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Meditation als Hilfe zum geistlichen Leben
von Peter Beyerhaus

Leer1. Wesen und Sinn der Meditation

LeerDas Wort »Meditation«, das früher einen recht exotischen Klang hatte und Assoziationen an buddhistische Klöster oder ägyptische Styliten hervorrief, ist heute wieder recht modern geworden. Seit Beginn der siebziger Jahre erleben wir gerade in westlichen Ländern einen regelrechten Meditationsboom. Auch darin drückt sich etwas von der heutigen postmodernen Reaktion gegen die rationalistische, mechanistische und materialistische Geisteshaltung des nachaufklärerischen Zeitalters aus, das mit seinem oft hektischen, oberflächlichen Lebensstil kaum Raum für tiefere seelische Erfahrungen übrig ließ. »Der Trend zur Ratio und zum Funktionalismus hatte im Westen zu einem meditationslosen, ja -feindlichen Klima beigetragen« (so Udo Reiter in: Meditation - wiederentdeckte Wege zum Heil? Information Nr. 52 der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. XII/72).

LeerUnter diesen Einflüssen haben auch die Theologie und das kirchliche Leben gelitten: Weithin ist es hier zu einer Intellektualisierung des Evangeliums und als vordergründiger Ausgleich dazu zu einer fast ausschließlichen Betonung der Aktion im gesellschaftskritischen politischen Engagement gekommen.

LeerDeswegen mehren sich heute in den Kirchen solche Stimmen, die zu einer erneuten Aufwertung des meditativen Elementes aufrufen. Weil hier allerdings recht unterschiedliche theologische Motivationen den Ton angeben können, ist es nötig, sorgfältige »Diakrisis« zu üben. Wenn wir hier von Meditation sprechen, so reden wir davon nicht in dem oft abgeblaßten - obwohl seiner lateinischen Herkunft nach wohl ursprünglichen - Sinn, in dem Meditieren auf jedes Nachdenken, gelegentlich sogar auf einen Zeitungskommentar bezogen werden kann. Ich spreche auch nicht von seiner Verwendung in Kunst und Philosophie, sondern von der Bedeutung, die das Wort im religiösen Sprachgebrauch gewonnen hat: andachtsvolle Konzentration auf ein religiöses Objekt, die dieses in innerer Selbsterschließung so lange betrachtet oder umkreist, bis es zu einer Begegnung im Innersten der Seele kommt. Eine allgemein gehaltene Definition finden wir im Großen Brockhaus: »Lateinisch ‘meditari’ Nachsinnen, ‘meditatio’ Besinnung, besinnliche Betrachtung. Eine durch entsprechende Übungen bewirkte oder angestrebte geistig-geistliche Sammlung (oft in Abgeschlossenheit und unter dauerndem Schweigen). Sie soll, von körperlicher Entspannung und Haltung unterstützt, den Menschen zu seinem eigenen innersten Grund führen.«

LeerWilhelm Stählin kennzeichnet die von ihm empfohlene »echte Meditation« wie folgt: »Es ist eine eigentümliche Art des Denkens, bei der wir nicht mehr über die Dinge uns Gedanken machen, einen Inhalt denkend durchdringen und uns um ein kritisches Urteil bemühen, sondern wo wir uns einer Sache völlig hingeben, in sie eindringen oder - was das gleiche ist - sie in uns eindringen lassen ... Immer verzichtet der Meditierende auf seine vorsichtig abwägende Zuschauerhaltung, immer gibt er sich dem, worüber er meditiert, völlig hin, gewährt ihm Raum in seiner Seele und Macht über sein Denken und Sein.« (Aus: Wilhelm Stählin: Vom göttlichen Geheimnis. Kassel, 1936, S. 73f.)

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LeerDurch die Meditation wird der objekthafte Abstand des betrachteten Gegenstandes zum betrachtenden Subjekt aufgehoben, und es kommt zu einem gegenseitigen Eingehen von Subjekt und Objekt ineinander und somit auch zu einer inneren Transformation des betrachtenden Subjektes.

