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Berneuchener Gespräch »Bewahrung der Schöpfung«
im Kloster Kirchberg

von Ulrich Wendling

Leer»Wir sind Zeugen, aber zugleich Mittäter und auch Nutznie ßer eines in jeder Hinsicht einmaligen Zerstörungsprozesses, der heute auf der Erde stattfindet. Das krisenhafte Ausmaß der Zerstörung der Natur in aller Welt und ihre sozialen Folgen machen uns ratlos. Wir sind heute nach unserer Mitverantwortung gefragt. Rückt sie in unser Bewußtsein, erwächst uns - und woraus - die Kraft zum Handeln? Wir wollen uns hineinnehmen lassen in die Glaubensaussagen zur Bewahrung der Schöpfung. Daraus wollen wir Hoffnung und Kraft schöpfen. Und wir wollen uns zugleich sachkundig machen über das notwendige Tun in den weltweiten Zusammenhängen, vornehmlich aber über die möglichen kleinen Schritte in der Wahrnehmung unserer Verantwortung als Christen.«

LeerMit diesen Überlegungen wurde für den 1. bis 4. Oktober 1990 von der Evangelischen Michaelsbruderschaft und ihrem Arbeitskreis für Gegenwartsfragen zu einem Gespräch in das Berneuchener Haus Kloster Kirchberg eingeladen. Im Blick auf die Stationen des konziliaren Prozesses von Basel und Seoul schien das Thema besonders aktuell, trotzdem war die Vorbereitung von vielen Schwierigkeiten begleitet. Als dann endlich im Januar 1990 eine kleine Gruppe um unseren Bruder Dietrich Ranft mit der Vorbereitung beginnen konnte, schien es eigentlich schon zu spät, um profilierte Referenten zu gewinnen, noch dazu für die Zeit des beginnenden Bundestags-Wahlkampfes. Doch die uns erwachsenen Möglichkeiten, Teilnehmer und Redner aus beiden Teilen Deutschlands einladen zu können und damit das Gespräch auf eine neue Stufe zu stellen, gaben wieder Mut zu dem Wagnis. Wer hätte aber damals geahnt, wie sich die Entwicklung in Deutschland bis zum Oktober 1990 überstürzen würde und daß sogar der Tag der deutschen Einheit die Mitte der Tagung bilden sollte. Dadurch bedingt, ist wohl selten auf dem Kirchberg eine Tagung mit so vielen Programmänderungen, mehr oder weniger gelungenen Improvisationen, Referentenabsagen und kurzfristigen -zusagen gehalten worden, aber selten auch waren Referate und Gespräche so aktuell, so dicht und so angefüllt mit den Gegenwartsfragen wie in diesen ersten Oktobertagen 1990.

LeerDie etwa 60 Teilnehmer, die aus der alten Bundesrepublik, der früheren DDR und den Nachbarländem angereist waren, erlebten den großen Spannungsbogen zwischen dem Schöpfungsbericht aus der Bibel und der Rede von Bundespräsident von Weizsäcker am 3. Oktober zu den Aufgaben unserer gemeinsamen Zukunft. Sie lauschten den Augenzeugenberichten von den Ereignissen am Brandenburger Tor und vor dem Reichstag in der Nacht zum 3. Oktober, hatten aber auch die Möglichkeit, diese historische Wende individuell und der eigenen Stimmung entsprechend bei einer Mondscheinwanderung um das Kloster oder im »Windfang« bei einem Glas Wein und nachdenklichen Gesprächen zu begehen. All diese Stimmungen, Probleme und Ereignisse waren aufgehoben in dem geistlichen Rahmen der Tagung, in den Messen und Stundengebeten nach der Ordnung des Hauses, wohltuend und ausgleichend und vielleicht von dem einen oder anderen der Gäste als eindrucksvollstes Erlebnis dieser Tage empfunden.

