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Glaube und Schönheit
von Johannes Krinke

LeerEin pensionierter Amtsbruder lag im Krankenhaus, und ich besuchte ihn. Er las gerade ein Buch mit dem ungewöhnlichen Titel „Daß Gott schön werde”. Der Untertitel lautete: „Praktische Theologie als theologische Ästhetik”. Ich war überrascht, daß es so etwas gibt. Theologische Ästhetik! Nach meinen Erfahrungen im Studium und in den langen Jahren der mich umgebenden Praxis war der Begriff „schön” für protestantisches Denken und Empfinden anstößig, ungehörig, suspekt, ja einfach unevangelisch. Freilich gab es gelegentlich die theologisch ungebildeten Gemeindeglieder - nicht die Fachtheologen! -, die eine gehörte Predigt oder eine erlebte Tauffeier als „schön” oder „feierlich” beurteilten. Hier gilt Jesu bekanntes Wort: „Ich preise Dich, Vater und Herr des Himmels und der Erde, daß Du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart” (Matthäus 11,25). Sie haben also durchaus ein Empfinden dafür, daß in der Kirche etwas „schön” sein darf.

LeerDer Verfasser jenes Buches, das seinen Weg zum Krankenbett eines calvinistischen Pastors gefunden hatte, war Rudolf Bohren. Er hatte in den ersten siebziger Jahren in Berlin und Heidelberg Vorlesungen gehalten über Praktische Theologie. Sie erschienen 1975 als Buch mit dem erstaunlichen Titel „Daß Gott schön werde”.

LeerEr selbst bekennt: „Mit der Ansiedlung der Ästhetik in der Gotteslehre wende ich mich von einer theologischen Tradition ab, die die Bedeutung des Schönen für die Religion abwertet oder unterbewertet.” Er hält solche Unterbewertung für ein „charismatisches Manco”. Er sagt: „Daß das ganze Amusische Gedankenleben' auf die Dauer auch den Gottesdienst fast unmöglich macht, zeigt sich an den Gottesdiensten, die in alter wie in neuer Gestalt weder dem heutigen Menschen noch dem dreieinigen Gott als angemessen erscheinen ... Wo die Ästhetik so gut wie keine Relevanz hat und so das ästhetische Interesse sich auf Kunstwerke reduziert, wird die Welt unwohnlich.”

LeerTheologische Ästhetik reflektiert Gott selbst. Sie bedenkt Gottes Schönwerden in der Natur, in der Kultur, in der Geschichte, in der Kirche und in der Welt. „Weil Gottes Schönwerden in der Praxis weithin unerkannt ist, befaßt sich praktische Theologie notwendigerweise mit dem Noch-nicht-Gedachten, mit dem erst zu Entdeckenden, mit dem Novum. Das Novum kann auch ein Vergessenes sein.”

LeerTatsächlich gehört eine auf Gott bezogene Ästhetik durchaus nicht in den Bereich des „Noch nicht Gedachten”. Die Lehre von Gott und seinen Eigenschaften hat in den Jahrhunderten der Spätantike ein wichtiges Bauelement der platonischen Philosophie in sich aufgenommen, nämlich die Gleichsetzung von Ur-Gutem und Ur-Schönen. Bis ins dritte Jahrhundert nach Christus gilt im Platonismus der Satz, daß in Gott „gut und schön gleich” sind. Darin übereinstimmend bekennt der hl. Augustinus: „Spät lernte ich Dich lieben, alte und doch so neue Schönheit.” Der Gelehrte Boethius (um 500) betet: „Du hältst im Geist die schöne Welt, nach Deinem Bild geschaffen, Schönster aber bist Du selbst.” (s. Carl Schneider, Geistesgeschichte der christlichen Antike, S. 498). Sogar die altlutherische Dogmatik kann deshalb von der fruitio Dei sprechen.

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LeerBohren nimmt also - wohl ohne es zu wissen - eine altchristliche Tradition, d. h. ein längst Gedachtes wieder auf. (Übrigens ist ihm ein katholischer Gelehrter - Urs von Balthasar - um acht Jahre zuvor gekommen mit einer Theol. Ästhetik unter dem Titel „HERRLICHKEIT”. Beide haben unabhängig voneinander über dasselbe nachgedacht!) Bohren meint, „das Novum kann auch ein Vergessenes sein”. In der Tat hat es die Kirche im Laufe ihrer Geschichte immer recht schwer gehabt, die Glaubenswahrheit in ihrer ganzen Fülle im Gedächtnis zu behalten. Sie hat bald das eine, bald das andere wirklich vergessen, so daß sie von Zeit zu Zeit der Erinnerung bedarf, die dann auf dem Hintergrund des Vergessens als ein „Noch-nicht-Gedachtes”, ein „Erst zu Entdeckendes”, als etwas „Neues” erscheint. Mit Recht verankert Bohren seine ganze Konzeption im Wirken des Heiligen Geistes. Dieser ist es doch, der nach Jesu Wort (Johannes 14,26) uns an alles erinnert. Ein solches Erinnern widerfährt dem suchenden Blick in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments. Allein das Wort „schön” begegnet uns in Luthers Übersetzung über hundertmal. Hier einige „Erinnerungen”:

Leer Der Verfasser des 104. Psalms preist den Schöpfer „Du bist schön und herrlich geschmückt. Licht ist Dein Kleid, das Du anhast.” Psalm 145: „Ich will reden von Deiner herrlichen, schönen Pracht und von Deinen Wundern.” Wir verbinden oft und gern das Wort „Wunder” und das Wort „schön” zu „wunderschön”! - Das Buch der Weisheit (13) nennt Gott den „Urheber aller Schönheit” (Übersetzt von Menge). Nach dem ersten, zeitlich späteren Schöpfungsbericht „sah Gott an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut” (Gen. 1,31). Er stellt seinen Werken ein lobendes Zeugnis aus. Das hebräische Wort für „gut” hat einen weiten Bedeutungshorizont. Darin schwingen die Aspekte „angenehm, brauchbar, zweckmäßig, recht, sittlich gut, freundlich, schön”.

LeerWie in der platonischen Philosophie das Ur-Gute und das Ur-Schöne gleichgesetzt ist, so ist es im Hebräischen in einem Wort zusammengefaßt und miteinander untrennbar verbunden. Die Schöpfung ist auf das Schönsein und Schönwerden angelegt. Das Werk soll dem entsprechen, was sein Meister im Sinn hat. „Gott wird uns nicht glaubhaft, wenn wir nicht ein großes Werk vor Augen haben, das von Ihm stammt, und das erste Werk Gottes, das wir zu sehen haben, ist die Natur.” (Schlatter) Auffallend ist, wie oft das Alte Testament den schönen Menschen im Blick hat. Die Stamm-Mütter Israels sind schön: Sara, Rebekka, Rahel. Auch das Weib des Uria war „von sehr schöner Gestalt”. Susanna war „schön und gottesfürchtig”.

LeerJoseph in Ägypten „war schön und hübsch von Angesicht”. David wird gerühmt als ein „rüstiger Mann, streitbar und verständig in seinen Reden und schön”. Daniel ist „ohne Makel und von schöner Gestalt”. Dem Psalmisten ist es in seinem Gebet ein besonderes Anliegen, „daß unsre Söhne aufwachsen in ihrer Jugend wie die Pflanzen und unsre Töchter seien wie die ausgehauenen Erker, womit man Paläste ziert.” (144,12).

LeerIn diesem Zusammenhang sei die Frage erlaubt: war Jesus schön? Wenn wir uns die Antwort vom Karfreitagstext (Jesaja 53) geben lassen, so lautet sie schlicht und ergreifend „Nein!” „Er hatte keine Gestalt noch Schöne. Wir sahen ihn. Aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.” Damit wären alle Spekulationen über den theologischen Stellenwert des „Schönen” vom Tisch gewischt.

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LeerEs ist dabei zu bedenken, daß der ganze Abschnitt der Karfreitagslesung situationsgebunden ist. Er schildert den leidenden Gottesknecht. Sein Leiden besteht nicht nur in physischen Qualen. Die haben auch sehr viel andere erdulden müssen. Nein, „der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.” Und Sünde macht häßlich. Das stellvertretende Leiden an unsern Missetaten, das die Passionsgeschichte so ausführlich darstellt, hat seine Gestalt so unansehnlich gemacht, wie die Menschheitsgeschichte in vieler Hinsicht unansehnlich, häßlich ist.

LeerPaul Gerhardt hat in seinem Lied „O Haupt voll Blut und Wunden” die ganze Wahrheit ausgesprochen, wenn er sagt „O Haupt, sonst schön gezieret mit höchster Ehr und Zier, jetzt aber hoch schimpfieret” und gleich danach „Du edles Angesichte”. Derselbe P. Gerhardt läßt uns zu Weihnachten singen „O Sonne, die das werte Licht des Glaubens in mir zugericht, wie schön sind Deine Strahlen” und in einem ändern Lied: „Schönstes Kindlein in dem Stalle.” Ich erinnere auch an das Epiphaniaslied „Wie schön leuchtet der Morgenstern”, der in der sechsten Strophe als der „wunderschöne Bräutigam” gepriesen wird. In dem Lied „Ich will dich lieben ...” klagt Angelus Silesius in Übereinstimmung mit St. Augustin: „Ach, daß ich dich so spät erkennet, du hochgelobte Schönheit du.”

