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von Wilhelm Stählin |
12 Sätze zur Kirchlichen Lage Zum Aufbau der Kirche Über die Auslese, Ausbildung und Anstellung der Pfarrer In diesen Wochen, in denen wir alle bis zum Rande unsrer Seele von der Sorge um unsre Kirche bewegt sind, empfinden viele von uns aufs stärkste, wie sehr der einzelne des Rates, vielleicht auch des Trostes gleichgesinnter Freunde bedarf, und welche Hilfe es bietet, sich in gleicher Erkenntnis und gleicher Verantwortung mit anderen zusammengeschlossen zu wissen. Von mehr als einer Seite werden wir gebeten, zum Teil in entschiedenster Form dazu aufgerufen, zu den im „Berneuchener Kreis” zusammengeschlossenen Freunden ein Wort zu sagen. Unser „Osterbrief”, vorbereitet und zum größten Teil gedruckt in einer Zeit, da die allerwenigsten die Stärke der Erschütterung und die Größe der Stunde ermessen konnten, stellt uns noch, scheinbar ohne direkte Beziehung zu dem Zeitgeschehen, ganz in das Licht des Osterfestes und des Sakraments. Inzwischen aber ist unsre Kirche so unmittelbar vor die Notwendigkeit tiefgreifender Wandlungen gestellt, daß unsre Freunde ein Wort eben darüber von uns erwarten dürfen. Die stürmische Reichstagung der „Glaubensbewegung ‚Deutsche Christen’” schien die Gefahr unmittelbar heraufzubeschwören, daß die evangelische Kirche durch staatliche Eingriffe gezwungen werden sollte, sich bestimmten Wünschen und Forderungen zu beugen; die Gefahr, daß die Kirche, kaum der Jahrhunderte langen Bindung an den Staat entronnen, kaum ernstlich vor die Aufgabe gestellt, aus ihrem eigenen Wesen und ihrem göttlichen Auftrag heraus die Formen ihres Lebens und ihres Dienstes zu gestalten, von neuem unter den Anspruch politischer Macht gebeugt werden sollte. Wir waren uns alle darüber klar, daß wir - wo und wie wir auch politisch stehen - als Christenmenschen in einer solchen Kirche keine Heimat mehr hätten. Es war keine Übertreibung, wenn die „Tägliche Rundschau” in jenen Tagen schrieb, daß eine solche Entwicklung das Ende der evangelischen Kirche in Deutschland bedeutet hätte. Viele, die nicht nur die staatliche Umwälzung, die nationale Revolution, sondern auch das politische Wollen des Nationalsozialismus im engeren Sinn freudig bejahen, haben diese Gefahr mit aller Klarheit gesehen und ernst und mutig davor gewarnt. Auch in den Reihen der deutschen Christen stehen viele, die dort mit allem christlichen Ernst für die Freiheit der Kirche und für die Erneuerung der Kirche als kirchliche Aufgäbe gekämpft haben und kämpfen. Wenn heute diese Gefahr nach menschlichem Ermessen überwunden zu sein scheint, so ist das neben den vielen einzelnen, die an ihrem Platz für die notwendige Freiheit der Kirche eingetreten sind, der Entschlossenheit einzelner kirchlicher Führer und nicht zuletzt der staatsmännischen Besonnenheit des Reichskanzlers zu danken. Viele von uns haben sich gerade in dieser Erfahrung in ihrem Vertrauen zu der Person des Kanzlers bestärkt gefunden; wir verlassen uns auch weiterhin auf sein unzweideutiges Wort und begrüßen dankbar den Aufruf, den Wehrkreispfarrer Müller als der besondere Vertrauensmann des Kanzlers erlassen hat. Wir sind bereit, für eine wirkliche evangelische Kirche jedes Opfer zu bringen, und wenn wir diesen Weg geführt werden, in aller Stille und äußeren Armut und Ohnmacht Kirche unter dem Kreuz zu sein und ihr zu dienen; aber niemand unter uns denkt daran, solche Opfer zu bringen oder anderen zuzumuten für die Erhaltung der Kirche, wie wir sie oft mit Schmerz