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Erinnerung an das »Alte Wissen«
von Norbert Müller

LeerHelmut Schaffert hat durch den Titel und noch mehr den Untertitel zu erkennen gegeben, daß er mit seinem Buch auch eine polemische Absicht verfolgt. Dennoch würde man ihm und dem gewichtigen Thema, auf das er sich eingelassen hat, nicht gerecht, wenn man es nur auf diese Polemik hin oder vielleicht gar aus einer durch den Titel provozierten Gegenposition heraus lesen wollte.

LeerObwohl das Buch die Bereitschaft zu erkennen gibt, Widerspruch zu erheben und Widerspruch zu erfahren, wird es von einer Haltung getragen, die nicht durch ein vordergründiges Rechthaben und Rechtbehaltenwollen bestimmt ist, sondern durch das Bedürfnis, für unsere Lage Notwendiges, aber weithin Vergessenes und Verdrängtes zur Geltung zu bringen und die Sorge, Unentbehrliches könne endgültig verloren gehen.

LeerDie zeitgenössische Bewußtseinssituation ist fast gänzlich durch eine bestimmte Form von Rationalität bestimmt, in der Quantität, Kausalität und Funktionalität die bestimmenden Größen sind. Schaffert ist darum bemüht,in Erinnerung zu rufen, daß an den Wurzeln des biblischen, des christlichen und des abendländischen Denkens eine Rationalität steht, für die den Fragen nach Wesen und Sinn, nach Urbild und Verwirklichung eine viel elementarere Bedeutung zukommt. Er beruft sich dabei auf jenes »Alte Wissen«, von dem die Überlieferungen des Pythagoreismus und Platonismus und vor allem die jüdische Kabbala zeugen (45, 52, 77 u.ö.). Es verschafft Zugang zur Welt der Symbole, die, in einer Tiefenschicht des Gegenständlichen verborgen, dem Wissenden und Vernehmenden zugänglich werden können.

LeerDie spezielle Frage, der sich Schaffert von dieser Erkenntnisbasis aus zuwendet, ist die nach dem Geheimnis, das sich in der geschlechtlichen Differenzierung des Menschen erschließt. Es geht ihm also um eine Grundfrage der Anthropologie, die er durch ein Ausschöpfen der biblischen Quellen - von Fall zu Fall auf das »Alte Wissen« zurückgreifend - zu lösen sucht. Entscheidendes Gewicht liegt für ihn dabei auf der Erkenntnis, daß die Beziehung der Geschlechter, ihre Verschiedenheit, ihre gegenseitige Zuordnung und ihre symbolische Bedeutung im Gesamtgefüge des Schöpfungsplanes, nicht im Sinne der Symmetrie, sondern einer »gerichteten Polarität« (S.29; 94 ff.) gesehen werden müssen. Wie die ganze Schöpfung eine »hierarchische« Struktur aufweist (Schaffert wendet sich, zu Recht, gegen eine prinzipielle Verfemung dieses Wortes), so kann auch der Mensch in seinem Persönlichkeitsaufbau wie auch in seiner Zuordnung zum Heilsgeschehen unter dem Gesichtspunkt des Hierarchischen betrachtet werden. In der hierarchischen Symbolik, die in 1 Kor 11, 2 ff. und Eph 5, 21 ff. zu finden ist, stellt sich so der Mann als Gleichnis Christi, die Frau als das der Gemeinde dar. Von dieser Basis nun kann Schaffert die Forderung erheben, die Kirche müsse, um »ihren prophetischen Auftrag« zu »erfüllen«, »der säkularen Gieichstellungs-Ideologie die biblische Schau vom Menschen gegenüberstellen« (138).

LeerEs ist zweifellos richtig, daß es zu den Aufgaben der Kirche gehört, von Fall zu Fall säkulare Ideologien kritisch zu prüfen, und daß in diesem Zusammenhang ein rein funktional orientiertes Menschenbild zu den Einstellungen gehört, denen sie sich mit der ganzen Kraft ihrer Überzeugungsmöglichkeiten entgegenstellen muß. So reich aber Schafferts Darstellung an zum Wesentlichen führenden Hinweisen und tiefgründigen biblischen Besinnungen, und so lesenswert sie in dieser Hinsicht auch ist, so muß doch nun gefragt werden, ob es der kirchlichen Selbstbesinnung in dem zur Diskussion stehenden Problemkreis um den entscheidenden Schritt weiterhilft, auf den es hier ankäme.