LeerWenn ich hier von einem religiösen Objekt der Meditation spreche, so möchte ich das Wort »religiös« nicht zu eng fassen. Objekt einer religiösen Meditation braucht nicht immer ein biblisches Thema oder ein religiöses Bild zu sein, sondern auch ein Stück aus der Natur, etwa eine Blume, ein Baum, eine Wolke, ein Sonnenaufgang, kann Gegenstand meiner Meditation werden, indem ich nämlich von der naturwissenschaftlichen zweckmäßigen Betrachtungsweise zur metaphysischen transzendiere und so in dem Stück Natur die schöpferische Hand Gottes selbst sehe. Ähnlich erhebt sich die Meditation über einem sakralen Kunstgegenstand, wie zum Beispiel einem wertvollen Abendmahlskelch, über die ästhetischen Gesichtspunkte hinaus und erkennt in der reinen Form die Idee, die mir zum Gleichnis für das gnadenhafte Geschehen im Handeln Gottes an seiner Welt, der Kirche oder der Seele wird.

LeerHier allerdings müssen wir zugleich ein Wort der Warnung aussprechen: Nicht jedes Bild, nicht jedes Thema eignet sich als Gegenstand heilsamer Meditation. Die Erfahrenen warnen uns vor einer Meditation über negative Themen, weil sie in unsere Seele Unruhe und Anfechtung hineintragen können. In dem Begriff der Meditation an sich ist noch »nichts darüber ausgemacht, welchen Mächten wir unser Inneres geöffnet darbieten, welchem Gast wir die Herberge bereiten; wir sind, indem wir meditieren, immer für sehr verschiedene ‘Einflüsse’ aufgetan, und es bedarf der strengsten Selbstprüfung, einer vorsichtigen und verantwortungsvollen Führung, es bedarf vor allem des ernsten und lauteren Gebetes, damit Worte der Wahrheit, Zeichen voll Weisheit und Segen an uns mit ihrer heilsamen Kraft wirksam werden« (Stählin, ebd., S. 74). Diese Warnung gilt insbesondere im Blick auf das Praktizieren nichtchristlicher, asiatischer und anderer Meditationstechniken, wie z.B. der sog. Transzendentalen Meditation (TM). Der geistige, jenseitige Bereich, in den wir uns hineinbegeben, ist ja, wie wir aus der Heiligen Schrift (vgl. Epheser 6, 10 ff.) wissen, nicht monistisch gut im Sinne einer pantheistischen Welteinheit, auch nicht neutral, sondern erfüllt von den »Mächtigen und Gewaltigen, den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel« (Epheser 6,12). Deswegen kann Meditation nach Anweisungen der Gurus Christen zur okkulten Behaftung oder gar zur Besessenheit führen.

LeerWenn wir zunächst auf den wichtigen Unterschied zwischen christlicher und nichtchristlicher religiöser Meditation hingewiesen haben, so können wir noch einen Schritt weitergehen. Meditation läßt sich auch in einem allgemeinen, psychologischen Sinne verstehen: In diesem Sinne ist Meditation keine menschliche Erfindung, sondern eher eine Urfunktion des Menschen, nämlich die der inneren Aufnahme, der seelischen Aneignung. Auch kleine Kinder geraten gelegentlich in ein spontanes Meditieren. Der Mensch steht als Teil der Schöpfung in einer ursprünglichen, wenn auch durch die Sünde gestörten Harmonie mit allem Geschaffenen, und so findet er in der Betrachtung des naturhaft Elementaren ein inneres Echo, das zu einem Gefühl tiefer Befriedigung führen kann. Denken wir z.B. daran, wie unersättlich wir dem ewigen Spiel der Meeresbrandung zuschauen können; oder daran, wie das Zucken der Flammen uns einen ganzen Abend lang am Kamin in seinen Bann ziehen kann - ein Grunderlebnis, das wir auch mit den Eingeborenen aller Völker teilen.

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LeerSolch einfaches Meditieren verfolgt als allgemeinmenschliches Phänomen keinen bewußten Zweck, bleibt aber nicht ohne positive Auswirkung, die in der seelischen Entspannung besteht. Das läßt sich sogar wissenschaftlich physiologisch nachweisen: Experimente haben gezeigt, daß es bei Meditationsübungen ganz unterschiedlicher Art zur Veränderung von Widerständen und Hirnstromabläufen kommen kann. Diese Veränderungen sind Begleitzeichen dafür, daß es sowohl zu einer körperlichen wie auch zu einer psychischen Entspannung kommt. Es wird da eine Umstellung im vegetativen System ausgedrückt und gleichzeitig ein vermindertes Ansprechen auf Umweltreize angezeigt. (Prof. Dr. Johann Kugler, zitiert bei Udo Reiter, a.a.O., S. 15.) Daraus kann sich ein dem Schlafe vergleichbarer Erholungseffekt ergeben, weshalb auch Nervenärzte in unserer auf konstante Anspannung und Höchstleistung ausgerichteten Gesellschaft eine sinnvolle Anwendungsmöglichkeit des Meditierens zu erkennen meinen.

