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Christian Rietschel zum 80. Geburtstag
von Wolfgang Krönig

LeerChristian Rietschel, der Pfarrer, Graphiker und Maler, konnte am 5. März 1988 seinen achtzigsten Geburtstag begehen. Das ist willkommener Anlaß, seiner in Dankbarkeit zu gedenken für vieles, das er uns gegeben hat, ja mehr noch für ein vorbildliches Wirken insgesamt. So mag zu Beginn ein Abschnitt zitiert werden aus einem Brief Reinhold Schneiders, des Dichters und Schriftstellers, den er am 19. August 1954 an Christian Rietschel richtete: „Über Ihrer ganzen Arbeit steht das Wort, daß ihr stille werdet und das eure schaffet (1. Thessalonicher 4, 11). Darum ist es eine vorbildliche Arbeit. Ich glaube, daß Sie viel mehr, sehr viel besser es wirken als diejenigen, die sich in den Tag werfen; daß Sie, leise von innen formend, Beständiges bestärken und dem einzigen wirklichen Frieden, dem des Inneren dienen.”

LeerChristian Rietschel entstammt einer in Sachsen beheimateten Theologen-und Künstler-Familie. In den Jahren 1927 bis 1931 machte er ein Kunststudium in Leipzig und Berlin, wurde Mitglied in der Meisterklasse der bedeutenden Graphiker und Buchkünstler Walter Tiemann und E. R. Weiss. Beide waren keine Spezialisten, sondern Männer von universalem Geist, denen er viel verdankte. Nach Studienreisen in Frankreich und Italien folgte von 1931 bis 1935 sein Theologie-Studium in Wien, Tübingen, Marburg und Leipzig. Aus diesen doppelten Lebensthemen, in beiden sozusagen mit gründlich erlerntem Handwerk, ergab sich Lebensweg und Lebensleistung von Christian Rietschel, dem Theologen und Künstler.

LeerDem entsprachen Pfarrdienst und sehr bald auch die Mitarbeit an dem, was zwischen den beiden Weltkriegen als „Kunst-Dienst” der evangelischen Kirche neu erstanden war, in engem Zusammenhang mit den kirchlichen, den geistlichen und zumal auch liturgischen Erneuerungs-Bewegungen dieser Zeit. Es war die im evangelischen Bereich so notwendige neu gewonnene Einsicht, daß Kunst nicht bloßer Schmuck, sondern Gestalt gewordene Aussage ist, daß auch Gottesdienst, Predigt und Verkündigung einer angemessenen Gestalt, einer darstellenden Form bedürfen. Die Vermittlungs- und Beratungsstellen für künstlerische Aufgaben im kirchlichen Bereich, entstanden in Dresden und Berlin, wurden erst später zu festen kirchlichen Einrichtungen. Rietschel hat den kirchlichen Kunstdienst der Evangelischen Landeskirche in Dresden mit großem Einsatz durch viele Jahre geleitet bis zum Eintritt in den Ruhestand und zu seiner 1973 erfolgten Übersiedlung nach Bad Salzuflen, aus einem Teil unseres geteilten Vaterlandes in den anderen, von seinen Kindern bewohnten Teil.

LeerIn diese ganze Zeit einer an sich bereits vielseitigen Tätigkeit fällt auch ein reiches künstlerisches Schaffen, das Rietschel selbst beschreibt: „... so ist es dazu gekommen, daß ich an zahlreichen und sehr verschiedenartigen Aufgaben das anvertraute Pfund nicht zu vergraben brauchte ..., daß ich im Dienst der Kunst an der Kirche eine Grundlage fand, ein eigenes Werk aufzubauen und zu entfalten”: Plakate, Illustrationen, Pressezeichnungen, Entwürfe für Paramentik, freie Graphik, Glasmalerei, Glockenschmuck. Ein besonderes Anliegen war ihm stets die Erneuerung der Welt christlicher Zeichen, der Symbole. Diese Bemühungen fanden ihren Ausdruck in doppelter Hinsicht. Einmal in der systematischen Sammlung, ordnenden Zusammenstellung und Deutung christlicher Symbole in dem Buch „Sinnzeichen des Glaubens”, das zuerst 1964 erschien und als reife Frucht eine Fülle von Erkenntnis und Anregung zu geben vermag und seinem Verfasser zur Würde eines Dr. theol. der Universität Leipzig verholfen hat (1960).