empfunden und beklagt haben: eine Kirche ohne geistliche Führung, eine Kirche als Tummelplatz beliebiger religiöser Meinungen, eine Kirche unter der Herrschaft von Verwaltungsbehörden und kirchenpolitischen Machtgruppen. Der Versuch des Altpreußischen Kirchensenats, den Häuptern der alten kirchenpolitischen Parteien, die wir nicht mehr und nie wieder haben wollen, weitgehende Vollmachten zu erteilen, mußte rasch an seiner Unmöglichkeit scheitern. Wir haben von den ersten Tagen an, wo wir konnten, gewarnt vor der Neigung, von dem hohen Thron theologischer Überlegenheit herab die „Glaubensbewegung Deutsche Christen” zu unterschätzen. Gewiß, es sind dort, zumal auf der Reichstagung, unter anderem auch theologisch unmögliche Dinge gesagt worden; und in der entscheidenden Frage nach dem Wesen der Kirche und dem Verhältnis ihres Auftrages zu Volkstum und Staat sind dort ganz verschiedenartige und sich widersprechende Meinungen verworren nebeneinander laut geworden. Aber hinter den bedenklichen Worten, hinter einer unklaren Mischung kirchlichen Erneuerungswillens mit politisch revolutionärer Leidenschaft war und ist doch zu spüren das ungestüme Verlangen nach einer Kirche, die das Wort Gottes nicht nur über die einzelne Seele, sondern über das Volk und seine Geschichte zu sagen weiß; eine Männerbewegung wie seit Jahrhunderten nicht pocht an die Pforten der Kirche, und die Kirche hat dieser Bewegung wie allen innerweltlichen Bewegungen gegenüber keine andere Aufgabe als die, wirklich Kirche zu werden und ihren Auftrag bußfertig und gehorsam zu erfüllen. Am Abend des Tages, an dem die höchst beunruhigenden Nachrichten über die Reichstagung der „Glaubensbewegung Deutsche Christen” durch die Presse gegangen waren, haben Ritter und ich, zunächst nur zu unsrer eigenen Klärung, 12 Sätze niedergeschrieben; ohne zu wissen, ob wir tatsächlich in ein persönliches Gespräch mit maßgebenden Führern der Deutschen Christen kommen würden, wollten wir zunächst in uns selbst mit aller Aufgeschlossenheit und zugleich mit aller Treue gegen unser kirchliches Amt dieses Gespräch führen. Die 12 Sätze haben uns hernach in vielen und langen Gesprächen mit Freunden aus dem Kreis der Deutschen Christen gedient; und die freudige Zustimmung, die sie an verschiedenstem Ort gesunden haben, gibt ihnen über ihren ganz privaten Ursprung hinaus ein gewisses Gewicht. Wir halten es darum für richtig, sie unsren Freunden mitzuteilen. I. 1. Der Protestantismus ist - sehr im Gegensatz zu Luther - weithin einer blutleer gedanklichen Theologie verfallen und hat die Aufgabe versäumt, unserm Volk ein christliches Verständnis der natürlichen Lebensordnungen wie Leib, Rasse, Volk und Staat zu erschließen. 2. Die verheißungsvollen Ansätze der Reformation zu einer Einwurzelung der kirchlichen Sprache und Lebensformen im deutschen Volkstum sind stecken geblieben; Bekenntnis und Verkündigung der Kirche sind für ungezählte deutsche Menschen der Gegenwart fremd und unverständlich geworden. 3. Wir sind mit den „Deutschen Christen” einig in der doppelten Anklage, daß es der evangelischen Kirche vielfach an geistlicher Führung gefehlt hat, und daß die Leitung der Kirche durch einen demokratischen Parlamentarismus und den auf seinem Boden gedeihenden Streit kirchlicher Parteien gelähmt und verfälscht worden ist. 4. Wir sind mit den „Deutschen Christen” einig in dem Ruf nach bischöflicher Leitung der Kirche und nach einem wirksamen Ausdruck der schicksalhaften Verbundenheit des gesamtdeutschen Protestantismus. 