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Kirchenrechtliche und rechtstheologische Notizen von Horst Folkers |
Martin Daur, dem juristischen Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, verdanken wir einen gewichtigen, jüngst in der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht (Jahrgang 36,1991, Heft 3, S. 229-253) veröffentlichten Beitrag unter dem Titel »Die Rechtsbeziehungen zwischen der evangelischen Kirche und den Kommunitäten, Bruderschaften und Orden«. Im folgenden wird zunächst dieser Beitrag angezeigt, sodann an die entsprechenden Überlegungen von Hans Dombois erinnert. Während Kommunitäten eine völlige, in der Regel ehelose Gemeinschaft eingehen, in der Gütergemeinschaft herrscht und wesentliche Entscheidungen von der Gemeinschaft getroffen werden, sind Bruderschaften Gemeinschaften, deren Angehörige in der Welt leben, sich gleichwohl durch eine einer Regel unterworfene praxis pietatis auszeichnen und das Ziel haben, »für die Kirche in besonderer Weise Kirche zu sein«. Als ein Beispiel solcher Bruderschaften nennt Daur die Evangelische Michaelsbruderschaft. Er beschreibt sie allerdings ein wenig zufällig, auch die Thielicke zugeschriebene, ihren Autor nicht eben ehrende Kritik vermeidet er nicht. Das Urkunde und Regel verbindende Wort »Wir können nur an der Kirche bauen, wenn wir selber Kirche sind« fehlt, die »Regel« der Bruderschaft, die Zahl ihrer Mitglieder scheinen ihm nicht bekannt zu sein, die Feier der Eucharistie als Element des Lebens der Bruderschaft wird nicht erwähnt. 2. Wie sieht nun die kirchenrechtliche Zuordnung dieser Gemeinschaften aus? Hier begegnet Daur zunächst den typischen Schwierigkeiten des Protestantismus mit dem Kirchenbegriff. Der weltweiten »evangelischen Kirche«, also der wahren Kirche Jesu Christi, von der der Titel seiner Arbeit spricht, fehlt eine Verfassung, ihr können die Gemeinschaften also nicht zugeordnet werden. Daur hält sich also zunächst an die EKD, sodann an die Landeskirchen, ohne dabei, ebenfalls typisch, die Beschränkung auf Partikularkirchen unterschiedlicher Dignität (der EKD fehlt die allgemeine Anerkennung als Kirche, sie hat die Landeskirchen - und nicht den einzelnen evangelischen Christen - zu Mitgliedern) und Größe (die Landeskirchen sind recht unterschiedlich verfaßt und sprechen je nur für ihr Gebiet) als solche mitzubedenken. Eine kirchenverfassungsrechtliche Zuordnung liegt nur im Fall des Klosters Loccum und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers vor. Unter den dann verbleibenden Rechtsformen, dem, eventuell verfassungsrechtlich ermächtigten, Kirchengesetz, der Verordnung, der Vereinbarung und der Absprache, ist die Vereinbarung zwischen geistlicher Gemeinschaft und Landeskirche die Regelform der Verbindung. So ist Daurs Schlußfolgerung unausweichlich, daß »die Kommunitäten und Bruderschaften im evangelischen Kirchenrecht noch unbehaust« sind. Nicht sonderlich überzeugend ist es, diesen Tatbestand auf den »unschätzbaren Vorzug« der Freiheit oder »den tatsächlich überreichlich vorhandenen Freiraum« in der evangelischen Kirche zurückzuführen. Zu deutlich ist hier Freiheit ein Deckname für die Ratlosigkeit, die geistlichen Maßstäbe richtiger Zuordnung betreffend, infolge welcher die Verbindungen von Kirche und Kommunitäten faktisch zufällig und beliebig sind. Die den Christen wie der Kirche unveräußerliche Freiheit (zur Freiheit sind wir berufen, zu der uns Christus befreit hat, Galater 5,1.13) ist die Befreiung zu verbindlicher Nachfolge, sie ist wie jede Freiheit so groß, wie die Bindung, in der sie sich verwirklicht, die Zukunft, die sie sich zutraut.
