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Aus der Arbeit des Berneuchener Kreises im Winter 1931/32

LeerEs scheint uns von Wichtigkeit, über die Freizeiten und Treffen zu berichten, die trotz der Ungunst der Verhältnisse Freunde unserer Arbeit in den letzten Monaten zu gemeinsamer Besinnung zusammengeführt haben.

LeerEine Vollfreizeit kam nur in Zöptau in Mähren zustande, also an einem Ort, der jene sehr günstige Vorbedingung eines Zusammenseins gerade in festlicher Zeit erfüllt, daß eine tragende Hausgemeinde die Zusammengekommenen in sich aufnimmt und mitträgt. Über die vom 2.-6. Januar gehaltene Freizeit schreibt Walther Stökl:

Leer„Dieser bescheidene Versuch, im Rahmen eines noch in seinen Anfängen stehenden sudetendeutschen Diakonissen-Mutterhauses eine Berneuchener Freizeit zu halten, hat gezeigt, daß dies eine gute Möglichkeit ist, Menschen zu innerer Stärkung zu sammeln und damit an Einzelnen und der Kirche einen in der Diaspora und im Grenzland doppelt nötigen Dienst zu tun. Die gemeinsamen Abende mit den Schwestern mit vielem Singen und Musizieren, die Vereinigung mit den Schwestern zum Gebet der Tageszeit und den andern gottesdienstlichen Feiern in der Mutterhauskapelle, die Mahlzeiten im Speisesaal z. T. mit den Schwestern gemeinsam haben rechte Gemeinschaft zwischen der Hausgemeinde und den Freizeitgästen geschaffen. Daß das Begräbnis eines Pfleglings des Alten- und Siechenheims in die Freizeittage fiel, bei dem die Freizeitteilnehmer mehrstimmig „Ich wollt, daß ich daheime wär” sangen, hat diese Bindung verstärkt. Die Zusammensetzung der kleinen Schar zeigt die Vielfältigkeit des deutschen Südostens. 1 Pfarrer und 1 Lehrerin aus Preußisch-Schlesien, 2 Pfarrer, 1 Privatbeamter, 1 stud. theol. aus Sudeten-Schlesien, 1 Pfarrer und 2 stud. theol. aus Preßburg in der Slovakei, 1 Vikar aus Wien. Aus 3 Staaten, aus 2 Stämmen (Schlesier und Österreicher), aus ganz verschiedner Herkunft und Prägung.

LeerAm meisten Freude machte das Singen unter Fritz Mauer aus Wien. Die Aussprachen führten, für die Zeitlage und den Osten bezeichnend immer wieder in politische Probleme, obwohl doch acht von zehn Teilnehmern Theologen waren. Kommunismus, Nationalsozialismus, die kirchlichen und politischen Nöte der Slovakei, das Verhältnis zum slavischen Protestantismus wurden oft so leidenschaftlich besprochen, daß man mitunter wünschen konnte, nicht durch das schlechte Wetter allzusehr zum Beieinanderhocken verführt zu sein. Aber dies Gespräch der Männer, aus der großen Volksnot kommend, ist doch nicht ohne Frucht im Hinblick auf Klärung und Erweiterung des Blickfeldes. Diasporamenschen haben so selten Gelegenheit, ihr Herz auszuschütten, daß es so sein muß auf einer Freizeit. An Meditationen konnten wir uns nicht wagen, sie wären eine große Hilfe gewesen. - Der Ort für den Osten ist gefunden. Nun muß der Osten, wo sich Volks- und Kirchenschicksal im besonderen entscheidet in den kommenden Jahren, soweit wir das recht sehen können, neben dem Westen, Süden und Norden auch in gleichem Maße gerufen werden zu neuer Schau der Kirche und neuem Dienst am Volk. Es ist auch im Osten das Verlangen nach Hilfe und Führung und Neubau aus den Trümmern groß.”

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LeerVon besonderer Wichtigkeit wurden uns in diesem Winter die Abendfreizeiten. Was dem Neupietismus vorschwebt, wenn er Evangelisation hält, nun aber ganz ins Kirchliche umgedacht, nicht den Einzelmenschen herauslösend aus seiner Umwelt, sondern hineinführend in gemeinsame gottesdienstliche und lebensmäßige Bindungen innerhalb der Pfarrgemeinde - das haben wir schon früher in gewissem Sinne in kirchlichen Abendsingwochen gefunden und finden es nun noch stärker in Abendfreizeiten, die eine gemeinsame Erörterung wichtiger Fragen des kirchlichen Lebens und ein Sicheingliedernlassen durch liturgisches Singen und .Meditieren miteinander verbinden.

