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Auf den Spuren Francescos (IV)
Weihnachten - "greifbar mit leiblichen Augen"
von Heinz Grosch

LeerAuch in der Kirche kann es zuweilen Dinge geben, die uns in die Irre führen: Sätze, die wir als Konfirmanden gelernt haben, können es sein - aber auch gelehrte Auslegungen der Heiligen Schrift, Predigten - auch das, was jemand neben uns in der Bibelstunde oder im Hauskreis sagt. Manches, was wir da hören, kann den Eindruck erwecken, es gehe beim Glauben vor allem um eine bestimmte Art von Gedanken oder Gefühlen. Um Gedanken, die wir zu bestimmten Zeiten haben müßten - um Gefühle, die wir bei bestimmten Anlässen zu pflegen hätten. Der aber, von dem da in der Kirche die Rede ist, scheint weit weg zu sein. "Niemand hat Gott je gesehen", heißt es ja sogar im Neuen Testament und "er wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann." Für viele unter uns scheint er nur noch an besonderen Punkten des Lebens (bei Hochzeiten oder angesichts des Todes), nur noch anläßlich der großen Feste für einen kurzen Augenblick und wie ein zufälliger Gast ins Bewußtsein zu treten. Advent und Weihnachten sind solche Gelegenheiten - oder deren Reste.

LeerVielleicht war das zur Zeit des Franziskus ähnlich. Wie sonst sollte sich erklären, daß dieser Mann im Dezember des Jahres 1223 etwas tat, was bis heute unvergessen geblieben ist? Zwei Wochen vor Weihnachten, so erzählt Thomas von Celano, der erste Biograph des Heiligen (1), ließ Franz einen Bewohner des Dorfes Greccio zu sich rufen und sagte zu ihm:
"Wenn du wünschtest, daß wir bei Greccio das bevorstehende Fest des Herrn feiern, so gehe eilends hin und richte sorgfältig her, was ich dir sage. Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Betlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es... zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen." Als der gute und treu ergebene Mann das hörte, lief er eilends hin und rüstete an dem genannten Ort alles zu... Männer und Frauen jener Gegend bereiteten, so gut sie konnten, freudigen Herzens Kerzen und Fackeln, um damit jene Nacht zu erleuchten, die mit funkelndem Sterne alle Tage und Jahre erhellt hat... Nun wird eine Krippe zurechtgemacht, Heu herbeigebracht, Ochs und Esel herzugeführt, ...und aus Greccio wird gleichsam ein neues Betlehem. Hell wie der Tag wird die Nacht, und Menschen und Tiere wird sie wonnesam. Die Leute eilen herbei und werden bei dem neuen Geheimnis mit neuer Freude erfüllt. Der Wald erschallt von den Stimmen, und die Felsen hallen wider vom Jubel... Über der Krippe aber wird ein festlicher Gottesdienst mit dem heiligen Mahl gefeiert, und ungeahnte Tröstung darf der Priester verspüren. Da legt Franziskus die Levitengewänder an... und singt mit wohlklingender Stimme das Evangelium... Dann predigt er dem umstehenden Volk von der Geburt des armen Königs.
LeerIst es die Freude am Schauspiel, die den Einundvierzigjährigen dazu anleitet, das Geschehen von Betlehem so in Szene zu setzen? Hofft er, daß auch andere seine Freude teilen werden? Immerhin soll sich ja der Brauch, Weihnachtskrippen in Kirchen und Wohnungen aufzubauen, von Greccio aus in der ganzen westlichen Christenheit verbreitet haben.