Dem defizitären evangelischen Kirchen- und Kirchenrechtsbegriff gemäß sieht er als Grundvoraussetzung einer Zuordnung an, daß sie von der geistlichen Gemeinschaft überhaupt gewünscht wird. Stünde die Kirche jedoch in einer wesentlichen Beziehung zu den in ihr lebenden geistlichen Gemeinschaften (Orden), so wäre die Frage vielmehr nur die nach der rechten Gestaltung dieser, durch das Kirchesein der Kirche vorgegebenen Beziehung, zu der die Initiative ebenso von der Kirche ausgehen könnte. Eine kirchenrechtliche Anerkennung hat, zweitens, zur Voraussetzung die Bereitschaft der Kommunität oder Bruderschaft, »die Arbeit innerhalb der Landeskirche und ihrer Ortsgemeinden zu tun«. Das liest man mit Verwunderung. Denn so selbstverständlich Kommunitäten und Bruderschaften dies nur sind, insoweit sie in den Grenzen der Kirche und für die Kirche leben, so wenig können diese Grenzen die der Landeskirche (welcher?) und der Gemeinden sein, für die Michaelsbrüder, die in verschiedensten Landeskirchen und in ausländischen Kirchen leben, eine anschauliche Selbstverständlichkeit. Ebenso liest man, drittens, mit Verwunderung, »die Anerkennung der Bekenntnisgrundlagen der Landeskirche« sei unabdingbar, was für überregionale Gemeinschaften schon wegen der Verschiedenheit dieser Grundlagen nicht in Frage kommt. Gemeint kann hier nur sein, daß sich die Gemeinschaften nicht zum Credo der Kirche in Widerspruch stellen dürfen, was aber ohne Zweifel eine selbständige Erweiterung der Bekenntnisgrundlagen, zum Beispiel durch die ausdrückliche Rezeption der Barmer theologischen Erklärung, nicht ausschließen kann. Zuzustimmen ist viertens, daß die geistlichen Gemeinschaften in der Regel am Gemeindegottesdienst teilnehmen und dort, wo sie eigene Gottesdienste feiern, diese regelmäßig öffentlich sind. Generell gilt, daß Absprachen notwendig sind, wo gemeindliches Leben betroffen ist. Wie sollte in Zukunft die eschatologische Dimension der Eucharistie, in der der auferstandene Herr Anteil an dem kommenden Mahl im Reiche Gottes gibt, und die Dimension der Versöhnung des alten und des neuen Bundes um eines neuen Verhältnisses zum Heilsvolk Israel willen in der Eucharistie wirksam werden, wollte man sich hier an sich hieran die landeskirchlichen Formen binden? Ebenso ist Freiheit im Gebrauch von Zeichenhandlungen, gerade solcher, die sich zu Unrecht als konfessionsabgrenzende Merkmale eingewöhnt haben, notwendig; zu denken ist an die Salbung, das Kreuzeszeichen, die Tauferinnerung mit Wasser, das Niederknien und die Verbeugung vor dem Altar, nicht nur durch den Pfarrer, sondern durch alle in der versammelten Gemeinde. Wie sollten ohne Freiheit solche Zeichen in der evangelischen Christenheit wiedergewonnen werden? Hierher gehört schließlich die Wiederentdeckung und -verwendung der altkirchlichen liturgischen Farben. Der von Daur sechstens genannten Notwendigkeit einer regelmäßigen Visitation, ebenso gewisser kirchlicher Aufsichtsrechte werden sich hingegen die Kommunitäten und Bruderschaften nicht entziehen wollen. Unter Bedingungen des Bestehens konfessionsgespaltener Kirchen ist siebtens nicht endgültig zu entscheiden, inwieweit alle Mitglieder geistlicher Gemeinschaften zugleich Kirchenmitglieder sein sollten, jedenfalls »sollte eine Vollmitgliedschaft Ungetaufter« ausgeschlossen sein. Achtens und letztens ist bedenkenswert, daß die Kirchen auf die Sozialverträglichkeit von Dienst- und Arbeitsverhältnissen in geistlichen Gemeinschaften zu achten haben. Dankbar darf man den Schlußsatz Daurs vermerken, die Kirchen sollten die Bereitschaft der Bruderschaften und Kommunitäten, »in der Kirche zu wirken und für sie da zu sein, dankbar anerkennen und ihnen den notwendigen Freiraum ebenso gewähren wie die Gemeinschaft, den Schutz und die Förderung, die sie für ihre Arbeit brauchen«. Um den Ort zu erfassen, an dem Dombois die Zuordnung von Kirche und Orden, wie hier abkürzend auch geistliche Gemeinschaften, Kommunitäten und Bruderschaften genannt werden sollen, ist es nötig, kurz an die Grundverfassung der Kirche zu erinnern. Dombois arbeitet als primären Befund der Verfassung der Kirche ihre Identität heraus, in der sie als die eine universale Kirche Jesu Christi zugleich (örtliche) Gemeinde ist. Der versammelten Gemeinde ist alles, was der Kirche anvertraut ist, ganz gegeben, und doch lebt die Gemeinde nur in der universalen Kirche und in Verbindung mit ihr als Gemeinde Jesu Christi. Die »ekklesia« ist »Gesamtgemeinde und dieselbe in lokaler Begrenzung«. Die Selbigkeit der Kirche in der Zweiheit ihrer Gestalten ist der Grundtatbestand ihrer Verfassung. Zu diesem tritt ein sekundärer doppelter Tatbestand hinzu, die Partikularkirchen und die Orden. Unvermeidlicher-, aber auch sachgemäßerweise sind seit alters die Gemeinden in Partikularkirchen zusammengefaßt, Gebiete mit relativ einheitlicher Kultur und Sprache - so die Gliederung der Alten Kirche späterhin in fünf Patriarchate. In der Partikularkirche wird anschaulich, wie die Kirche in die Formen der Welt eingeht, den Griechen ein Grieche, den Römern ein Römer. »Die Partikularkirche macht gegenüber der Gemeinde das Recht der universalen Kirche geltend und ist selbst in der universalen Kirche rückgebunden und verantwortlich.