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Ergebung und Widerstand
von Johann-Friedrich Moes

LeerJane Pejsa: Mit dem Mut einer Frau. Ruth von Kleist-Retzow, Matriarchin des Widerstandes. Aus dem Amerikanischen von Beate Springmann. Brendow, Moers, 1996 / 446 Seiten / 49, 80 DM

LeerMan kann schon staunen: Eine Amerikanerin schildert das Leben einer Frau, die - dem Hochadel entstammend - die meiste Zeit ihres Lebens unter pommerschen und neumärkischen Adligen verbracht hat (als Angehörige des »erweckten Adels«, dessen Praxis der Frömmigkeit immer wieder beschrieben wird). Sie tut dies nicht in der Form einer wissenschaftlichen Biographie, sondern erzählend, jedoch aufgrund sorgfältigen Studiums der Quellen (auch unveröffentlichter Briefe und privater Aufzeichnungen) und persönlicher Gespräche mit noch lebenden Angehörigen. Dabei schildert sie auch das jeweilige Umfeld - der kaiserlichen, der Weimarer und der NS-Zeit. Daß ihr dabei einige Vergröberungen, einige Unkorrektheiten unterlaufen, ist zu verzeihen, der Leser wird entschädigt durch die anschauliche Beschreibung markanter Ereignisse, auch solcher »am Rande«, z.B. der Bedrohung von Ewald von Kleist-Schmenzin (ermordet am 9.4.1945) im Zusammenhang mit dem sog. »Röhm-Putsch« am 30.6.1934 oder dessen Unterredung mit Churchill im Auftrag der Canaris-Gruppe am 19.8.1938. Lesern, die keine Vorstellung von den Verhältnissen der NS-Zeit haben, werden diese lebendig vor Augen gestellt.

LeerDie Verfasserin bezeichnet Ruth von Kleist-Retzow als »Matriarchin des Widerstandes«. Als »Matriarchin« mußte sie sich während der Unmündigkeit ihres Sohnes und während des 1. Weltkrieges in der Leitung der Familiengüter bewähren. Danach wandte sie sich theologischen Fragen zu und wurde sozusagen »Mäzenin« von Dietrich Bonhoeffer. Diesen lernte sie während seines Wirkens in Finkenwalde von ihrer Stettiner Wohnung (der »Kinder-« bzw. »Enkel-Pension«) aus kennen; auf ihrem Witwensitz Klein-Krössin stand ihm ein ständiges Gastzimmer zur Verfügung. Hielt er sich dort auf, begleitete sie seine theologische Arbeit als kritische Gesprächspartnerin. Als eine von zwei Frauen, die das Berneuchener Buch unterzeichneten (oder muß man sagen: zur Unterzeichnung zugelassen wurden), war Ruth von Kleist auch »Ur-Berneuchnerin«. (Auch hier ist die Verfasserin zu korrigieren: die andere Unterzeichnerin war Anna Paulsen.) Diese Linie verfolgt J. Pejsa nur knapp (S. 187 f.); sie bleibt aber lebendig, vor allem in der Person der Tochter Ruth (»Ruthchen«), die mit dem Michaelsbruder Hans von Wedemeyer verheiratet war (und in deren Tochter Maria, der Verlobten von Bonhoeffer). Das besondere Interesse der Verfasserin gilt eben dem Widerstand, zu dem Ruth von Kleist durch den Übergang Bonhoeffers zur Canaris-Gruppe und durch verwandtschaftliche Beziehungen (über Ewald von Kleist-Schmenzin und Henning von Tresckow, ihren Neffen) in Verbindung kam. Aber nicht nur in der Person der »Matriarchin« laufen diese drei Bewegungen jener Zeit zusammen; es gibt auch Querverbindungen, die oft übersehen werden. Diese weiter zu verfolgen, ist eine unerledigte Aufgabe.

Quatember 1997, S. 57
© Johann-Friedrich Moes

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-21
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