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Kloster Urspring und seine Umwelt IV
St. Afra auf dem Totenacker
von Bernhard Hell

LeerDie Heilstat Gottes im Erlösungswerk in ihrer ganzen Größe und Unnahbarkeit erkennen, und zugleich spüren, wie sie nicht nur die Welt gewandelt hat, sondern auch täglich uns für unsern eigenen Weg Kraft und Weisung zur Nachfolge geben will, das will sich schwer vereinigen lassen. Wir kennen ja jene seichte moralische Ausdeutung der biblischen Geschichte, die aus Christus ein sittliches Vorbild zur Nacheiferung macht, wir kennen auch jene unevangelische und doch leider in den Protestantismus tief eingedrungene Mystik, die die heilige Schrift zum Anlaß gefühlvoller Reflexionserlebnisse macht, die allenfalls für die Stunden des Leidens, nicht aber für die Stunden der Tat fruchtbar werden. Da zeigt uns das Kunstwerk eines namenlosen Meisters aus der Zeit vor mehr als 600 Jahren in bilderreicher Schau das Miteinander und Füreinander des Heilsweges Gottes und der Nachfolge seiner Kirche.

LeerEine halbe Stunde von Kloster Urspring entfernt steht gleich neben dem Bahnhof Schelklingen die alte Totenacker-Kapelle zur heiligen Afra. Nachdem sie vorübergehend auch der evangelischen Diasporagemeinde für ihre sonntäglichen Gottesdienste gedient hat, ist sie nun Toten-Kapelle des vorwiegend katholischen Ortes.

LeerIm Blickpunkt des Innern steht frei in der Mitte eines viereckigen Chorraumes ein Altar, überragt von der Gestalt Christi am Kreuz. An den drei Wänden des Chores aber läuft, in der Höhe des Kruzifixes, ein doppeltes Band von Fresken. Die obere Reihe zeigt den Weg Christi von Bethlehem bis über die Auferstehung hinaus. Die untere Reihe läßt den einzelnen Stationen des Weges Christi Bilder aus dem Leidensweg der Blutzeugen der Kirche entsprechen. Nur am Anfang und am Ende vereinigen sich beide Reihen, hier wird gleichsam der Knoten geknüpft, der das Oben und das Unten miteinander verbindet.

LeerDie Reihe der Fresken beginnt an der Nordwand.

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LeerDas erste Bild (über dem Eingang in den Chor) stellt die Anbetung der drei Könige dar: sie kommen geritten aus der Welt, die im Argen liegt, haben sich aufgemacht, den zu suchen, mit dem die große Wende anhebt. Zum Reiten dienen ihnen Pferde: die gebändigte Natur ists, die zum Geistigen führt. Nun haben sie gefunden, was ihrem Leben Ziel und Richtung gibt. In der Anbetung wird das kreatürliche Sein verlassen: der erste König ist von seinem Pferd gestiegen, hat seine Krone abgenommen und tritt nun in Verbindung mit der Tiefe der Welt, in der das Wort Gottes hörbar und schaubar wird. Im Gegensatz zu der heiligen Sehnsucht, von der die Könige getrieben sind, steht man im Hintergründe Tiere ihre Gier stillen, indem sie von den Bäumen der Üppigkeit naschen. Eine Frauengestallt (die irdische Liebe?) stellt Verbindung zwischen der natürlichen Welt und der geistigen Welt her. Sie kniet an der Schwelle, den Blick auf das heilige Geschehen gerichtet. Einen widerstrebenden Hund hält sie fest und zwingt ihn, hier zu bleiben. Während die Haltung der Könige ganz zielsicher und wissend ist, drückt sie Erstaunen aus. Sie erblickt das „Wunder”. Nun kann sie nicht mehr in der unbefangenen Triebhaftigkeit, wie die springenden Böcke im Hintergrund, sich dem Genusse der verbotenen Früchte hingeben.

LeerNeben dem Stern, auf den der König hinzeigt, bringt ein Engel das Brot. Der Stern war es, der die Könige leitete und die vertrauenden zur heiligen Stätte führte, zu dem halbverfallenen Stalle, in dem auf einem Lager von Tüchern und Streu Maria, die Jungfrau ruht, die den Heiland der Welt geboren hat. Die Pilger bringen Gaben: Gold, altes Sonnengut, und Rauchwerk, das opferhaft in die Höhe steigen soll. Freudig greift das Jesuskind danach und nimmt die Gaben an. Ein Diener des Königs, der dessen Pferd hält, wendet dem Heiligen den Rücken: er sieht und hört nicht, was da vor sich geht. Auch das Pferd schaut zurück dahin, woher es gekommen ist.

LeerNun folgt in der oberen Reihe sofort der Leidensweg Jesu. Auf dem ersten Bilde wird der Herr, im Garten Gethsemane betend, von einem Engel gestärkt, während die Jünger in Schlaf versunken sind. Es folgt das Verhör vor Pilatus; links bringt ein Jude auf einem Spruchband die Anklagen seines Volkes vor, rechts wäscht der Richter seine Hände in Unschuld.