LeerSolche seelisch wohltuenden, ja heilenden Wirkungen können sich auch aus christlicher Meditation ergeben. Sie sind jedoch deren Begleiteffekte und stellen nicht den eigentlichen Grund für uns dar, uns mit Wesen und Sinn christlicher Meditation zu beschäftigen. Vielmehr geht es uns hier darum, den Stellenwert der Meditation im Zusammenhang mit den Zielsetzungen geistlichen Lebens im Gefolge der erfahrenen Erlösung in Jesus Christus zu untersuchen. LeerJede religiöse Meditation, auch in nichtchristlichen Religionen, verfolgt ja ein über das Kreatürliche hinausweisendes Ziel. Der Mensch sucht seine Erfüllung darin, daß er sich aus dem Alltäglichen, Vulgären, im Christentum aus dem Bereich der Ich-haftigkeit und der sündigen Weltumfangenheit herausführen läßt in eine Begegnung und Einung mit Gott (bzw. dem Göttlichen), wodurch der Meditierende eine Reinigung, Wandlung und Wesensüberhöhung zu erfahren hofft.

LeerHier gilt es nun wiederum, klar zu unterscheiden zwischen zwei Hauptformen der Meditation, nämlich der östlichen in den nichtchristlichen Religionen - Hinduismus und Buddhismus -, und der abendländischen des Christentums. Daß es tatsächlich eine eigene und überaus reiche Meditationstradition im Raum des östlichen und des westlichen Christentums gibt und hier auch im evangelischen Bereich, wird bei der heutigen Faszination durch asiatische Spiritualität fast völlig übersehen.

LeerEs gilt aber für uns, gerade auf diese echt christliche Tradition aufmerksam zu werden, deren Ursprünge sich bis in die neutestamentlichen Evangelien hinein verfolgen lassen: Jesus selber suchte immer wieder die Stille und zog sich zum Gespräch mit seinem Vater in die Einsamkeit zurück. Seinem Beispiel wollten später die altkirchlichen Wüstenväter folgen. Um Meditation bzw. Kontemplation geht es im Osten beispielsweise bei den Athos-Mönchen, im Westen bei den vor- und nachreformatorischen Mystikern; im evangelischen Bereich (auch wenn der Name selten gebraucht wird) bei Martin Luther (vgl. seinen Ausspruch: Oratio, tentatio et meditatio faciunt theologum - Gebet, Anfechtung und Meditation machen den Theologen) in seiner Aufnahme mystischer vor-reformatorischer Frömmigkeit und nach ihm bei Johann Arndt, Johann Gerhard und Gerhard Tersteegen.

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LeerEs gibt zweifellos formale und psychologische Ähnlichkeiten in westlichen und östlichen Meditationsübungen und in der Beschreibung der dabei gemachten Erfahrungen. Beide Typen haben es zu einer beachtlichen Entwicklung der Kunst der Meditation gebracht, beide haben Meister der Meditation hervorgebracht, die Triumphe des Geistes über die Welt des rein Körperlichen erfochten haben, bis hin zu heroisch-asketischen und telepathischen Phänomenen. Sie haben dabei die Selbständigkeit des Geistes gegenüber dem Körper unter Beweis gestellt. Beide haben in den äußeren Formen und Techniken der Meditation unabhängig voneinander vieles Gemeinsame gefunden und entwickelt.

LeerTrotzdem aber gilt es, zwischen beiden einen zentralen, unaufhebbaren Unterschied festzustellen, der mit dem grundlegend anderen Gottes- und Seinsverständnis sowie mit der andersartigen Erlösungslehre zusammenhängt. Diese Gegensätze werden von vielen heutigen Ratgebern, welche den Christen und Kirchen die Übernahme östlicher Meditationsmethoden bzw. deren »Integration« mit christlichen Frömmigkeitsformen empfehlen, vielfach übersehen, so daß wir hier vor einem verschleiernden Synkretismus warnen müssen. Es gilt, mit Friso Melzer folgenden kardinalen Unterschied zu beachten: In der östlichen Meditation geht es um Identität, in der westlichen um Vereinigung. Im Osten herrscht der Gedanke, daß zwischen Gott und Mensch im Sinne eines naturhaften Monismus oder Pantheismus im wesentlichen kein Unterschied bestehe, ja daß Gott nirgends woanders als im eigenen Ich zu finden ist: Atman, der Seelenkern, ist gleich Brahman, das All-Eine. Im Christentum bleibt als Grundvoraussetzung das Bewußtsein der menschlichen Kreatürlichkeit und darüber hinaus auch unserer Sündigkeit. Das hält zur Demut an.