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LeerIch denke aber, Franziskus wollte etwas anderes, als einen frommen und schönen Brauch ins Leben rufen, und diejenigen, die von jener seltsamen Weihnachtsfeier berichten, haben ihn sehr wohl verstanden. Franziskus stellt den Leuten vor Augen, nein: er macht ihnen be-greif-bar, um was es an Weihnachten geht. Er will ihnen zeigen, daß Gott seit jener Nacht der Christgeburt nicht mehr in unbekannter Ferne zu suchen ist. Er will ihnen zeigen, daß Er - Gott -sich mitten unter uns finden läßt. Er will ihnen zeigen, daß dies seit der Nacht von Betlehem dasselbe ist - Gott begegnen und: dem Menschen begegnen. Dem Mitgeschöpf, das sich ausstreckt nach Hilfe und Trost wie ein Kind, welches sich nicht selber helfen kann. (Mt 25,31-45) Dem Menschen, der zu uns kommt, in unsere Einsamkeit und Dunkelheit, der uns "auf seine Schultern legt" und uns nach Hause bringt wie der Hirte ein verirrtes Schaf. (Lk 15,1-7) Wo das geschieht, da schlägt Gott gleichsam die Augen auf. Deshalb erzählt die Legende, bei der nächtlichen Weihnachtsfeier im Rietital habe einer der Teilnehmer "ein wunderbares Gesicht", eine Vision gehabt:
Er sah nämlich in der Krippe ein lebloses Knäblein liegen: zu diesem sah er den Heiligen Gottes herzutreten und das Kind wie aus tiefem Schlafe erwecken. Gar nicht unzutreffend ist dieses Gesicht; denn der Jesusknabe war in vieler Herzen vergessen. Da wurde er in ihnen mit seiner Gnade durch seinen Diener Franziskus wieder erweckt...
LeerGott erwacht unter uns: als Kind unter Kindern, als Bruder unter Brüdern und Schwestern. Wo Menschen das begreifen, da kann ihr Leben eine neue Gestalt annehmen. Die Legende drückt es auf ihre Weise aus, wenn sie von den Wundern erzählt, die sich bei den Leuten von Greccio ereignet haben: Menschen und Tiere wurden von schweren Krankheiten und von den Folgen verschiedener Unglücksfälle geheilt, wenn sie mit dem Heu in Berührung kamen, das in der Krippe gelegen hatte. Wo Gott nahe ist, da soll Grenzen finden, was uns ängstigt und bedroht. Und ER selbst will diejenigen stärken, die Seine verwandelnde Kraft in die Welt hineinzugeben bereit sind - ER selbst will sie stärken: im Brot und im Wein, durch Seinen Leib und Sein Blut.

LeerAuf diesen nahen Gott zu vertrauen, das ist mehr, nein, das ist etwas anderes als nur eine bestimmte Art von Gedanken oder Gefühlen. Auf diesen nahen Gott zu vertrauen, das ist der Anfang einer Verwandlung, die uns selber betrifft; denn Gott will, daß wir "das Fleisch Jesu in dieser Welt werden" (so drückt es der amerikanische Franziskaner Richard Rohr aus). Und das bedeutet: "Wir werden Gottes Freude in der Welt... Aber wir werden zugleich das Leiden Gottes in der Welt. Wir tragen die Last, die Gott tragen muß, die Last für die Armen, für die Unterdrückten, für die Ungerechtigkeit, für die Dummheit der Welt... Wir werden nach beiden Richtungen ausgedehnt. Wir werden fähiger, uns zu freuen - und wir werden leidensfähiger.''(2) Nicht nur die Weihnachtsfeier von Greccio, sondern jedes Weihnachtsfest und jede Feier der Eucharistie erinnert uns daran, daß ER uns zum Ort Seiner Geburt machen will - damit die Welt mit leiblichen Augen erkenne und begreife: "Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige Sohn aber, der am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde von ihm gebracht." Und er sagt: "Wer mich sieht, der sieht den Vater.''

(1) Text nach Bd. 5 der Franziskanischen Quellenschriften (Werl 1988), S. 156-159
    Zur Krippenfeier von Greccio sei auch auf das soeben erschienene Heft "Franziskus feiert Weihnachten" von Anton Rotzetter verwiesen (Verlag am Eschbach 1989).
(2) Richard Rohr, Der wilde Mann (München 1986), S. 134

Quatember 1989, S. 215-217

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-23
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