Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1992
Autoren
Themen
Stichworte

Marienkrönung
von Wilhelm Flückiger

»Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.«

Apokalypse 2,10

LeerVor vierzig Jahren erschien das damals Aufsehen erregende Werk C.G. Jungs »Antwort auf Hiob«. Jungs Ausführungen kulminieren in der Interpretation des von Papst Pius XII. am 1. November 1950 promulgierten Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Jung wehrt sich gegen den oft erhobenen Vorwurf, er sei ein »Psychologist«, d.h., er löse die religiösen Wahrheiten in innerpsychische Vorgänge auf und glaube letztlich nicht an die Existenz Gottes (a.a.O., S. 115, Ausgabe Ex libris, 1972). Zu diesem Vorwurf nimmt er folgendermaßen Stellung: »Was die Leute meist übersehen oder nicht verstehen können, ist der Umstand, daß ich die Psyche für wirklich halte. Man glaubt eben nur an physische Tatsachen und muß damit zum Schluß kommen, daß entweder das Uran selber oder wenigstens die Laboratoriumsapparate die Bombe zusammengesetzt haben. Das ist ebenso absurd wie die Annahme, daß eine nichtwirkliche Psyche hierfür verantwortlich sei.

LeerGott ist eine offenkundige psychische und nichtphysische Tatsache, d.h. sie ist nur psychisch, nicht aber physisch feststellbar. Ebenso ist diesen Leuten noch nicht eingegangen, daß Religionspsychologie in zwei scharf zu trennende Gebiete zerfällt, nämlich erstens in die Psychologie des religiösen Menschen und zweitens in die Psychologie der Religion bzw. der religiösen Inhalte. Es sind hauptsächlich die Erfahrungen auf letzterem Gebiet, welche mir mit den Mut gegeben haben, mich in die Diskussion der religiösen Frage und insbesondere in das pro et contra des Assumptionsdogmas zu mischen, welches ich, beiläufig gesagt, für das wichtigste religiöse Ereignis seit der Reformation halte.« Das knappe Zitat mag genügen, um einsichtig zu machen, eine wie breit gefächerte Auseinandersetzung Jung mit seiner Interpretation ausgelöst hat. Heute ist das Gespräch zum Erliegen gekommen, nicht etwa weil die aufgeworfenen Fragen in einem Konsens gelöst worden wären, sondern weil sich das Interesse anderswohin verlagert hat.

MarienkrönungIn der Aprilnummer der schweizerischen Monatszeitschrift »DU« des Jahres 1953 (die als ganze dem Eranos-Werk von Ascona gewidmet ist, an dem Jung als wesentlicher Partner mitbeteiligt war) ist die Tafel reproduziert, die wir nun auch mit der gegenwärtigen QUATEMBER-Nummer neu zugänglich machen und zu interpretieren suchen. Im innersten von drei Kreisen thront auf dreistufig erhöhtem Dreisitz die heilige Dreifaltigkeit. Der Vater - Quelle der ganzen Trinität, fons totius trinitatis - trägt die geschlossene kaiserliche Bügelkrone und ist ganz in die herrscherliche Purpurfarbe gehüllt. Auf seinem linken Knie ruht der mit dem Kreuz gezierte Reichsapfel. An der väterlichen Herrscherwürde haben aber auch der Sohn zu seiner Rechten und der Heilige Geist zur Linken Anteil: Beide halten ein Szepter in der Hand, der Sohn in der rechten, der Heilige Geist in der linken. Mit der freien Hand aber wirken beide mit an der Krönung Mariens, die mit jungfräulich offenem Haar und in einen blauen Mantel gehüllt in der Mitte der drei göttlichen Personen auf ebener Erde, in piano kniet. Der Sohn trägt unter dem purpurnen Überwurf ein bläuliches, der Heilige Geist ein weißes Untergewand.