5. Wir beklagen mit den „Deutschen Christen”, daß unsere Kirchen in entscheidenden Stunden mehr auf äußere Sicherungen, als auf die Vollmacht ihrer göttlichen Sendung vertraut haben und wissen, daß der Weg der Kirche Jesu Christi in allen Zeiten durch Kampf, Kreuz und Opfer führt. 6. Alle irdischen Größen, auch Volkstum und Nation, stehen unter der Herrschaft Gottes, der sie erwählen, gebrauchen und verwerfen kann; sie werden verworfen, wenn sie sich selbst die Herrschaft über die Gewissen anmaßen. 7. Die christliche Kirche ist dem Ratschluß Gottes gehorsam, wenn sie sich in der gewachsenen Art des einzelnen Volkstums ausprägt; aber sie verleugnet ihren Auftrag, wenn sie die Wesensart eines Volles oder einer Rasse zum Richter über die Offenbarung Gottes setzt. 8. Der Kirche Jesu Christi, der für alle gestorben und auferstanden ist, ist das Wort von der Versöhnung anvertraut; sie weiß und verkündigt, daß alle Mächte des Hasses immer nur das Verderben wirken können; sie bekennt sich selbst als das Voll Gottes, das aus allen Ständen und Völkern gerufen und gesammelt ist. 9. Die Kirche kennt nur ein Haupt: Jesus Christus, und ist in allen ihren Lebensäußerungen nur ihm als ihrem Herrn und Richter unterworfen. Darum hört sie auf, christliche Kirche zu sein, wenn sie sich in ihrem Dienst dem Befehl irgendwelcher irdischen Gewalten unterstellt. 10. Der notwendige Umbau der Kirche muß in völliger Freiheit von allen staatspolitischen Einwirkungen aus dem eignen Wesen und Leben der Kirche heraus geschehen. 11. Das Amt der Kirche leitet seine Vollmacht allein aus dem Auftrag des Herrn der Kirche her; diese Begründung seiner Autorität muß in der rechtlichen Verfassung der Kirche anerkannt werden. 12. Die Kirche kann den Dienst, den sie an dem Gewissen des Volkes und seiner Obrigkeit zu leisten hat, nur dann erfüllen, wenn sie in innerer und äußerer Unabhängigkeit von staatlichen Gewalten, auch in finanzieller Selbständigkeit, ihrem Auftrag gehorsam bleibt. Darum ist es unmöglich, die Erneuerung der Kirche nur an einem Teilgebiet ihres Lebens, etwa nur an ihrer Verfassung, vorzunehmen. Es mag heute aus politischen Gründen sehr notwendig sein, die uns überkommene Zerspaltung des deutschen Protestantismus in fast 30 selbständige Kirchenkörper zu überwinden und eine Reichskirche als evangelische Kirche deutscher Nation zu schaffen; es würde auch damit nicht nur eine politische Forderung des Tages, sondern eine alte, bisher scheinbar unerfüllbare Sehnsucht vieler deutscher evangelischer Christen erfüllt. Aber war nützt das, wenn in einer solchen „Reichskirche” nicht das Wort des Evangeliums in einer dem heutigen Menschen verständlichen Form, als das Wort des lebendigen Gottes über unser gegenwärtiges Leben, verkündigt wird, wenn nicht in dem Kultus dieser Kirche geistliche Kräfte gegen die Dämonen der Zeit spürbar werden, und wenn in dieser Kirche nicht ein neues Pfarrergeschlecht da ist, das zu dem unerhört schweren Amt geistlicher Führung und priesterlichen Dienstes gerüstet und bereitet und dafür zu jedem Opfer willig ist! Darum muß die Aufgabe kirchlicher Erneuerung, statt in kirchenrechtlichen Umbildungen stecken zu bleiben, wirklich als eine Erneuerung an Haupt und Gliedern, an allen Organen und Funktionen angegriffen werden. Der Umbau der kirchlichen Verfassung steht heute mit Recht im Vordergrund, und er muß als die dringendste Aufgabe ungesäumt in Angriff genommen werden. Wir haben, um eine Grundlage für das notwendige Gespräch zu haben, uns gründlich besonnen über die Grundsätze und