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Unter Gott - frei vor den Menschen
Dr. Jürgen Boeckh zum 65. Geburtstag
von Gerhard Steege

LeerDemut ist nicht Fadheit, sondern durchaus gesalzen.

(„Weg und Wort der Väter”, Spruch 117)

LeerIch vermute, daß dieser Satz - ausgesprochen und aufgeschrieben vor rund 1600 Jahren - bei manchem Erstaunen oder sogar unwilliges Kopfschütteln auslöst, je nach dem, was wir unter „Demut” verstehen. Viele Ältere verbinden mit dem Wort demütig etwas Unterwürfiges, vielleicht sogar Kriecherisches im Verhalten - verursacht durch die Verhaltensorientierungen im NS-Staat, daß dies oder jenes „undeutsch” und deshalb abzulehnen sei. Die Demut gehörte zu den Verhaltensweisen, die uns als Kindern und Jugendlichen damals gründlich verleidet werden sollten. Und wenn man im etymologischen Wörterbuch nachlesen kann, daß Demut die „Gesinnung des Dienenden” sei, dann hat im kirchlich-diakonischen Bereich leider so mancher auch den ausbeuterischen Mißbrauch dieser Einstellung durch Vorgesetzte erlebt und erlitten.

LeerKurzum: die Demut gehört zu der nicht geringen Zahl von Wörtern in unserer Sprache, die mißbraucht, ausgehöhlt, verstümmelt worden sind. Andererseits aber ist das, was Demut meint, eins von den Elementen christlicher, ja allgemein menschlicher Haltung, auf die wir nicht verzichten können um einer humaneren Gesellschaft willen Dieser Väterspruch bietet Ansätze für ein erneuertes Verständnis, das zu dem Fahrzeug werden kann, mit dem ein uralter Inhalt unserm Leben eingefügt werden mag. Dieser Satz eines Mönches behauptet, daß Demut nicht mit einer faden Speise verglichen werden sollte, sondern im Gegenteil mit dem Salz, das die Speise durchdringt und würzt. Demut hat nach diesem Satz eine Wirkkraft in sich, wie damals für die Speisen das Salz, das mit Gold aufgewogen wurde. Worin könnte die Wirkkraft der Demut bestehen und worauf sich auswirken?

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LeerMenschliche Verhaltensweisen sind der Rahmen, in den sie gehört. Bezugspunkt für unser Verständnis von Demut ist Jesus. „Von Herzen demütig” lesen wir im Matthäus-Evangelium von ihm (11,29). Seine Beziehung zu Gott ist hier im Blick, das, was wir traditionell seinen uneingeschränkten Gehorsam nennen; er geht auf im Tun des Willens Gottes. Paulus nimmt den Christus-Hymnus in der Gemeinde auf, daß Christus es sich nicht als Raub nahm, Gott gleich zu sein, „sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an” (Philipper 2,7). An ihm lesen wir zugleich ab, daß Demut vor Gott diese doppelte Auswirkung in der Demut Menschen gegenüber hat: Wo er der Sehnsucht nach einem geheilten, vollen Leben in einem Menschen begegnet, macht er sich für ihn zum „Knecht”, zum Sklaven, der ihm die Fülle der Gottesbeziehung bringt, etwa dem Aussätzigen, den er heilt und der ihm dankt (Lukas 17,15 f.); dem Gelähmten, den er heilt und ihm in der Vergebung die Zugehörigkeit zur Gottesherrschaft vermittelt; oder den Jüngern, denen er die Füße wäscht und sie damit ganzheitlich in das neue Leben einbezieht.

LeerBegegnet er aber der intriganten Ablehnung, die ihm Fallen stellt, zeigt sich die Kraft seiner Demut in völlig anderer Weise: Er deckt solche Intrigen der Schriftgelehrten auf und geht nicht in ihre Falle; statt dessen legt er einen neuen Weg frei, den bisher niemand kannte (z. B. Johannes 8,1-11). An solcher Stelle zeigt sich die „Schärfe” des „Salzes”, die Wirkkraft der Demut. Die Demut vor Gott macht angstfrei gegenüber Menschen; und weil ein Demütiger nichts für sich selber herausholen will, entdeckt er neue Wege in ausweglos erscheinenden Situationen.

LeerÜbertragen wir das auf uns: In der Demut des Zöllners (Lukas 18,13) erkennen wir uns wieder in unserer Gottferne, unserer Sünde und Schwäche. Der Demütige will sich nichts vormachen im Blick auf sich selbst. Beim Hauptmann von Kapernaum, der auch als eine Gestalt der Demut gilt, wird deutlich: Er bekennt nicht nur, daß er „nicht wert” sei, daß Jesus unter sein Dach kommt, sondern weiß genauso, daß er Befehlsgewalt über die ihm unterstellte Einheit von Soldaten hat. Er kennt seine Schwäche ebenso wie seine Stärke. Mittelalterliche Herrscher hatten ebenso wie Zaren im alten Rußland mitunter Beichtväter, die ihnen angesichts ihrer Machtgelüste und tyrannischen Verhaltensweisen unerschrocken den Spiegel der Wahrheit vorhielten, wie einst der Prophet Natan dem König David (2. Samuel 12,7 ff.) - damit immer Kopf und Kragen riskierend. Demut, die sich mit der Wahrheit (vor allem der Bibel) verbündet, braucht oft Mut. (Nur) wer demütig vor Gott ist, vermag Wahrheit unter Menschen zu bringen, kann „gesalzen” sein.

LeerDas heißt nicht zugleich, „die Wahrheit zu sagen um jeden Preis”; dahinter verbirgt sich nicht selten bloß Wahrheitsfanatismus, der rein subjektiv bedingt ist. Demut, die gesalzen ist, will nichts anderes als durch Aussprechen dessen, was sie wahrnimmt, vor Abwegen bewahren oder Schaden verhüten. Die Erfahrung lehrt, daß dazu oft eine gehörige Portion Mut erforderlich ist: der Mut nämlich, der mit zunehmender Demut wächst, ohne übermütig zu werden, weil er sich stets „unter Gott” weiß, so wie Josef in Ägypten zu seinen Brüdern sagte: „Fürchtet euch nicht, denn ich bin unter Gott.” (1. Mose 50,19 in der Übersetzung von Martin Luther)

Quatember 1987, S. 225-226

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-15
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