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Auf den Spuren Francescos (III)
„... mit beiden Händen”
von Heinz Grosch

LeerEine der ersten Stationen des Weges, auf dem der Heilige aus Assisi Gottes Stimme zu hören lernte, war die Begegnung mit dem Aussatz. In unserer scheinbar so geordneten Welt ist dieses Leiden selten geworden, aber Krankheiten wie Aids erinnern uns wieder daran, daß es diese Zeichen des Todes gibt: mitten im Leben. Wo sie erscheinen, droht die Fähigkeit des Mit-fühlens (der „Sym-pathie”) zu ersticken. Die Angst vor den Zeichen des Todes erweist sich als stärker und schiebt sich wie eine gläserne Wand zwischen uns und die „Infizierten” - ob sie am Leibe oder an der Seele oder an beidem leiden. Der Kampf mit solchen Wänden begleitete das ganze Leben des Franziskus, und die XXV. Legende aus den „Blümlein” erzählt, daß auch etliche seiner Brüder sich diesem Kampfe verschrieben. In einem Spital, das sie betreuten,
war ein Aussätziger, der sich so ungeduldig, unerträglich und frech gebärdete, daß es allen ganz unzweifelhaft erschien - wie es auch der Wahrheit entsprach - daß er von einem Dämon besessen sei. Denn mit unverschämten Worten, ja sogar mit Schlägen vergalt er denen, die ihm dienten. Und was noch schlimmer ist, er fluchte gar ruchlos dem gebenedeiten Christus und seiner heiligen Mutter, der Jungfrau Maria.
LeerIst es wirklich so schwer, die Reaktionen der helfenden Brüder zu verstehen? Ihren Zorn? Ihre Ohnmacht, noch länger bei dem Kranken auszuhalten? Ihre Zweifel, ob man seine Lästerungen weiter dulden dürfe? Ihre Enttäuschung angesichts seiner Undankbarkeit? Als sie Franziskus davon erzählen, will er selbst sein Glück bei dem Kranken versuchen:
Da er eintrat, grüßte er ihn und sprach: „Gott gebe dir Frieden, mein liebster Bruder!” Erwiderte der Aussätzige: „Welchen Frieden kann ich von Gott erhoffen, der mir den Frieden und alles Gute genommen hat und mich faul und stinkend werden ließ?”
LeerDer fromme Gruß des Heiligen verfängt nicht, und die Mahnung an den Aussätzigen, seine Krankheit als Gabe Gottes „zum Heil der Seele” anzunehmen, wird höhnisch zurückgewiesen. Selbst den gutgemeinten Dienst der Brüder empfindet der Leidende als Qual und Last, weil sie nicht das geben können, was er erhofft.

LeerFranziskus - so erzählt die Legende - weiß sich keinen anderen Rat, als „voller Inbrunst für ihn zu Gott zu flehen”. Dann geht er erneut zu dem Kranken und spricht mit ihm:
„Mein Sohn, jetzt will ich, da du mit den anderen nicht zufrieden warst, dir dienen!” „Gut”, erwiderte der Kranke, „aber was wirst du mehr für mich tun können als die anderen?” Und Sankt Franziskus antwortete: „Was du willst, werde ich tun!” Da sprach der Aussätzige: „Ich will, daß du mich ganz und gar waschest, denn ich stinke so sehr, daß ich mich selbst nicht mehr ertragen kann!”
LeerFranziskus tut, was er in dieser Lage tun kann. Keine wundersamen Heilmittel werden herbeigeschafft, und keine Teufelsaustreibung findet statt. Nur Wasser mit duftenden Kräutern läßt der Heilige aufkochen, und dann beginnt er, den Aussätzigen zu waschen. Wir nehmen wahr, was Franziskus mit dieser einfachen Geste sagt: „Du kannst dich nicht ertragen? Ich kann dich gut verstehen. Aber ich will versuchen, dich mitzutragen und mitzuertragen, und die wohlriechenden Krauter werden mir dabei helfen ...”

LeerDaß der Heilige einen seiner Brüder für diese Arbeit um Hilfe bittet, will mir ebenso wichtig erscheinen wie der Hinweis, er sei „mit beiden Händen” ans Werk gegangen. Es gibt Aufgaben, denen wir uns nur gemeinsam mit anderen stellen können. Es gibt Situationen, in denen es sich verbietet, das Notwendige nur „mit der linken Hand” zu tun (zumal wenn es um das Leben von Menschen geht). Über die Hände, die den kranken Leib berühren, spürt der Aussätzige, daß hier Liebe ins Spiel kommt - eine Liebe, die sich auch durch Schmähungen und Schläge nicht abweisen lassen will.
Und durch göttliches Wunder geschah es, wo ihn Franziskus ... berührte, da schwand der Aussatz, und der Körper ward völlig geheilt. Aber ebenso wie der Leib zu genesen anhub, so begann auch seine Seele zu heilen. Denn als der Aussätzige sah, daß er gesundete, da fing er an, aufrichtige ... Reue über seinen Sünden zu empfinden und gar bitterlich zu weinen, so daß, wie äußerlich sein Leib durch die Waschung vom Aussatze rein ward, so innerlich seine Seele sich ... von der Sünde löste.
LeerDie Heilung, die sich unter den Händen der Liebe vollzieht - vorausgesetzt, solche Hände sind da -, erfaßt den ganzen Menschen.

LeerMit all dem ist die Spur des Todes in der Welt nicht einfach ausgelöscht. Die Legende überliefert, der Geheilte sei nach einer zweiwöchigen Bußzeit an einem anderen Leiden erkrankt und gestorben. Aber wie die kurze Zeit zwischen Heilung und Tod - vielleicht müßten wir sagen: zwischen Liebe und Ziel - eine gesegnete Zeit war, so steht nun auch das Ende unter dem segnenden Licht Gottes. „Ich gehe heim ins ewige Leben”, kann der ehemals Aussätzige zu Franziskus sagen, bevor er diese Welt verläßt. Er geht hoffnungsvoll heim, in das Leben, dem er schon in der Welt begegnen durfte: weil einer bereit war, ihn und seine Last mitzutragen (Gal 6,2) - weil einer bereit war, den „Fremden ohne Bürgerrecht” als „Mitbürger und vertrauten Freund” (Eph 2,19) anzunehmen.

Quatember 1989, S. 152-154

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-23
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