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Zur Ökumenischen Dimension von EKG 159
von Wolfgang Klinge

LeerLied Nr. 159 des Evangelischen Kirchengesangbuches gehört wohl mit zu den bekanntesten und häufig gesungenen Liedern. Daß es aber gekürzt und bearbeitet worden ist, wissen wohl die wenigsten. Auf diesen Hinweis stieß ich beim Durchblättern des Handbuches zum EKG von Kulp und machte mich auf die Suche nach dem ursprünglichen Text. Ich habe ihn dann in meiner Gesangbuchsammlung gefunden. Er folgt gemeinsam mit dem veränderten Text aus dem EKG:

Allgemeines Gesangbuch Schleswig-HolsteinEvangelisches Kirchengesangbuch
Du gingst, o Heiland, hin, für uns zu leiden,
erwarbst uns allen deines Himmels Freuden
und starbst, vom Fluch uns, und von allem Bösen
uns zu erlösen.
 
Das sollen deine Jünger nie vergessen:
die wir von einem Brot und Opfer essen,
von einem Kelche trinken; alle Brüder,
und deine Glieder.
Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen:
wir sind, die wir von einem Brote essen,
aus einem Kelche trinken, alle Brüder
und Jesu Glieder.
Dein heilig Mahl gebietet den Gemeinen,
durch einen Geist mit dir sich zu vereinen,
daß unter einem Hirten eine Herde
aus allen werde.
 
Wir sind mit einem Opfer Gott erkaufet,
wir alle sind auf einen Tod getaufet,
daß jeder nun mit gleichem Ernst und Triebe
den andern liebe.
 
Wie darf denn die, die einen Herrn bekennen,
der Streit, wer mehr Erkenntnis habe trennen?
Und Herzen, die sich eines Heilands freuen,
zum Haß entzweien.
 
Soll denn, wer stark ist, nicht die Schwächern tragen?
Soll er der Einigkeit der Lieb' entsagen?
Und deine Güte schonte doch der Schwachen,
sie stark zu machen
 
Wenn wir, wie Brüder, beieinander wohnten,
und, irrt ein Bruder, seine Schwäche schonten:
wie würden wir dir ähnlich schon auf Erden,
wie selig werden.
Wenn wir wie Brüder beieinander wohnten,
Gebeugte stärkten und der Schwachen schonten,
dann würden wir des letzten heilgen Willen
des Herrn erfüllen.
Der danke, wer mehr Licht hat; er sei weise,
nicht sich nur zu Gefallen; dir zum Preise
sei ers den Brüdern und, an Einsicht größer,
sei er auch besser!
 
Er wisse, daß die Wahrheit, gleich der Sonne,
erst Morgenrot ist, eh in voller Wonne,
sie, wenn ihr Mittagsglanz die Erde schmücket,
das Aug entzücket.
 
Er liebe mehr, damit, wer irrt, aus Liebe
sich freier in der Wahrheit Prüfung übe,
und gern zum Lichte frei vom Bruderhasse,
sich leiten lasse.
 
Auch dazu müsse deine Lieb uns dringen!
Du wollest, Herr dies große Werk vollbringen,
daß unter einem Hirten, eine Herde
aus allen werde.
Ach, dazu müsse Deine Lieb uns dringen!
Du wollest, Herr, dies große Werk vollbringen,
daß unter einem Hirten eine Herde
aus allen werde.

LeerEs wäre sicher interessant zu wissen, wie es zu dieser Textveränderung kam, und wer diese vorgenommen hat. Die in meinem Besitz befindlichen Gesangbücher lassen da keine Rückschlüsse zu.

LeerWer das Lied in seiner vollen Länge liest, wird eine Reihe sehr unterschiedlicher Beobachtungen machen. Da ist zunächst die lehrhafte Dichtung des frommen Rationalisten Johann Andreas Cramer. Man spürt beim Lesen den erhobenen Zeigefinger. Cramer vereinigt eine Reihe dogmatischer Einzelgesichtspunkte unter der Thematik des Heiligen Mahles, ein Gedankengang aber eilt den späteren theologischen Entwicklungen weit voraus. Die ökumenische Weite des Liedes ist unübersehbar. Was er in der fünften Strophe beklagt, ist heute als Skandalon erst richtig in das Bewußtsein der Konfessionen geraten, nämlich daß der Streit um „mehr Erkenntnis” Menschen trennt, wo sie doch das gemeinsame Bekenntnis eint, eine Trennung auch beim Heiligen Mahl.