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LeerIn seiner Begrüßung stellte Staatsrat a. D. Dietrich Ranft (München) das Thema in den großen Zusammenhang der Sorge vieler Menschen um die bedrohte Natur, der Bemühungen der Christen in aller Welt im konziliaren Prozeß, aber auch der Tagesereignisse. Wir brauchen vor allem Orientierung und Sachkunde für richtiges, engagiertes Handeln, auch im kleinen Rahmen. So wäre es gut, wenn jeder vom Kirchberg etwas Mut und Hoffnung für die Weiterarbeit in seinem Umkreis mitnehmen könnte. Die theologische Grundlegung gaben zwei Vorträge, den ersten hielt Prof. Gerard Siegwalt (Straßburg) am Nachmittag des ersten Tages über: »Die Verantwortung gegenüber der bedrohten Natur im Spiegel des christlichen Glaubensbekenntnisses«. Diese unsere Verantwortung müsse sich darin äußern, daß wir uns Gedanken machen, was anders werden soll und wie das geschehen könnte. Ganzheitlich unter Einbeziehung von Wirtschaft und Recht müßte das sein, wobei Naturbezogenheit auch Gottesbezogenheit bedeutet. Doch es herrscht Verantwortungslosigkeit, und die Ganzheitlichkeit, die Verträglichkeit, die Grenzen der Möglichkeiten der Natur werden mißachtet. Wie könne es zu einem Pakt kommen im Krieg zwischen Mensch und Natur? Der Redner appellierte an die Vernunft, nur durch unser Vernehmen, Wahrnehmen der Wirklichkeit, als Schrei oder betroffenes Schweigen über die Probleme können wir dar bedrohten Natur zu Hilfe kommen. Aber Vernunft üben ist teuer, es fordert die geduldige Arbeit der ganzen Menschheit, denn bisher hat keiner ein Programm zu bieten. Auch unser Glaubensbekenntnis ist nur ein Appell an unsere Verantwortung. So bleibt nur die Hoffnung, daß das Ziel auf dem Wege Schritt für Schritt erkannt wird. In unserer Ratlosigkeit sind wir in den Ursprung geworfen und finden Hinweise, z. B. auf den Sabbat, das Sabbatjahr, die Abgabe des Zehnten für die Bedürftigen, die in die heutige Zeit hinein übersetzt werden müssen. Unser Nachdenken über diese Hinweise läßt uns erkennen, daß die Naturverträglichkeit nicht an den Armen vorbeigehen darf. Die Armen sind der Schatz der Kirche, die Handlanger Gottes, und so wäre die Verantwortung gegenüber den Armen dieser Erde eine Richtschnur unseres Nachdenkens über die Naturverträglichkeit unseres Tuns.

LeerDer Abend war geprägt von sehr eindrücklichen Berichten, vor allem der Teilnehmer aus Ost-Deutschland über ihre Empfindungen als Christen in den Wochen der Vorbereitung der politischen Einigung, die sehr nachdenklich machten und die Jubelstimmung relativierten.

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LeerDie Eucharistiefeier am nächsten Morgen mit einer Predigt von Pastorin Monika Elsner (Essen) über die Verheißung Jesu: »Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen« führte das Nachdenken des Vortages auf einer anderen Ebene weiter, leitete aber auch in wohlüberlegter Weise zum zweiten theologischen Vortrag über.

LeerProf. Norbert Müller (Leipzig) sprach zum Thema: »Kreatur als Mitgeschöpf«. Er gab eine Begründung ökologischer Moral von den biblischen Aussagen über die Schöpfung her. Seine erste Frage: »Wer ist Gott?«, die er an den Schöpfungsbericht stellte, läßt uns neben Verben des Schaffens auch auf solche hören, die das Entstehen der Welt mit seinem Urteil begleiten, mit dem Blick der Liebe, aber auch der Strenge, mit seinem Wort, das nicht nur Wille zum Sein ist, sondern Geist. Die Frage: »Was ist der Mensch?« weist uns dann darauf, daß er Geschöpf und Ebenbild Gottes ist, einerseits unter die Fürsorge des Schöpfers gestellt wie alle Geschöpfe, andererseits mit der Freiheit des Handelns in der Schöpfung begabt, sie verändern, umbilden und gebrauchen kann. Oft setzt hier Kritik ein, das Entscheidende aber ist, daß der Mensch in der Schöpfungserzählung die höchsten Möglichkeiten, die er bei sich selbst findet, Verantwortlichkeit, Kommunikationsfähigkeit und Freiheit, an Gott zurückbindet, ein Verlust dieser seiner Offenheit würde den Verlust seiner Menschlichkeit bedeuten. Die letzte Frage: »Wie sind die Geschöpfe einander zugeordnet?« führt zu Überlegungen, wie wir die Schöpfung wirklich bewahren können im Sinne einer Sicherung ihrer Existenz. Oder ist hier unser Auftrag doch zu überhöht beschrieben? »Bewahren« ist aber im Sinne von Genesis 2, 15 ein durchaus begrenztes Mandat, das des Gärtners, der den Grund und Boden des Herrn liebevoll hütet und pflegt. So ist verantwortlicher Vollzug der Herrschaft über das Mitgeschöpf verbunden mit dem Verstehen, dem Staunen und der daraus geborenen Liebe. Sie ist die Verwirklichung seines Herrschaftsmandats, die seinem Wesen am genauesten entspricht.