LeerNun geht das Unheil seinen unerbittlichen Weg. An die Säule gebunden wird Christus gegeißelt. (Die Darstellung geht hier auf die Ostwand über.) Mit einem weitausholenden radförmigen Knebel wird Ihm die Dornenkrone ins Haupt gepreßt. Durch spottende Juden und klagende Frauen hindurch muß er sein Kreuz tragen. Die Kleider werden Ihm abgezogen zum Zeichen des nahenden Sterbens; hohnvoll bringt ein Jude die Inschrift für das Kreuz. Nun erwartet man die Kreuzigung selbst. Doch ist hier in der Bilderreihe eine Lücke, hier fügt sich die Darstellung auf dem Kreuzaltar selber ein und die heilige Handlung der Messe, in der Christi Opfer immer aufs neue vergegenwärtigt wird. Auf dem nächsten Bild ist Jesus schon tot. Longinus hat die Lanze in die Brust gestoßen; der Blutstrahl aus des Heilands Wunde heilt ihm sein krankes Auge. Neben ihm steht klagend Maria Magdalena, während Maria, die Mutter des Herrn, zur Linken des Gekreuzigten von Johannes getröstet wird. Endlich muß der heilige Leichnam vom Kreuz genommen werden, um auf dem letzten Bild der Ostwand ins Grab gesenkt zu werden. Nun beginnt an der Südwand die Darstellung des Eingangs ins neue Leben. Christus steigt vor den schlafenden Wächtern mit der Siegesfahne aus dem offenen Grabe empor. Adam und Eva kehren durch die goldene Pforte ins Paradies zurück.

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LeerUnter diesen Bildern des Passionsweges läuft nun die Reihe der Martyrien: in freier Nachfolge des Weges Christi wird von seinen Blutzeugen der Pfad der Läuterung begangen. Erasmus, der Bischof, liegt in freier Haltung betend auf einem Lager von Holzrollen, während ihm die Gedärme aus dem Leib gehaspelt werden. Erst muß die Triebwelt, deren Sitz der Unterleib ist, geläutert werden. - In einer Landschaft voll großer Trauben werden dem Bischof Cassian von zwei fanatischen, unerlöst ihren triebhaften Leidenschaften unterworfenen Gestalten die Fingerspitzen mit scharfen Werkzeugen durchbohrt. Die Finger der Menschheit, die so schwere Schuld auf sich geladen, den Heiland der Welt gegeißelt und getötet haben, können nur durch freiwillige Opferung entsühnt werben. Zugleich geht die Läuterung weiter zur Welt der Seele, der Arme und Hand zugehören. Nun folgen an der Ostwand die Martyrien zweier Jungfrauen, zunächst der heiligen Katharina, die auf ein Rad geflochten wurde, aber das Rad ist gesprungen und bedroht den Folterknecht, als wollte das Gerät sich nicht länger mißbrauchen lassen, als empörte es sich gegen die Vergewaltigung seines Sinnes und seiner Bestimmung. Auch der Richterstuhl ist unter dem zuschauenden Richter zusammengebrochen. Die Befreiung beginnt.

LeerDas letzte Bild vor der Lücke in der Mitte zeigt die heilige Afra; sie hat als Patronin des Gotteshauses den Ehrenplatz zur Rechten des Kruzifixus. Sie liegt auf dem Scheiterhaufen, aber die Flammen, obwohl künstlich angefacht, verbrennen sie nicht; sie läutern bloß. Friede- und ruhevoll ist das Antlitz der Dulderin. Sie weiß, daß sie Vergebung für die Schuld ihrer heidnischen Lebensjahre gefunden hat. Auf der andern Seite des Altars ist die Marter des Hippolytus, des „von Pferden Zerrissenen”, dargestellt. Den Kopf nach unten an einen starken Pfahl gebunden, wird der Heilige von zwei nach entgegengesetzten Seiten getriebenen Pferden zerrissen. Ist Ver-zweiflung die letzte Qual, durch die der Mensch zu gehen hat, um zur Läuterung und zum Frieden zu kommen? Den Abschluß bildet an der Südwand unter dem Auferstehungsbild eine Darstellung des heiligen Bartholomäus, der die abgezogene Haut auf seinem linken Arm hält. Er hat es fertig gebracht, aus seiner alten Haut zu kommen. Der alte Adam liegt überwunden und abgestreift da: das Reich des neuen Adam kann beginnen. Neben ihm ist Petrus bereit, mit dem Schlüssel die Pforte aufzuschließen, die zur Seligkeit führt. Darüber befindet sich, wie schon gesagt, die Darstellung des neuen Paradieses.

