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Die Anglikaner - ein Wegzeichen für die Ökumene
von Sigisbert Kraft

LeerIn den Medien, aber auch in der innerkirchlichen Sprache wird Ökumene nicht selten auf die Kurzformel 'Die beiden Kirchen' gebracht. Dies führt zu einer verengten Sicht: Kleinere Konfessionsgruppen kommen nicht mehr vor, ihre besonderen spirituellen und diakonischen Akzente und ihre Erfahrungen mit der Weitergabe des Glaubens bleiben außer Betracht.

LeerDies gilt vor Ort, aber erst recht im Blick auf die weltweite Christenheit. So auch für die anglikanische Kirchengemeinschaft, die auf dem europäischen Kontinent weithin unbekannt ist und die man entweder als 'englische Hochkirche' oder als protestantische Sonderform der englischsprachigen Welt einordnet. Es ist daher zu fragen, was wir aus dem Selbstverständnis und aus dem Leben der anglikanischen Kirchengemeinschaft, aus ihren Problemen, aber auch aus ihren Lösungsversuchen für uns hilfreich erkennen können.

1. Freiheit und Eigenständigkeit der Ortskirche

LeerSowohl das Wort 'anglikanisch' wie auch das Pochen auf kirchliche Freiheit und Eigenständigkeit haben in England eine längere Geschichte. 1215 verkündete König Johann ohne Land die 'Magna Charta', den Grundsatz, die anglikanische Kirche soll frei sein. Freiheit der Kirche bedeutet auch Bewahrung der Selbständigkeit der insularen Kirchenprovinz im Sinne einer eigenständigen Ortskirche. Dabei reichen die Auseinandersetzungen der englischen Kirche mit der zentralisierten päpstlichen Bürokratie in die Zeit des Exils von Avignon. Die geschlossene Gruppe der englischen Bischöfe unterstützte auf dem Konzil zu Konstanz den Gedanken einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern. Diese Reformideen blieben immer lebendig. Die Entscheidung Heinrichs VIII. hat ihre weitreichenden Folgen nur dadurch gewonnen, weil Erzbischof Thomas Cranmer und andere Bischöfe mit der Trennung von der Autorität Roms einen Weg zur Erneuerung der Kirche freigegeben sahen, die das Bewährte zu bewahren suchte.

2. Gemeinschaft im Gebet

LeerDie beiden wichtigsten Lebenshilfen für die anglikanische Kirchengemeinschaft sind das 'Book of Common Prayer' und - seit 14 Jahren - der 'Anglican Circle of Prayer'. Das erstmals im Jahr 1559 von Erzbischof Cranmer herausgegebene 'Buch des gemeinsamen Betens und der Verwaltung der Sakramente und der anderen liturgischen Formen und Ordnungen der Kirche' hat durch die Jahrhunderte seine bindende und geistlich befruchtende Kraft erwiesen. Die Gestalt des Buches hat sich einige Male gewandelt, dennoch bleibt die Grundstruktur: Stundengebet, Schriftlesung, Eucharistiefeier, Sakramente und das alles in dem  e i n e n  Buch für alle Stände der Kirche.

LeerDas ist für das anglikanische Amtsverständnis von großer Bedeutung. Die Kirche wird in ihrer Ganzheit aus Ordinierten und Gemeindegliedern, aus Männern und Frauen. Im Klerus ('minister'), dem Dienstamt, sieht man nicht nur den Repräsentanten Christi, sondern den Vertreter der ganzen Gemeinde vor Gott. Darum berufen sich die Befürworter der Frauenordination auf diese Ganzheit der Kirche, die von Männern und Frauen vertreten werden soll. Die Wiedereinfügung der verlorengegangenen Epiklese im eucharistischen Gebet ist für das Amtsverständnis bedeutsam: Der Heilige Geist ist es, der in der Kirche handelt. Auch daher wird die Frage gestellt, weshalb 'ministry' nur Sache der Männer bleiben solle.

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LeerZu einem wichtigen, bald weit verbreiteten Bindeglied wurde der 'Anglican Circle of Prayer', ein Büchlein, das dem weltweiten gemeinsamen Gebet für Personen und Gebiete dient. Da kommen nicht nur alle Länder und Diözesen und die dort Verantwortlichen vor, sondern auch jene, die sich selbst vom Kirchenbesuch und Sakramentenempfang ausgeschlossen haben, schließlich auch die Ratlosen und Enttäuschten, die Politiker und Leute von den Medien, alle anderen christlichen Kirchen, soziale und politische Institutionen. So beten weltweit auch jene füreinander, die in Sachfragen weit auseinander sind.

