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Mann und Frau - „in Christus” gleich
von Gerhard Steege

Einmal kamen zwei alte Männer, bedeutende Einsiedler, aus Pelusien zu Mutter Sara. Kurz vor ihrem Ziel sagten sie sich:
„Wir wollen dies alte Weiblein demütigen.” Und sie nahmen sich Sara vor: „Bilde dir auf unseren Besuch nur ja nichts ein, daß du dir sagst: ‚Sieh an, zu mir als Frau kommen diese Einsiedler!’” Mutter Sara antwortete ihnen: „Von Natur bin ich eine Frau, aber nicht im Geist.”

Ein Mönch ging die Straße entlang. Als er auf einige Nonnen stieß und sich ihrethalben zur Seite wandte, sagte deren Anführerin zu ihm: „Wärest du ein vollkommener Mönch, hättest du uns gar nicht als weibliche Wesen betrachtet.”

Weg und Wort der Väter, Nr. 269 und 52

LeerIch muß gestehen: als ich vor vielen Jahren diese Sprüche zum ersten Mal las, war ich verblüfft, denn das hatte ich nicht erwartet, Varianten des Themas Mann und Frau vor 1600 Jahren zu finden - und dann noch in mönchischem Kontext! Vielleicht sind Sie auch überrascht? Es fällt sofort auf: diese Sprüche haben nicht zum Thema: Wie gehen wir als Männer und Frauen miteinander um? Ja, nicht einmal: Wie gehen wir als Männer und Frauen in der Kirche miteinander um? Wir könnten eher sagen: Wie gehen wir Männer und Frauen als spirituell geprägte Menschen miteinander um? Es ist eine ganz andere Ebene, als die uns gewohnte, die hier in den Blick kommt.

LeerEinerseits sind die Grenzen enger gezogen, denn es wird nicht die große Vielfalt der Beziehungen zwischen Mann und Frau angesprochen; andererseits geht der Blick aber weiter, denn, spirituell gesehen, prägt die Glaubenssicht alle anderen Sichtweisen des Menschen. Schauen wir genauer hin, so wird in beiden Anekdoten der Mönch (also der Mann!) als selbstverständliche Verkörperung geistlichen Lebens dargestellt, während die Nonnen die Frag-würdigen (im doppelten Sinn des Wortes) sind. Im einen Fall wird die geistliche Frau angegriffen, weil sie eine Frau ist. Im anderen Fall wendet sich der Mönch schon ab, als er der Frauen ansichtig wird. In beiden Fällen aber ist es die Frau, die sich der heiklen Situation in überlegener Weise gewachsen zeigt, während die geschilderten Männer die Zwiespältigen und Unsicheren sind, sei es in passiver, sei es in aggressiver Form. Das werden die männlichen Leser unter Ihnen ebenso wie ich akzeptieren müssen.

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LeerBeide Male dürfen wir - der Zeitauffassung entsprechend - vermuten, daß der Mann, selbst bei geistlicher Lebensweise, auf die Frau gespalten reagiert. Er sieht in die Frau, auch wenn sie sich der spirituellen Lebensform ergeben hat, verführerisches Verhalten hinein, gegen das er sich wehrt - nur daß ihm nicht aufgeht, daß es in Wahrheit nicht die Frau, sondern seine eigenen Lustgefühle sind, die er abwehrt, wenn es um Frauen geht. Andererseits kann er nicht umhin anzuerkennen, daß auch sie ihr Leben Gott gelobt haben. Die Reaktion des einen darauf ist, daß er ihnen lieber ganz aus dem Wege geht; die Reaktion der beiden anderen führt zu dem Versuch, die Frau unsicher zu machen. Beide Reaktionen aber scheitern: der Passive wird doch gestellt, die Aggressiven finden ihre Meisterin. Dabei kann einem einfallen, wie auch Jesus die prekäre Situation überlegen meistert, in die er durch Fangfragen gebracht werden sollte (vgl. Markus 3,1-5)!

LeerDem Wortlaut nach hat es wohl den Anschein, als würde der „Geist” über die „Natur” gestellt, anders gesagt: als wäre gemeint, eine geistliche Frau wäre nicht mehr eine „richtige” Frau und ein geistlicher Mann wäre kein „richtiger” Mann mehr. So verstehe ich die Anekdoten nicht. Es gibt keinen spirituell geprägten Menschen, der es nicht als Frau oder als Mann ist. Und das macht zugleich seine Stärke wie seine Schwäche aus. Es ist Stärke in der Weise, daß die Frau, der Mann, die ihnen jeweils von Gott verliehenen Gaben, Verhaltens- und Reaktionsweisen vom Heiligen prägen, durchstrahlen, umschmelzen lassen, wodurch sie dann in erster Linie geistbestimmt werden. Die Schwäche liegt darin, daß die Anfälligkeit für bloß männliches oder bloß weibliches Verhalten zeitlebens nicht völlig überwunden werden kann (beispielsweise die „typisch männliche” reine Sachlichkeit oder die „typisch weibliche” gefühlsmäßige Reaktion oder manches andere - aber die frühere Rollenfestlegung ist wiederum schon vielfach durchbrochen).

LeerDaß die „Natur” - etwa die Aufteilung in Geschlechter - nicht hinfällig wird, wußte schon das Mittelalter zu sagen: gratia non tollit, sed perficit naturam, zu deutsch: die Gnade hebt die Natur nicht auf, sondern vollendet sie. Diese Sprüche können wie eine kleine Vorwegnahme dessen sein, was für das Reich Gottes zugesagt wird; so antwortet Jesus auf die kritische Frage der Sadduzäer nach der Totenauferstehung: „Wenn sie von den Toten auferstehen werden, so werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie die Engel im Himmel” (Markus 12,25). Auch für Paulus ist das klar: In Christus „ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus” (Galater 3,28).

Leer„In Christus” werden wir in erster Linie geleitet von unserm „In-Christus-Sein”. „In Christus” sind wir als Männer und Frauen, gleich, ob wir heterosexuell oder homosexuell sind, ob verheiratet oder allein lebend. Zu dieser Sicht, wie wir im Neuen Testament fanden, waren die Mönche unserer Anekdoten zu ihrer Zeit noch nicht wieder herangereift. Auch heute tun wir Christen uns darin sehr schwer. Die Last patriarchalischer Selbstverständlichkeiten vergangener Jahrtausende für männliches wie weibliches Selbstverständnis behindert immer noch vielfach und nachdrücklich die „Umkehr” nach vorn, zum Zusammenleben von Mann und Frau entsprechend dem Geist Jesu Christi.

Quatember 1988, S. 83-85

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-14
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