Richtlinien, die bei dem Neubau der kirchlichen Verfassung nach unserer Überzeugung zu beachten sind, und teilen hier, in einige Sätze zusammengefaßt, unsere wesentlichsten Gedanken mit: 2. Der Neubau der Verfassung muß ausgehen von den uns als geschichtliches Erbe überkommenen Bekenntnissen. Die konfessionelle Verschiedenheit der Kirchen und der einzelnen Gemeinden läßt sich nicht durch eine organisatorische Reform beseitigen. Eine gemeinsame evangelische Kirche deutscher Nation wird darum lutherische Bischofssprengel und reformierte Synoden in sich begreifen müssen. - Auf der anderen Seite entspricht die bloße Bindung an die Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts nicht der gegenwärtigen Stunde. Vielmehr weisen uns die alten Bekenntnisse den Weg, nämlich den Weg zu einem neuen Bekenntnis der Kirche, in dem die evangelische Kirche das Wort des Evangeliums sagt in den uns gegenwärtig bewegenden Fragen von Volk, Rasse, Staat, Wirtschaft und Sozialordnung, Schöpfungs- und Erlösungsordnung, politischem Chiliasmus und religiöser Endhoffnung. 3. Das geistliche Amt der Kirche ist in seiner alleinigen Bindung an den göttlichen Auftrag und in seiner Unabhängigkeit von allen Mehrheitsentscheidungen zu wahren. Die Träger des geistlichen Amtes sollen unter geistlicher Führung zur Bruderschaft und kämpfenden Schar geeint werden. In dem bischöflichen Amt gewinnt die geistliche Führung der Kirche in persönlicher Verantwortung Gestalt. Die Kirche bedarf einer Lehrautorität, die namens der Kirche reden und entscheiden kann. Die Einheit der evangelischen Kirche deutscher Nation kann nur in einem Rat der deutschen Bischöfe und der geistlichen Leiter der reformierten Synoden sich darstellen. Dieser Rat und ein an seiner Spitze stehender „Erster unter Gleichen” hat ebenso eine einheitliche geistliche Leitung wie die Mannigfaltigkeit und die geschichtliche und konfessionelle Eigenart der einzelnen Kirchenbezirke zu wahren. 4. Das Pfarramt ist aus seiner Isolierung zu befreien. Neben dem Pfarramt bedarf es in der Gemeinde der Erneuerung und Belebung der anderen echten kirchlichen Ämter; „Älteste” und „Diakonen” sind nicht demokratische Vertreter der Gemeinden, sondern Träger eines kirchlichen Amtes. - Es müssen Wege gesucht werden, um die Vertretung des Kirchenvolks aus den tätigen zu kirchlicher Verantwortung zusammengeschlossenen Gruppen und Gliederungen der Gemeinde hervorgehen zu lassen. In die Kirchentage der größeren kirchlichen Verbände entsenden dementsprechend nicht die Masse der Urwähler, sondern die Gemeinden ihre Vertreter. 5. Die Verwaltung der Kirche bedarf einer klaren Durchgestaltung von oben nach unten. Indem die Verwaltung von der geistlichen Leitung der Kirche entschieden getrennt wird, wird zugleich das geistliche Amt auf allen Stufen für seine eigentlichen Aufgaben frei gestellt. - Das Recht der Gesetzgebung soll nicht bei einem Kirchenparlament liegen, sondern bei einer Kirchenregierung, in der unter Führung des geistlichen Amtes die Vertretung der Gemeinden und die Verwaltung Sitz und Stimme haben. Sie sind, nach den eigenen Worten der Konkordienformel, nichts als „Zeugnis und Erklärung des Glaubens, wie jederzeit die heilige Schrift in streitigen Artikeln in der Kirche Gottes von den damals Lebenden verstanden und ausgelegt und derselben widerwärtige (widersprechende) Lehre verworfen und verdammt worden.” Die Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts geben die Antwort der christlichen Kirche auf die Fragen, von denen damals die Kirche in