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„Assisi 1988” oder: Nicht allein gehen...
von Heinz Grosch

LeerZu Pfingsten 1989 werden sich Vertreter der europäischen Christenheit in Basel treffen, um gemeinsame Schritte im konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zu tun -Schritte auf dem Weg der Umkehr, zu der uns das Evangelium ruft. Aber ist es wirklich ein Weg der Christenheit? Gibt es nicht auch in der Kirche selbst Kräfte und Gruppen, die diesen Weg mit skeptischen Blicken, ja mit Ablehnung verfolgen? Hier werde das theologische Profil der Konfessionen verwischt, sagen die einen. Andere sehen in den Grundthemen des konziliaren Prozesses ‚weltliche’ Fragen, die der Glaube entweder dem Sachverstand der Politiker oder aber dem Plan Gottes mit der Welt zu überlassen habe. Schließlich: Leitende Amtsträger der Kirche(n) zögern, wo es um klare Worte gehen könnte. In den volkskirchlichen Gemeinden scheint es kaum ein Echo auf die Fragen zu geben, die mit den drei Leitbegriffen der ökumenischen Diskussion umschrieben sind. Einzelne Gruppen nur, kleine Zellen und Kreise in den Gemeinden, einige Kommunitäten denken darüber nach, beten um gangbare Wege.

LeerAuf diesem Hintergrund muß der „Ökumenische Dialog” verstanden werden, zu dem mehr als 500 Schwestern und Brüder nach Assisi gekommen waren, eingeladen von den franziskanischen Kommissionen für Gerechtigkeit, Frieden und Ehrfurcht vor der Schöpfung in Zusammenarbeit mit „Church and Peace”, dem internationalen Versöhnungsbund und Pax Christi. Daß in die Zeit des Treffens (6.-12. August 1988) mehrere Gedenktage fielen, war ein Zeichen eigener Art: die Erinnerung an den Atombombenangriff auf Hiroshima, Wiederkehr des Todestages von Edith Stein, das Gedenken an Klara, die Gefährtin des Franziskus. Die Spur des Menschgewordenen mitten in der Welt des Todes war gegenwärtig, das spürten alle: Katholiken und Reformierte, Lutheraner und Baptisten, Ordensleute und evangelische Schwestern, Gemeindeglieder aus der DDR, aus England und Frankreich, Skandinavier und Österreicher, Frauen (mehr als die Hälfte!) und Männer.

LeerDer große und heterogene Teilnehmerkreis fand jeden Tag neu zum Gespräch zusammen: vom Morgengebet über die Gespräche in 26 Kleingruppen, das mittägliche Singen, die Plenumsveranstaltungen am Nachmittag und anschließende „Workshops” bis zum großen Abendgottesdienst. Den Schluß bildete eine Stunde vor Mitternacht die vor allem von Niederländern getragene Mahnwache auf dem Marktplatz. Eine Gebetsnacht im Gedenken an die Opfer von Hiroshima (von einer ökumenischen Gruppe aus Hannover und uns Michaelsbrüdern gestaltet), Wanderungen zu den Stätten des Heiligen Franz und ein abendliches Fasten setzten zusätzliche Akzente.

LeerJoachim Garstecki, katholischer Theologe und Mitarbeiter für den konziliaren Prozeß beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, leitete zunächst zur Besinnung darüber an, in welchen Kontexten die Begegnung von Assisi als Anrede Gottes wahrzunehmen wäre: im Zusammenhang der konziliaren Bewegung in der Ökumene, vor dem Hintergrund der politischen Veränderungen in Europa und unter dem Anspruch der Tradition franziskanischer Spiritualität. Als zentrale Aufgabe beschrieb er die „Bekehrung zueinander”. Es gehe darum, „in Selbstverständnis und Praxis des anderen genau den Teil der Wahrheit zu entdecken, der meiner eigenen Identität fehlt, um voll mit ihr versöhnt zu sein”. Die Christenheit lerne erst neu wieder zu begreifen, daß „die fundamentale Gemeinsamkeit des Neuen Bundes ... tiefer reicht als unsere klassischen Trennungen”.

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LeerDie mit geistlicher Kraft entwickelten Gedanken mündeten in eine theologische Wegmarkierung ein, die für mich ein neues Licht auf Philipper 2,5-11 warf: „Die Bewegung der Umkehr... betrifft alle Menschen, die erkennen, daß unsere bisherige Praxis, Gerechtigkeit zu verweigern, Frieden zu ‚sichern’ oder die Natur zu mißbrauchen, zukunftslos für die Menschheit und gnadenlos für die Hoffnung ist... Der konziliare Prozeß benennt Fragen, die alle Menschen angehen. Wir dürfen diese Fragen nicht im ‚Arkanum’ (im Geheimen, Anm. der Red.) unserer Kirchen verhandeln ... Die Dringlichkeit der Sache gebietet es, unsere Glaubenserkenntnis in vernünftige, säkulare Argumentation zu ‚übersetzen’, sie zu entäußern in ‚menschliche Überlebensvernunft’ ... Die Umkehr, die aus unseren Quellen möglich ist, kann für andere zur Einladung werden, ebenfalls umzukehren.”

LeerEin Resümee der Vorträge von Hildegard Goss-Mayr („Werkzeug seines Friedens werden”) oder von Bischof Claudio Hummes, Säo Paulo, über den Zusammenhang zwischen der Not und dem Elend in der 3. Welt und dem Schuldendienst der armen Nationen gegenüber den Industriestaaten wiederzugeben, würde über den Rahmen dieses Berichtes hinausgehen.