LeerIm Kontrast dazu folgte nach einer kurzen Pause der energie- und faktengeladene Vortrag des Physikers Arved v. Breitenstein (Feldkirchen) über »Energie und Klima«, also zu den heute und auch für die Zukunft wichtigsten Fragen des Überlebens der Menschheit. Wir mußten die Kränkung hinnehmen, daß die Erfindung des Feuers, auf die der Mensch immer so stolz war, heute als ökologisches Verbrechen gesehen wird. Fossile Brennstoffe, die in Jahrmillionen entstanden sind, verbrauchen wir in wenigen Jahren und stören dadurch empfindlich das Gleichgewicht der Natur. Über Alternativen wird heute viel nachgedacht und noeh mehr geschrieben. Ein aussichtsreiches Projekt wäre die Speicherung der Sonnenenergie über Elektrolyse in Form von Wasserstoff, der dann bei Bedarf in Brennstoffzellen zu Elektroenergie umgewandelt werden müßte. Das klingt sehr einfach, erfordert aber einen enormen technischen Aufwand. Ob wir den rechtzeitig schaffen können, um der jetzigen Entwicklung mit ihren Gefahren für das Weltklima und das ökologische Gleichgewicht gegensteuern zu können? Aber wir hätten die Chance, das überflüssig werdende Rüstungspotential auf ein solches Projekt umzupolen und gleichzeitig technische Hilfe für die Entwicklungsländer zu organisieren, denn sie haben in ihren Ländern Sonnenenergie im Überfluß. Trotzdem - mit Energie müssen wir immer sparsam umgehen, und daher wäre es die vordringliche Aufgabe, unseren Lebensstil auf ein verantwortbares Maß einzustellen. Im Gespräch danach wurde das Problem erweitert durch den Hinweis auf das beängstigende Ansteigen der Weltbevölkerung und die Frage, ob nicht unter diesem Aspekt der Appell an den Lebensstil zu privat wirkt. Wäre hier nicht ein Appell an die großen Weltreligionen dringend nötig, gemeinsam ihren Einfluß geltend zu machen, neue Verhaltensweisen vorzugeben?

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LeerMit dem Geophysiker Dr. Wilhelm v. Braunmühl (Bonn) war ein weiterer Fachmann gewonnen worden, der aus der Sicht des Umweltschutzes über »Rationelle Energienutzung als Beitrag zur Klimavorsorge« sprach. Das ergänzte den vorigen Beitrag durch eine Vielzahl interessanter Fakten. So konnte er auf Beispiele erfreulicher Annäherungen von Umweltschutz und Industrie verweisen, auch auf das vorbildliche Energieprogramm der Stadt Saarbrücken - Beispiele, die noch nicht genügend bekannt sind. Es wurde die Verbindung der fachlichen mit der politischen Dimension deutlich, die auch das anschließende Gespräch beherrschte. Was können wir als Bürger tun? Greift hier untere Demokratie noch? Die Rolle der multinationalen Konzerne ist gerade auf dem Energiesektor unverkennbar groß. Wir mußten uns an David und Goliath erinnern lassen, um nicht ganz mutlos zu werden, auch an den Satz »Weißt du nicht, daß Gottes Güte dich zur Umkehr treibt?« Der Abend war Berichten aus ökumenischer Sicht vorbehalten, zu Netzwerken in Bayern und in Westfalen, in denen jeweils viele kleine Gruppen zusammengefaßt sind, die engagiert für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung eintreten und ein Defizit in der verfaßten Kirche ausgleichen helfen. In einem weiteren Bericht gab ein Teilnehmer der ökumenischen Versammlung in Seoul seine Eindrücke wieder.

