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von Waldemar Wucher |
Das 6. Berneuchener Gespräch Auf dem Hintergrund eines Bewußtseinswandels in der öffentlichen kirchlichen Diskussion haben sich zum 6. Berneuchener Gespräch über „Die Kunst, den Alltag zu transformieren. Symbolische Handlungen als liturgische Aufgabe” vom 18. bis 21. April 1988 in Kloster Kirchberg 40 Teilnehmer, meist „Laien”, zusammengefunden. Seit geraumer Zeit geht die Rede von einer „Krise der Volkskirche” um. Die Kirchenaustritte mehren sich. Die Gottesdienste werden weniger besucht. Die kirchlichen Finanzen geraten in Not. Über den Zahlen aber wird das Eigentliche fast vergessen. Wie ein Fanal erschien da das Leitwort der Synode der Rheinischen Kirche vom Januar 1988: „Lebt der Gottesdienst, dann lebt die Kirche. Stirbt der Gottesdienst, dann stirbt die Kirche”. Ähnliche Stimmen waren seitdem miteinemmal in Speyer, in Darmstadt und noch mancherorts zu hören. Doch steht die Frage nach dem lebendigen Gottesdienst nicht schon seit zwei Generationen auf der Tagesordnung? War es nicht ein geschichtlicher Augenblick, als in Berneuchen der enge Zusammenhang zwischen der Not der Welt und der Not der Kirche erkannt wurde und Wege zur Erneuerung des Gottesdienstes gesucht wurden? Spricht man nicht seitdem von einer liturgischen Erneuerungsbewegung? Seitdem ist der Vollzug des liturgischen Handelns in neuen Agenden festgeschrieben. Schon vor Jahrzehnten gab es in der Evangelischen Michaelsbruderschaft ein „Stundengebet”, jenes handliche Büchlein, das mit seinen einprägsamen textlichen und musikalischen Formulierungen Freunde weit über den Kreis der Michaelsbrüder hinaus gefunden hat. Viele haben mit ihm das Beten gelernt, weil es in seiner Schlichtheit das Herz anrührte. Aber das „Stundengebet” gibt es nicht mehr. Wie ein Reif in der Frühlingsnacht senkte sich auf den Beginn gottesdienstlicher Erneuerung die Ratio des wissenschaftlich-technischen Zeitalters. Liturgische Archäologie, sprachliche und musikalische Philologie nahmen sich in einem permanenten Reformprozeß der agendarischen Formulare an, die in die Hand des allein handelnden Liturgen kamen. Der Nachvollzug durch die Gemeinde wurde zur Mühsal, sofern sie nicht ganz dahinter zurückblieb. Die Gemeinden wanderten aus. An Warnrufen fehlte es nicht. Schon 1951 schrieb Wilhelm Stählin, es könne „der objektive Sinn des kultischen Handelns so einseitig betont werden, daß das gottesdienstliche Handeln der Gemeinde als der eigentlichen Trägerin der Liturgie ganz unwesentlich wird oder völlig verschwindet hinter dem Dienst dessen, der als Stellvertreter Christi die liturgische Funktion am Altar vollzieht”. Gerhard Langmaack 1954: „... wie denn ja auch der Mensch im Gottesdienst leibhaftig handelt, das heißt mit seinem ganzen Leibe ..., ja ist die Ganzheit des Leibes und das Anrühren aller seiner Sinne in der Liturgie nicht die Grundvoraussetzung für ihre Erfaßbarkeit?” Und: „Die Liturgie, die diesen Menschen als Individuum wie auch als versammelte Gemeinde nicht als Ganzes verlangt, erleuchtet, anspricht oder anrührt, bleibt unvollkommen, und der Raum, der in seiner Erscheinung nicht den ganzen Menschen wie auch die Gemeinschaft gleichermaßen bewegt, indem er auf alle Sinne einwirkt, bleibt - nun als gottesdienstlicher Raum - unvollkommen”. Wie völlig verschieden von allen restaurativen Bemühungen stellt sich also die Aufgabe dar, wie wenig ist doch zu hoffen, daß ihre Erfüllung im ersten Anlauf gelingt, wie sehr ist vielmehr zu erwarten, daß wir nur durch lange Erfahrung und immer neue Bemühung dem Ziele näher kommen werden!” Karl Bernhard Ritters Prognose, daß wir nur durch lange Erfahrung und immer neue Bemühung dem Ziel näher kommen werden, entsprang seiner Einsicht in geschichtliche Vorgänge. Die mahnenden Stimmen, von denen hier nur zwei erwähnt werden sollen, verstummten nicht. Hartmut Löwe sprach in QUATEMBER vom wachsenden Unbehagen an der Art und Weise unseres liturgischen Handelns. Beim Michaelsfest 1980 in Gallneukirchen wurden im Zusammenhang von