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In Tyrannis
von Frank Lilie

LeerWas bleibt? Ein Vermächtnis? Eine Verpflichtung? Eine Mahnung? Große Worte. Und ein jedes birgt die Gefahr der Geschwätzigkeit oder auch der Unfruchtbarkeit des bloßen Erinnerns. Sowohl die Historisierung als auch die Mythisierung großer Ereignisse können in Sackgassen führen. Darum also die drängende Frage: was bleibt? Die Verschwörer des 20. Juli 1944 sind entweder hingerichtet worden oder, sofern sie den Schergen des NS-Staates entkommen konnten, mittlerweile gestorben. Tat und Täter geraten in Vergessenheit, vielleicht ist der Blick der Liebe der einzige, der dem Sog dieses Vergessens Widerstand bieten kann? Alles andere versandet womöglich nur im Appell - und sei er noch so gut gemeint.

LeerBarbara von Haeften hat ein schmales Büchlein vorgelegt, in dem sie den Lebensweg ihres Mannes Hans Bernd (1905 - 1944) nachzeichnet und aus Briefen und Erinnerungen kommentiert. Ihre Absicht war es, den politisch denkenden Menschen zu Wort kommen zu lassen, dessen Weg und auch dessen Motive in den bisher erschienenen Darstellungen der Widerstandsbewegung nur schwach beleuchtet worden sind. Entstanden ist so ein bewegender Bericht, der, mehr als jede historische Analyse es vermag, den Nachgeborenen (und ich schließe mich hier ein) eine Ahnung von den Vorstellungen der Frauen und Männer gibt, die ihr Leben in einem schier aussichtslosen Kampf in die Waagschale warfen. Auch in der Biographie Haeftens wird wieder einmal deutlich, daß dieser politische Kampf nicht ohne die tiefe Verwurzelung der Hitler-Attentäter im christlichen Glauben möglich geworden wäre. Ein Freund äußerte nach dem Krieg über Haeftens Antriebe: Die »Liebe zum deutschen Volk hat seine Erhebung gegen Hitler ebenso veranlaßt wie sein christliches Gewissen« (65).

LeerDie Liebe zum eigenen Volk - dieser den Damaligen selbstverständliche Gedanke ist vielen heute nur mehr schwer nachvollziehbar. Doch was ist mit dem im Glauben fundierten Gewissen? Haeften nahm für seine Beteiligung an der Beseitigung Hitlers nicht einfach nur Gewissensgründe in Anspruch, sondern wußte, daß ein Gewissen stets ein verantwortetes sein muß, das im äußersten Fall auch zur Übernahme von Schuld bereit zu sein hat. Es gibt Situationen, in denen jede Entscheidung Schuld mit sich bringt. Das Gewissen muß hier eine Güterabwägung vornehmen und entschlossen den Weg wählen, der das geringere Übel zu sein scheint. Ob es das auch tatsächlich ist, muß der Christ Gott überlassen, vermag er selbst doch nicht zwischen der Schwere der einen und der anderen Schuld zu unterscheiden. Mit diesen Überlegungen traf Haeften sich auch mit den ethischen Reflexionen eines Dietrich Bonhoeffer - die beiden wurden übrigens gemeinsam 1921 konfirmiert und blieben zeitlebens eng verbunden. Haeften war überzeugt, daß »längst der Fluch des ‚zu spät’ auf dem Ganzen« lag und hätte überdies vorgezogen, »daß Hitler sich vor einem Gericht hätte verantworten müssen.«

LeerSeine Frau schreibt: »Trotzdem hat Hans schließlich dem Attentat zugestimmt. Ich bin sicher daß er trotz des Mißlingens nie anders sich hätte entscheiden können, obgleich er das Gebot ‚Du sollst nicht töten’ ganz verbindlich nahm und seine Zustimmung als Schuld ansah.« Haeften wußte, daß eine politische Lösung, die auch ein rasches Kriegsende herbeiführen würde, aussichtslos war. Noch am 20. Juli selbst sagte er zu seiner Frau: »Jetzt geht es nur noch um eine geordnete Kapitulation« (83).

LeerWir wissen über fünfzig Jahre später, welchen Ausgang der Staatsstreich, und dies blieb das Attentat immer für alle Beteiligten, genommen hat. Wir wissen heute überhaupt sehr viel mehr über das sogenannte Dritte Reich und seine tapferen Gegner als die damals Lebenden selbst. Aber welchen Nutzen ziehen wir aus solchem Wissen? Das kleine Buch, das über Haeften nicht nur als den Widerstandskämpfer berichtet, sondern seinen ganzen Werdegang schildert, stellt diese Frage in unerbittlicher Klarheit: Was sagt das Handeln der Attentäter für uns heute, was sagt es uns über die Bindungen des Gewissens in ihrer tödlichen Konsequenz, was über die Verantwortung des einzelnen vor Gott? Ob wir es uns wünschen sollten, auf diese Frage eine Antwort finden zu müssen?

Quatember 1998, S. 44-46
© Frank Lilie

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-22
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