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Eine Bemerkung zuvor
von Ulrich Wickert

LeerAdolf von Harnack hat dargetan, »daß wir in der Dogmengeschichte deutlich drei Baustile, aber auch nicht mehr, zu unterscheiden vermögen, den Stil des Origenes, den des Augustinus und den reformatorischen«. Harnack hat mithin gesehen, daß sich aus der verwirrenden Fülle christlicher Denominationen drei Grundgestalten von »Kirche« herausheben, auf deren Struktur und wechselseitige Bezogenheit zu achten hätte, wer das konturierte Ganze der Christenheit zu erkennen sucht.

LeerOrigenes († 254) steht symbolisch für jenen Typos Kirche, der sich durch die Christianisierung der durch Logos und Kosmos konstituierten Denkwelt der Griechen gebildet hat. Als für das Mysterium des Dreieinigen Gottes transparenter kosmischer Raum ist er in der östlichen Orthodoxie bis zum heutigen Tage unter uns.

LeerAugustinus († 430) repräsentiert den anderen, den lateinischen Typos Kirche, der in einer charakteristischen Mischung aus Fortschritt und Tradition als »pilgernde Kirche« in der sich dehnenden Zeit unterwegs ist.

LeerDen dritten Typos Kirche begründet die Reformation, indem sie die Konturen der beiden in Raum und Zeit eingebundenen Kirchentypen sprengt und den eschatologischen Augenblick des sich »jetzt« ereignenden Heils konstituiert - kraft ihrer Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders, mit welcher sie die paulinische Grundposition in der Großkirche des 16. Jahrhunderts gegenwärtig setzt.

LeerRaum, Zeit, eschatologischer Augenblick: In diesen drei Dimensionen scheint »Kirche« präsent zu sein. Wie bringt man aber die drei zusammen? Es gibt Hindernisse, die alles verderben: die Selbstgewißheit des in der Neuzeit noch einmal mit sich selbst beginnenden »autonomen« Menschentums; die nivellierende Unfähigkeit, geschichtliche Gestalten voneinander zu sondern, bevor man zur Einheit ruft; die nicht auszurottende strukturelle Selbstbezogenheit der Kirchentümer, deren jedes für sich allein den Anspruch erhebt: Hier ist des Herrn Tempel! Das Ganze kann aber nur dort gesichert werden, wo die Geschichte im ganzen rekapituliert werden könnte.

LeerDie im Raum zerstreute Summe autokephaler orthodoxen Kirchen (gleichsam geistlicher Poleis) kann das so wenig leisten wie die Reformation mit der offenkundigen »Punktualität« des von ihr bezeugten Transzendenzbezuges. In Rom wäre diejenige geschichtliche Entelechie gegeben, in welcher das (kirchen)geschichtlich Gewordene im ganzen sich sammeln könnte: vorausgesetzt, in Rom sähe man ein, daß die Anerkenntnis der eigenen strukturellen Partikularität als nur einer Grundgestalt von Kirche die Bedingung für einen der Kirche im ganzen zu leistenden Dienst wäre. Anstatt aber für alles authentisch Christliche den geschichtlichen Raum zu öffnen, identifiziert sich Rom zu früh mit dem (empirisch noch gar nicht konstituierten) Ganzen der Kirche und versäumt seine weltgeschichtliche Aufgabe heute und hier.

Quatember 1993, S. 130

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-30
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