authentisch sein. Die Verständigung über einen gemeinsamen Wortlaut für das Apostolikum und für das Nizaenum im deutschen Sprachbereich war dafür eine entscheidende Voraussetzung. Aber natürlich wird auch gefragt werden dürfen, ja müssen, ob das Credo nicht etwa Aussagen enthält, die heute nicht mehr innerlich angeeignet werden können. Dabei dürfen freilich nicht charakteristische Bewußtseinsverengungen unserer Epoche zum einzigen Kriterium erhoben werden; die erneute innere Aneignung einer Tradition könnte durchaus als wichtiges Moment der Selbstidentifizierung zur Geltung kommen.

Leerb) Bekenntnis als Akt muß alle Schichten der Glaubenswirklichkeit umfassen und eben darin ein wahrhaft gottesdienstlicher Vorgang sein. Nicht nur notitia und assensus, also nicht nur Kenntnisnahme und Zustimmung zu bestimmten Auffassungen, etwa zu einer Weltanschauung, darf sich hier vollziehen, sondern vertrauende Hingabe. Nicht kosmologische, anthropologische und soziologische Theorien begründen die Identität der Christen und der Kirche, auch noch nicht die Anerkennung des trinitarischen Dogmas, sondern die „personale Korrespondenz” (Emil Brunner) zwischen dem Dreieinen und seinen Menschen. Die Personalisierung der Bekenntnisaussagen, die Luther in der Credo-Auslegung seines Kleinen Katechismus vorgenommen hat, gewinnt, bei all ihrer Problematik, hier ihren Sinn.

2. Confessio

LeerDie Betrachtung des Bekenntnisses als Erkennungszeichen hat uns mit Notwendigkeit schon in den Bedeutungsbereich des lateinischen Zeitworts confiteri geführt. Denn die Wortbedeutung von „confessio” - „Zugeständnis”, „Eingeständnis” - meint eben einen Vorgang des Aussprechens, dessen Merkmal eine über bloße Sachinformation hinausgehende persönliche Beteiligung, Hingabe ist, Mitteilung im personalen Sinn des Wortes. Ein Hergeben von Innerstem ist damit verbunden. Wir werden den Bekenntnistext und seine uns zur Verfügung stehende sprachliche Version danach befragen dürfen, ob darin tatsächlich Innerstes unseres christlichen Selbstverständnisses zum Ausdruck kommt; wir werden unser Selbstverständnis als Christen daran messen müssen, ob unser Innerstes Resonanzraum für die im Credo zu Wort gekommene Wirklichkeit geworden ist.

LeerFür den gottesdienstlichen Charakter des Bekenntnisvorgangs in dieser Sicht ist ja charakteristisch, daß hier „Gottesdienst” nicht primär als Dienst für Gott, sondern als Antwort auf Gottes Dienst an uns, ja als dieser Dienst selbst erscheint: Das Credo spricht ja in allen Artikeln nicht von unserem Tun und Lassen, sondern vom Sein und vom Wirken des dreieinigen Gottes für uns und setzt als hingebende Zustimmung uns und unser ganzes Dasein damit in Verbindung.

LeerDaß confessio auch die herkömmliche lateinische Bezeichnung für das Sündenbekenntnis ist, kann in diesem Zusammenhang nicht gleichgültig sein; es ergänzt und bestätigt die bisher gewonnene Sicht. Man mag es als liturgische Fehlentwicklung betrachten, daß in einer speziellen Form lutherischer Gottesdiensttradition an der Stelle, die in der römischen Messe dem Credo vorbehalten ist, nämlich zwischen Predigt und Fürbittengebet, ein Sündenbekenntnis der Gemeinde eingefügt ist. Es bestätigt aber die liturgische Funktionsverwandtschaft der beiden Formen von confessio und steigert sie in diesem Sonderfall bis zur Austauschbarkeit.