LeerChristen wissen aus der biblischen Offenbarung um den von uns her nicht aufzuhebenden Abstand des gefallenen Menschen zu Gott. Darum setzt christliche Meditation unabdingbar voraus, daß sich der Meditierende im Stande der Gnade, d.h. der vergebenen Schuld und der Absage an die Mächte der Finsternis befindet. Im Osten betreibt man Meditation aus eigener Vollmacht, im Christentum nur aufgrund der unfaßbaren Herabneigung Gottes und seiner Botschaft, in der Menschwerdung des Sohnes unsereiner geworden zu sein und uns in der Wiedergeburt aus Wort, Wasser und Geist zu seinen eigenen Kindern angenommen zu haben. Übersieht man diesen Gegensatz, so kann es zu einem verhängnisvollen Vergessen der christlichen Botschaft kommen, eine Versuchung, die übrigens den Weg christlicher Mystiker zu allen Zeiten begleitet hat.

LeerDetlef Bendrath (in der EZW Information Nr. 52 »Meditation -widerentdeckte Wege zum Heil?«, S. 22) weist am Beispiel von Meister Eckhart, der selber ein treuer Sohn seiner Kirche sein wollte, exemplarisch auf, »daß alle christliche Mystik in der Gefahr steht, Gott zu einem leeren Nichts zu machen, aus Erlösung Selbsterlösung werden zu lassen, den Unterschied zwischen Schöpfung und Neuschöpfung zu verwischen, das Erlebnis der Sünde und Schuld zu entwerten, die Einheit des Menschen mit der Gottheit durch metaphysische Spekulation zu finden, die Wertung des Menschen und Mitmenschen als Persönlichkeit zurücktreten zu lassen«. Und er folgert zu Recht: »Die Rolle, die Meditationsschulen asiatischer Prägung als Ersatzreligion heute im Abendland spielen, deutet auf diese Gefahr hin, in der jede Meditation - auch die christliche - steht.« Überall »wo die Erfahrung menschlicher Schuld und sündhafter Unfähigkeit bagatellisiert oder negiert wird - da haben christliche Theologie und Kirche ihre kritische Stimme zu erheben«.

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LeerFriso Melzer schlägt in Erkenntnis dieser Gefahren zur Unterscheidung der östlich-nichtchristlichen und der westlich-christlichen Meditation die beiden gegensätzlichen Begriffe » V e r s e n k u n g « und » I n n e r u n g « vor. In der östlichen Versenkung will sich die Person des Meditierenden völlig in der Einheit mit dem Göttlichen - das nicht als Person gedacht wird - auflösen. Im Westen geht es um gegenseitige Durchdringung - »Du in mir, ich in dir« (G. Tersteegen) -, die doch die wesenhafte Zweiheit niemals aufhebt. Die tiefste Analogie findet die christliche Mystik daher in der Ehe, die ja auch Paulus als geheimnisvolles Abbild für das Verhältnis zwischen Christus und der Gemeinde ansieht.

LeerDer genannte Gegensatz kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß westliche Meditation zu ihrem Gegenstande in der Regel das Wort braucht, das ja der Ausdruck der Kommunikation zwischen zwei selbständigen Personen ist. Die östliche Meditation dagegen kommt, eben weil sie diese Zweiheit leugnet, zu einer völligen Auslöschung des Personen-Begriffs und verliert damit zugleich Gott und den Mitmenschen im Erleben glückseligen Genießens. So zeigt sich gerade in der Meditation der eigentliche Unterschied zwischen christlicher und nichtchristlicher Religion: In der christlichen Religion geht es um die Verherrlichung Gottes, in der nichtchristlichen Religion um die Selbstverherrlichung des Menschen. Sie ist letztlich nichts anderes als sublimierte Selbstsucht im religiösen Gewände. Johannes Baptist Lotz SJ, einer der Meister der christlichen Meditation in unserer Zeit, betont (zitiert bei D. Bendrath, a.a.O., S. 23): »Die Gesinnung und Absicht, in der das alles geschieht, darf nie und nimmer die Sucht nach außerordentlichen Erkenntnissen und ungewöhnlichen Beglückungen oder gar eine selbstgefällige Überheblichkeit sein. Vielmehr teilt Gott sich selbst und seine Geheimnisse nur dem liebend sich Hingebenden und dem demütig Bittenden mit. Am wirksamsten führt ... in die Reichtümer Gottes die Liebe.«

