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Predigt auf dem Evangelischen Kirchentag
München 1993 über Römer 15,1-2.5-7

von Schwester Adelheid Wenzelmann

LeerNehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob! Einander annehmen - das geht doch nicht so auf Befehl. Wie oft kommen wir da an unsere Grenzen. Wir wollen den anderen annehmen, aber wir können es nicht. Unsere Gefühle tun nicht mit. Wir fühlen uns durch den anderen in unserem Lebensraum beschnitten, bedroht, und wir reagieren mit Angst und verborgener oder offener Aggressivität. Wie schwer das Annehmen ist, spüren wir im alltäglichen Miteinander, und wir erfahren es zur Zeit in unserem Volk sehr konkret in den Mühen des Zusammenwachsens von Ost und West oder auch besonders im Verhältnis zu unseren ausländischen Mitbürgern.

LeerAuch in der römischen Gemeinde war das Sich-gegenseitig-Annehmen ein Problem. Da war man verschiedener Meinung über das Maß der Freiheit des Evangeliums. Was darf man, was darf man nicht? Es gab Gruppierungen, es gab starke und schwache Christen, linke und rechte, konservative und progressive schon in der ersten Generation der Christen. Und jede Gruppe hatte recht und beharrte auf ihrer Meinung. Nehmt einander an. Wie soll das gehen? Unser Vers aus dem 15. Kapitel des Römerbriefes, aus dem die Kirchentagslosung entnommen ist, zeigt uns, daß hinter diesem Befehl, der uns so unerreichbar scheint, mehr steht - daß da ein anderer dahintersteht, der allein das Unmögliche möglich macht.

LeerNehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat

LeerAngenommensein, das ist etwas vom Wichtigsten im Leben. Wir wissen doch, was das bedeutet, ob ein Kind von den Eltern angenommen ist oder nicht. Das ist entscheidend für das ganze Leben. Ob ich mich von Gott angenommen weiß, das ist auch lebensentscheidend und bestimmt mein Grundgefühl. Unser Bibelwort sagt mir: Lange bevor eine Mahnung oder gar ein Befehl ergeht, darf ich wissen: Ich bin geliebt. Ich bin angenommen. Wert und Anerkennung muß ich mir nicht selbst verschaffen; ich brauche sie mir nicht von anderen zu erbetteln oder zu erzwingen. Sie sind mir von Gott geschenkt. Gott liebt mich, wie ich bin, nicht wie ich sein sollte oder gerne sein möchte.

LeerIch weiß das, aber ich brauche ein Leben lang, um es auch wirklich mit dem Herzen zu begreifen. Das tiefste Geheimnis des Angenommenseins leuchtet uns in Christus auf: Gott hat in ihm unser menschliches Leben angenommen. Keine Tiefe, kein Abgrund, in dem sich menschliches Leben verlieren kann, ist ihm fremd. Nichts konnte und kann ihn daran hindern, uns nahe zu kommen und uns nahe zu bleiben. In Christus kommt uns Gott näher als jeder von uns sich selber sein kann. So tief und geheimnisvoll ist diese Vereinigung, daß sie durch nichts mehr zu gefährden und zerstören ist, auch nicht durch den Tod In Christus ist uns eine todsichere Annahme geschenkt. Weder Tod noch Leben, nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, schreibt Paulus einige Kapitel vorher.

LeerNehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. Wie nimmt denn Christus an? Er nimmt an als ein Diener, als ein Knecht. Kreuz und Dornenkrone, das sind die Zeichen seiner Annahme, so hat er den Vater gelobt. Er hat sich unter die Last der anderen gebeugt. Das war seine Verherrlichung des Vaters. Wir können das nicht aus uns. Und weil wir das nicht können, feiern wir jetzt das Sakrament seiner Annahme und Nähe, das uns allein verwandeln kann, daß wir einander annehmen lernen. Wir empfangen darin die Kraft des Kreuzes, die unsere Welt noch zusammenhält und allein zu heilen vermag.

Quatember 1993, S. 172-173

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-30
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