3. Protestatio

LeerDie dritte hier gewählte Bezeichnung für christliches Bekennen mag auf Widerstand, auf „Protest” stoßen in dem Bewußtsein, daß es gerade uns nicht um kontroverstheologische Querelen, sondern um ökumenische Gemeinsamkeit, nicht um Konfessionalismus, sondern um confessio geht. Ich meine aber, gerade darum sei es notwendig, einen so wichtigen Begriff wie „protestari” aus seinem kontroverstheologischen Ghetto zu befreien. Seine Bedeutung „öffentlich bezeugen” hat zunächst ohnehin nichts mit einer Gegnerschaft, sondern mit dem entschiedenen Eintreten für eine Sache, für etwas als wahr Erkanntes zu tun. Freilich schließt aber das öffentliche Bezeugen die Abkehr von Irrtum und möglicher Verdunkelung nicht aus, sondern ein. Das Bekenntnis der Kirche ist „Zusage an die Wahrheit”, wie der Titel einer Auslegung des Symbolum Nicaenum durch Wilhelm Stählin (Kassel, 1952) lautet. Dieser Zusage entspricht die Absage, die abrenuntiatio, die wie das Credo Bestandteil der frühen Taufliturgie war und in weiten Teilen der Gesamtkirche sich bis heute erhalten hat. Die Bezeugung des Bekenntnisses hat auch abgrenzenden Charakter; der Text des Nizaenum ist wohl eine „Konkordienformel”, aber er schließt auch bestimmte, vorher in der Auseinandersetzung vorgeschlagene Formulierungen aus.

LeerDas bedeutet aber, wenn wir den personalen Charakter des Bekennens, den wir vorher betonten, in Anschlag bringen, nicht nur die Abgrenzung von Aussagen gegen Aussagen, sondern auch unter Umständen die Abgrenzung der Bekenner gegen Menschengruppen mit anderen Bekenntnissen. Hier eröffnet sich ein weites Feld großer und schwerer Verantwortung, die in dem Maße zunimmt, in dem die Bedeutung des Bekenntnisaktes erkannt und im Sinne einer realen Selbstidentifizierung ernstgenommen wird. Sie kann dazu führen, daß Textrevisionen, auch Ergänzungen erwogen werden müssen. Ein abendländischer Verzicht auf das filioque im dritten Artikel (der Aussage, daß der Heilige Geist auch vom Sohn ausgeht, die von den Orthodoxen und den Alt-Katholiken abgelehnt wird) könnte hier als Präzedenzfall, freilich auch als exemplarisches Problem gelten. Jedenfalls wird in diesem Zusammenhang unbedingt bedacht werden müssen, daß das Bekennen als Gottesdienst verstanden und vollzogen sein will. Auch der Aspekt der protestatio ist in diesen Zusammenhang einzuordnen. Gerade das öffentliche Bezeugen ist wohl Leiturgia und Martyria, aber auch Diakonia; seine Exklusivität tritt im Hinblick darauf hinter seiner einladenden Funktion zurück. Ein endgültiges Ausgrenzen wäre allein Sache des göttlichen Urteils. Unser Bekennen ist mit dem Wort protestatio als Zeugnis „für”, nicht „gegen” beschrieben.

III. Der Gottesdienst als Bekenntnis

LeerWir haben bisher das Bekenntnis als gottesdienstlichen Vorgang zu verstehen gesucht. Nun soll durch eine Wendung des Blickes vom Bekenntnis aus das Wesen des Gottesdienstes deutlicher erkennbar werden, indem sich der Gottesdienst im ganzen nun seinerseits als Bekenntnisvorgang zeigt. Es wird hier ein Motiv aufgenommen, das beim 14. Kirchberger Gespräch von Ernest Gordon und Per Lønning zur Geltung gebracht worden ist (Berichtsheft 1984, S. 18 und 37):