LeerGewiß sind diese Aussagen im „werten Licht des Glaubens” gemacht. Auch die biblischen Aussagen sind es. Und Glaube ist Antwort und Reflex auf Erlebtes. Auf der Hochzeit zu Kana offenbarte Jesus seine Herrlichkeit „und seine Jünger glaubten an ihn”.

LeerHegel formulierte in seiner Religionsphilosophie „Das Schöne ist wesentlich das Geistige, das sich sinnlich äußert, sich im sinnlichen Dasein darstellt.” Und Christian Morgenstern meint: „Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet.”

LeerDie irdische Liebe, die das Hohelied besingt, ist schon für Israel Hinweis und Transparent für das Liebesverhältnis zwischen Gott und seinem Volk. In diesem Sinn wurde es dann auch übertragen auf das Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche. Es ist kein Zufall, daß Jesus seine Herrlichkeit zum ersten Mal auf einer Hochzeit offenbart. Später bezeichnet er seine Gefolgsleute als ‚Hochzeiter’ und sich selbst als den ‚Bräutigam’ (Matthäus 9,15 par.). „Das Himmelreich ist gleich einem Könige, der seinem Sohne Hochzeit machte.” (Matthäus 22,2)

LeerDementsprechend sieht der Apostel Paulus die Gemeinde hochzeitlich. „Christus hat die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben, um sie heilig und rein zu machen durch das Wasserbad im Wort. So wollte er die Kirche in strahlender Herrlichkeit als seine Braut sich zuführen, ohne Flecken und Runzeln oder dergleichen; heilig und ohne Fehl sollte sie sein.” (Epheser 5,26). Und an andrer Stelle (2 Korinther 11,2): „Ich eifere um euch mit göttlicher Leidenschaft. Habe ich euch doch einem Manne verlobt, um euch als reine Jungfrau IHM, Christus, zuzuführen” (Übersetzung: U. Wilckens). Apostolische Praxis ist hochzeitlich bestimmt. Sie ist eine Leidenschaft für die Festlichkeit, auf die hin sie unterwegs ist als dem Ziel der Vollendung.

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LeerDas himmlische Jerusalem, dem sie durch alle Schrecknisse und Katastrophen entgegen wandert, schildert der Verfasser der Offenbarung in leuchtenden Farben. Die Tore sind aus Perlen, und die Straße aus reinem Gold wie durchsichtiges Glas (21,21). Johann Matthäus Meyfart hat die Gottesstadt mitten im Dreißigjährigen Krieg als das Ziel christlicher Sehnsucht besungen, die uns bei der Lichterprozession des Michaelsfestes jedesmal aufs neue ergreift: „O schöner Tag und noch viel schönre Stund, wann wirst du kommen schier, da ich mit Lust, mit freiem Freudenmund die Seele geh von mir in Gottes treue Hände zum auserwählten Pfand, daß sie mit Heil anlande in jenem Vaterland.” Und Terstegen nimmt diese Sehnsucht hinein in sein Abendlied: „O Ewigkeit, so schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit.”

LeerEine solche Gewöhnung könnte auch die Feier des Gottesdienstes mit der Verkündigung des Wortes, und der Feier des Heiligen Mahles, mit Gebet und Lobgesang vermitteln. Die Russische Orthodoxe Kirche verdankt ihren Anfang einem Schönheitserlebnis in der Hagia Sophia in Byzanz. Der heidnische Großfürst von Kiew, Wladimir, sandte eine Anzahl von Boten aus mit dem Auftrag, die jüdische, die römisch-katholische und die byzantinische Religion in ihren Gottesdiensten zu studieren. Es war dann schließlich die orthodoxe Liturgie, die auf die heidnischen Kundschafter den stärksten Eindruck machte. Sie berichteten ihrem Fürsten, sie hätten da nicht gewußt, ob sie noch auf der Erde oder schon im Himmel gewesen seien. Darauf befahl Wladimir die Annahme des orthodoxen Glaubens in seinem Herrschaftsbereich. In den folgenden Jahrhunderten wurde an der übernommenen Liturgie nichts geändert. Sie hat aber bis heute ihre faszinierende Kraft nicht verloren. Die westlichen Völker werden dem Beispiel Wladimirs nicht folgen können. Aber die für die Gestalt unserer herkömmlichen Gottesdienste Verantwortlichen täten gut daran, den Glauben weckenden und Glauben stärkenden Wert des Schönen zu bedenken - ohne Angst vor dem „Novum”, das in Wahrheit ein „Vergessenes” ist.

Quatember 1988, S. 206-210

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-12
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