LeerVon den vier Abendfreizeiten dieses Jahres waren zwei als bewußte, planmäßige Hilfe zum meditativen Hören angekündigt: die Abendwochen in Münster und Marburg, beide vom 10.-17. Januar. Den Blick der Einzuladenden so ausdrücklich auf die Aufgabe der Meditation hinzulenken erwies sich Fernerstehenden gegenüber insofern als schwierig, als „weder der Name „Abendfreizeit” noch vollends „Meditationswoche” einen Eindruck von dem Sinn und der Aufgabe einer solchen Woche der Sammlung und Besinnung vermitteln konnte; trotzdem” - schreibt Wilhelm Stählin, über die Woche in Münster berichtend - „trotzdem haben dann etwa 30 Studenten und etwa 20 Glieder der hiesigen Gemeinde an unsrer Woche teilgenommen. Den Ansprachen und Meditationen lag die Geschichte von der Hochzeit zu Kana zugrunde: die Wandlung des Gesetzes, das wie das Wasser von außen her reinigt, in den Geist, der als das inwendige Feuer erneuert und belebt, als das eigentliche Werk Christi. Predigtgottesdienst und Abendmahlsfeier am Sonntag waren Ziel und Abschluß der Woche.”

LeerIn Marburg handelte es sich weniger um eine Einführung in neue als um eine Fortführung bereits bestehender Arbeit. Etwa 60 Teilnehmer versammelten sich in der Sakristei der Universitätskirche. „Die Zusammensetzung war denkbar mannigfaltig, der Akademiker und der Arbeitslose waren vertreten. Die Aufgabe, den großen Kreis in den kurzen Abendstunden zusammenzufassen, gelang nur dank einer strengen Schweige-Disziplin, deren Bedeutung voll verstanden wurde. Ein Drittel der Teilnehmer konnte regelmäßig an der täglichen Morgenandacht teilnehmen.” Die Tage wurden mit Predigt und Beichtfeier begonnen; allabendlich wurde ein Vortrag über den Epheserbrief gehalten, daran schloß sich eine Betrachtung über ein Zeichen oder bildhaftes Wort, in dem der Ertrag der gemeinsamen Besinnung zusammengefaßt und angeeignet wurde. Den Höhepunkt, zu dem die Woche hinführte, bildete die Feier des heiligen Abendmahls.

Leer„Die Bedeutung solcher Freizeiten für eine Gemeinde liegt vor allem darin, daß sich den Teilnehmern auf diesem Wege das Verständnis für ein Leben in und mit dem Leibe Christi erschließt. Freilich steht diese Arbeit in einem entschlossenen Gegensatz gegen die den Protestantismus gegenwärtig beherrschenden Strömungen. Es gilt da, den Kampf gegen die Auflösung der Kirche ohne alle Polemik zu führen durch die Verwirklichung sakramentaler Gemeinschaft.” (K B. Ritter)

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LeerDie Wochen in Hannover-Stöcken und Hillerse waren erste Einführungen einer Arbeiter- und einer Landgemeinde, zu deren Durchführung Henning Hahn, Walter Klose, Christhard Mahrenholz, der Berichterstatter, die örtlichen Singkreise und andere zusammenwirkten. Die Stöckener Woche war nötig, weil die starken Weltanschauungskämpfe in der Arbeiterschaft Hannovers die Gefahr des Abgleitend der kirchlichen Arbeit ins rein Verstandesmäßige heraufbeschworen. „Es mußte deutlich gezeigt werden; nicht in Vorträgen und Diskussionen stellt sich eine lebendige Gemeinde dar, sondern im Horchen auf Gottes Stimme, im Gebet und im Opferdienst.”

