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Buße und Beichte in der Orthodoxen Kirche
von Hans Mayr

Zu den Begriffen

LeerWie man die Buße versteht, hängt davon ab, was man unter Sünde versteht. Das hebräische Wort Hatta im Alten Testament und das griechische Wort Hamartia im Neuen Testament bedeuten, den Weg, das Ziel, die Bestimmung zu verfehlen. Dem entsprechend bedeuten das hebräische Wort schub im Alten Testament und das griechische Wort metanoia im Neuen Testament Umkehr. Orthodoxe Theologie beschreibt Sünde mit vielerlei Begriffen, die alle einem Hauptgedanken zugeordnet sind: Die Gemeinschaft mit Gott ist verloren, das Bild Gottes ist verdunkelt und der Geist Gottes im Menschen vermindert - vor allem, zusammenfassend: Die mit der Schöpfung gegebene Unsterblichkeit ist verloren, der Mensch ist vom (ewigen) Leben getrennt, er geht einen Weg zum (ewigen) Tod. „Sünde ist die Krankheit der Seele, der Tod des Unsterblichen, denn Gott ist Leben und der Verlust des Lebens ist der Tod”, sagt der Heilige Basilius. Immer wieder setzt sich orthodoxe Theologie von der westlichen Tradition ab, in der sie die Sünde vornehmlich als Ungerechtigkeit, als Übertretung göttlicher Gesetze verstanden sieht.

LeerOrthodoxe spüren ein juridisches Denken, welches auf den Legalismus des Heiligen Augustinus zurückgeht. Zugespitzt formuliert: Der Orthodoxie geht es nicht nur um den Kampf gegen Schuld und Ungerechtigkeit, durch Verzeihung und Gnade, sondern umfassender um den Kampf gegen Krankheit und Tod, durch den Geist, der lebendig macht. Buße hebt die Entfremdung von Gott auf, macht das göttliche Bild und den Heiligen Geist im Menschen wieder sichtbar und wirksam, heilt und heiligt den Menschen, führt ihn aus der Macht des Todes in die Gemeinschaft mit Gott: Das ist mit dem orthodoxen Zentralbegriff Theosis (Vergottung) gemeint. Metanoia, Buße ist Teilnahme am Gottesreich, also auch Wiederherstellung des gestörten Verhältnisses zur Kirche. Eine der Zentralfragen der westlichen Theologie, was die Erbsünde sei, ist für die Orthodoxie kein Problem. Was wir von Adam geerbt haben, ist ein Mangel, ein Verlust, die Verderbnis der menschlichen Natur und der konsequent daraus folgende Tod. Wenn sich der Mensch von Gott abwendet und sich ihm wieder zuwendet, dann geschieht dies in Freiheit. Wenn die Buße im Westen das Sakrament der Rechtfertigung genannt werden kann, so ist sie im Osten das Mysterion von Heilung und Heiligung. Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod (1. Korinther 15,25).

Wandlungen in der Geschichte

LeerAls Abkehr vom Tod und Hinwendung zum Leben ist die Metanoia ein einmaliger Vorgang. Dieser wird in der Taufe vollzogen, in ihr ist der Christ mit Christus gestorben und auferstanden. Als Weg zur Theosis ist die Buße ein lebenslanger Vorgang. Er geschieht in der allsonntäglichen Feier der eucharistischen Liturgie. So hat die Buße ihren Ort zwischen den beiden Hauptmysterien. Die theologische Spannung zeigt sich in verschiedenen historischen Ausformungen. In der Urgemeinde (die aus Christen bestand, welche zum größten Teil als Erwachsene die Taufe empfangen hatten) scheint eine zweite Umkehr nach der Taufe undenkbar gewesen zu sein (vgl. Hebräer 6, 4 f). In den kleinen apostolischen Gemeinden konnte ein Sünder brüderlich zurechtgewiesen oder im schlimmen Fall aus der Gemeinde ausgeschlossen werden (z. B. Matthäus 18, 15-17 und 1. Korinther 5, 1-13). In der frühen Kirche der ersten Jahrhunderte führte dies bald zu einer Unterscheidung von leichten und schweren Sünden. Die letzteren sind öffentlich bekannte Kapitalsünden wie Abfall, Mord und Ehebruch. Für sie gibt es (seit dem „Hirt des Hermas”) einmal im Leben die Möglichkeit der Buße, der „zweiten Taufe”.