LeerDabei spielt für ihn offensichtlich Röm. 15, 1f. als „ökumenisches” Argument eine wichtige Rolle. Wie weit Gramer in seinem eigenen Leben und theologischen Denken ökumenisch zu bezeichnen ist, konnte ich leider nicht klären, und ebensowenig, was sein ökumenischer Ansatz, der in diesem Lied deutlich wird, seinerzeit bewirkt hat.

LeerMan mag es kritisch sehen, daß Gramer die Frage nach der Wahrheit in der achten Strophe „ganz im Sinne der Lessingschen Ringparabel mit der Relativierung der religiösen Wahrheit” beantwortet (so Köhler, S. 274). Immerhin haben die letzten Jahrzehnte ökumenischer Arbeit gezeigt, daß die Frage nach der Wahrheit des Glaubens sehr viel differenzierter ist und mit einer einstufigen Logik - wahr oder falsch, ein drittes gibt es nicht - nicht beantwortet wird. Das Bild der aufgehenden Sonne, die erst am Mittag richtig strahlt, relativiert weniger eine relative religiöse Wahrheit, sondern hat viel eher eine wachsende Erkenntnis im Glauben im Sinn, wobei, und das ist ein Tenor des ganzen Liedes, der in der Erkenntnis weiter Vorangeschrittene eben „des Schwachen schont”.

LeerDas Urteil von Kulp trifft zu: „Durch kleine Änderungen im Wortlaut ist zwar ein nicht bedeutendes, aber ansprechendes Lied entstanden, das den in vielen Abendmahlsliedern schmerzlich vermißten Gedanken von der brüderlichen Gemeinschaft der Glieder am Leibe des Herrn besingt und das letzte große Ziel „Eine Herde und ein Hirt" ins Auge faßt” (S. 247). Festzuhalten wäre, daß ausgerechnet ein Rationalist den Gedanken der communio, der Einheit am Tisch des Herrn aufnimmt, wo doch ein rational-moralischer Appell gegen sittliche Laxheit näher gelegen hätte. Denn das ist ja eine der Konfliktebenen, auf die sich Cramer als Hofprediger in Kopenhagen eingelassen hatte. Vielleicht ist hier die Stärke und der Beitrag eines, wenn auch frommen, Rationalismus für unseren Glauben, daß er solche Fragestellungen aufnehmen kann und so ein Stück biblischer Wahrheit sichtbar macht, die anderswo verlorengegangen wäre. An dieser Stelle lohnt sich die Auseinandersetzung wirklich.

Literatur:
Evangelisches Kirchengesangbuch, Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Hamburg 39 1976
Allgemeines Gesangbuch für Schleswig-Holstein, o. J.
Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch Bd. II/2, Rudolf Köhler, Die biblischen Quellen der Lieder, Göttingen 1965, zit: Köhler
Handbuch zum EKG/Sonderband: Kulp/Büchner/Fornagon, Die Lieder unserer Kirche, Göttingen 1958, zit.: Kulp

Quatember 1989, S. 16-18

[In EG 221 sind weitere Änderungen vorgenommen, hier die Gegenüberstellung EKG und EG:

Evangelisches KirchengesangbuchEvangelisches Gesangbuch
Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen:
wir sind, die wir von einem Brote essen,
aus einem Kelche trinken, alle Brüder
und Jesu Glieder.
Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen:
wir sind, die wir von einem Brote essen,
aus einem Kelche trinken, Jesu Glieder,
Schwestern und Brüder.
Wenn wir wie Brüder beieinander wohnten,
Gebeugte stärkten und der Schwachen schonten,
dann würden wir den letzten heilgen Willen
des Herrn erfüllen.
Wenn wir in Frieden beieinander wohnten,
Gebeugte stärkten und der Schwachen schonten,
dann würden wir den letzten heilgen Willen
des Herrn erfüllen.
Ach, dazu müsse Deine Lieb uns dringen!
Du wollest, Herr, dies große Werk vollbringen,
daß unter einem Hirten eine Herde
aus allen werde.
Ach, dazu müsse Deine Lieb uns dringen!
Du wollest, Herr, dies große Werk vollbringen,
daß unter einem Hirten eine Herde
aus allen werde.

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-23
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