3. Reason

LeerZu den Gaben, durch die die christliche Gemeinschaft erkennen kann, was sie bekennen und was sie leben soll, zählen Anglikaner nicht nur Schrift und Tradition, sondern als drittes 'reason', einen nur schwer in ein einziges deutsches Wort zu übertragenden Begriff. Der gottgegebene Verstand und die Glaubens- und Lebenserfahrung, Nachdenken, Reflexion, Forschen - alles steckt in diesem Wort. Es geht um 'Glaubensbegründung', Glauben als 'vernünftigen Gottesdienst' (Rom 12,1). So wird denn auch als charakteristischer anglikanischer Weg genannt: der Glaube -niedergeschrieben, definiert, meditiert, bezeugt. "Gott spricht aber auch durch die Erfordernisse von Zeit und Stunde. Aber nicht der Zeitgeist, sondern Gottes Geist ist maßgebend", sagte ein Bischof bei der letzten Lambeth-Conference aller anglikanischen Bischöfe. Diese Sicht macht deutlich, in welch wirklich umfassender Weite Anglikaner 'Katholizität' verstehen und weshalb sie sich selbstverständlich als 'catholic' bekennen.

4. Ökumene

LeerIn der anglikanischen Gemeinschaft wird Ökumene nicht nur in zahlreichen Dialogen mit nahezu allen christlichen Kirchen realisiert. Die Anglikaner haben es nicht nur bei Dokumenten wachsender Übereinstimmung belassen, sondern je nach Möglichkeit in verschiedenen Formen der Verbindlichkeit neue Kircheneinheit begonnen. So haben sich in Bangladesh, Nord- und Südindien Anglikaner mit anderen Kirchen zusammengeschlossen und diese haben sich in die Sukzession des historischen Bischofs-, Priester- und Diakonenamtes gestellt, ohne daß die Authenzität ihres bisherigen Dienstes in Frage gestellt worden wäre.

LeerMit anderen Kirchen leben die Anglikaner in 'full communion', so u.a. mit den alt-katholischen Bistümern der Utrechter Union. Das entsprechende 'Bonn-Agreement' von 1931 stellt fest:

1. Jede Kirchengemeinschaft anerkennt die Katholizität und Selbständigkeit der anderen und hält ihre eigene aufrecht.
2. Jede Kirchengemeinschaft stimmt der Zulassung von Mitgliedern der anderen zur Teilnahme an (allen) Sakramenten zu.
3. Die volle kirchliche Gemeinschaft verlangt von keiner Kirchengemeinschaft die Annahme aller Lehrmeinungen, der sakramentalen Frömmigkeit oder liturgischen Praxis, die der anderen eigentümlich sind, sondern schließt ein, daß jede glaubt, die andere halte alles Wesentliche des christlichen Glaubens fest.

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LeerEinzelne anglikanische Kirchenprovinzen suchen Schritte zu einer modifizierten Sakramentsgemeinschaft auch mit solchen reformatorischen Kirchen, bei denen eine Übereinstimmung im Amtsverständnis und deshalb die volle Austauschbarkeit der Dienstämter noch nicht möglich ist. Ein solcher Schritt zwischen der Kirche von England und den evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik und der DDR steht vor der Ratifizierung. So haben die anglikanischen und die mit ihnen verbundenen Kirchen nicht nur ökumenische Theorien entwickelt, sondern suchen im Gehorsam gegenüber Jesus deren Umsetzung in die Praxis.

5. Die Lambeth-Conference

LeerSeit 1867 treffen sich in zehnjährigem Turnus die Bischöfe der anglikanischen Diözesen in aller Welt im Londoner Lambeth-Palace zur 'Lambeth-Conference', die brüderliche Verbindung schafft, jedoch keine rechtliche, nur moralische Kompetenz hat. Die Resolutionen der Weltbischofskonferenz müssen in sich so überzeugend und ausgewogen sein, daß sie von den einzelnen Provinzen und Diözesen angenommen werden können, die allein gesetzgeberische Vollmacht haben. Die Autorität der Konferenz besteht darin, daß in ihr die Fragen die Erfahrungen, aber auch die Ängste und Befürchtungen aus allen Diözesen der anglikanischen Welt im wahrsten Sinne des Wortes "mitgeteilt" werden und die Konferenz beraten und ringen muß, ohne die Entscheidung an eine höhere Autorität abgeben zu können.

LeerAuf der letztjährigen Lambeth-Conference war das Hauptthema für viele Einzelfragen: 'Autorität  d e r  Kirche' und 'Autorität  i n  der Kirche'. Aus der Vielfalt der Konferenzthemen seien hier nur zwei Vorgänge herausgegriffen, die für die gemeinsame ökumenische Aufgabe relevant sind.