besonderem Maß beunruhigt und erschüttert war; wir brauchen ein neues Bekenntnis, das uns heutigen Christen für unsere Lage den gleichen Dienst leistet und die Kirche gegen die heute sie bedrohenden Irrtümer, Irrlehren, nicht zuletzt auch gegen ein in die Kirche selbst eindringendes neues Heidentum abgrenzt. Wir danken es einem Mann wie D. Zoellner, daß er im Kreise der Lutheraner diesen Ruf nach dem neuen Bekenntnis erhoben hat, und wir danken es den Altonaer Pastoren, daß sie einen tapferen und guten Anfang zu einem solchen gegenwärtigen Bekenntnis gemacht haben. Gerne stellen wir uns zu diesem Altonaer Wort. Es ist ein richtiger Anfang auf einem notwendigen Weg. Nur darf man nicht über all dem, was vom Staat und den Geboten Gottes im einzelnen gesagt ist, das eine überhören, daß „im Wort Gottes und in der aufgerufenen Schar von Menschen der lebendige Christus auch unsrer Zeit gegenwärtig ist”. Darüber, über die Kirche als den Ort in der Welt, wo Christus gegenwärtig ist und handelt, wird in einem künftigen Bekenntnis noch mehr zu sagen sein. Aber ein solches Bekenntnis kann nicht im Drang der Stunde, etwa gar unter dem Druck äußerer Notwendigkeiten, gemacht werden. Es kann nur so entstehen, wie das Altonaer Bekenntnis entstanden ist, daß Diener der Kirche sich in der Zucht des Heiligen Geistes und in der Gebundenheit brüderlicher Liebe zu einem gemeinsamen Wort verbinden. Darauf warten wir. Aber wir können im Grunde nur Gott bitten, daß er unsrer Kirche eine solche Stunde und ein solches Wort schenke. Noch viel weniger kann etwa die Gestalt des Gottesdienstes jetzt in den Wochen des Umbruchs selbst neu geformt werden. Auch werden alle Fragen der kultischen Gestaltung sehr viel mehr als die Fragen des Bekenntnisses, auch als die Fragen der Verfassung, an das Erbe der einzelnen Landeskirchen gebunden bleiben müssen. Wir würden es für verhängnisvoll halten, wenn der Zusammenschluß einer deutschen evangelischen Kirche mit gewaltsamer Einführung gemeinsamer Ordnungen belastet werden sollte. Freilich hoffen wir, daß auch hier der große Umbruch und die engere Verbindung der deutschen evangelischen Kirche die Bahn frei macht für notwendige und heilsame Erneuerung. Aber gerade wer, wie wir, seit Jahren um diese liturgischen Fragen bemüht ist, der weiß, daß sie größerer Ruhe und Stille, stärkerer geistlicher Sammlung bedürfen, als die Zeiten der Umgestaltung selbst sie gewähren. Umso dringlicher aber muß schon im gegenwärtigen Augenblick eine Neuordnung der Auswahl und Vorbereitung der künftigen Pfarrer in Angriff genommen werden. Gerade diese Frage beschäftigt unsren Kreis seit vielen Jahren; unsre Vorschläge, mit denen wir jetzt hervortreten, sind das Ergebnis jahrelanger Überlegungen und standen längst bis ins einzelne vor unsrer Seele. Es ist nur eine sehr bedauerliche Folge äußerer Abhaltungen, daß eine Schrift, die unser Freund, Pfarrer Oskar Planck in Heidenheim a. Br. vorbereitet hat, nicht längst erschienen ist. Voraussichtlich werden uns die nächsten Tage dazu treiben, unsere Denkschrift zu veröffentlichen. Hier geben wir nur in gedrängter Überschau einen Eindruck von dem, was wir wollen und fordern. 