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Die Ikonen
von Wolfgang Krönig

LeerLange Zeit hat man die Ikonen nicht als die künstlerischen Hauptzeugnisse des östlichen Christentums angesehen, sondern geringschätzig als eine primitive Volkskunst gewertet, die sich aus kultischer Gebundenheit nicht zur Freiheit künstlerischer Gestaltung zu erheben vermöchte. Man sah und tadelte die Flächenhaftigkeit, das Ungelenke im Figürlichen, die Gleichförmigkeit steter Wiederholung. Dieses Urteil war nur möglich auf der Grundlage der besonderen künstlerischen Entwicklung des Abendlandes, das seit dem hohen Mittelalter zu ganz anderen Bildgestaltungen gelangt war und dabei in allem für das Abendland so charakteristischen Wandel der Form doch in steter lebendiger Beziehung zur Antike geblieben war.

LeerDoch nicht nur aus der Verschiedenheit völlig entgegengesetzter künstlerischer Positionen ist die Verständnislosigkeit gegenüber den Ikonen zu erklären, sondern zugleich aus der eng damit verknüpften Tatsache der Isolierung des Kunstwerks als „ästhetischen Objekts”, seiner Eigenbewertung und Hochbewertung, die für die abendländische Entwicklung nicht weniger kennzeichnend ist. Diese Wertung und Einstellung ist dem Bereich der Ikone allerdings völlig fremd.

LeerInzwischen haben wir jedoch einsehen müssen, daß diese abendländische Entwicklung, die so unleugbar Großes gebracht hat, doch teuer bezahlt ist durch die Loslösung des Kunstwerks aus den umfassenden Lebenszusammenhängen, in die es in früheren Zeiten eingebettet war. Und wir sind uns dessen bewußt, daß auch unsere heutige Fähigkeit, das Kunstwerk „isoliert” zu betrachten, zu zergliedern, zu erkennen, nur eine Entsprechung bildet zu dieser Stellung des Kunstwerks selbst. Wenn wir nun heute der Welt der Ikonen anders gegenübertreten, so ist das nicht allein zu danken der tatsächlich errungenen Weite des Überblicks über große geschichtliche Räume in der Kunst und dem Willen zu historischer Objektivität, sondern einer Abkehr von der Überheblichkeit und Selbstsicherheit des Urteilens und vor allem einem neuen Geöffnetsein für die entscheidende Frage nach der Wirklichkeit, in der das Kunstwerk lebt. Und auf diese Frage erhält das Abendland, zumal das Abendland soweit es noch christlich ist, durch die Ikonen eine sehr bedeutsame Antwort.

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LeerZwei Bücher wollen uns eindringlich und verantwortungsbewußt in die Welt der Ikonen hineinführen:

LeerL e o n h a r d  K ü p p e r s, G ö t t l i c h e  I k o n e. Vom Kultbild der Ostkirche. (Bastion- Verlag, Düsseldorf 1949; 84 Seiten, 17 Tafeln, davon 10 farbig) ist das ausführlichere Werk, das die Ikone als Zeugnis russischen Christentums würdigt und die einzelnen, sorgfältig und schön abgebildeten Ikonen auf ihren theologischen Gehalt befragt, dabei auch auf die Symbolik der Farben eingehend.

LeerA l e x e i  A l f r e d  H a c k e l, I k o n e n. Zeugen ostkirchlicher Kunst und Frömmigkeit. (Verlag Herder, Freiburg 1951; 31 Seiten, 16 Farbtafeln) ist zwar viel kürzer und knapper, aber oft präziser; klar in jeder Aussage und trotz der Kürze aus der Fülle wirklichen Vertrautseins sprechend.

LeerDie Ikone, das ostkirchliche Heiligenbild, ist die unmittelbar anschauliche Ausdrucksform der orthodoxen Glaubenshaltung. Sie ist, obschon von Menschen gemacht, doch Gegenstand größter Verehrung, durch Beten, Singen, Weihrauch. Denn die Ostkirche betont den mystischen Ursprung der Ikone, die von Christus selbst gestiftet ist durch Anlegung eines Tuches an sein göttliches Antlitz; und von vielen wundertätigen Bildern spricht die Legende ausdrücklich als von acheiropoietai, das heißt, „nicht von Händen gemachten”. Vor allem aber: nach vollzogener kirchlicher Segnung und Weihe ist die Ikone, das „Ebenbild” (denn dies ist ja die Bedeutung des griechischen Wortes, auch im Neuen Testament) ein Mysterium, das neben die anderen Mysterien tritt, durch die der Gläubige auf sichtbare und greifbare Weise Anteil erlangt an der Gnade des unsichtbaren Gottes. Das heißt, die Ikonen haben die Kraft der Vergegenwärtigung; in ihnen wird die Person des Dargestellten und der auf ihn bezogene Heilsvorgang gegenwärtig; die Ikonen sind sinnfällige Zeichen für die unsichtbare Gegenwart Christi, der Gottesmutter, der Engel und Heiligen. Die Ostkirche verehrt also die Ikonen als die wahren Ebenbilder und überträgt die dem Bilde erwiesene Ehre auf das Urbild.

