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Mit dem Leib beten
Hellmut Santer zum 65. Geburtstag
von Ernst Hofhansl

LeerWilhelm Stählin hat uns deutlich gemacht, daß der Mensch nicht einen Leib habe, wie man etwas besitzen könne, sondern daß der Mensch Leib ist. Und nur so. Damit ist erkannt, daß alle physischen und psychischen Vorgänge leibhafte Geschehen sind. So ist auch unser Beten von der leibhaften Gestalt beeinflußt und umgekehrt : unsere Haltung beim Beten bestimmt unser Gebet. Schon vor Erscheinen der grundlegenden Schrift Vom Sinn des Leibes (Anm. 1), deren erste Auflage deutlich die Züge des Aufbruches der Jugendbewegung trägt, haben sich die Autoren des Berneuchener Buches (Anm. 2) darum bemüht, die aufgezeigte Not der Kirche nicht nur zu beschreiben, sondern auch die sich daraus ergebenden Konsequenzen als Aufgabe zu beschreiben. Die praktische Gestaltung erfolgte in den Jahren nach dem Erscheinen des Berneuchener Buches durch die Freizeitenarbeit und das begleitende Schrifttum. (Anm. 3)

LeerAuf den Berneuchener Freizeiten war das gemeinschaftliche Singen und als Vorübung dazu das Einüben des richtigen Atmens ein wichtiger Bereich des Tagesablaufes. (Anm. 4) Wie von selbst ergab es sich, daß dabei auch die Haltung der Übenden und dann auch Singenden beachtet wurde. Selbstverständlich ergab es sich dann auch, daß die leiblichen Gebärden im Gottesdienst bedacht und beachtet wurden.

LeerDie Reformation hat alle nicht mit der Wortverkündigung und unmittelbaren Sakramentsverwaltung zusammenhängenden Ausgestaltungen des Gottesdienstes für »Mitteldinge« (Adiaphora) angesehen, die man halten oder abschaffen könne, je nach Belieben. Der Eifer für die »pura doctrina« - die reine unverfälschte Lehre des Evangeliums - übersah die dem Menschen notwendige Gestaltkraft des leibhaften Vollzuges. Das »Hören« alleine reichte nicht aus. Die mit der Hochschätzung der Predigt einhergehende Sitzkultur ließ die vielgestaltigen Bewegungsabläufe zurücktreten. Die Aufklärungszeit verdrängte die spärlichen Reste und schaffte weitere liturgische Vielfalt ab, so daß etwa Paul Graff von der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen sprechen konnte (Anm. 5).

LeerDer Kirchenbau trug dem auch Rechnung. Das zeigt augenfällig ein Vergleich etwa des romanischen Domes von Ratzeburg und der barocken Kreuzkirche zu Dresden. Gewiß sind das recht beliebig herausgegriffene Beispiele, aber das Kirchenschiff in Ratzeburg läßt Bewegung zu, die eher opernhafte Gestaltung der Kreuzkirche ist auf das Hören ausgerichtet. Bei diesen liturgischen Reduktionen wird meistens übersehen, daß auch die Verweigerung einer bestimmten Geste oder Gebärde zu einer Gebärde führt, häufig aber zu einer nicht bewußt vollzogenen, sondern dadurch zu einer verdrängten oder verklemmten Hilflosigkeit wird. Das mag beim einfachen Gemeindeglied wenig auffallen, aber schon die Art, wie jemand zum Altar tritt, verrät die Haltung, ja oft auch innere Einstellung. Die Erforschung der körpersprachlichen Signale im Blick auf gelingende oder beeinträchtigende Kommunikation macht uns darauf aufmerksam, daß zu der worthaften Verständigung auch die nichtsprachliche dazu kommt (Anm. 6). Wieviel an innerer Einstellung von einem selbst zu den Mitmenschen transportiert wird, machen sich wenige Menschen bewußt. Entsprechende Literatur und Trainingsseminare wollen hier Hilfen zu besserem Kommunizieren geben.