LeerDie Krönung Mariens stellt kompositorisch die Mitte des Bildes dar. Man beachte, daß die drei göttlichen Gestalten in sich einen Kreis bilden. Der Sohn und der Heilige Geist neigen ihre Häupter dem Vater und Maria zu. Die auf die Mitte hin ausgerichtete Körperhaltung der beiden nimmt die knieende Gestalt Mariens mit in den Kreis auf. Man bedenke aber wohl, daß Maria kniet. Gewiß innerhalb des göttlichen Kreises, aber unterhalb der drei Stufen. Sie trägt über ihrem blauen Mantel auch keinen Purpurüberwurf. Das Blau ist die Farbe ihres Sohnes, »welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er' s nicht für einen Raub, Gott gleich sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an ...« (Philipper 2,6f.) »Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.« (ebenda V.9)

LeerNun aber hat er »die Niedrigkeit seiner Magd angesehen«, er, der die Gewaltigen vom Stuhle stößt und die Niedrigen erhebt (Lukas 1,48-52). Die Demütige ist die Assumpta, ist aufgenommen in den göttlichen Kreis. Aber: Es ist nicht an dem, daß dadurch die Trinität in eine Quaternität umgewandelt wurde. Maria kniet zwar als Gekrönte anbetend vor dem Throne der heiligen Dreifaltigkeit, aber noch einmal: Sie kniet in piano. Wer sich der berühmten Dreifaltigkeits-Ikone von Andrei Rublew erinnert, dem wird, nebenbei bemerkt, unschwer auffallen, wie ähnlich sich die drei Gestalten dieser Ikone zum Kreis schließen. Bei Rublew bildet der Abendmahlskelch die Mitte, auf unserer Tafel das gekrönte Haupt Mariens. Hier wie dort ereignet sich dasselbe Geheimnis des Glaubens, mysterium fidei. Im gesegneten Kelch verbindet sich die göttliche mit der menschlichen Natur: In, mit und unter der Gestalt des Brotes und des Weines sind Leib und Blut Christi präsent. Das Himmlische eint sich mit dem Irdischen.

Linie

LeerWas geschieht in der Krönung Mariens? Die Krone macht den Nimbus anschaulich, den die Alten um die Häupter ihrer Gottgeweihten - der Könige und der Priester, der Königspriester und der Priesterkönige - wahrgenommen haben. Sie veranschaulicht die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Die im Fall Adams verlorengegangene Krone wieder zu erlangen ist die Berufung des Menschen. Wie verheißt der apokalyptische Christus den in Trübsal und Armut zu Smyrna Bewährten: »Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.« (Apokalypse 2,10) Eine ähnliche Verheißung ergeht in Apokalypse 3,11 an Philadelphia: »Siehe, ich komme bald;-halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme.« Der 1. Petrusbrief (5,2-5) richtet Mahnung und Verheißung an die Ältesten mit demselben Bild der Krone: »Weidet die Herde Christi, die euch befohlen ist, und sehet wohl zu, nicht gezwungen, sondern willig; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; nicht als die übers Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde. So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unverwelkliche Krone der Ehren erlangen.« Der Gott, der die Würde des Menschen wunderbar erschaffen hat, will sie noch wunderbarer erneuern. Maria erfährt als erste, was ihren Kindern im Glauben, was uns allen geschehen soll, die Heimkehr in den innersten Kreis.

LeerIm mittleren und im äußeren Kreis unserer Tafel nimmt die Welt der Engel und der triumphierenden Kirche, der ecclesia triumphans am Vorgang der Marienkrönung teil, ebenso in den vier Ecken die vier Evangelistensymbole. Im mittleren Kreis, in der unmittelbaren Nähe zum Throne Gottes folgen in acht (= zwei mal vier) Feldern die Engel, im äußeren wiederum in acht (= zwei mal vier) Feldern Gruppen von Heiligen betend dem Vorgang der Krönung. (1)

LeerIm Vorgang der Marienkrönung schauen wir die auch uns zugedachte und verheißene Zukunft und Vollendung: Auch unser wartet die Krone des ewigen Lebens. Das Bekenntnis des Apostels darf auch unser Bekenntnis werden: »Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter geben wird, nicht mir aber allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung liebhaben.« (2. Timotheus 4,7f.)

Anm. 1: Hier ist einer knapp beigegebenen Deutung in dem genannten »DU«-Heft zu widersprechen: Im äußeren Kreis ist nicht die wirkliche Welt des Klerus, der Adligen und der Krieger dargestellt. Das Schwert Pauli hat den offenbar flüchtigen betrachter dazu verführt, hier einen »Krieger« zu sehen.

Quatember 1982, S. 142-144

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-07
Haftungsausschluss
TOP