LeerDer 3. Oktober begann mit einer festlichen Messe, in der Bruder Jörg Gottschick die Predigt hielt und uns mit den Worten des 148. Psalms zum allumfassenden Lob des Herrn, unseres Gottes, aufrief an diesem denkwürdigen Tag der wiedergeborenen Einheit unseres Vaterlandes. Bewegend waren die Glückwünsche-Sträuße, die uns zwei ausländische Tagungsteilnehmer in geistreichen Frühstücks-Tischreden überreichten, eingedenk auch der dämonischen Kräfte, die es zu bannen gilt im Namen unseres Gottes. Dabei möchten uns unsere ausländischen Freunde und Brüder als Paten in dieser Geburtsstunde des neuen deutschen Staates beistehen.

LeerFrau Ursula Wünsch (Berlin) gab in dem ersten Vormittagsvortrag einen spannungs- und emotionsgeladenen Einblick in die Bemühungen verschiedener DDR-Gruppen für eine Entmilitarisierung und eine armeenfreie Zone in Deutschland. Als Künstlerin setzte sie, auch vermittels eigener ausgelegter Arbeiten (Plakate, Reproduktionen) besondere Akzente in der sonst so wissenschaftlichen Tagung. Das wurde wohltuend empfunden. Durch diese Auflockerung fiel es uns leichter, anschließend wieder mit großer politischer und technischer Sachkenntnis vorgetragene Fakten zum Thema der Abrüstungskonversion und Friedenssicherung im Blick auf das Jahr 2000 aufzunehmen, vorgetragen von Herrn Dr. Harth (Garching). Die Thematik wurde abgerundet durch »Theologische Reflexionen über Krieg und Frieden in einer veränderten weltpolitischen Situation« von Herrn Kirchenrat Erhard Ratz (München). Diese drei Themen korrespondierten in eigenartiger Weise mit dem Mittagsgebet im Freien, bei herrlichem Sonnenschein, am Bild des heiligen Franziskus zu seinem Ehrentag. Alle Gedanken wurden aufgenommen in Gruppengesprächen am Nachmittag, die nochmal das gesamte Spannungsfeld der miteinander verzahnten Weltprobleme deutlich machten. Eine Analyse eigener Art über die möglichen »Wege aus der Wachstumskrise« gab der Physiker und Schriftsteller Peter Kafka (Unterföhring), dem von ihm verfaßten Buch »Das Grundgesetz vom Aufstieg« folgend. Diese Schau mag für viele schwer nachvollziehbar gewesen sein, es gelang aber in dem anschließenden Gespräch von Theologen und Physikern, den Laien eine Vorstellung von dem Sinn des Ganzen zu vermitteln.

LeerDie Predigt in der Messe des letzten Tages von Frau Dr. Irmgard Siegwald ließ bisher ausgeklammerte Fragen an die Politik anklingen (»Was sollen wir als Christen tun?«), die dann im Abschluß-Gesprächskreis aufgenommen wurden. Dort kamen auch die Berichterstatter aus den Gruppengesprächen zu den Themen »Wirtschaft - Forschung - Rüstungskonversion« und »Neuer Lebensstil« zu Wort. Bruder Heinz Grosch (Aichwald) knüpfte in seinem Schlußwort an die früheren Berneuchener Gespräche zu brennenden Gegenwartsfragen an und faßte aus theologischer Sicht den Inhalt der Tagung zusammen, indem er formulierte, unser Glaube an Gott koste uns zweierlei, unser künstlich übersteigertes Selbstwertgefühl, als seien wir als Repräsentanten der Wahrheit zu allem ermächtigt, und unsere Vorstellung von einer grenzenlosen Freiheit der Wissenschaft. Die Lust zu weiteren solchen Gesprächen besteht, und sie sind auch vorgesehen.

Quatember 1991, S. 37-40
© Ulrich Wendling

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-08-15
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