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Engel
von Hans Nickles

LeerIn dreifacher Weise wurden wir auf den ersten Seiten des letzten QUATEMBER-Heftes an die Engel und ihren Dienst erinnert. In dem Gedicht von Peter Gerloff ist der universal bedeutsame Kampf und Sieg Michaels (Ofb 12,7-11) richtigerweise mit dem Kreuzesgeschehen in Verbindung gebracht und wird nun auch individuell wirksam. Der Engel löst die Haft des "homo in se incurvatus", befreit ihn von dem bedrückenden Stau falscher Bindungen, von Angst und Hoffnungslosigkeit und weist ihm ein neues Ziel. Freilich: es gilt auf die Klopfzeichen des Gottesdienstes zu achten, sich dem Strom des göttlichen Erbarmens zu öffnen und ganz zu überlassen.

LeerDie Legende (oder wie auch immer man diese Geschichte literarisch benennen mag) "Der Schlüssel" von Albrecht Schaeffer hat mich besonders berührt. Sie hat Parallelen im Erlebnis des Propheten Elia in der Wüste (1 Kön 19,4-8). Das vom Engel dargebotene Brot bringt hier jedoch nicht nur leibliche Stärkung, sondern es enthält verborgen den Schlüssel zur "Stadt Gottes". Ich sehe darin einen Hinweis auf das Mysterium der Eucharistie und die bei jeder Feier vernehmbare Aufforderung "Nehmt und eßt vom Brot des Lebens!". "In, mit und unter" der natürlichen Gabe wird uns, wenn wir wie der suchende Wanderer alle eigenen Ansprüche aufgegeben haben, das Heil geschenkt, "Allein aus Gnaden".

LeerDer "Engel des Gerichts" von der Kanzelsäule der Stuttgarter Stiftskirche auf der schönen Bildbeilage hat in mir bei der Betrachtung zunächst Fragen ausgelöst. Was hatten die Auftraggeber mit diesem Motiv wohl im Sinn? Sollen die Predigthörer an die Feuerstürme des Zweiten Weltkriegs erinnert werden, die auch diese Stadt und teilweise auch diese Kirche heimsuchten und von vielen als göttliches Gericht verstanden wurden? Oder werden von denen, die auf dieser Kanzel stehen, Gefängnispredigten im Posaunenton erwartet? Letzteres wäre ein schlimmer Irrtum im Blick auf Joh 3,17-19. Der Engel mit der Posaune steht in der biblischen Symbolik doch wohl für das "Jüngste", das letzte Gericht am Ende der Zeiten.

LeerDie Darstellung des Bildhauers Fritz von Graevenitz hält jedoch beides offen: den Bezug auf das Heute und den auf das Zukünftige. In jeder Verkündigung des Evangeliums vollzieht sich Scheidung und damit Gericht. So ist es denkbar, daß der Engel sein Instrument bereits abgesetzt hat, nachdem der Weckruf der Posaune ergangen ist. Andererseits ist der Gedanke möglich, daß er auf ein Zeichen seines Herrn wartet, die "letzte Posaune" zu blasen, die das Endgericht und den endgültigen Sieg des Christus angekündigt (Ofb 11,15-17; 12,7-11; 20,11.15), bei Paulus (1 Kor 15,52) verbunden mit der Auferstehung der Toten und der großen Verwandlung. In dieser Engelsgestalt begegnet uns ein Bote Gottes, der sowohl warnt als auch unseren Blick zuversichtlich auf die Vollendung aller Dinge ausrichtet.

LeerIch bin dankbar, daß wir in dieser Zeitschrift auch durch Dichtung und bildende Kunst Denkanstöße für unseren Glauben empfangen.

Quatember 1989, S. 246

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-23
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