LeerEs ist daher auch das Malen der Ikonen ein sakraler Akt und die Maler selbst sind meist Mönche. In großer Inbrunst und geistlicher Bereitung rüsten sie sich zu diesem Werk, hinter dem sie selbst völlig zurücktreten. Die Anonymität gehört zum Wesen der Ikone, deren gnadenvolles Sein dadurch um so stärker hervortritt. Und auch da, wo der Maler berühmt gewordener Ikonen bekannt ist, wie etwa der Malermönch Andrej Rubljow (Rublew) um 1400 und seine Dreieinigkeitsikone, ist der Persönlichkeitsgehalt ganz unwesentlich; wichtiger zu wissen ist vielmehr, was über seine demütige Hingabe berichtet wird und daß er in der Ostkirche als Seliger verehrt wird. Der Maler ist als Vervielfältiger nichts als Werkzeug des Göttlichen; gerade die besten Maler sind Gottes Diener.

LeerDas christliche Abendland hat schon frühzeitig seine vom Osten abweichende Auffassung bekundet, auch ganz abgesehen von der so völlig andere Wege einschlagenden Kunstentwicklung seit dem hohen Mittelalter. Seit Gregor dem Großen sieht man in den Bildern Belehrung, Erbauung, Erziehung. Diese Auffassung von Wirkung und Aufgabe der Bilder ist die herrschende durch das ganze Mittelalter. Im Osten trat dagegen diese Auffassung ganz zurück gegenüber der zentralen Bedeutung der Identitäts-Spekulation; für den Osten sind die Bilder „heilbringende Mysterien”.

LeerWir können aber diese Auffassung der heiligen Bilder in der Ostkirche nur dann verstehen, wenn wir uns in Ergänzung der beiden genannten Bücher die tiefen Begründungen vor Augen führen, die vor allem durch den Bilderstreit ausgelöst worden sind, welcher im 8. und 9. Jahrhundert die östliche Christenheit bis in ihre Grundfesten erschütterte. (Vergleiche hierzu die wichtige Arbeit von Gerhart Ladner, Der Bilderstreit und die Kunst-Lehren der byzantinischen und abendländischen Theologie; in: Zeitschrift für Kirchengeschichte Bd. 50, 1931, S. 1/23.) Die großen Kirchenlehrer dieser Zeit, Johannes von Damaskus vor allem, und auch Theodor von Studion, sind hier Führer. Nach ihrer Lehre hat das Bild keine Eigenexistenz. Es ist stets Symbol; es ist als A b b i l d auf geheimnisvolle Weise mit seinem U r b i l d verbunden. Das heißt, jedes Bild ist mit seinem Urbild, dem Prototyp, also dem Dargestellten selbst (Christus oder den Heiligen) in g e w i s s e r Hinsicht identisch, es hat teil an ihm. Doch handelt es sich nur um eine Teil-Identität. Das Bildnis Christi kann nur seine menschliche Natur wiedergeben, nicht die undarstellbare göttliche; auch wird im Christusbild ja nicht die Materie angebetet, sondern der Schöpfer der Materie, Christus. Damit ist dem Einwand vom neuen Götzendienst begegnet.

LeerDiese Identität der menschlichen Natur Christi mit dem „materiellen” Stoff des Bildes ist aber keine nach dem Wesen, nach der Substanz, sondern eine solche der Beziehung, der Namensgleichheit, der Ähnlichkeit, der Hypostase, welch letzteres Wort am besten mit „Person” wiedergegeben wird. Dieser Begriff der Hypostase ist besonders wichtig, da er im Mittelpunkt der Dogmen von der Dreieinigkeit und der Natur Christi steht, und die Bilderfrage dadurch mit der Inkarnation in eine verstandesmäßig faßbare Beziehung gebracht wird. Denn durch die Hypostase, welche menschliche und göttliche Natur einschließt, wird den Bildern auch ein Anteil an der Göttlichkeit des Urbildes gesichert. Nur dir göttliche Usia und Physis (Sein und Wesen, Natur) kann und darf nicht dargestellt werden.