LeerDie Vorträge in Stöcken standen unter dem Leitwort „Gottesdienst und Alltag” und führten von den Fragen profaner Welterkenntnis an die Fragen sakramentaler Lebenshaltung heran. Die Aussprache zeigte die rege Anteilnahme des versammelten Kreises von 150-200 Gemeindegliedern jeden Alters, die fast alle dem Arbeiterstand angehörten und zum Teil schon länger in kirchlicher Arbeit stehen. (Entgegen dem ursprünglichen Plane wurden die Zusammenkünfte nicht auf die Männer der Gemeinde eingeschränkt.) Unverkennbar war, daß der Hörerkreis auch schwierige Fragen der sakramentalen Gestaltung viel unmittelbarer, intuitiver erfaßte, als dies eine gebildete Gemeinde getan hätte. „Wichtig war, daß man nun nicht nur Worte über die Sache machte, sondern zur Verwirklichung in der Abendfeier nach dem Gebet der Tageszeiten weitergeführt wurde. Die liturgischen Übungen dazu erregten zu Anfang lebhaften Widerspruch. Man fand sie zu katholisch, befürchtete eine Umänderung des Sonntagsgottesdienstes.

LeerDie meisten kamen trotzdem wieder und wurden einfach durch die praktische Ausübung hineingezogen in das Verständnis. Der Sonntag bildete den Höhepunkt. In Morgengottesdienst und Abendfeier wirkte die Singgemeinde Hannover mit, und wohl selten ist die Gemeinde dem Gottesdienst von Anfang bis zu Ende mit solcher Anteilnahme gefolgt. Ein besonderes Geschenk war uns bei der Abendfeier das Orgelspiel, das uns die Eigenbedeutung der Orgel als einer Stimme Gottes wie kaum zuvor offenbarte. Etwas ganz Neues ist mit dieser Woche in die Gemeinde gebracht, mit dem sie noch nicht fertig ist, das sie nicht einfach abtun kann, das sich erst durch weitere Erprobung in seinem Wert bewähren muß, vor allem auch in der Fortführung der Abendfeiern.” „Worum es uns ging mit dieser kirchlichen Woche? Daß wir eine lebendige Gemeinde werden möchten, die nicht in kirchlicher Betriebsamkeit ihr Leben darstellt, sondern im Gebet, im sinnerfüllten, von Herzen gefeierten Gottesdienst und in Hingabe und Opfer” (E. Kurtz)

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LeerDie Woche in Hillerse bei Northeim brauchte nicht in dem Maße wie die andern Wochen Geschlossenheit anzustreben, da es sich in der ländlichen Gemeinde stärker um Anregung nach den verschiedensten Richtungen und Mutmachen gegen die zerstörenden politischen und wirtschaftlichen Mächte der Zeit handelt. So wechselte der Inhalt der Abende, nur der Abschluß im Gebet der Tageszeiten war ihnen gemeinsam. Vermieden wurde, hier wie in Stöcken, die Abhaltung einer Abendmahlsfeier im Rahmen der Tagung, da es sich in beiden Fällen um Gemeinden handelt, die ihre feste Abendmahlssitte nach Berneuchener Ordnung haben, und die einfache Ordnung des Abendgebetes des Neuen genug bot.

LeerÜber kürzere Treffen berichten Württemberg, Hamburg und Hannover. Während das Stuttgarter Treffen zu Anfang der Adventzeit nur ganz kurz war, umfaßten die beiden andern Nacht und Tag.

LeerAm Abend des 2. Januar kamen im Jugendheim Kuddewörde am Sachsenwald etwa 20 Freunde zusammen, die sich rasch unter Walter Lüneburgs Leitung zusammensangen. „Die Abendfeier im Heim, die Sonntag-Morgenfeier in dem Ortskirchlein und die Mittagsfeier lösten uns alle aus der Unruhe der Winternot und schufen die Grundlage für einen lebendigen Gedankenaustausch über die innere Entwicklung der Berneuchener Bewegung. Sie will uns wieder in die Kirche stellen. Aber eben darum muß sie aufgeschlossen bleiben für die gleiche Haltung, die rings um uns her aufbricht. Der Nachmittag schenkte uns nach einer besinnlichen Ruhestunde noch eine Aussprache über die Möglichkeiten, unsere Gedanken in der Erziehungsarbeit anzusetzen. Am Abend und Montag blieb noch ein kleinerer Kreis zusammen, der durch persönliche Aussprache und Gespräche über die kirchliche Lage, zumal in Lübeck und Hamburg, uns Wesentliches an Klärung und Gemeinschaft gab” (Ludwig Heitmann).