LeerHier zeigt sich, wie Buße im Raum der Kirche und im Zusammenhang mit dem Abendmahl verstanden wird: Der Sünder bekennt öffentlich vor der Gemeinde (in allgemeinen Worten, detailliert nur dem Bischof!), er wird von der Eucharistie ausgeschlossen und - wenn er bereut - wieder zu ihr zugelassen, zum Teil in Stufen: Als „Weinender” steht er vor der Kirche, als „Hörender” im Narthex, der Vorhalle, als „Kniender” ist er wieder den Katechumenen gleichgestellt, als „Stehender” kann er wieder an der Liturgie der Gläubigen teilnehmen, ohne jedoch zu kommunizieren. Dieser Vorgang ist unwiederholbar. Diese außergewöhnliche und harte kirchlich-disziplinäre Form wurde sicherlich nur bei wenigen und zuletzt nur noch bei alten Menschen angewandt. Sie weicht nach der Konstantinischen Wende (spätestens ab dem 6. Jahrhundert) der sogenannten pneumatisch-pädagogischen Form, welche in den Klöstern entstand und dann überwiegend von Mönchen ausgeübt wurde. Es geht, wie der Begriff sagt, um eine Erziehung durch den Heiligen Geist. Dabei tritt das Moment von Heilung und Heiligung in den Vordergrund. Der einzelne vertraut sich einem Seelenführer an. Der geistliche Vater, auch „Therapeut Gottes” genannt, gibt geistlichen Rat und betet mit dem Sünder.

LeerEntsprechend entwickelt sich die Antwort auf die Frage, wer es ist, der die Sündenvergebung zuspricht. Zuerst ist es die Kirche, d. h. die Gemeinde. Sie tut es in Sonderheit durch den „Vorsteher”, den Bischof oder zum Teil durch einen besonderen Bußpriester. Später sind es dann Mönche, welche im Ruf der Heiligkeit stehen, dies können durchaus auch Laienmönche sein. Es ist also ein Kampf zwischen charismatischer und amtlicher Bußverwaltung. Dieser zieht sich wohl ein Jahrtausend lang hin. Je mehr von einem Bußsakrament als einem von sieben Sakramenten gesprochen wird (vom Konzil von Lyon 1274 an), desto mehr ist zu seiner Verwaltung der Priester unabdingbar. Doch das Volk liebt, auch daneben, den tröstenden Beichtvater. Dieser wirkt als Werkzeug des Parakleten (des Heiligen Geistes, welcher der Tröster ist), z. B. in der Gestalt der russischen Starzen.

Die gottesdienstliche Ordnung

LeerDie Metanoia (Buße) und die Exhomologese (Beichte) geschah und geschieht nicht nur in der Beichte oder in der Bußfeier im engeren Sinne. Schon das Neue Testament und die frühe Kirche kannten das gemeinsame Gebet, die brüderliche Zurechtweisung, die gemeinsame Bußliturgie und die Teilhabe an der Eucharistie als ein Mittel der Wiedervereinigung mit Gott und mit der Kirche. Der gemeinsame Vollzug und die Einzelbeichte sind nicht voneinander getrennt. Die Einzelbeichte kann im Rahmen eines Stundengebets (vor allem Morgengebet), der eucharistischen Liturgie oder einer besonderen Feier stehen. In einigen Ostkirchen haben Gemeinschaftsriten größere Bedeutung als die Einzelbeichte, ihnen wird auch ohnehin jene echte sakramentale Wirkkraft zugesprochen.

LeerDie göttliche Liturgie führt die Gemeinde zum Heil, zur Theosis. Der gute, menschenliebende Gott schenkt dem Glaubenden Gemeinschaft, wenn er sich vor der göttlichen Majestät als ein Unwürdiger erkennt. Einer ist heilig, nur einer der Herr - aber das Heilige wird den Heiligen gegeben. Zum Gesang des Dreimai-Heilig betet der Priester: „Nimm aus dem Munde von uns Sündern das Dreiheilig an und suche uns heim nach deiner Güte. Vergib uns jede absichtliche und unabsichtliche Sünde. Heilige unsere Seelen und Leiber, und verleihe uns, in Heiligkeit dir zu dienen alle Tage unseres Lebens.” Weil kein Mensch lebt, ohne zu sündigen, beginnt die Liturgie der Gläubigen mit dem Gebet, in welchem der Priester Gottes Erbarmen erfleht wegen seiner eigenen Verfehlungen und der Unwissenheit des Volkes Gottes.