Linie

LeerSo scheint sich hier das Dogma von der Inkarnation zu wiederholen. Es geht um die unmittelbare sinnliche Nähe des Göttlichen hier wie dort. Und nur von diesem innersten Kern her können wir das Anliegen und die Haltung der Ostkirche verstehen, die Theodor von Studion so formuliert: Durch Abschaffung der Bilder und ihrer Verehrung werde auch Christus aufgehoben und sein Heilswerk.

LeerDie Rechtfertigung dafür, das Göttliche so im Bilde umschreiben zu wollen, wird im christlichen Schöpfungsglauben gesehen, nach welchem alles Irdische ein Bild Gottes ist; in dem Gedanken der Stufenfolge vom Unfaßbar-Göttlichen bis zu dessen fernster Ausstrahlung in sinnlichen Dingen. So hat es schon Johannes von Damaskus ausgeführt: Christus ist das Ab-Bild Gottes; der Mensch das Eben-Bild Gottes; er deutet weiter den Bau der Welt als eine ununterbrochene Folge von Bildern, er nennt eine Reihe bedeutungsvoller Gegenstände im Alten Testament, die Bundeslade, die eherne Schlange, welche Vor-Bilder des Neuen Testaments sind, und an letzter Stelle dann schließlich die Bilder der Maler.

LeerDagegen machten die Bilderfeinde den Haupteinwand: was „auf natürliche Weise” (physei) durch Gott möglich ist, darf nicht zugleich durch „Setzung” (thesei) vom Menschen her annehmbar sein. Erst Theodor von Studion überwand diesen Einwand im Sinne der Neuplatoniker: die höhere Stufe muß die niedere enthalten und hervorbringen. Das Göttliche verlangt also gradezu nach Abbildung seiner Natur nach. Denn der Prototyp schließt das Bild virtuell (dynamei) von vornherein in sich: wie zum Siegelstempel der Abdruck, zum Körper der Schatten gehört, so das Bild zum Urbild. „Durch den sichtbaren Anblick soll unser Denken in einen geistigen Affekt versetzt werden und aufwärts eilen zu der unsichtbaren Majestät Gottes” (Johannes von Damaskus), wir sollen durch die leibliche Schau zur geistigen Schau aufsteigen.

LeerSo ist zwar die Anbetung (latreia) dem unsichtbaren Gott allein vorbehalten, den Bildern aber kommt kniefällige Verehrung zu (proskynesis). Dies ist die dogmatische Entscheidung des 7. ökumenischen Konzils (zu Nicäa) vom Jahre 787. Die Bilderverehrung wird auf eine Stufe gestellt mit der Belehrung des Evangelienbuches, des Kreuzes und der Märtyrerreliquien. Sie wird im platonischen Sinne als „Erinnerung und Sehnsucht nach den Urbildern” aufgefaßt; „die dem Bilde erwiesene Ehre geht auf das Urbild über, so daß, wer das Bild kniefällig verehrt, in ihm kniefällig die Person des Dargestellten verehrt” (Text des Konzils). Durch diese Konzilsentscheidung wurde die Bilderverehrung zum bleibenden Kennzeichen der orthodoxen Liturgie und Frömmigkeit. Rechtgläubigkeit und Bilderverehrung sind seitdem gleichbedeutend geworden. (Vergleiche hierzu den knappen, aber besonders gehaltvollen Abschnitt bei: Friedrich Heiler, Urkirche und Ostkirche, München 1937.)

LeerAus dieser Bedeutung der Ikone als Verkörperung des Göttlichen, als Ort der Begegnung von Gott und Mensch ist auch ihr besonderer Ort im Gotteshaus zu verstehen: es ist die Ikonostasis, die Bilderwand der Ostkirche. Sie ist die große Gemeinschaft aller Heiligen, welche in streng gestufter Ordnung Engel, Heilige, Märtyrer und Apostel umfaßt. Ihr Mittelpunkt ist Christus als Richter; neben ihm stehen fürbittend Maria und Johannes der Täufer. Auch in dieser Fürbitte-Darstellung (Deësis) ist jede Gestalt für sich auf eine Tafel gemalt, noch in dieser Tatsache die wesenhafte Bedeutung jeder einzelnen Ikone bekundend. „In der mittelalterlichen russischen Malerei erhebt sich der Zustand des Gebets zu einem allgemeinen Ideale der Menschheit, zu einem Lebensprinzip. Dadurch erklärt sich die Rolle der Ikonostasis als Mittelpunkt...” (Alpatoff). Die Ikonostasis verkörpert zugleich, in der Unterordnung der Einzelikonen unter das Ganze, in der Fürbitte, das Streben nach dem Heiligenreich; sie wird, den Laienraum vom Altarraum trennend, zum Tor, das Diesseits und Jenseits verbindet.