« Die Kirche in dieser dreifachen Gestalt lebt in der Welt, in die sie gesandt ist, ihre Sendung auszurichten, aber sie ist nicht von dieser Welt. Das Eigentümliche der Orden ist nun, daß sie nicht in der allgemeinen Berufung sowohl der Kirche wie eines jeden getauften Christen zur Nachfolge und Verkündigung enthalten sind. Es bedarf vielmehr einer besonderen geistlichen Berufung und einer entsprechenden Entscheidung des einzelnen Christen, um ihm anzugehören. Geschieht in der Taufe die Berufung des Christen aus der Welt in die Kirche, so geschieht die Berufung zum Orden in der Kirche, doch gleichwohl in eine besondere Gemeinschaft. Es ist ja gerade die besondere Liebe zu einer Seite der der Kirche aufgetragenen Verkündigung, in welcher sich die Berufung des Ordens selbst durch eine charismatische Persönlichkeit gründet. Besondere Berufung, freie Entscheidung der Glieder, bewußte Zuordnung zur Kirche sind die drei Grundelemente des Ordens. Eben deswegen beansprucht der Orden »selbst nicht Kirche oder Gemeinde zu sein«, eine Einsicht Dombois', von der her wohl auch das Wort der Michaelsbruderschaft vom »selber Kirche sein« auszulegen ist. Die geistliche Existenzform des Ordens ist von einem Skopus, von der Umschreibung derjenigen Dienste in der Kirche, die er in freier Wahl zum Schwerpunkt seines Lebens gemacht hat, bestimmt. Die evangelischen Räte, Armut, Keuschheit und Gehorsam drücken für Dombois zwar den existentiellen Charakter der Bindung des Ordens am folgerichtigsten aus, erscheinen ihm aber, anders dagegen Daur, nicht als konstitutiv. Von größter, ja vielleicht entscheidender Bedeutung für das Leben der Kirche ist die Ordenstheologie, die, anders als die weitgehend in säkularer Lebensform ausgebildete Fakultätstheologie, eingebettet ist in die geistliche Existenz eines gemeinsamen Lebens, das Gebet der Tageszeiten, das Mitgehen im Festkreis des Kirchenjahres, die regelmäßige Feier der Eucharistie. In der Ordenstheologie können wirklich das Gesetz und die Lehre des Glaubens aus der Erfahrung des Gebets entspringen (ex orandi est lex credendi). »Ohne Orden hätte es kein zweites Vatikanisches Konzil gegeben« - ist diese Aussage Dombois' richtig, kann man ermessen, was der evangelischen Kirche verlorengegangen ist, indem sie allein die akademische Theologie festgehalten hat. Gerade hier stimmt Daur, Dombois ausführlich referierend, zu und spricht von einer »verhängnisvollen Verarmung der (sc. evangelischen) Kirche«. Wer die Existenz der geistlichen Gemeinschaften als einen legitimen Tatbestand anerkennt, ist genötigt, auch eine geistgewirkte (pneumatische) Berufung anzuerkennen. Der Heilige Geist ist in der Bildung der Orden, der Kommunitäten, der Bruderschaften wirksam. Wer das nicht einräumen will, muß eine Pneumatologie vertreten, die den Heiligen Geist prinzipiell darauf beschränkt, in gleicher Weise alle, wie zweifellos im Ereignis der Taufe, zu berufen. Eine solche, das Geschehen des Geistes auf die allgemeine Berufung des Christen durch die Taufe reduzierende Pneumatologie mag, wie Dombois nahelegt, im Gefälle von CA V stehen, muß sich aber die Frage nach ihrer Heterodoxie gefallen lassen. Der Unifizierung pneumatischen Geschehens gilt Dombois' lakonisches Resümee »Keine Pneumatologie, keine Entscheidung, keine communio«. Dagegen ist geltend zu machen, daß »das Neue 'Testament Gleichheit und Ungleichheit nebeneinander« kennt. Erst in der Fortbildung des Bekenntnisses hätte die evangelische Kirche die Ebene erreicht, auf der sie auch geistliche Gemeinschaften »behausen« könnte. Die Existenz der geistlichen Gemeinschaften fordert daher die evangelische Kirche auf, über CA V und Barmen III hinaus, mit dem III. Artikel des Apostolikums und Nicaenums zu bekennen, daß die Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, eine Frucht des Heiligen Geistes ist, eine Frucht, die Raum für pneumatische Entscheidungen in der Kirche zu besonderen Gestalten der communio läßt. Quatember 1992, S. 98-104 © Dr. Horst Folkers, Freiburg |
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