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Auf den Spuren Francescos (II)
„Über den Schatten springen ...”
von Heinz Grosch

LeerVorgezeichnete Wege schienen es zu sein, auf denen Franziskus und seine junge Gefährtin Klara ihren Glauben lebten: er, der Stifter der Gemeinschaft, mit den Brüdern in Portiuncula oder auf seinen Reisen durch Italien, nach Spanien, Ägypten und ins Heilige Land - sie, die um zwölf Jahre jüngere Anhängerin, mit den Schwestern in San Damiano, drei, vier Kilometer von der Kommunität der Brüder entfernt. Was sie verband, war das Gebet und das Wissen um den Einen Herrn und seinen Auftrag.

LeerAber auch geistliche Gemeinschaft braucht Austausch und Nähe. Und so bittet Klara ihren Bruder und geistlichen Vater, nach langer Zeit wenigstens einmal wieder gemeinsam mit ihr zu essen. Ein bescheidenes Ansinnen, auch in den Augen der Brüder, doch Franziskus lehnt ab. Er mag an die Regel gedacht haben, die er selbst den Brüdern gegeben hatte und in der sich die Warnung „vor unlauterem Blick und Umgang mit Frauen” findet; „keiner soll sich allein mit ihnen beraten ... oder mit ihnen aus einer Schüssel essen.” Hat der fromme Mann Angst? Sorgt er sich, er könnte ein schlechtes Beispiel geben? Fürchtet er die Zuneigung seiner Schülerin auf dem geistlichen Pfad? Immerhin berät er sich aber mit seinen Genossen, und sie teilen seine Bedenken nicht:
„Vater, uns scheint, daß diese deine Strenge nicht der göttlichen Liebe entspreche, da du der Schwester Klara, einer so heiligen und von Gott geliebten Jungfrau, einen so geringen Wunsch .. nicht erfüllen magst. O bedenke doch, daß sie um deiner Predigt willen den Reichtum und den Prunk der Welt verließ. Wahrlich, bäte sie dich auch um eine noch größere Gunst als diese, ihr, der du deinen Geist eingepflanzt hast, müßtest du sie erfüllen!”
LeerSeine Reaktion ist die des Glaubens, und zum Glauben gehört das Hinhören auf die Mit-Glaubenden.
„Scheint es euch gut”, erwidert er, „so scheint es auch mir gut! Damit ihre Freude aber noch größer sei, wünsche ich, daß wir in Santa Maria degli Angeli speisen. Denn sie war lange Zeit in Santo Damiano eingeschlossen, und es wird sie freuen, die Kirche Santa Maria zu sehen, wo sie die Tonsur erhielt und zur Braut Christi geweiht wurde. Dort wollen wir in Gottes Namen gemeinsam speisen.”
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LeerDer befreiende Zuspruch der Brüder schenkt Franziskus die Kraft, mehr zu tun, als nur über seinen eigenen Schatten zu springen. Weil er der „göttlichen Liebe” Raum gibt, vermag er sich in den Wunsch Klaras einzufühlen. Seine Phantasie ist lebendig genug zu wünschen, daß das Mahl genau dort stattfinden möge, wo sie (mit menschlichen Augen betrachtet) ganz auf einen gemeinsamen Weg zu verzichten schienen - und doch gerade so ihre Wege zu einem werden ließen. Von seiner eigenen, sehr männlichen Regel lassend, kann Franziskus ja sagen zur Ordnung Gottes, und das bedeutet: zur ordnenden Phantasie der Liebe.

LeerDas Mahl fand statt, aber es sollte Folgen haben. Als Franziskus und Klara, eine ihrer Mitschwestern und einer der Gefährten des Heiligen zu ebener Erde Platz genommen hatten (so heißt es in der XV. Legende der „Blümlein”),
da erblickten die Bewohner von Assisi und Bettona und der Bezirke im Umkreis, wie Santa Maria degli Angeli und das ganze Kloster, nebst dem Walde, welcher damals an das Kloster grenzte, in hellen Flammen standen; es schien, als wälzte sich ein gewaltiges Feuer um Kirche, Kloster und Wald. Deshalb liefen die Männer in Eil' und Hast herbei, die Glut zu löschen, denn wahrhaftig, sie glaubten, alles brenne! - Doch als sie zu dem Kloster kamen und keinerlei Feuer gewahrten, traten sie ein und fanden Sankt Franziskus und Sankta Klara und die Brüder allzumal entzückt vor Gottes Angesicht bei dürftigem Mahl sitzen. - Wahrlich, da erkannten sie, daß das Feuer göttlich und nicht irdisch war...
LeerWas die Legende als gottgewirktes Wunder besingt - wer müßte nicht an das Pfingstgeschehen denken? - ist der Lebensatem, der von einer solchen Gemeinschaft, von einer solchen Gemeinde ausgeht. Hier beginnt sich etwas von dem zu verwirklichen, was der Jesus des Johannes-Evangeliums von sich sagt und zugleich uns allen verheißt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.” (Joh. 10,10) Hier wird anschaubar, was der Apostel Paulus als Frucht des Glaubens beschreibt: daß da „nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau” sei, sondern sie sind „einer in Christus”. (Gal. 3,28)

LeerDies zu erkennen, kann nicht bedeuten, die Wirklichkeit der Schöpfung zu überspringen oder gar zu verdrängen und zu verleugnen. Mensch-Sein heißt allemal Mann- oder Frau-Sein. Aber diese Unterschiedenheit, aus der in der gefallenen Menschenwelt immer wieder die angstbesetzte Abwehr des bedrohlichen Anderen und Andersartigen wird, soll verwandelt werden - dort, wo wir uns „in Christus”, in der „göttlichen Liebe” finden. Sie soll verwandelt werden in Geschwisterlichkeit, in ein Leben, das sich aus der gleichen Quelle nährt. Leibliche Geschwister haben ihr Leben von der gleichen Mutter empfangen. Geistliche Geschwisterschaft entsteht dort, wo Menschen aus dem einen Geist Jesu Christi leben. Wo dieser Leben schenkende, zueinanderführende Geist aufleuchtet, da kann es geschehen, daß die Menschen erschreckt und hoffnungsvoll herzulaufen, um das Wunder aus der Nähe zu sehen ...

LeerDie Legende schließt mit der Bemerkung, daß die herbeigeeilten Bewohner der Gegend „voller Glückseligkeit und frommer Erbauung im Herzen” nach Hause zurückkehrten - so, wie auch Klara „seit dieser Zeit von tiefer Glückseligkeit erfüllt” gewesen sei. Ich denke, zu diesen glückseligen Menschen müssen auch Franziskus selber und seine Brüder gehört haben.

Quatember 1989, S. 78-80

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-23
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