LeerGegenüber der Frage nach Wesen und Bedeutung der Ikone kann die nach ihrer Entstehung hier gewiß zurücktreten. Man vermißt im übrigen unter den hilfreichen Literaturangaben bei Küppers den Hinweis grade auf eines der wissenschaftlichen Hauptwerke über die Ikone in deutscher Sprache: Wulff und Alpatoff, Denkmäler der Ikonenmalerei (Hellerau bei Dresden 1925).


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LeerWir begreifen also die heilige Ikone der Ostkirche als „erfülltes Bild” (nach einem Wort von Odo Casel), als ein das Göttliche leibhaftig enthaltendes Bild. „Auch die abendländische Kunst zog aus der Idee vom erfüllten Bild bis in die romanische Zeit hinein ihre geheimnisvolle Kraft, die sie zu einer wahren Mysterienkunst macht. Erst in der Gotik und erst recht seit der Renaissance ist diese religiöse Urkraft „humanistischem”, d. h. rein menschlichem Empfinden und Denken gewichen. Das Bild ist nicht mehr Gegenwart objektiver göttlicher Macht, sondern Ausdruck menschlichen Erlebens” (Odo Casel). Mit dieser objektiven Mächtigkeit steht die Ikone also im Gegensatz zum abendländischen Andachtsbild. L. Küppers versteht darunter „jedes Bild, das ein Christliches zum Thema hat, auch das sogenannte Wallfahrtsbild, das allerdings eine sonderstellung einnimmt und in etwa - nur in etwa allerdings - bisweilen doch verwandte Züge zur Ikone aufweist. Es unterscheidet sich das Andachtsbild vom Kultbild, also auch von der Ikone dadurch, daß es ausgeht vom Innenleben eines einzelnen Gläubigen, eines gläubigen Künstlers oder Auftraggebers oder auch einer bestimmt gearteten Gemeinschaft”. Hier muß freilich eingewandt werden, daß es noch klarerer Bestimmungen bedarf, daß es in der christlichen Kunst ein „Kultbild” im eigentlichen Sinn des Wortes nicht gibt, wenn wir darunter wie in der Antike die Identität von Gottheit und Götterbild verstehen. Dies eben unterscheidet den christlichen Gottesdienst, und auch den Gottesdienst des Alten Testaments, von allem heidnischen Kult: im christlichen Kult gibt es kein Kultbild.

LeerDas Bilderverbot von 2. Mose 20, 4 „Du sollst Dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist” (nach Luthers Übersetzung) meint jede Form von G ö t t e r b i l d und ist nur zu verstehen in einer Zeit und in einem Bereich, in dem die m a g i s c h e Kraft des Bildes, und das heißt des Götterbildes, Tatsache war. Und diese war gegeben so gut wie ausschließlich im p l a s t i s c h e n Bild. Nicht nur in der Auseinandersetzung des Judentums mit dem Heidentum wird dies deutlich, sondern auch in den Anfängen des Christentums. Bei beiden gibt es kein Kultbild mehr, kein plastisches Bild. Bei beiden aber ist der Kult selbst keineswegs völlig bildlos: Die Cherubim auf der Bundeslade und die gegossenen Tiere im Alten Testament einerseits, der Bildschmuck der frühesten christlichen Kirchenbauten andererseits können das beweisen. In keinem Falle jedoch konnte das Mißverständnis aufkommen, als handele es sich bei dem Bildschmuck um „Kultbilder” im Sinne des Heidentums bezw. der Antike. Ein Abgrund trennt das christliche Bild im Bereich des christlichen Kults (in dem es nie Wesensbestandteil ist, sondern nur akzessorische Bedeutung besitzt) vom antiken Kultbild.