LeerDarum auch geht die christliche Meditation stets mit der Heiligung zum Dienste an Gott und dem Nächsten Hand in Hand. Das muß klar gesagt werden gegenüber solchen Bestrebungen in unserer Kirche, welche die Wiederbelebung der uns verlorengegangenen Meditation im wesentlichen als eine Art seelische Hygieneübung empfehlen wollen, die dem Menschen dazu verhelfen soll, aus seiner Verkrampfung und seinem Gehetztsein, aus einer Veräußerlichung wieder zurückzufinden zu den Tiefen seiner eigenen Seele. Es soll nicht geleugnet werden, daß christliche Meditation auch solche begrüßenswerten Auswirkungen zeitigt.

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2. Theologische Voraussetzungen der Meditation

LeerEs ist nun nötig, bevor wir zur praktischen Gestaltung der Meditation kommen, ein paar Worte über ihre  t h e o l o g i s c h e n  V o r a u s s e t z u n g e n  zu sagen. Christliche Meditation setzt zweierlei voraus:


1. die Erfahrbarkeit Gottes (cognito Dei spiritualis), die in seinem Willen zur Gemeinschaft mit dem Menschen gründet,
2. die Möglichkeit einer fortschreitenden Heiligung des Christen als dessen persönliche Erfahrung des Sieges Christi über die Macht der Sünde und des Todes.

LeerBeide Gedanken können leider nicht als gemeinsame Überzeugung aller Christen bezeichnet werden, obwohl sie auf einer klaren biblischen Grundlage stehen und auch der Erfahrung der Kirche in der Geschichte ihrer Heiligen entsprechen. Um dazu zwei Worte des Paulus zu nennen: »... der Geist selbst gibt Zeugnis unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind« (Römer 8,16) und »... nun ihr aber seid von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden, habt ihr eure Frucht, daß ihr heilig werdet, das Ende aber ist das ewige Leben« (Römer 6,22).

LeerDemgegenüber ist für viele Christen Gott ein Gott der Vergangenheit und der Zukunft, dessen gegenwärtiges Walten sie zwar nicht leugnen, dem sie sich aber nur im sogenannten blinden Glauben - ein Ausdruck den die Schrift  n i c h t  kennt - anbefehlen, wobei sie aber zugleich alle wichtigen Lebensentscheidungen aus eigener Vollmacht treffen. Desgleichen finden sich viele Christen mit ihrer Sündhaftigkeit als mit einer nun einmal unvermeidlichen und darum entschuldbaren Schwäche ab und diskreditieren deswegen jegliches ernste Heiligungsstreben als »Selbstgerechtigkeit«.

LeerEs ist klar, daß bei einer solchen theologischen Haltung, die wir nur als Selbstpreisgabe des biblischen Glaubens als gelebter Frömmigkeit bezeichnen können, für den meditativen Umgang mit Gottes Wort kein Verständnis aufkommen kann. Er erscheint dann als nichts anderes denn als Zeitvergeudung oder religiöse Schwärmerei. Wer dagegen an die Lebensgemeinschaft - die Koinonia - zwischen Christus und seinen Jüngern glaubt, für den wird bald die Meditation zum wichtigsten Teil des ganzen Tageslaufes, zumal er hier sowohl die sinnvollste Betätigung seiner geistigen Gaben als auch die befriedigendste Erfüllung seines Lebensdurstes findet. Er sucht die Meditation nicht nur als Erfüllung des religiösen  S o l l s , sondern als  u n e n t b e h r l i c h e  Q u e l l e  d e r  K r a f t  und der Ausrichtung für die Gestaltung des anbrechenden Tages.