LeerWenn das schon im Zwischenmenschlichen wichtig ist, wieviel mehr sollte im Gottesdienst der Kirche diesem Bereich Aufmerksamkeit von allen Teilnehmern geschenkt werden. Wer je an einem orthodoxen Gottesdienst teilgenommen hat, wird die vielfache Bewegtheit sowohl der Liturgen als auch der Gläubigen mit Staunen bemerkt haben. Damit ist auch eine Einsicht aufgegriffen, daß unsere Bewegungen immer an einem bestimmten Ort geschehen. Für den Gottesdienst ist es normalerweise ein ganz bestimmter, geprägter Raum. Dieser Raum beeinflußt auch die darinnen gestalteten Bewegungsabläufe. Damit stellt sich schon als erste Aufgabe: Nimm Beziehung auf zu dem Raum, den du betrittst. Die seinerzeit auf den Freizeiten oft geübte »Türhüter-Meditation« (Anm. 7) legte Wert auf das bewußte Öffnen und Überschreiten der Schwelle von einem Außen in ein Innen hinein. Dieser bewußt und intensiv vollzogene Akt des Überschreitens ist verbunden mit dem Wahrnehmen des Raumes. Der Eintretende nimmt dazu eine Beziehung auf.

LeerDieses Innehalten an der Schwelle mag von dem innerlich gesprochenen »Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geiste ...« begleitet oder auch mit der Tauferinnerung verbunden sein. Dazu kann der die Schwelle überschreitende Mensch (wo möglich: die Finger in das Wasserbecken tauchen und) sprechen: »Ich bin getauft auf deinen Namen. Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist.« Wer dies mit der Gebärde des Kreuzzeichens (Anm. 8) verbindet, vollzieht diese mit der rechten Hand und beginnt meist mit der Berührung der Stirne, führt dann die Bewegung zur Leibmitte und dann von der linken zur rechten Schulter. Damit wird die Segensgeste des Liturgen aufgenommen und als Selbstbekreuzigung vollzogen. Der Brauch unserer orthodoxen Geschwister scheint mir sinnfälliger zu sein. Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand werden zum Zeichen für die Heilige Dreifaltigkeit zusammengeführt und mit den Spitzen der drei Finger die Kreuzbewegung ausgeführt. Dabei kann auch die erste Bewegung von der Stirne bis zum Boden gemacht werden. Sodann geht die Hand zur rechten Schulter als jener, die das Kreuz getragen hat, und dann erst nach links, auf die Herzseite. Die dreimalige Selbstbekreuzigung von Stirne, Mund und Brust hat in der römischen Liturgie einen festen Platz, etwa zur Ankündigung des Evangeliums.

LeerDer Eintretende hat nun den Raum wahrgenommen und beginnt zu schreiten. Wenigen ist deutlich, wie sehr falsche Ehrfurcht zu einem ungerichteten Schleichen bis zum ausgewählten Platz in der Kirche führt. Lasse die Bewegung beginnen, nimm die Beziehung zu dem ausgewählten Ziel auf und gehe darauf zu. Sinnvoll ist es, dann auch das Ankommen bewußt zu gestalten und sich zu setzen. »Sitz gerade!« war ein oftmals wiederholter Befehl von Eltern und Lehrern. Es ist schon etwas daran, aufrecht zu stehen und dann eine unverkrampfte Sitzhaltung einzunehmen. Ein »Wohl-Gespannt-Sein« ist der passendste Ausdruck dafür. Durchaus auch im wörtlichen und übertragenen Sinne von: »Sei gespannt auf das, was jetzt kommt.«