LeerDafür aber zwei besonders eindrückliche Berichte aus dem Plenum: der einer Baptistengemeinde aus Lille, die sich der Gestrandeten, ins Elend Geratenen annimmt und erste Hilfen gibt, medizinische Betreuung, Wohnungsvermittlung, Hilfe für Arbeitslose und Einwanderer. Über der Arbeit dieser Gemeinde, die das Leiden um sich her als Herausforderung des Glaubens versteht, ist es zu engen Beziehungen mit Christen anderer Herkunft gekommen: „Die Armen einigten uns...”

LeerDie zweite Stimme, die ich nicht vergessen werde, war die von Rosemary Lynch, einer zierlichen alten Frau, Franziskanerin, die mit ihren Schwestern am Rande des Atomtestgeländes von Nevada (indianisch „Mutter Erde”) lebt. In gewaltfreien Aktionen (Blockaden der Zufahrten und Wiederanpflanzungen von Kakteen) versuchen sie, auf die Schändung und den Mißbrauch dieser einst lebenden Wüste aufmerksam zu machen. Durch hunderte von Atomexplosionen ist dort das Land teilweise so stark verseucht, daß es niemals wieder von Menschen betreten werden kann. Für Sr. Rosemary, die wegen ihrer „Rechtsbrüche” mehrfach zu Gefängnis verurteilt wurde, ist die Wüste im biblischen Sinn der Ort des „Durchbruchs zu Neuem”, des „Tests für uns selber”: ob wir uns zur Anbetung der Macht verführen oder zum Dienst des Heilens herausrufen lassen; ob wir Komplizen (Mittäter) der Sünde oder Komplizen (Vertraute und Helfer) der Schöpfung Gottes sein wollen.

LeerDiese Frage zog sich auch durch die Gottesdienste, bedingt durch die geistliche Überlieferung dieses Ortes. Sie wurden wohl von allen als Brennpunkte und Kraftzentren empfunden: die festliche Messe in der Basilika S. Francesco, die evangelische Eucharistiefeier nach der Lima-Liturgie, das orthodoxe Abendgebet oder der freikirchliche Abendgottesdienst, der mit einem Reigen auf dem Vorplatz von S. Pietro endete, die Meditation des „Sonnengesangs”.

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LeerAm letzten Abend schließlich der feierliche Gottesdienst mit Bischof Antonio Bello: Versammlung im Hören auf das Evangelium, das in Gestalt einer szenischen Predigt laut wurde; Versammlung des Dankes und Bittens um neue Kraft; Versammlung derer, die in Brot und Wein das Geschenk der communio erfahren. Zwölf Priester und zwölf Frauen teilten jeweils zu zweien die heilige Speise aus - Stärkung für das Gottesvolk, das unterwegs ist. Drei Anmerkungen zu den Gottesdiensten:

1. Das Verbindende für die so verschiedenen Menschen waren vor allem die Gesänge von Taize. Von ihnen her ergab sich auch ein Zugang zu den Hymnen der Ostkirche und der westlichen Traditionen, zu den Hoffnungsliedern der schwarzen Schwestern und Brüder Südafrikas, zu den Spirituals und den „neuen” Liedern.

2. Die äußerlich unterschiedlichen Formen fanden ihre Klammer in der Feier der Messe: Der vertraute Weg vom Kyrie und Gloria zum Wort und Sakrament bis hin zum Segen über das weiterziehende Gottesvolk bot Raum für vielstimmiges Gotteslob.

3. Beglückend nicht zuletzt die Wiederentdeckung des Zeichens, das den ganzen Menschen meint, nicht nur in den Sakramentsgottesdiensten.

LeerEine Frage aus diesen Tagen könnte den Hoffnungen gelten, die sich an „Assisi 1988” knüpfen: Weshalb waren mehr als 500 Christen dem Ruf der franziskanischen Brüder gefolgt? Ich muß daran denken, daß zur gleichen Zeit in Hannover der ÖRK-Zentralausschuß tagte. Seine Delegierten repräsentieren 400 Millionen Christen. Die meisten der in Assisi Versammelten repräsentierten (im juristischen Sinn) niemanden. Ich vermute: Sie kamen, um sich Mut machen zu lassen; um zu fühlen, daß „wir viele ein Leib in Christus sind”, um Kraft zu gewinnen gegen die lähmende Müdigkeit, die sich mit der Sonntags-Gemeinde von einer Wochenstunde zufrieden gibt; um die Hoffnung zu stärken in einer Welt, die sich nach wirklicher Heilung ausstreckt.

LeerEtwas von der Glaubenshoffnung der Edith Stein („Wohin das göttliche Kind uns führen wird, das wissen wir nicht und sollen wir nicht vor der Zeit fragen”) klingt durch die Schlußbotschaft hindurch: „Wir sind aufgebrochen, den Weg der Gerechtigkeit und des Friedens zu gehen, dazu gedrängt aus Ehrfurcht vor Gottes Schöpfung, dazu von Gott gerufen durch Jesus Christus, dazu bewogen von Menschen wie Franziskus und Klara.”

Leer Die Botschaft des Ökumenischen Dialogs schließt mit den Sätzen: „In unseren jeweiligen Kirchen soll der konziliare Weg, auf dem wir hier einige Schritte taten, seinen Fortgang finden. Wir haben in Assisi erfahren, daß wir den Weg nicht allein gehen wollen ... Mit Franziskus und Klara grüßen wir alle - pace e bene, Frieden und Gutes!”

Quatember 1988, S. 220-222

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-12
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