2. Die Ausbildung darf sich nicht auf wissenschaftliche Ausbildung beschränken, sondern soll das Studium der Theologie einem umfassenden Ausbildungsweg eingliedern. Wir fordern zwischen der Reifeprüfung und dem akademischen Studium ein praktisches Dienstjahr teils in geschlossenen Arbeitslagern, teils in Anstalten der Inneren Mission; dieses Jahr soll den künftigen Pfarrer in enge Berührung mit der Wirklichkeit des Lebens und mit Menschen aus allen Schichten des Volkes bringen. Körperliche Arbeit und sportliche Ausbildung sollen für den künftigen Pfarrer ein Gegengewicht bilden gegen die Gefahren des akademischen Studiums. - Dazu tritt volkskundliche Ausbildung, insbesondere auch Schulung in dem ehrfürchtigen und lebendigen Gebrauch der deutschen Sprache. Ebenso wichtig ist die geistliche Führung der künftigen Pfarrer: Eigene Erfahrung der Seelsorge, die Nötigung, einem geistlichen Führer sich gehorsam zu unterstellen, ist eine notwendige Vorbedingung dafür, daß die künftigen Pfarrer ihren Dienst als eine unter geistlicher Führung geeinte Bruderschaft tun können. Dem Bischof obliegt die geistliche Führung der künftigen Pfarrer. Wir fordern besondere Arbeitslager, in denen sich körperliche Arbeit mit geistlicher Schulung und Zucht verbindet. 3. Die Anstellung muß so gestaltet werden, daß der Pfarrerstand aus seinen bürgerlichen Bindungen befreit und auf die Kampfesaufgabe, die der Kirche Christi zukommt, gerüstet wird. Darum weiter Ausbildung der künftigen Pfarrer in den erwähnten Arbeitslagern, Einsatz der Kandidaten in Gruppen zum Dienst an gefährdeten Punkten! Ebenso fordern wir eine andere Gehaltsordnung, die nicht so sehr bürgerliche Sicherheit gewährt, als vielmehr die Kräfte frei macht für kämpferischen Dienst. Darüber hinaus müssen Formen gesucht werden, in denen einzelne, die sich dazu berufen fühlen, sich in wagemutigem, opferbereitem Dienst besonderer Art einsetzen können. Manche Viertel der Großstädte, aber auch einzelne Landgemeinden und vor allem Neusiedlungen, bedürfen solcher Pionierarbeit. Die auf dem Boden unsrer Kirche sich bildenden Bruderschaften werden in erster Linie berufen sein, solche neuen Wege zu beschreiten und junge Männer dafür zu rüsten. Hoffnungen tauchten auf und verschwanden; neue Hoffnungen wurden sichtbar. Wir haben es auf uns genommen, daß man uns da und dort als solche verdächtigt hat, die von ihrem Ehrgeiz getrieben sich wichtig machen wollen. Wir werden uns durch solche und andere Gefahren auch weiterhin nicht abhalten lassen, wo und wie wir können, die Sache, die uns anvertraut ist, zu vertreten. Die Arbeit an der Erneuerung der Kirche kann nicht in den Händen derer liegen, die in normalen Zeiten im Grunde alles in guter Ordnung fanden und an eine wirkliche Umgestaltung der Kirche nicht dachten; es müssen jetzt diejenigen an die Front geholt werden, die seit Jahren unter der Kirche, wie sie ist, schmerzlich gelitten und in leidenschaftlicher Liebe zur Kirche an ihrer Erneuerung gearbeitet haben. Wir bilden uns nicht ein, daß wir darin allein stünden. In der Junglutherischen Bewegung, auch unter den dialektischen Theologen, soweit sie einen unfruchtbaren Intellektualismus überwunden und den Weg zur kirchlichen Arbeit gefunden haben, sind starke Kräfte der Erneuerung lebendig. Manche Kundgebungen und Arbeiten der letzten Jahre haben wir mit dankbarer Freude als Lebensspuren der kommenden Kirche begrüßt, nicht am wenigsten auch die unsrem Wollen in vielem verwandte Sydower Bruderschaft. In diese Front der für eine neue evangelische Kirche stehenden Gruppen gehören auch wir. Wir glauben aus der Erfahrung, die uns in 10 Jahren geschenkt worden ist, wesentliche Hilfe leisten zu können, wenn man uns zur Mitarbeit ruft. 1. Ein jeder besinne sich ernstlich darauf, was Kirche ist, und bleibe ohne falsche Anpassung und ohne alle Menschenfurcht unbeirrbar in dem Glauben an das Heil, dessen