LeerIchthysSodann aber ist im künstlerischen Schaffen von Rietschel selbst, der sich der bahnbrechenden Leistung von Rudolf Koch als des Erneuerers christlicher Symbole dankbar verpflichtet weiß, die gezielte Verwendung von Sinnzeichen ebenso deutlich wie das Streben nach zeichenhafter Verdichtung im Bilde überhaupt. Es ist deshalb eine Freude und Genugtuung, daß ein besonders aussagekräftiges Blatt aus seinem Schaffen hier abgebildet werden kann: die farbige Monotypie (55x45 cm groß, aus dem Jahre 1957) „Brot und Fisch”, Zeichen der wunderbaren Speisung der 4000 auf dem Berge (Matthäus 15; Markus 8), zugleich Hinweis nicht nur auf die eucharistische Speise, sondern nochmals auf Christus selbst. Denn der Fisch ist für den Christen das Symbol Christi dank dem Akrostichon des griechischen Wortes ICHTHYS = Fisch, dessen fünf Buchstaben die Worte „Jesus Christus Gottes Sohn Heiland” bezeichnen und damit die anschauliche christliche Bekenntnisformel. In feierlicher Klarheit sehen wir das Bild in seinen wenigen Elementen von unten nach oben sich aufbauen, wie getragen von dem Wort und seinem ihm zugeordneten Fisch-Zeichen; die sorgsam getroffene Wahl der Farben hat das Fisch-Symbol mit dem Grün verbunden; es ist in der Farb-Wahl des Mittelalters die Farbe des Heiligen Geistes.

LeerWerk und Wirken Rietschels ist mit dem wenigen bisher Gesagten kaum ausreichend beschrieben. Zu den vielfachen Anregungen durch Ausstellungen, Beratungen, Vermittlung persönlicher Kontakte und Aufträge im Kunstdienst kommt die langjährige verantwortliche Arbeit als Schriftleiter des sächsischen Kirchenblattes „Der Sonntag”; ferner die Tätigkeit im Arbeitsausschuß des Evangelischen Kirchbautages, die von 1959 bis 1973 geleistete Herausgeberschaft des so vorzüglichen „Kreuzkalenders für christliche Kunst der Gegenwart” sowie die laufende Herausgabe der kleinen „Werkberichte” über das künstlerische Geschehen im Bereich der Kirche. Nicht fehlen darf schließlich der Hinweis auf die literarische Tätigkeit Rietschels. Eine vollständige Bibliographie ist leider, so wünschenswert sie wäre, hier nicht möglich. In der Rubrik „Briefe” am Schluß dieses Heftes sollen jedoch die wichtigsten in Buchform erschienenen Schriften genannt werden, freilich in dem Bewußtsein, daß oftmals kleinere, in Zeitschriften und Sammelwerken erschienene Beiträge gerade besondere Aufmerksamkeit verdienen, von denen ich beispielhaft wenigstens zwei nennen möchte: „Der Kunstdienst. Eine Erneuerungsbewegung zur Begegnung von Kirche und Kunst” und „Theologische und kirchliche Aspekte zur Friedhofsgestaltung”.

LeerAbschließend seien noch einige ergänzende Angaben zur Person und zu den Vorfahren unseres Jubilars gemacht. Christian Rietschel ist Glied der Evangelischen Michaelsbruderschaft; 1967 erfolgte seine Berufung in das Domkapitel des Evangelischen Hochstiftes zu Meissen. Er ist Urenkel des namhaften Bildhauers Ernst Rietschel (1804-1861), bekannt vor allem durch mehrere große Denkmäler: das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar, das Lessing-Denkmal in Braunschweig, das nach seinem Tode vollendete Luther-Denkmal in Worms. Rietschels Vater war der Pfarrer Lic. Ernst Rietschel, später Oberkirchenrat; sein Großvater war Georg Rietschel, Professor der praktischen Theologie an der Universität Leipzig. Vom Bildhauer Ernst Rietschel, dem Urgroßvater, erschien folgendes menschlich anziehende kleine Buch: Erinnerungen aus meinem Leben (Dresden, Wolfgang Jess-Verlag 1954; 2. Auflage Evangelische Verlagsanstalt, [Ost-]Berlin 1963, mit einem Nachwort seines Enkels Ernst Rietschel, herausgeben von dem Urenkel Christian Rietschel). Es handelt sich hier um die verdienstvolle Neuausgabe der Jugenderinnerungen des Bildhauers, die zuerst veröffentlicht worden waren als Teil in der frühesten Buchveröffentlichung über den Künstler: Andreas Oppermann, Ernst Rietschel, Leipzig, F.A. Brockhaus 1863.

Quatember 1988, S. 69-74

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-14
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