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Das Herrenmahl als Osterfeier
von Ludwig Heitmann

LeerIn dem Augenblick, in dem aus der Verwirrung der Zeit die Frage nach der Kirche erwacht, beginnen alle Gedanken und Zweifel außerhalb und innerhalb der Kirche um einen Punkt zu kreisen, um die Frage: „Ist die Kirche noch wirklichkeitsmächtig?” Allzu lange ist der Strom des wirklichen Lebens an ihr vorübergebraust. Von der Kirche aber ist im besten Falle ein idealistisch geprägtes Bild übriggeblieben. Man hat sie als Festtagsschmuck noch stehen lassen. Sie hat in den hohen und schweren Stunden des Lebens ihr Wort der Verklärung, des Trostes, der Erhebung gesprochen. Nun aber, in der harten Not des Lebens, beginnt man zu spüren, daß dies ihr Wort nicht zureicht und nicht mehr hinabdringt in die dunklen Tiefen einer als sinnlos empfundenen Wirklichkeit. So ist es nicht verwunderlich, daß etwa das Wort der Altonaer Pastoren auf der ganzen Linie der Öffentlichkeit eben dadurch als befreiend erlebt worden ist, daß es so entschlossen in die harte politische Wirklichkeit griff. Daß es in diese nüchterne und kampfdurchtobte Außenseite des Lebens ein richtunggebendes Wort der Ordnung hineinzusprechen unternahm, das erschien als das ungewohnte Neue.

LeerUnd doch wird gerade hier, wo nun endlich die Fühlung mit der Wirklichkeit des Lebens gewonnen zu sein scheint, die schmerzliche Lücke dieses von der Zeit geforderten Wirklichkeitssinnes sichtbar: dies Wort verfängt sich letztlich in den Dingen, aber es führt nicht über sie hinaus. Der beste Ordnungsplan bleibt machtlos, wenn nicht eine geordnete Wirklichkeit ihn vollmächtig in die Dinge selbst hineinsetzt. Ein verfahrener Lebenszustand kann nur geheilt werden, wenn eine neue Lebensmacht wandelnd, neuformend in ihn hineintritt. Das Wort der Hoffnung und des neuen Lebensanbruchs ist hier noch nicht gesprochen worden. Es fehlt das Zeugnis von der Wirklichkeit, die allen irdischen Gegebenheiten schlechthin überlegen ist. Die leibhafte Kirche ist hier noch nicht sichtbar geworden.

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LeerDenn das ist in der Tat der Auftrag der Kirche, daß sie in die Wirklichkeit der irdischen Gegebenheiten eine stärkere Wirklichkeit hineinsetzt, die auf einer ganz anderen Ebene liegt und eben darum allein erlösende und neuordnende Macht besitzt. Es gibt ein Apostelwort, das von dieser allen irdischen Gegebenheiten schlechthin überlegenen, ja „schwergewichtigen” Wirklichkeit Zeugnis ablegt, in dem geradezu ein völlig neuer Wirklichkeitssinn aufbricht: „Die augenblickliche leichte Last unserer Drangsal schafft in unendlich überschwenglicher Weise eine ewig gewichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht blicken auf das Sichtbare, sondern auf das noch Unsichtbare. Denn das Sichtbare währt eine Weile, das aber noch Unsichtbare ist ewig; denn wir haben einen Gottesbau, ein Haus, das nicht mit Händen gemacht ist, das ewig, das in den Himmeln ist” (2.Kor.4,17,18; 5,1). Dieser Gottesbau ist uns gegeben im Glauben, als etwas, das sich erst verwirklicht. Aber eben darin offenbart diese echte „Wirklichkeit” ihre unendliche Überlegenheit über „das Schwergewicht dieser Erde”. Ja, sie tritt mitten hinein in diese irdische Wirklichkeit in dem „sichtbaren Zeichen”, das auf sie voraufweist: im Sakrament.

LeerEs wird in unserer Kirche so oft übersehen, daß dieser zweite Grundpfeiler der Kirche neben „das Wort” gestellt worden ist, damit die Wirklichkeitsmacht der Botschaft- der in die endliche Scheinwirklichkeit verstrickten Welt sichtbar vors Auge gerückt würde. Dies sichtbare Zeichen nimmt voraus, was als die ewige, allein bestehende Wirklichkeit wohl „noch unsichtbar”, aber unwandelbar fest verheißen ist. Das Mahl des Herrn setzt in die Alltäglichkeit unsers von Sorgen und Kämpfen zerrissenen Lebens, in unser leibliches Essen und Trinken, die eine Wirklichkeit hinein, die die ganze Welt trägt, durch die und um derentwillen alles geschaffen worden ist. Die Feier des Herrenmahles ist der Kirche gegeben als Zeichen des neuen Lebens, von dem sie in allen ihren Lebensäußerungen Zeugnis abzulegen, das sie als die Wirklichkeit in diese Welt hineinzustellen hat.

LeerUnsere Väter haben sich in jeder Feier des Herrenmahles in diese Wirklichkeit hineingestellt, indem sie sich „mit allen Engeln und Erzengeln” in dem hohen Lobpreis des Herrn aller Herren zusammenfanden. Jede Abendmahlsfeier stellt an uns die Frage, ob wir diesen Lobpreis, das heißt diese Wirklichkeit der auf uns zukommenden Kirche Gottes, ernst nehmen. Wir sind im Abendmahl zusammengeschlossen nicht nur mit der „ganzen Kirche auf dem weiten Erdenrund”, sondern auch mit der ewigen Kirche aller Vollendeten, mit dem Leibe Christi, in dem die Fülle Gottes leibhaftig wohnt.