Bezeugung der Kirche anvertraut ist. 2. Wir wollen uns in diesen Wochen ernstlich in die alten Osterlieder versenken und es tief in uns aufnehmen, daß Christus alle „Mächte” gebunden hat. Von hier aus werden wir Klarheit gewinnen und Sicherheit gegenüber allem selbstherrlichen Anspruch irdischer Größen, aber auch die innere Freudigkeit gegenüber allem, was an uns und anderen geschehen kann. 3. Wir halten es für unsre besondere Pflicht, in der Liebe Christi allen denen nahe zu sein, die in diesen Wochen von Sorge und Leid bedrückt sind. Es soll, soviel an uns liegt, keiner von ihnen klagen müssen: „Ich habe keinen Menschen!” 4. In der uns vor allem bedrängenden Kirchenfrage werden wir zunächst jedenfalls abwarten müssen, was der Ausschuß der drei Männer tut. Männer, die solche ungeheure Verantwortung tragen, bedürfen unseres Vertrauens und unserer Fürbitte. Es sollte nichts unternommen werden, was die schwierigen Verhandlungen stören könnte. 5. Wem es durch seinen Beruf oder sonst möglich ist, Einfluß auf die Gestaltung der Kirche zu gewinnen, etwa bei kommenden Wahlen, der möge mit aller Entschlossenheit für eine wirkliche Erneuerung der Kirche, aber eben aus dem Amt und Auftrag der Kirche heraus, sich einsetzen. Die Mitteilungen auf diesen Blättern sind vielleicht manchen dienlich als eine Hilfe zur Klärung und zur Bildung einer gemeinsamen Front. Gespräch und Bereitschaft zur Zusammenarbeit nach allen Seiten, vor allem mit den Deutschen Christen; aber von dem festen Ort der Kirche aus! 6. Über alles andere wichtig ist, daß wir in diesen Wochen bei aller äußeren Unruhe und Sorge immer wieder die Stille der Versenkung und des Gebets suchen, uns ganz und gar durchdringen und heiligen lassen durch die Kraft Jesu Christi, damit die heilsamen Kräfte von uns ausgehen können, deren unser Volk heute nötiger als je bedarf. Laßt uns treu sein in der Fürbitte für unser Volk und alle, die Gott zu verantwortlichem Dienst gerufen hat. Die Gebete, die in unsrem „Gebet der Tageszeiten” für Donnerstag verzeichnet sind, vor allem das dritte Gebet auf Donnerstagabend, könnte und sollte uns aufs engste verbinden. Nur als eine Schar von solchen, die für ihr Volk und ihre Kirche beten, haben wir ein Recht, uns anzubieten und anzumelden zum Werk an der neuen Kirche. Herr, Du schenkst Deiner Kirche in unsrem Vaterlande |
[Zeitleiste 1933: | |
11. Januar | Veröffentlichung des Altonaer Bekenntnisses »Wort und Bekenntnis Altonaer Pastoren in der Not und Verwirrung öffentlichen Lebens« |
30. Januar | Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler |
28. Februar | Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat (Aufhebung demokratischer Grundrechte) |
6. März | Reichstagswahlen |
20. März | Errichtung des ersten Konzentrationslagers in Dachau |
23. März | »Ermächtigungsgesetz« (Selbstausschaltung des Parlaments) |
1. April | Reichsweiter Boykott jüdischer Geschäfte durch die SA organisiert. Beginn der »Arisierung« jüdischen Vermögens |
3.-5. April | 1. Reichstagung der Deutschen Christen (DC) in Berlin auf der die Gründung eigenständiger judenchristlicher Gemeinden und die Einführung des »Arierparagraphen« gefordert wird. |
27. Mai | Friedrich von Bodelschwingh wird zum Reichsbischof berufen |
24. Juni | Friedrich von Bodelschwingh tritt zurück, ohne sein Amt angetreten zu haben |
23. Juli | Kirchenwahlen. Die DC erhalten 70% der Stimmen |
Quellen: | Ausstellung Kirche-Christen-Juden Wikipedia Friedrich von Bodelschwingh] |
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