LeerDer Mensch ist ideologisch geschaffen, das heißt, er muß auf ein Ziel hinstreben. Der Nichtchrist findet es in der Entfaltung seines Ehrgeizes oder in der Befriedigung seiner Genußsucht und muß am Ende feststellen, daß er auf sein Fleisch gesät und darum den Tod geerntet hat. Der Christ folgt dem einen Ziel nach, Gott immer tiefer zu erfassen, sich von ihm erfassen zu lassen, und - das ist die unerläßliche Bedingung dabei - immer mehr von dem Schmutz der Sünde abzustoßen, die unseren inneren Menschen krank, blind und lahm macht, von der uns aber Christus grundsätzlich  s c h o n  b e f r e i t  h a t  und uns auch persönlich befreien will.

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3. Praktische Gestaltung der Meditation

LeerIn der Meditation lerne ich die Tiefen der Liebe und der Heiligkeit Gottes immer mehr erkennen (vgl. Epheser 3,18). Weil Gott sich nun in seiner Liebe und Heiligkeit uns Menschen am erkennbarsten, je ergreifbarsten in dem Mensch gewordenen Gottessohn geoffenbart hat, wird sich christliche Meditation mit besonderer Vorliebe der geistlichen Betrachtung des Lebens Jesu zuwenden. Zu manchen Zeiten, so in den Passionswochen, stellen wir uns insonderheit sein stellvertretendes Leiden für uns vor Augen. Schon die vorreformatorischen Mystiker haben diese Jesus-Meditation aus den Texten der Evangelien auch bezeichnet als ein Lesen im »Buch des Lebens«.

LeerSo gehört zu den von Johann Tauler empfohlenen geistlichen Übungen die Leben-Jesu-Meditation, durch die der Christ verwandelt, von Liebe durchdrungen wird, indem er sich darin »verbildet«. Johann Arndt, diese Brückengestalt zwischen Reformation und Pietismus, ist ihm hier gefolgt (vgl. Christian Draw: Bücher im Staube. Die Theologie Johann Arndt's in ihrem Verhältnis zur Mystik. E.J. Brill, Leiden, 1985, S. 124-143). Es ist sehr wichtig, darauf hinzuweisen, daß sich diese Betrachtung des Lebens und Leidens auf das biblische Wort stützt. Es geht in ihr nicht etwa um einen »eingebildeten« Christus, der aus den Tiefen der eigenen Seele aufsteigt, von dem übrigens auch neohinduistische Gurus glückselig erzählen können; vielmehr begegnet mir die authentische Gestalt Christi allein in den biblischen Berichten als ein mich von außen treffender Anruf, als ein echtes »Du«. So beschreibt es der katholische Philosoph Josef Piper in seinem Buch »Glück und Kontemplation« (zitiert bei D. Bendrath, a.a.O., S. 23).

LeerIn der Meditation erkenne ich mein eigenes gefallenes Wesen immer klarer, und ich empfange aus Gottes Wort Weisung und von seinem Heiligen Geist Kraft, Christus gehorsamer zu werden und so den alten Adam in mir zu töten, natürlich immer in Verbindung aller Gnadenmittel, auch der Sakramente!

LeerGleichzeitig bin ich aber in der Meditation nicht etwa in selbstsüchtigem religiösen Genuß mit meinem Gott allein; vielmehr zeigt er mir durch sein Wort  a u c h  m e i n e n  N ä c h s t e n  - mein gegenwärtiges oder potentielles Mit-Glied am gleichen Leibe Christi, dem ich in Christus verpflichtet bin. Meine negative Grundeinstellung zum Bruder offenbart sich mir als ein Haupthemmnis meiner eigenen Christusgemeinschaft, und ich werde an ihn, den Bruder, verwiesen, um in ihm Christus hier auf Erden zu begegnen. Meditation ist also nicht Flucht aus diesem irdischen Leben, sondern ist Hilfe zu seiner Gestaltung. Und nur da, wo ich gehorsam in diesem Leben bin, wird mir Fortschritt in der » I n n e r u n g « Gottes im Gebete über seinem Worte geschenkt.

LeerSo vollzieht sich die Erfüllung des wunderbaren Wortes, das Paulus in der Beschreibung des Christenlebens gesagt hat: »Nun aber spiegelt sich bei uns allen die Herrlichkeit des Herrn in unserem aufgedeckten Angesicht, und wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur anderen von dem Herrn, der der Geist ist.« (2. Kor. 3, 18)

Quatember 1994, S. 90-98

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-23
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