LeerManche meinen, daß das Stehen die eigentliche Haltung für den Vollzug des Gottesdienstes wäre. Das wird so allgemein nicht erfüllbar sein, denn die gemeindlichen Traditionen kennen das Stehen bei den Lesungen, beim Glaubensbekenntnis und dem Vater Unser. Immer öfter wird auch in lutherischen Kirchen beim Empfang des Heiligen Mahles gestanden und nicht mehr gekniet. Gegen das lange und häufige Stehen im Gottesdienst wird eingewendet, daß es jene ausgrenzt, denen das Stehen aus körperlichen Gründen Mühe bereitet. Als junger Pfarrer hat mich das Wort einer alt gewordenen Frau sehr betroffen, als sie mir sagte: »Ich gehe nicht mehr zum Abendmahl, weil ich nicht mehr knieen kann.« Da liegt ein Problem vor, das erkannt und behutsam, verständnisvoll zu lösen ist. Mit kommandoartigen gut gemeinten Anweisungen wird nichts erreicht werden. So sinnvoll eine erklärte Grundhaltung im gottesdienstlichen Vollzug ist, so muß sie doch barmherzig und rücksichtsvoll angewendet werden.

LeerWohin mit den Händen? - das ist nicht nur eine Frage von schnell gewachsenen Konfirmanden. In die Tasche stecken, damit sie weg sind, gilt nicht als fein. Also: Die verlegene Art sie zu falten und die Arme hängen zu lassen macht nirgends eine gute Figur. Denn dabei werden die Schultern nach vorne gezogen, wodurch manchmal eine Steifheit durch die gestreckten Ellbogen ausgedrückt wird und die ineinandergelegten Hände scheinen den Lendenschurz ersetzen zu müssen. Wer die Arme nicht an der Seite herabhängen lassen mag und die Handflächen locker an den Oberschenkeln liegen lassen will, kann sie lieber vor der Brust falten. Dabei sind die Arme etwa im rechten Winkel gebeugt, die Hände entweder ineinander gelegt oder mit verschränkten Fingern gefaltet. Zum Bittgebet werden sie gerne zusammengelegt, wie es das berühmte Bild von Albrecht Dürer zeigt. Die von der Alten Kirche geübte Orantenhaltung, bei der die Arme angewinkelt nach oben gerichtet sind, wird bei uns meist nur von Liturgen geübt. Die Übernahme dieser Geste bei enthusiastischen Gruppen hat sie bei unseren Gemeindegliedern etwas verdächtig gemacht. Das Knieen hat besondere Bedeutung, weil sich so der Beter klein und nahe dem Erd-Boden darbietet und unter Beteiligung nicht nur der oberen Körperhälfte da ist. Hier ist ein Üben unter begleitender Beobachtung - wie beim Einnehmen einer Meditationshaltung angezeigt, damit sich nicht verspannte Haltungen einprägen.

LeerDie Austeilung des Friedensgrußes hat die Evangelische Michaelsbruderschaft immer als eine vom Altar ausgehende Bewegung verstanden. Dabei grüßt der Liturg zuerst die Gemeinde und begleitet seine Worte mit geöffneten Armen als Grußgeste. Danach geht er selber oder die zuvor gegrüßten Helfer zu den GottesdienstteiInehmern. Dabei ist es angemessen, entweder die nach oben geöffneten Hände dem Liturgen entgegen zu halten, der dann den Gruß gleichsam als Gabe in die geöffneten Hände weitergibt. Auch das Auflegen der Hände auf die Oberarme ist eine sinnvolle Gebärde, bei der die einander Grüßenden auch den »Geschwisterkuß« austauschen können. Allzu innige Umarmungen wirken meist ebenso peinlich, wie das Herumlaufen nach dem Motto: Jeder grüßt jeden. Das mag bei einer kleinen Gruppe am Ende einer intensiven Tagung durchaus stimmig sein. Für den normalen öffentlichen Gottesdienst sollte es unterbleiben.

