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von Johannes Wirsching |
Wilhelm Schmidt: Der brennende Dornbusch. Eine Darlegung des Evangeliums nach Johannes, Frankfurt/Main 1999, 1340 Seiten, 158,- DM. Was dies Buch enthält und was es will, das muß es letztlich selber sagen. Es bietet eine umfassende Vers-für-Vers-Auslegung, dabei ganze Abschnitte umkreisend und sprachliche Punktbohrungen bis in große Tiefen niederbringend; es ist aber, unbeschadet des historisch-analytischen Aufwandes, ein dogmatischer, kein exegetischer Kommentar. Das heißt zunächst, daß man hier weniger über das Johannesevangelium erfährt - dergleichen kann anderswo in beeindruckender Fülle nachgelesen werden - als viel mehr aus ihm: Fragen etwa, die Johannes an uns richtet, und nicht so sehr unsere Fragen an ihn; Antworten, die der Evangelist uns erteilt, und nicht die Antworten unserer wissenschaftlichen Konsensbildung. Dogmatisch heißt hier ferner: eine innere Ausrichtung und sachliche Verbindung der biblischen Stoffe untereinander. Das Ganze ist vor den Teilen und mehr als sie; diese sind immer schon als Träger eines Gesamtsinnes erkannt. Entsprechend hat das theologische Erkennen seinen Inhalt gleichsam in sich, nicht erst vor sich, wie das gegenständliche Wissen um Einzeldinge, und ist, unbeschadet seines Schlußfolgerungscharakters, immer auch unmittelbares Innewerden eines Ganzen in seiner Selbstgegenwart. Die so erkannte Wahrheit aber bedarf keiner zusätzlichen Beglaubigung; sie leuchtet durch sich selber ein und erleuchtet die menschliche Seele: nicht als äußerliches Beleuchtungslicht für eine losgelöste Vernunft, sondern so, daß der ganze Mensch in seinem eigenen selbst zum Glühen gebracht wird. Dogmatisch bedeutet, drittens, eine ganzheitliche, eine weisheitliche Ausrichtung der Theologie: Theologie als Weisheit, als Erleuchtungswissenschaft, die in, mit und unter der szientifischen Bearbeitung von Einzelstoffen nicht wiederum ein Etwas, eine Lehre, eine Moral, eine Überlieferung sucht, sondern die Weisheit in Person, Jesus Christus, erfährt. Das heißt nun nicht, daß dieser Kommentar den Weg von der sapientialen zu einer szientifischen, von der „knienden” zu einer „sitzenden” Theologie gleichsam zurückgehen möchte; wohl aber, daß er zu zeigen versucht, wie das eine nur mit dem andern, das „Schreibpult” nur mit dem „Betpult” zu haben ist - um hier Hans-Urs v. Balthasar zu zitieren. Darum erzählt uns das Vierte Evangelium auch nichts von einer zeitweiligen 'Epiphanie', von einem Erscheinen der Gottheit vor aller Welt, sondern zeigt uns den Ort einer 'Diaphanie', das Durchscheinen der Gottheit am erwählten Platze, wo die Welt für den Sehenden leuchtend ist von innen heraus durch die Herrlichkeit Gottes. Erneut tritt der Text in seiner Schwere hervor, ein „Hafen” des Sinnes und „ Fenster” zu Gott; eine Wand, die nur mit Raumgrund faßbar, und ein Raumgrund, der dieser Wand, immer schon hinterlegt ist. Lesen aber geschieht als „Reise” durch den Text, der sich immer neu vor uns aufbaut, uns hineinziehend in die Tiefe seines Raumes und Lichtes. Eröffnungswort (Incipit) und Schlußakkord (Explicit) lassen den Text geradezu wie ein Bau- oder Kunstwerk, wie ein Musikstück entstehen, das nur mit Zunge und Ohr - gleichsam durch Tasten (haptus) und Schmecken (gustus) - ergriffen werden kann. So baut sich das Johannesevangelium für den Verfasser dieses Kommentars auf als Poem: mit Reimworten, Sätzen und Gegensätzen; als Theaterstück: aus Akten, Szenen und Bildern, mit entsprechenden Bühnen, Rollen und Regiebemerkungen; als Tondichtung: gestaltet durch Gesänge, Tonarten, Fugen und Intonationen. Nicht also das zerlesene (und dann immer neu konstruierte) Johannesevangelium ist hier gemeint; so wenig wie der bloß blätternde und immer erst zusammenfügende Leser. Und das Lesen selbst? Ist es, da in keiner Weise Akt der Abstraktion, ein Akt von Inkarnation - wie Ivan Illich und Paul Ricoeur es sagen können? Jesus Christus als Diaphanie des Vaters - mit diesem Schlüssel zum Vierten Evangelium reiht sich der Verfasser in eine große Auslegungstradition ein, die noch wie ein Abendrot die heutige Exegetische Landschaft erreicht, deren Möglichkeiten aber verkannt, deren Vertreter vergessen oder verdrängt sind. Es ist die Mönchstheologie, wie sie etwa bei Rupert von Deutz in seinem Johanneskommentar, bei Hugo von St. Viktor, nicht zuletzt bei Martin Luther ihre biblische Vollmacht erweist. Der Weg dahin sei uns zu lang? Zu unzeitgemäß? Ist es aber nicht der Eigensinn, der die kürzesten Wege wählt? Der „Weinberg” des Textes ist unendlich, seine Wahrheit noch immer unausgeschöpft. „Lehre mich, lehre mich, lehre mich!” beugt sich der Reformator. „Denn den Hoffärtigen widersteht der Geist.” Quatember 2000, S. 45-47 © Johannes Wirsching |
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