LeerWir sind deshalb gezwungen, uns Rechenschaft abzulegen über Bedeutung und Gebrauch des Wortes „Kultbild”, das im christlichen Bereich besser und richtiger gar nicht in dem allgemeineren Sinn gebraucht werden sollte, in dem es häufig geschieht, von „Bildkunst im Bereich des christlichen Kults”. Die Macht der entgegenstehenden heidnischen, antiken Bild-Auffassung bekundet sich deutlich in der Tatsache, daß das p l a s t i s c h e Bild aus dem Bereich christlicher Kunst ausgeschlossen wurde und in der Ostkirche stets völlig ausgeschlossen blieb. (Die vereinzelten Statuen de« „Guten Hirten” im 3. und 4. Jahrhundert sind Ausnahmen; keine von ihnen ist „Kultbild”.) Und das Wort des Hl. Augustinus (Gottesstaat, 8. Kap.) bestätigt dies, der davon spricht, daß die heidnischen Götterbilder Sitze von Dämonen seien. Auch im Abendland gilt im ersten Jahrtausend das gleiche: das plastische Bild bleibt völlig ausgeschlossen. Daß dann um das Jahr 1000 und in der Folgezeit aber hier - und n i c h t im christlichen Osten! - das p l a s t i s c h e Bild wieder auf den Plan tritt, ist ein Vorgang von gradezu erregender geistesgeschichtlicher Bedeutung, dessen sehr verschiedene Ursachen und Entwicklungsstufen hier nicht dargelegt werden können. Wohl aber stehen wir nun noch einmal vor den grade für den Christen bewegenden, ernsten Tatsachen. Auf der einen Seite: die heilige Ikone mit ihrer leibhaften Bildidee, mit ihrem Anspruch objektiver Mächtigkeit, ist in der Tat - zumal von christlich-abendländischer Tradition aus gesehen - eine gefährlich scheinende Annäherung an das von der Bibel abgelehnte und bekämpfte Götterbild. Doch ist ja aus aller eingehenden Begründung klar hervorgegangen, daß „die Idee vom erfüllten Bild hier auf höherer Ebene wieder aufgenommen worden ist” (Odo Casel), daß wir uns hüten müssen, die Dinge zu vereinfachen. Denn: Hand in Hand mit dieser Auffassung der Ikone geht ja eine ehrfurchtgebietende strenge Zucht in ihrer Formung. Der Verzicht, auf alle plastische Darstellung steht am Anfang und die Beschränkung auf die reine Fläche; die strenge Wahl der darstellenswerten, richtiger darstellensmöglichen Gegenstände ist sodann entscheidendes Kennzeichen - nur das Heilige allein, nicht das Menschliche darf dargestellt werden. Dies schließt schon in sich, daß jeder Realismus der Darstellung ausgeschlossen bleibt, daß Fläche, Linie und Farbe herrschende Elemente sind, daß strenge Ordnung, bestimmte geometrische Figuren die Kompositionen bestimmen, und daß schließlich hinter allem Werk der Maler dienend mit seiner Persönlichkeit zurücktritt.

LeerAuf der anderen Seite: das christliche Bild des Abendlandes und seine Auffassung, die gleichsam von vornherein die Übertretung des biblischen Bilderverbots ausschließt, entgegen der Gefährdung, in welcher die Ostkirche zu stehen scheint. Doch müßte ja schon dem aufmerkenden geschichtlichen Betrachter bedeutsam erscheinen, daß auf abendländischem, nicht auf ostchristlichem Boden frühzeitig im Mittelalter die Rückkehr zum plastischen Bild der Antike erfolgt, und daß Schritt für Schritt seitdem im Verlaufe abendländischer Kunstentwicklung eine immer größere Freiheit künstlerischer Gestaltung, eine immer stärkere Durchsetzung des Persönlich-Individuellen, eine immer deutlichere Lösung vom tragenden Grund christlichen, kirchlichen Lebens erfolgt ist. Es geht hier nicht um eine Wertung abendländischer Kunst und ihrer Leistungen. Wohl aber darum, daß es dem abendländischen Christen, gleich welcher Prägung, heute deutlich sein müßte, wie das Abendland in der „Bilderfrage” seine besonderen, von anderen Seiten herkommenden und nun freilich sehr umfassenden Gefährdungen hat; es geht darum, daß es dem abendländischen Christen jetzt nicht mehr möglich sein sollte, in der „Bilderfrage” sich etwa als den theologisch „richtigeren” gegenüber der Ostkirche zu fühlen ohne ein Empfinden dafür, daß er sich in der unchristlichen Rolle dessen befindet, der zwar den Splitter in seines Bruders Auge steht, aber nicht den Balken in seinem eigenen Auge: es geht darum, zu erkennen, daß dieser Gegensatz im Grunde ganz wesenlos geworden ist vor bedrängenden neuen Wirklichkeiten, daß es sich auch hier um die entscheidende Frage christlicher Verwirklichung handelt.

Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 156-161

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 15-12-01
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