Frauenordination

LeerIn der anglikanischen Kirchengemeinschaft haben Provinz- und Diözesan-Synoden allein gesetzgeberische Vollmacht. Die Synoden in den USA, Kanada, Neuseeland und in Hongkong haben vor mehr als einem Jahrzehnt beschlossen, Frauen zu Priesterinnen zu ordinieren. Sie betonen ausdrücklich, es handele sich dabei nicht um eine Veränderung der Theologie des Amtes, vielmehr um eine Neuordnung der Disziplin und des Rechtes in der Kirche aufgrund gewandelter sozialer Strukturen. Das geistliche Amt vertrete das Gottesvolk vor seinem Herrn, und zu diesem Volk gehörten Männer und Frauen. Inzwischen gibt es Bistümer, in denen zwischen zehn und fünfundzwanzig Prozent weiblicher Priester wirken. Der Unteilbarkeit des dreifachen Amtes widerspreche es, so der Primas von Kanada, Erzbischof Peers, wenn man die Möglichkeit ausschließe, bewährte weibliche Priester zu Bischöfen zu wählen und zu weihen. In den USA, in Kanada und in Neuseeland sei man dazu bereit.

LeerDie anglikanische Kirchengemeinschaft stand nun vor der Frage, wie sie angesichts einer solchen Entscheidung ihre Einheit bewahren könne. Befürworter und Gegner der Frauenordination bereiteten eine Entschließung vor, in der es heißt: Es gelte, Entscheidungen und Einstellungen anderer Provinzen zur Frauenordination zu respektieren, ohne daß ein solcher Respekt auch die Annahme der Grundsätze bedeute. Es sei erforderlich, den höchstmöglichen Grad an Gemeinschaft unter jenen Provinzen zu erhalten, die in dieser Sache differierten. Um dieser Gemeinschaft willen und um den Dialog nicht abreißen zu lassen, solle der Erzbischof von Canterbury eine Kommission bestellen, die auch pastorale Richtlinien ermöglichen müsse.

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LeerDieser Resolution stimmten 423 Bischöfe zu, 28 votierten dagegen und 19 enthielten sich. Das Konferenzthema hätte kaum einen besseren Ausdruck finden können als in dieser Mühe um Gemeinschaft in der Verschiedenheit ohne Ausgrenzung und Polarisation. Autorität verlange, auf den anderen zu hören und das Hören nicht vorzeitig abzubrechen, damit man nicht verstehe. Selbstverständlich gab es auch die Stimmen derer, die das Dienstamt der Frau als dogmatische Frage ansehen und die Ordination der Frau grundsätzlich nicht anerkennen können.

LeerDie Diskussion um die Frauenordination und insbesondere des Bischofsamtes wird von der Fürbitte und der Mitsorge aller christlichen Kirchen begleitet werden müssen, wie auch für alle daran erkennbar wird, wie Kirchen mit solchen Belastungen umgehen können.

Geistlicher Aufbruch

LeerZwei Resolutionen der Lambeth-Conference müßten eigentlich von der ganzen Christenheit übernommen werden:

Leer"Die Konferenz ruft alle einzelnen, Gebetsgruppen, Gemeinden und Kommunitäten zu einer erneuten Betonung ihres Gebetslebens aus. Wir rufen die Bischöfe zu einer klaren Führung im Dienst des Gebetes in all seinen Formen auf, sodaß wir Gottes Willen für unsere Zeit erkennen können und gekräftigt werden für die Sendung des Herrn Jesus Christus."

Leer"Die Konferenz bittet aus dem Bewußtsein, daß die Weitergabe des Evangeliums der erstrangige Auftrag für die Kirche ist, jede Provinz und jede Diözese in Zusammenwirken mit allen anderen Christen, die letzten zehn Jahre dieses Jahrtausends als Dekade der Evangelisierung zu begehen und mit neuem und vereintem Nachdruck Christus den Menschen unserer Welt zu verkünden."


LeerHier sind wir unmittelbar angesprochen Ein Bischof aus Afrika hat die ökumenische Situation in folgendem Bild beschrieben: Da gibt es viele Inseln in der See, kleinere und größere. Auf allen Inseln wohnen Menschen. Sie kommen aber nicht so zueinander, daß die einen andere rufen: "Wandert von eurer Insel aus und kommt auf unsere", sondern es sind Brücken nötig, von Insel zu Insel.

LeerDie Zielvorgabe dieses Bildes erreichen wir am ehesten in jenem gemeinsamen geistlichen Bemühen, zu dem die beiden zitierten Resolutionen aufrufen und - das ist das Wichtigste - das vom Gebot und der Verheißung Jesu getragen ist.

Quatember 1989, S. 225-229

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-23
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