LeerImmer wieder hat es in den Kirchen auch Diskussionen gegeben, wie denn die heilige Speise zu empfangen sei. Schon Kyrill von Jerusalem hat in seinen Mystagogischen Katechesen aus dem 4. Jahrhundert den Kommunikanten empfohlen, mit der rechten Hand den Thron für den kommenden Herrn zu bilden. Die linke Hand solle stützend daruntergreifen. Mit beiden Händen wird dann die Hostie zum Mund geführt und mit den Lippen aufgenommen. Es ist dies eine sehr viel Ehrfurcht ausdrückende Geste, die sowohl dem austeilenden Liturgen die Handlung erleichtert, als auch dem empfangenden Gemeindeglied die Möglichkeit zu einer anbetenden Haltung gibt. Will jemand aus irgendwelchen Gründen auf die Kelchkommunion verzichten, so kann dem Austeilenden ein kleiner Wink gegeben werden. Wer aus dem Kelch trinken möchte, möge diesen mit beiden Händen ergreifen, zum Mund führen und dann in einer gelassenen Bewegung, nicht ruckartig, wie das manchesmal geschieht, dem Liturgen zurückgeben. Wer sich scheut, den Kelch mit beiden Händen anzufassen, der soll dem Liturgen helfen, indem eine Hand an den Kelchfuß greift und so die Trinkbewegung mitsteuert. Die Selbstbekreuzigung als Abschluß der Kommunion ist durchaus sinnvoll als Erinnerung, daß Christus für mich am Kreuz gestorben ist und dieses darum seither ein Heilszeichen ist.

Leer Für alle, die einen Dienst als Vorbeter, Liturg oder als weitere Helfer im Gottesdienst ausführen, gelten noch andere Regeln für den stimmigen Vollzug liturgischer Handlungen. Diese sind kaum theoretisch vermittelbar, sondern müssen unter Anleitung eingeübt werden. Daß dabei auch eine Videoaufzeichnung für etwaige Nachbesprechungen hilfreich ist, steht außer Frage.

LeerUnser Leib ist bei allem, was wir tun, beteiligt. Mit unserem Leib spiegeln wir nach außen, was wir meinen. Durch Gesten und Gebärden unterstreichen und deuten wir, was wir meinen. Besonders in unserem Gebet, im gottesdienstlichen Vollzug geben wir unserem Glauben Gestalt. Aus der adventlichen Liturgie klingt das »Freuet euch!« in alle Gottesdienste.

Anmerkungen:


1: Wilhelm Stählin, Vom Sinn des Leibes, Stuttgart 1930; überarbeitet in dritter Auflage 1951, erweiterte 4. Auflage 1968.
2: Das Berneuchener Buch. Vom Anspruch des Evangeliums auf die Kirchen der Reformation, hg. von der Berneuchener Konferenz, Hamburg 1926; Nachdruck: Darmstadt 1978.
3: Karl Bernhard Ritter, Freizeitgestaltung und Kirche. Werkschriften der Berneuchener Konferenz 3, Schwerin o.J. (1930).
4: Wilhelm Stählin, Die ausgesonderten Tage, Kassel 1954.
5: Ottfried Jordahn, Das Zeremoniale - Gebärden, Gewänder, Geräte und ähnliches. in: Hans-Christoph Schmidt-Lauber / Karl-Heinrich Bieritz (Hrsg.), Handbuch der Liturgik. Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche, Göttingen/Leipzig 2. Aufl. 1995.
6: Dietrich Stollberg, Liturgische Praxis. Kleines evangelisches Zeremoniale. Göttingen 1993.- Helmut Wenz, Körpersprache im Gottesdienst, Leipzig 1995.
7: Ab 1933 undatiert in Einzelausgaben gedruckt vorliegend; zusammengefaßt herausgegeben von Karl Bernhard Ritter, Der geistliche Pfad. Meditationen über die siebenfache Gestalt des geistlichen Lebens, I. Teil; nur für den Gebrauch der Brüder der Evangelischen Michaelsbruderschaft, o.O, und J. (ca. 1953).
8: Vgl, dazu im Evangelischen Gesangbuch die Nummern 812 und 815.

Quatember 1997, S. 40-44
© Ernst Hofhansl

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-22
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