LeerWar bis jetzt in der oberen Bildreihe der Leidensweg Gottes durch die sündige Menschheit dargestellt, in der unteren die opferbereite Aufnahme des Kreuzes und Nachfolge Jesu, so zeigen die nun folgenden Bilder oben und unten die Begegnungen der Seele mit den überirdischen Mächten nach dem Tod. Das erste Bild zeigt Hölle und Fegefeuer. Der Satan in greulicher Ungestalt mit schwerer Kette gefesselt sieht wohl grauenerregend aus, aber er ist ohne Tiefe. Eine fürchterliche Leere ist in seinem Ausdruck: Das Böse, so mächtig es auf der Oberfläche scheint, ist ohne metaphysische Kraft. In den Flammen des höllischen Feuers sind in qualvoller Not zehn Menschenköpfe. Jeder einzelne ist in verlassener Einsamkeit ohne innere Verbindung mit dem Nachbarn. Jeder starrt für sich die teuflische Ungestalt an, vielleicht dessen Ohnmacht erkennend und nun, nachdem es zu spät ist, unter Heulen und Zähneklappern die Sinnlosigkeit des vergangenen Lebens einsehend. Im Fegfeuer herrscht wenigstens äußerliche Ordnung und Gliederung. In fünf Reihen zu je vier Köpfen, alle Stände verkörpernd, sind sie neben einander gestellt, nur durch die Flamme zusammengehalten, auch hier ohne innere Beziehungen, völlig Liebe-los. Auch sie voll Schreckens. Nur hie und da meint man ein Grinsen über den breiten Mund gehen zu sehen, einen spöttischen Hohn über die Gebundenheit des Teufels.

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LeerIm unteren Bild ist Magdalena die Büßerin dargestellt, der Jesus sich nähert. Doch scheint sie ihn nicht zu sehen: traurig schaut sie zur Erde, in die Jesus gelegt worden ist. Hinter ihr steht ein Baum, ebenfalls harrend und noch geschlossen, während die Blumen hinter dem Herrn blühen und voll Leben sind.

LeerDie letzte Gruppe zeigt oben den Schmerzensmann umgeben von all den Werkzeugen seiner Marter, über den Wolken. Betend sind seine Hände über der Brust gekreuzt. Dieses Bild, das der zur Messe eintretende Priester gerade sich gegenüber vorfindet, stellt den erhöhten Herrn bar, wie er in steter Erneuerung seiner irdischen Marter sich selbst dem Vater im heiligen Meßopfer barbringt. Neben ihm, zu seiner Rechten, St. Afra auf dem Scheiterhaufen, die bei ihm Fürbitte einlegt für die Gläubigen auf Erden. Neben dem Kreuz ist ein doppeltgeteilter Ast, der zusammengehalten wird durch eine Schlange mit zwei Köpfen, einem unten, einem oben, die sich fest in das Holz verbissen haben. Ist es die erhöhte Schlange, von der Johannes 3,14 die Rede ist? Ist es ein Zeichen dafür, daß Christus die Doppelpoligkeit der Welt wieder zur Einheit gebracht hat und daß auch das Böse hat Mittel sein müssen zur Erreichung des Weltzweckes, auch gegen seinen Willen? Ist es Darstellung des Logos? Hinter St. Afra ist eine Leiter, gebildet aus Menschenfüßen. Die Werke der Heiligen haben sie gebaut und dadurch eine Verbindung von Erbe und Himmel geschaffen.

LeerDas letzte Bild der oberen Reihe zeigt ein Schiff, gefüllt mit kleinen nackten Gestalten: die Kirche. Den mächtigen gebogenen Schnabel des Schiffes packt eine dämonische Gestalt mit Löwenkopf. Wie ein brüllender Löwe geht ja der Versucher umher und suchet, wen er verschlinge. Doch fürbittend steht eine große Gestalt mit betend erhobenen Händen da: die Priesterschaft mit all ihren Segenskräften. Ohne Hilfe sind nur die Gestalten derer, die, fern dem Schiff, einzeln mit den Wellen ringen. Noch einmal erscheint hier der Kampf mit dem Diabolos, dem Widersacher. Doch das untere Bild kündet von dem endgültigen Sieg. Maria, gekennzeichnet durch das Kind auf ihrem Arm, und die zwölf verklärten Apostel, königliche Priester, Erlöste, die den Weg durchschritten und durchlitten haben, bilden den Anfang der neuen Menschenwelt, der triumphierenden Kirche des Himmels. Sie harren der letzten Ausgießung des Geistes am Ende der Dinge. In den Bildern der Kapelle wird gezeigt, daß Kirche, wie Wilhelm Stählin einmal sagte, der Ort ist, wo Menschen den Mut fassen, in den Tod zu gehen, weil eine Wolke von Zeugen um sie ist und ihnen begegnen, die gekommen sind aus dein Tod ins Leben.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1931/32, S. 162-165

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-19
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