LeerNach der orthodoxen Ordnung der Beichtfeier versammeln sich mehrere Beichtende, der Priester steht wie sie mit Blick zur Christus-Ikone. Die Gebete wenden sich an Gott, der „nicht Lust hat am Tode des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe” und an „Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, Hirt und Lamm, das hinwegnimmt die Sünden der Welt”. Sie bitten um Vergebung der Vergehen, die „vorsätzlich oder unvorsätzlich, mit Erkenntnis oder aus Unkenntnis, im Tun und Lassen” begangen sind. Alle Beichtenden sprechen in tiefer Verneigung 40 mal Kyrie eleison und dann, stehend, „Gott sei mir Sünder gnädig”. Dann treten sie einzeln zum Priester, bekennen zuerst allgemein „alles Geheime und Offenkundige meines Herzens und Gemüts”, danach konkret einzelne Sünden, wobei der Priester Fragen stellen kann. Es folgt das Lossprechungsgebet. Dabei verweist der Priester zwar auf die von Christus den Aposteln gegebene Vollmacht, im Vordergrund aber steht die Macht Gottes selbst: „Ich Geringer und Sünder vermag nicht zu erlassen eine Sünde. Gott verzeihe dir durch mich Sünder alles.” Dies ist die ursprüngliche orthodoxe Form.

LeerDaneben findet sich bei Russen und Rumänen zum Teil auch eine Absolutionsformel, welche unter lateinischem Einfluß erst 1646 von Petrus Mogilas eingeführt wurde. Sie lautet: Durch die von Christus „mir verliehene Macht vergebe dir auch ich unwürdiger Priester und spreche dich los”. Aber auch hier betont der Priester: „Siehe, vor uns ist sein heiliges Bild, ich bin nur Zeuge.” Entsprechend stellt die ursprüngliche griechische Form heraus, daß bewußte wie unbewußte, gewollte und ungewollte Sünden vergeben sind. Die andere Form legt mehr Gewicht auf die Ermahnung, der Beichtende möge ja keine Sünden aus Scham oder Furcht verhehlen. Er könne sich auf das Beichtgeheimnis gewiß verlassen, und, was er nicht ausspreche, könne nicht vergeben werden.

Seelsorgerliche Aspekte

LeerNach der Beichte, noch vor dem Absolutionsgebet, gibt der Priester den Beichtenden eine angepaßte Anleitung und Rat und eine entsprechende Epitimie auf. Die Epitimie ist, das betont die Orthodoxie oft, keine Sündenstrafe und auch kein genugtuendes Werk. Die Epitimie ist medizinal und pädagogisch zu verstehen: Sie soll helfen, zu heilen und den richtigen Weg zu gehen. Aufgabe des Priesters ist es nicht, einen richterlichen Akt zu vollziehen, sondern Fürbitte zu tun und wie ein Arzt zu wirken, der eine Krankheit feststellen und heilen soll. Von himmlischer Arznei wird gesprochen, welche die todbringenden Wunden der Sünde heilen kann. Doch gibt es selbst nach griechischem Brauch eine „Lossprechung von Epitimien, welche den Schuldschein zerreißt und die Fessel löst”. Nach dem jüngeren Brauch gibt es sogar eine Absolutionsformel, welche eine geleistete Epitimie zur Bedingung macht: „Wenn du ..., dann werden deine Sünden erlassen.”

LeerEpitimien sind zum Beispiel Gebete, Almosen, Entbehrungen, in schweren Fällen zeitweiser Ausschluß von der Kommunion. Sie können auch gesetzlich mißverstanden werden. Das zeigt der fast tragisch zu nennende Fall eines Mannes, der zehn Jahre lang schwere Bußstrafen einhielt, weil der Priester schlicht vergessen hatte, ihn loszusprechen. Überhaupt ist die Praxis - wie überall - oft dem Ideal fern: „Aus dem geistlichen Vater ist vielfach ein unpersönlicher Richter geworden, der darauf wartet, daß die Delinquenten in grauer Reihe an ihm vorbeiziehen, damit er über ihre mehr oder weniger einförmigen Vergehen sein Urteil spreche”, klagt Staniloe, und fragt: „Wüchse nicht das Interesse an der Beichte, wenn diese wieder zu einem geistlichen Ereignis würde, zu einer echten Aussprache über die Probleme des Lebens und zur Hilfe für die Vergeistigung des Menschen?” In Griechenland erhalten nicht alle Priester die bischöfliche Bevollmächtigung zum Bußsakrament. Das soll dazu helfen, daß nicht unerfahrene mehr schaden, weil sie die Seelenheilkunde nicht beherrschen.

