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von Frank Lilie |
Wieviel Kraft traut man dem christlichen Glauben heute noch zu, Kraft zur Veränderung von Menschen, zur Bewegung gesellschaftlicher Verhältnisse? Das ist eine theoretische Frage, gut für Kongresse und für Besinnungsaufsätze von Bischöfen in den Sonntagsbeilagen unserer Tageszeitungen. Denn weit wichtiger ist: Wieviel Kraft trauen wir dem eigenen Glauben zu? Es ist leicht, über kulturelle und religiöse Niedergangserscheinungen zu sinnieren und (zum wiederholten Male) den Untergang des Abendlandes zu beschwören. Entscheidend bleibt doch: Wie hältst Du es denn mit der Religion, woher nimmst Du Deine Zuversicht, wo ist die Quelle Deiner Kraft? Du bist gefordert! In den vergangenen Jahrzehnten ist der suchende Blick des an der zivilisatorischen Müdigkeit leidenden Europäers vielfach in den Osten gewandert. Asien und seine Religiosität schienen das zu geben, was das Christentum nur versprochen hatte, nämlich Erlösung, Heil, Frieden. Der alte und in seiner Herkunft unklare Satz »Ex oriente lux« (Aus dem Osten kommt das Licht), der sich ursprünglich auf die biblischen Religionen bezog, bekam in der Sehnsucht der Alten Welt auf einmal einen ganz neuen Klang. In den Empfängen, die dem freundlich-weisen Dalai Lama bei uns bereitet werden, ist diese Sehnsucht immer wieder deutlich spürbar. Noch jede Altweltepoche, noch jede Zeit hat ihren Orient gebraucht. Ob die geschichtlichen Umwälzungen des letzten Jahrzehnts uns dabei einen neuen Blick auf den Osten unserer eigenen Glaubensgeschichte freilegen können? Denn dort, in den slawischen Ländern, haben sich vielfach Überlieferungen und geistliche Übungen lebendig erhalten, die uns heute eine Hilfe sein könnten, um nach Quellen der Kraft und der Zuversicht zu suchen. Wir können uns auf manches gefaßt machen, was entdeckenswert ist. Dem widmet sich das Pfingstheft von QUATEMBER. Es grüßt Sie herzlich, auch im Namen der Herausgeber und der Schriftleiter, Ihr Frank Lilie Quatember 1999, S. 67 |
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