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Der versöhnungsbedürftige Mensch
von Alexander Völker

LeerUnter dieses Thema (mit dem Untertitel: Nichtkirchliche Formen der Versöhnung in unserer Zeit) stellte Karl-Heinrich Bieritz (Berlin) seinen Vortrag beim Kongreß der Societas Liturgica vom 17. bis 22. August 1987 (Gesamtthema: Buße und Versöhnung im Gottesdienst der Kirche), von dem hier kurz berichtet werden soll. Am Beispiel eines jugendlichen Mörders (aus der Novelle „Die Abrechnung” von W. Tendrjakow, Berlin 1980) zeigte er - für die Teilnehmer durch das literarische Medium und durch Erzählung und Interpretation bewegend, ja mitreißend -, welche anthropologischen Grundlinien in einem solch zwangsläufigen Geschehen sichtbar werden: die entschuldigenden, erklärenden Theorien - parallelisiert mit den zeitgenössischen Therapieangeboten einschließlich ihrer hochentwickelten Rituale (nur als säkulare Entsprechungen christlicher Buße und Versöhnung zu verstehen: „Selbsthaß” als Sünde, „Annahme” als Gnade); das demzufolgend völlig unerwartete Schuldeingeständnis dessen, der seinen Vater erschlug - gegen alle theoretische Einsicht in unumkehrbare Wirkungszusammenhänge das zutiefst menschliche „Ich bin's gewesen, ich übernehmen die ganze Verantwortung”, die in Freiheit errungene, das Schreckliche wiederholende confessio gelangt an einen Punkt äußerster Selbstzerstörung und zugleich eines ganz Andersartigen extra nos (= außerhalb unser), dessen was nicht in uns selbst begründet ist; das traumhafte Erwarten des Vaters in der Einsamkeit der Zelle durch den Eingekerkerten - eine Gewißheit von Versöhnung, die allein „durch erinnerte und antizipierte Liebe” zustande kommen kann.

LeerMit diesem überaus erhellenden, mutigen Vorstoß in die säkulare, „gott”-lose Lebenswirklichkeit konvergierten die weiteren Hauptvorträge, z. B. des Präsidenten Robert Taft (Päpstl. Oriental. Institut Rom), der eine Neubewertung der Lehrentscheidungen von Trient und die Widerentdeckung der gemeinschaftlich-kirchlichen Dimension der Buße feststellte. Der Kongreß besuchte zudem an einem Tag die Stadt des gegenreformatorischen Konzils mit seinem Anathema gegen Luthers Lehre (1984 ist in Trient ein ökumenischer Versöhnungsgottesdienst gefeiert worden). Fünf Fachgelehrte gaben Einblick in die Praxis von Beichte und Buße aus dem anglikanischen, lutherischen, methodistischen, orthodoxen und römisch-katholischen Bereich. Der Münchener Patristiker Georg Kretzschmar schilderte die Diakonia der Versöhnung als „Dienst an der Menschheit durch die Jahrhunderte”, Paul de Clerck (röm.-kath.; Paris/Brüssel) stellte Taufe und Eucharistie als große Paradigmen der Buße in österlicher Perspektive dar, Geoffrey Wainwright (methodist., Durhain/USA) behandelte die Versöhnung getrennter Kirchen. Der versöhnungsbedürftige Mensch in einer versöhnungsbedürftigen Welt - mit einer versöhnungsbedürftigen Kirche: der Brixener Kongreß der Societas Liturgica hat mit seinem Thema „Buße und Versöhnung im Gottesdienst der Kirche” den Kirchen einen wichtigen Dienst geleistet.

Quatember 1988, S. 87-88

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-14
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