Leer Wie oft geht ein orthodoxer Christ zur Beichte? Das schwankt zwischen allwöchentlich und einmal jährlich; oder nur dann, wenn er ein Schuldgefühl hat. Wo kann man beichten? Im Kirchenschiff, in einem Beichtzimmer, im Pfarrhaus, im Privathaus, sehr selten gibt es sogar Beichtstühle. Selbstverständlich kann man nur zur Kommunion gehen, wenn man vorher gebeichtet hat. Einige Priester legen diese Bestimmung sehr streng aus und verlangen, es müsse am selben Tage oder am Vortage gebeichtet werden. Andere kritisieren diese allzu harte Haltung. Häufig kommt es vor, daß einzelne noch während der göttlichen Liturgie beichten, dabei verläßt manchmal sogar der Priester den Altar. Diese Sitte wird von vielen orthodoxen Theologen als Unsitte kritisiert. Oft wird die Absolution ohne Sündenbekenntnis gegeben; wenn viele Menschen herzudrängen, geschieht es manchmal in höchster Eile. Vom Patriarchen Athenagoras wird berichtet, daß er bei großen Festen eine Generalabsolution erteilte. Oft scheuen Gläubige eine ehrliche, offene Beichte, weil sie der Verschwiegenheit der Priester nicht trauen. Normalerweise ist zur Lossprechung die Auflegung des Epitrachilion (der Stola) nötig. Aber im Notfall genügt auch ein Handtuch.

Gespräch zwischen den Kirchen

LeerDas ökumenische Gespräch versucht sowohl ein gemeinsames Verständnis als auch eine gegenseitige Bereicherung der jeweiligen Traditionen zu gewinnen. Es wird eine Theologie des Bußsakramentes gesucht, in der Gottes Menschenliebe und seine richterliche Strenge, seine alleinwirksame Gnade und das Wachsen des Menschen in der Heiligung, die sakramentale Vergebung und das Leben in der Kirche keine Gegensätze sind, sondern eine dynamische Einheit werden. Viele Evangelische entdecken wieder, daß im Augsburgischen Glaubensbekenntnis die Buße zu den Sakramenten gezählt wird. Wenn wir in der evangelischen Kirche der Beichte wieder mehr Raum geben möchten, können wir aus der Orthodoxie viel lernen: von der seelsorgerlichen Weisheit der Klöster, von den geistlichen Gestalten der Beichtväter und Starzen, die Unterscheidung von seelsorgerlichem Gespräch und sakramentaler Beichte, die Fürbitte statt der Lossprechung und die Heiligung, die gesellschaftliche und soziale Bedeutung einer kirchlich und nicht bloß privat verstandenen Beichte und die Geborgenheit in der verzeihenden Liebe. Katholiken sehen die Gefahr, die Buße bloß rechtlich zu verstehen. Sie hoffen darauf, daß bei der Feier der Bekehrung des christlichen Sünders wieder die ganze Gemeinde ihr Priestertum ausübt. Sie möchten das Sündenbekenntnis vor Laien wieder zum Leben erwecken, welches in der frühen Kirche üblich war. Die Bußfeier der Gemeinde soll neben der Einzelbeichte wieder mehr Recht und Gewicht haben.

Leer„Ob die Kirche als makellos heilig anzusehen sei und nur gesagt werden dürfe, daß die Glieder der Kirche sündigten und der Buße bedürften, oder ob sich nicht doch die Kirchen selbst in ihrer Geschichte mit Schuld beluden und deswegen in vollem Sinn Metanoia zu üben haben”, um zu ökumenischer Gemeinschaft fähig zu werden, hat als Frage schon manchen Dialog beschäftigt und ist bislang ungelöst.

Nachbemerkung: Dieser Aufsatz wurde ursprünglich als Vortrag vor Theologen geschrieben. Anmerkungen, Nachweis der Zitate und Literaturverzeichnis sind hier fortgelassen. Nach Abschluß der Arbeit erschien das Buch „Buße und Beichte im Glauben und Leben unserer Kirchen und ihre Bedeutung für die Erneuerung und Heiligung des Christen. Dritter bilateraler theologischer Dialog zwischen der rumänischen-orthodoxen Kirche und der evangelischen Kirche in Deutschland 1982. Beiheft zur ökumenischen Rundschau 51.” Siehe die Buchbesprechung auf Seite 39.

Quatember 1988, S. 5-10

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-02
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