Martyria, Leiturgia und Diakonia „drei Fragen zur Liturgie heute” (vgl. Quatember 2/1981) formuliert, um die von Karl Bernhard Ritter geforderte Bemühung ins Bewußtsein zu rufen. Es war aber auch die Zeit, in der solche Bemühungen schon neu einsetzten. Sie mußten freilich zunächst Nebenwege gehen. Auf welche Weise können die Gemeinden, die (nach Ritter) so merkwürdig steif, ja geradezu ängstlich sind, dazu bewogen werden, daß sie sich freudig mit der Ganzheit des Leibes und im Anrühren aller Sinne in das liturgische Geschehen einbringen? Dies war ein Hauptanliegen des Arbeitskreises für Gegenwartsfragen der Evangelischen Michaelsbruderschaft seit den 70er Jahren in Tagungen in Verbindung mit dem Arbeitskreis Bildende Kunst der Evangelischen Akademie Arnoldshain und in „Berneuchener Gesprächen”: Aktuelle Kunst in Spiegelungen des Mittelalters - Kunst und kirchliches Handeln heute - Liturgie geschieht - Liturgie und Kirchenraum - Das Generationenproblem am Ausgang des 20. Jahrhunderts - Suchbild Christus - Durch Ihn beten Dich an die Mächte. In mehreren Tagungen parallel dazu hat der Arnoldshainer Arbeitskreis in alten Kirchen die Bedeutung des Raumes für alles kirchliche Handeln untersucht und beispielhaft erleben lassen. Das 6. Berneuchener Gespräch nun war ein erster, aber wohlgelungener Versuch, die vielgestaltigen, schon von den Vordenkern der Evangelischen Michaelsbruderschaft ins Spiel gebrachten Voraussetzungen eines lebendigen, von der Gemeinde getragenen Gottesdienstes einmal im Zusammenhang anschaubar und erlebbar zu machen. Pfarrer Andries Kobus/Roordahuizum konnte durch eigenes Beispiel die Tagungsteilnehmer zur Leibhaftigkeit gemeinschaftlichen Vollzugs liturgischen Geschehens ermutigen. Was das Lesen oder Hören eines (biblischen) Textes meist für das abstrakte Denken erschließt, das vermochte die Pfarrvikarin und Künstlerin Barbara Wilhelmi/Frankfurt durch eine Zeichenhandlung nach Hesekiel 12,1-11, der sie im Freiraum zwischen Kirche und Kreuzgang in meditativer Versenkung körperlichen Ausdruck verlieh, für die aus je eigenen Erfahrungen genährte Wahrnehmung der Tagungsteilnehmer mitvollziehbar zu machen. Pfarrer Hans R. Blankesteijn/Hilversum gab Hilfen aus der Praxis der Amersfoorter Versuchsgottesdienste. Schritt für Schritt bildete sich sichtbar und spürbar eine lebendige Gemeinde. Man spürte, daß all diese Erfahrungen in einen gemeinsamen Gottesdienst einmünden könnten, obwohl das nicht von Anfang an gezielt geplant war. Der nach der Grundstruktur der Evangelischen Messe am letzten Tag gefeierte Gottesdienst konnte sich nicht ganz frei entfalten. Der bis zur Wiederherstellung der Kirche provisorisch zur Kapelle eingerichtete Gewölbekeller ist räumlich beengt. Und doch hatte man das Empfinden, daß dieser Gottesdienst nicht in all seinen Phasen, aber durch die in diesen Tagen gewonnene innere und äußere Freiheit und Gelöstheit der einzelnen wirklich von der Gemeinde und nicht nur vom Liturgen getragen und darin beispielhaft war. Der Älteste der Michaelsbruderschaft, Pfarrer Jürgen Boeckh/ Berlin, der die willkürliche Trennung von Predigt und Liturgie im Sinne Wilhelm Stählins mit einem Fragezeichen versah, nahm behutsam die gewonnenen Erfahrungen in den Vollzug der Messe auf: Die Lesung nach Hesekiel, die die Zeichenhandlung, für die der Kapellenraum zu klein gewesen wäre, in lebendige Erinnerung rief, das leibhaft gebetete Vater-Unser, die sichtbar verdichtete Darbringung der Gaben zum Altar als Antwort auf die Frage des Liturgen „Was bringst du?”, die Lied-Prozession auf den Turm, wo das Sendungswort im Angesicht der weiten Welt der Gegenwart gesprochen wurde, die einem neuen lebendigen Gottesdienst liebend entgegengehen möchte. Der Ertrag dieses 6. Berneuchener Gesprächs wird nicht als Rezept, sondern als ermutigendes Beispiel mitsamt einer Skizze auch des Gottesdienstes und mit Fotos versehen als Handreichung für die Hand von Laien und Theologen zur Grundlage weiterer Schritte gemacht werden. Quatember 1988, S. 152-154 |
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