LeerGrundsätzliche und spezielle Überlegungen drängen diese Frage auf. Grundsätzlich muß bedacht werden, ob die Argumentationsform, die Schaffert gewählt hat, seiner Darstellung die zwingende Überzeugungskraft verleiht, die nötig wäre, um in der Entwicklung des menschlichen Selbstverständnisses wirklich etwas zu bewegen. Das »Alte Wissen« könnte nur dann das zeitgenössische Bewußtsein in der Tiefe verwandeln, wenn es von diesem Bewußtsein wirklich angeeignet werden könnte. Das ist aber nicht so zu erreichen, daß es auf doktrinärem Wege, also thetisch-belehrend lediglich mitgeteilt wird: Nur auf dem Wege der inneren Aneignung, ja der Einweihung könnte es wieder wirksam werden. Davon sind wir aber weit entfernt;ja ich frage mich, ob in dem Versuch, es exoterisch, argumentativ in die Diskussion zu ziehen, nicht fast etwas Verbotenes, fast ein Sakrileg geschieht.

LeerWenn aber argumentiert werden soll, dann müssen auch die einzelnen Argumente stimmig sein. Der Eindruck ist nicht ganz abzuwehren, daß Schaffert die von ihm herangezogenen Zeugnisse nicht voll ausschöpft, sondern mit einer gewissen Einseitigkeit deutet. Zwei kurze Hinweise mögen hier genügen.

Leer(1) In den Schöpfungsberichten (Gen 1 u. 2) darf doch wohl nicht übersehen werden, daß das hebräische Wort für »Mensch«, ‚adam’, zunächst allein gebraucht wird. Erst nach der Erschaffung der »Hilfe« (nicht »Gehilfin«) aus der Rippe des Menschen, treten, parallel zueinander und in dieser Reihenfolge, die Ausdrücke ‚ischa’, »Frau«, und ‚isch’, »Mann« (Gen. 2,22.23) auf. So eindeutig, wie es die Tradition meist gesehen hat, ist also die Position des ersten Menschen nicht männlich besetzt. Wäre es nicht auch für uns eher angemessen, erst dort von »Mann« und »Frau« zu sprechen, wo die geschlechtliche Differenzierung dafür Grund gibt?

Leer(2) In 1 Kor 11 vertritt Paulus eine Sitte, nach der Männer und Frauen sich im Gottesdienst durch ihre Kopfbedeckung unterscheiden sollen. Die symbolische Bedeutung einer solchen Tradition sollte nicht übersehen werden. jedoch darf auch bedacht werden, daß solche Überlieferungen im Wandel der Zeiten offenbar ihre sinnbildliche Kraft verlieren können; für uns ist nicht mehr entschlüsselbar, was z.B. Vers 11 besagen will. Deutlich ist jedoch, daß die Stelle nicht besagt, die Frau habe im Gottesdienst zu schweigen: wie der Mann wird sie als (öffentlich) Betende und geisterfüllt Sprechende gesehen.

LeerDas »Alte Wissen« weist, so scheint mir, auf ein vorgegebenes Muster hin, das jede Zeit,jeder Mensch nach seinen Einsichten auszufüllen hat. Wir tun gut, uns daran erinnern zu lassen. Es läßt sich aber nicht ohne sehr intensive Deutungsarbeit in gültige Verhaltensnormen umsetzen. Es hat nicht den Charakter eines Zwangsgesetzes, sondern den einer Hilfe zum Verstehen. Die gesellschaftliche Rolle von Mann und Frau kann nicht auf einem bestimmten Status festgeschrieben werden. Neue Erfahrungen und Einsichten ändern das Bild, ohne am Grundmuster etwas zu zerstören. Mann und Frau im geistlichen Stand: Dadurch war schon im Mittelalter die herkömmliche Rollenverteilung durchbrochen. So können sich neue Konstellationen ergeben, ohne daß das Grundmuster verleugnet werden muß. Auch wenn Frauen mit den Männern in kirchlichen Ämtern stehen, braucht daher, wie ich meine, nicht eine »Auflösung aller wesensgemäßen Seinsorte« (164) befürchtet zu werden. Das Geheimnis ist das eine, das andere die Prägung, die es der sichtbaren Welt verleiht. Nicht dem Kirchenrecht (ob es nun verwehrend oder gewährend entscheidet), sondern der Macht der Mysteriums gilt das Vertrauen.

LeerEs wäre gut, das Gespräch darüber jetzt nicht abzubrechen, sondern neu zu eröffnen. Dazu sollte Schafferts Buch eine Anregung sein!

Quatember 1998, S. 110-112
© Prof. Dr. Norbert Müller, Leizig


© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-11-22
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