LeerDie Abendmahlsformen unserer Väter lassen uns keinen Zweifel darüber, daß sie in dem Mahl des Herrn die hohe Freudenfeier der zweiten Schöpfung sahen, die durch das Sterben der alten Schöpfung auf uns zukommt. Ihre alles beherrschende Grundhaltung ist die österliche Freude. Sie schließt den Karfreitag, das Leiden und Sterben des Herrn für die Sünde der verformen Welt, in sich, aber ihr vorschwingender Klang ist die Freude der Vergebung, der Überwindung aller Sünde und Erdennot, des ans Licht gebrachten neuen Lebens. Darum muß das „Christe, Du Lamm Gottes” aus- klingen in das Siegeslied: „Christ ist erstanden”. Sie ist die Feier der Eucharistie, des hohen Dankes und Lobpreises für die Fülle des Lebens, die in der neuen Schöpfung der Welt geschenkt worden ist. Dieser Dank für alle in Christus geschenkten Wohltaten Gottes nimmt in den Feiern der ältesten Christenheit einen breiten Raum ein.

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LeerDarum gehört die Feier des Herrenmahles ihrem Wesen nach in jeden Sonntag hinein. Ist der Sonntag der Auferstehungstag, so ist die Feier des Herrenmahls die Feier des österlichen Lebens. Unsere Kirche hat allzu einseitig das Abendmahl mit der Passionszeit, besonders mit der stillen Woche verbunden. Auch dahin gehört es, zumal da die Passionszeit die Vorbereitung auf Ostern ist. Aber es sollte uns ein wichtiges Anliegen sein, in erster Linie die österliche Freudenzeit als die besonders herauszuhebende Zeit der Abendmahlsfeier wieder zu Ehren zu bringen. Die Ostkirche hat das Erbe der alten Kirche am reinsten bewahrt, wenn sie die höchste Feier des Herrenmahles in die Osternacht gelegt hat. Wer diese Feier nur ein einziges Mal miterlebt hat, weiß, was für eine Wirklichkeitsmacht der Osterglaube in der Ostkirche noch heute ist.

LeerEs ist das erste und wichtigste Anliegen der Kirche, die Wirklichkeitsmacht des Lebens, das der Auferstandene ans Licht gebracht hat, einer ganz an die Erdennot und die Schwere der Dinge verkauften Welt zu verkündigen. Nur aus der neuen Schöpfung kommt eine neue Ordnung der Dinge; nur der Leib Christi kann das Zerrissene wieder gliedhaft binden und einordnen; nur die Macht der Auferstehung kann die Todesmächte bannen, denen wir heute erliegen; nur der Blick in die „kommende Welt” kann die gegenwärtige zum Leben rufen. Keine noch so eindringliche Verkündigung einer in dieser Welt auf Durchsetzung drängenden Neuordnung kann die Welt frei machen, nur der Blick in die kommende Ordnung, die wir in ihrer Vollendung „noch nicht sehen”, die aber schon ihre sichtbaren Zeichen gesetzt hat, kann erlösen, befreien, heilen. Diese Wirklichkeit allein ist die Kirche der Welt schuldig. Ihr Auftrag ist, die Frohbotschaft zu verkündigen, die einen neuen Himmel und eine neue Erde verheißt.

LeerEs gibt Menschen, die diese Art kirchlicher Verkündigung für wirklichkeitsfremd halten, weil sie nicht „real” und „handfest” genug den Dingen auf den Leib rücke. Sie meinen, daß eine äußerlich wirtschaftliche Hülfe und eine sichtbare gesetzliche Neuordnung von Staat und Wirtschaft und Sozialleben mehr schaffe. Sie wissen nicht, daß erst die echte Entwirklichung der sichtbaren Dinge das Schwergewicht der Erde zu lockern vermag, daß vor der Wendung in den irdischen Dingen die Wandlung liegt, die der Herr im Brot und Wein des heiligen Mahles schenkt, die unter seiner Hand zum „Brot des Lebens” und zum „Kelch des Heiles” werden. Sie wissen nichts von der österlichen Wirklichkeit, die unendlich viel schwergewichtiger ist als die lastende Macht der Dinge dieser Erde.

LeerIn meiner Erinnerung lebt eine Mutter, die bereits in jungen Jahren hoffnungslos gelähmt wurde. Es war Gefahr vorhanden, daß sie, die immer an das Zimmer gebannt war, allen Lebensmut und alle Freude verlor. So viel sie auch beschäftigt war mit fleißiger Arbeit für ihre Kinder und mit anregender Lektüre, ihre Seele drohte in der Enge immer mehr zu verkümmern, bis der Vater auf den erlösenden Gedanken kam, in ihr Zimmer ein großes Fenster einzubauen, das den Blick in die Gottesnatur freigab. Seither strömte über alles, was sie tat, das Licht des Himmels. Ihr Leben war nun wieder ganz in die Sonne gestellt, der Bann war von ihrer Seele gewichen.

LeerNichts anderes hat die Kirche zu tun, als mitten in der furchtbaren Verlorenheit der Welt an die harte Enge dieser Endlichkeit den Blick der Menschen wieder frei zu legen für die Wirklichkeit des österlichen Lebens: das „Sakrament des Lebens” zu feiern in der Welt des Todes.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 70-73

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-26
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