LeerIn Bremke bei Göttingen war am 6. Januar der kleine Kreis der Freunde im Lande beisammen, dazu verschiedene, die eine erste Einführung in Berneuchen suchten, zusammen etwa 20 Menschen, vor allem Lehrer und Pastoren. „Am Vorabend begann das Zusammensein mit der Teilnahme an einer Epiphanias-Vesper der Ortskirchengemeinde. Am Vormittag sprachen wir von der Notwendigkeit der Berneuchener Arbeit und ihren Möglichkeiten besonders in der hannoverschen Landeskirche. Nachmittags wurde eine große Menge praktischer Fragen angeschnitten, auch die eines Freizeitheims in Südhannover. Überall klang die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit zukunftskräftiger Formgebung hindurch.” Die Frucht dieses Treffens waren die beiden genannten Abendfreizeiten in Hannover.

LeerEine Arbeitstagung, beschickt von der Niedersächsischen Liturgischen Konferenz und dem Berneuchener Kreis, fand an drei Tagen Anfang März in Hamburg statt. Aufgrund zweier .Referate von Hauptpastor D. Knolle-Hamburg und Professor D. Dr. Stählin-Münster wurde die Ausgestaltung des Kirchenjahres im Zusammenhang mit der Perikopenfrage besprochen. Die Zusammenarbeit hat die beiden Konferenzen gemeinsame Arbeit an der Erneuerung des Kirchenjahres sehr stark gefördert; die Ergebnisse werden veröffentlicht werden und vom nächsten Jahre an in der Bibellesetafel der „Jahresbriefe” und im „Gottesjahr” ihre Auswirkung finden. Wir erhoffen von der ganzen Arbeit eine Überwindung der heute herrschenden gottesdienstlichen Willkür durch den Neuaufbau fester, sinnerfüllter kirchlicher Sitte und Ordnung.

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LeerErwähnt sei noch die Abhaltung einer evangelischen Fastenwoche vor Reminiszere durch die Nikolaigemeinde in Bielefeld, ganz in dem Sinn, wie solche Fastenwochen im „Fastenbrief” besprochen worden waren. „Angesichts der großen Not der Arbeitslosigkeit stand diese Woche unter dem Bibelwort: Einer trage des andern Last. Nicht die Größe der Gabe sollte entscheidend sein, sondern der ernsthafte Versuch, die Sorge des andern zu verstehen und ganz leibhaftig mitzutragen.”

LeerBesonders fein war die Antwort auf diesen Ruf gerade aus den Kreisen der Jugend. „Ein Junge verzichtete auf seine Geburtstagstorte und aß mit seinen Freunden bei der Geburtstagsfeier „Korinthenbrötchen”, und als die Mutter ihm vorschlug, doch lieber für die Arbeitslosen etwas aus der Spardose zu nehmen und die Geburtstagstorte beizubehalten, schon weil die Freunde sonst so viel fragen würden, gab er zur Antwort: „Nein, das wäre nicht richtig, dann wäre es kein Opfer.” Auf den Zettel, in dem eine Gabe gewickelt war, hatte eine Schülerin geschrieben: „Statt einer Tafel Schokolade, die ich geschenkt bekam, und eines Theaterbesuches - ich wäre sehr gern hingegangen.” Ein kleines Mädchen brachte 40 Pf.: „Statt Pudding”. Und eine andere kleine Gabe trug die Überschrift: „Ich aß keine Apfelsinen.”

LeerIn sehr vielen Fällen hatte die Jugend den Weg gefunden, daß sie der Mutter vorschlug, eine Woche lang nur Eintopfgerichte zu kochen, oder daß sie auf Brotbelag verzichtete, unter Umständen auch auf die Butter. Auch wenn man eingeladen war und Butter und Belag angeboten und gereicht wurden, haben einige Mädels fein und tapfer gefastet. Ein kleines, blondes Ding von 10 Jahren brachte 50 Pf. und sagte: „Viel ist es nicht, aber ich habe nur 70 Pf. Taschengeld.” Es ist besonders die Jugend gewesen, die die Elternhäuser mit ihrer Begeisterung mitgerissen hat. Wenn auch der finanzielle Erfolg überraschend groß war, viel größer war der innere Erfolg: hier war wirklich einmal eine Tat brüderlicher Liebe geschehen.” (Theodor von Sicard)

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1931/32, S. 81-84

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-19
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