LeerGordon formuliert: „Das Bekenntnis der anglikanischen Kirchenfamilie ist ihre Liturgie, im Sinne des altkirchlichen Diktums: Lex orandi-Lex credendi (= Gesetz des Betens - Gesetz des Glaubens).” Und bei Lonning heißt es: „Sie” (die Eucharistie) „ist... ganz und gar Glaubensbekenntnis.” Ich möchte die in diesen Feststellungen enthaltene These etwas verallgemeinern und erweitern, indem ich behaupte, daß der christliche Gemeindegottesdienst als ganzer mit seinen beiden Brennpunkten einen umfassenden und authentischen Bekenntnisvorgang darstellt. So sehr auch das Bekenntnis für sich gottesdienstlichen Charakter hat, so ist doch andererseits in ihm nichts enthalten, das im Gottesdienst selbst nicht auch, abgesehen vom Credo, zur Geltung käme. Hilfreich bei dieser Betrachtungsweise ist die Deutung, die Karl Bernhard Ritter in seinem kleinen Buch „Die Konfirmandenstunde” (Kassel, 1961) von der Feier der evangelischen Messe als „Entfaltung des Christusweges und des Weges der Kirche” gibt und die lebendige Anschauung, die er dabei in Anlehnung an eine Grundrißzeichnung des Kirchenraumes vermittelt.

LeerAls entscheidende Einsicht erschließt sich von da aus: Die Wirklichkeit des Gottesdienstes begegnet nicht schon im liturgischen Formular, auch noch nicht im zustimmenden Aufnehmen der Worte des liturgischen und kerygmatischen Textes. (Helmut Thielicke griff in seiner Kritik an der liturgischen Bewegung zu kurz, wenn er den „Textilien”, um die es jener angeblich ging, die „Texte” entgegenstellte; Leiden an der Kirche. Hamburg, 1965, S. 123). Gottesdienst wird vielmehr nur recht verstanden als Vollzug eines sehr komplexen Bewegungsvorgangs der Gemeinde, dessen Hauptrichtung durch den Christusweg angegeben ist. Es ist also notwendig, die Hilfsvorstellung ausdrücklich zu korrigieren, deren wir uns selbst bedient haben, nach der die Gestalt der Liturgie durch zwei sich überschneidende Kreise oder durch eine Ellipse mit ihren zwei Brennpunkten angedeutet war. Diese Grundstruktur ergibt sich erst gewissermaßen im Rückblick; in seiner konkreten Verwirklichung ist der Gottesdienst keine schon vorhandene „geometrische” Struktur, sondern seine Gestalt bildet sich jeweils neu im Vollzug der Bewegungen, die sein Wesen ausmachen.

1. Zugang zum Bewegungscharakter des Gottesdienstes

LeerVielfältige Beobachtungen schon im Bereich der liturgischen Terminologie vermitteln einen Eindruck von der strukturbildenden Bedeutung des Moments der Bewegung im Verlauf des Gottesdienstes. Was gemeint ist, sei an den herkömmlichen Bezeichnungen für die Gesänge der römischen Propriumspsalmodie verdeutlicht, die zeigen, daß es sich hier ursprünglich nicht nur um Rezitationen, sondern zugleich buchstäblich um „Vorgänge” handelt, also um Prozessionslieder.

LeerBeim Introitus liegt das auf der Hand, wenn wir verstehen, daß das „Hineingehen”, von dem der Name spricht, nicht nur übertragen vom Eintritt in die gottesdienstliche Handlung redet, sondern einen Einzug in den Kirchenraum im Auge hat.

LeerDas Graduale, von gradi, „schreiten”, und gradus, „Stufe”, „Schritt”, wird von den zum Chorraum emporführenden Stufen aus gesungen, setzt also ebenfalls eine räumliche Bewegung voraus und nimmt auf den Raum und die leibliche Gegenwart in ihm Bezug.

LeerDas Offertorium hat Beziehung auf die Darbringung von Gaben. Das lateinische Grundwort offerre bedeutet eigentlich „entgegenbringen”, „vorführen”; das Bewegungsmotiv ist wiederum unverkennbar.

LeerUnd die Communio - „gemeinsamer Dienst” - setzt ein auch wieder nur leibhaft (wenn auch nicht lediglich leiblich) zu verwirklichendes Zusammenkommen voraus.

LeerIn den einzelnen hier erkennbaren Bewegungsmomenten wird schon ein allgemeiner Bewegungsablauf, eine Grundrichtung erkennbar: zur immer intensiveren Begegnung mit Christus und in Christus.

2. Die Abbildung des Christusweges im Gottesdienst

LeerDen Bewegungsabläufen im räumlichen und leiblich mitvollziehbaren Gottesdienstgeschehen kommt entgegen und entspricht es, daß der Gottesdienst den Weg Christi abbildet und wiederholend nahebringt. Er läßt sich, in einer gewissen Vereinfachung, durch die drei Ämter anschaulich machen, die nach alter kirchlicher Lehre Christi Dienst kennzeichnen.

LeerDem Verkündigungsteil des Gottesdienstes entspricht das  p r o p h e t i s c h e  Amt Christi: Es vollzieht sich nicht erst in der Evangelienlesung, sondern schon in den vorausgehenden Worten des Gesetzes, der Propheten und der Apostel. Hier kommt Christus als Wort Gottes nicht schlechthin zu uns, sondern auf uns zu, stellt uns, richtet uns und nimmt uns mit.

LeerEr nimmt uns mit hinein in seinen  h o h e n p r i e s t e r l i c h e n  Dienst, der im Sakramentsteil des Gottesdienstes vergegenwärtigt wird. Wir nehmen Christus bei, ja in uns auf und werden durch ihn versöhnt und erneuert vor Gott gestellt.

LeerIm Schlußteil des Gottesdienstes sendet der erhöhte Christus in seinem  k ö n i g l i c h e n  Amt - in altkirchlichen Apsismosaiken bildlich dargestellt -seine Gemeinde vollmächtig in die Welt.

3. Der Weg der Kirche

LeerWenn wir, der Anregung Karl Bernhard Ritters folgend, das Bild vom Christusweg noch weiter auf uns wirken lassen, erschließt sich uns die Einsicht, wie dem Christusweg der Weg der Kirche entspricht, das heißt der Weg, den die Gemeinde Christi immer wieder, von ihrem Herrn gerufen, zugleich mit hm und auf ihn zu geht:

LeerEs ist der Weg des  H ö r e n s , eröffnet durch das prophetische Amt des Wortes;

Leerder Weg der  A n n a h m e ,  H i n g a b e  und  W a n d l u n g , erschlossen durch Christi priesterlichen Opferdienst;

Leerder Weg der  N a c h f o l g e , zu dem der königliche Ruf aussendet.

LeerSprechen wir noch vom Bekenntnis des Gottesdienstes? Hineingenommensein in eine Lebensbewegung, die die Grenzen des kultisch-liturgischen Vollzugs sprengt aber in ihm ihre exemplarische Darstellung findet, weil sie mit ihm gemein hat, daß sie sich nur in wiederholter Übung, Einübung und Ausübung zugleich, verwirklicht - das ist Gottesdienst, und das ist Bekenntnis der Gemeinde.

LeerDies ließe sich noch dadurch veranschaulichen, daß aufgezeigt wurde, wie die Themen des Credo im Gottesdienst ausgelegt, wie die des Gottesdienstes im Credo zusammengefaßt werden. Entscheidend ist aber gar nicht die Vollständigkeit und begriffliche Entfaltung des thematischen Spektrums, sondern die daseinsmäßige Verwirklichung dessen, was nach einer von der Sprachwissenschaft nahegelegten Herleitung das Wort „Credo” besagt, da in ihm die Elemente „cor”, „Herz”, und „do”, „ich gebe” verborgen sind. Eine Beziehung von Bekenntnis und Wirklichkeit wird es nur dann geben können, wenn unser Bekennen in diesem vollen Sinn („Herz” ist nicht unser „Gefühl” sondern „wir selbst” in ganzer Person) eine Wirklichkeit ist.

Quatember 1987, S. 215-224

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
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