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Das Abendmahl auf dem Dorfe
von Wilhelm Thomas

LeerSo schlimm es in der Stadt um die Feier des Abendmahls steht - auch das dörfliche Abendmahl lutherischer, reformierter oder allgemein evangelischer Prägung ist nicht die zentrale „Eucharistie”, nicht die alles beherrschende Freudenfeier der in Christus geschenkten Gottesgabe, nicht die volle Verwirklichung des Ereignisses, von dem die wahre Kirche lebt und in dem sie am Vollkommensten in Erscheinung tritt. Dennoch hat das Abendmahl auf dem Dorfe einiges gegenüber dem Abendmahl in den Stadtgemeinden voraus. Und wenn nicht ständig Städter auf die Abendmahlshaltung der Dorfgemeinden zersetzend einwirkten - Pfarrer mit ihrer städtischen Bildung, Akademiker, Laien überhaupt - dann bedürfte es nicht vieler Worte, und dem Dorf bliebe noch lange eine feste und immerhin in sich geschlossene Abendmahlssitte gewahrt.

LeerEs sei darum hier versucht, Menschen mit städtischer Bildung die positive Bedeutung einiger grundlegender Eigentümlichkeiten des dörflichen Abendmahles bewußtzumachen, damit an dieser wichtigen Stelle kirchlichen Lebens unnötige, völlig unbeabsichtigte Zersetzungsarbeit nach Möglichkeit vermieden wird.

LeerDa ist erstens der Sinn für die geprägte Form der leiblichen Gebärde, das Leben in den Symbolen gewohnheitsmäßig festliegender Ausdrucksbewegungen. Es handelt sich dabei weniger um eine Eigentümlichkeit des Landvolkes, als um ein gesundes Erbe aller Bildungsschichten mit Ausnahme der sogenannten Gebildeten. Aber diese eine Ausnahme bringt es mit sich, daß die andern Schichten der städtischen Bevölkerung, führerlos geworden, in ihrer leiblichen Gebärde ein Opfer der flachen Moden werden, die kapitalistische und politische Propaganda ihnen beibringen. Das Land hat die Zähigkeit besessen, einen Grundstock alter Formen festzuhalten, die ungleich bedeutungsgeladener sind als die Sitten und Bräuche der städtischen Mode.

LeerMan denke etwa an den Umgang um den Altar, der auf dem Dorf nicht nur beim Abendmahl üblich ist, sondern auch bei Taufe, Beichte, Konfirmation und Trauung. Dieser Brauch scheint auf den Umgang um die Eidstätte im altgermanischen Recht zurückzugehen und ist eine so elementare und einleuchtende Gebärde (mindestens da, wo man noch den freistehenden Altartisch hat!), daß es nur einer ganz geringen Mithilfe der kirchlichen Erzieher bedurft hätte, um nicht nur diesen Brauch überall zu sichern, sondern auch ein Bewußtsein um seine tiefere Bedeutung wachzuerhalten. Das aber wäre eine wirkliche Hilfe zum Ernstnehmen aller gottesdienstlichen Handlungen, die am Altar geschehen, gewesen. Damit soll nicht gesagt sein, daß der Umgang notwendigerweise zwischen Brot- und Kelchgenuß eingeschoben bleiben müßte.

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LeerWie sicher und würdig sind weiterhin die Grußsitten, mit denen das heilige Brot und der Kelch begrüßt werden, im Vergleich zu der Verlegenheit des städtisch erzogenen Menschen, dem für den Augenblick der Kommunion nur die Form des Medizinempfangs zu Gebote steht! Ja sogar etwas von dem echten alten Freudenklang der Eucharistie lebt in mancher Abendmahlstracht, z. B. in den weißen Häubchen der Hessinnen.

LeerDas andere, worin das dörfliche Abendmahl heute grundlegend vom städtischen abweicht und was dem Städter am härtesten eingeht, ist seine ständische Grundlage. Darüber schreibt das „Evangelische Deutschland” in einer Glosse vom 19. März 1933:
„Auf dem Lande hat sich in den meisten Gegenden die Sitte erhalten, daß die Abendmahlsgäste nach Geschlechtern an den Altar treten, so daß etwa zuerst die Frauen der verschiedenen Altersstufen an den Altar treten, während die männlichen Abendmahlsgäste später folgen. (Die Reihenfolge ist in Wirklichkeit umgekehrt. Th.) In den Städten hat es sich demgegenüber immer mehr durchgesetzt, daß man familienweise zum Abendmahl geht, weil es ja zweifellos ein schöner Gedanke ist, daß gerade bei dieser Gelegenheit die Familiengemeinschaft zum Ausdruck kommt. Neuerdings hat man deshalb auch auf dem Lande diesen Brauch das Wort geredet, und es kommt gelegentlich vor, daß bei kirchlichen Gemeindeversammlungen in diesem Sinne Vorschläge gemacht werden.”
LeerAm 26. März erschien darauf an gleicher Stelle folgende Erwiderung:
„Ich habe es immer als einen Vorzug des Landes empfunden, daß dort die Gemeinde bei der Abendmahlsfeier noch als Einheit auftritt und nicht durch das familienweise Herantreten der Abendmahlsgäste an den Altar in lauter Grüppchen aufgelöst wird. Die Familiengemeinschaft im Glauben in allen Ehren, sie kann vor und nach der Abendmahlsfeier im Hause betätigt werden durch gegenseitige Bitte um Vergebung, durch vorbereitendes oder danksagendes Gebet, oder wie es sonst der Geist gibt - aber höher als die Familie steht die Gemeinde, zu der doch z. B. auch Einzelstehende gehören, die sich - das weiß ich - durch diesen „Familiengang” geradezu verlassen und verstoßen fühlen - wo sollen sie sich denn anschließen? Überdies: hat vielleicht das starke Abnehmen der Beteiligung der Männer am hl. Abendmahl nicht auch mit darin seinen Grund, daß es eben in der Familiengemeinschaft weniger auffällt, wenn nur die Mutter mit den Kindern (Töchtern) geht, als in der Männergemeinschaft? Und welche haltenden und treibenden Kräfte könnten gerade von einer solchen, die sich am Tisch des Herrn zusammenfindet, ausgehen! Man erhalte doch lieber, wo sie sich noch findet, die alte Sitte, es ist ein Segen drin! Einer, der jetzt in der Stadt mit Sehnsucht an diese Sitte in seiner ersten Gemeinde zurückdenkt.”
LeerEs handelt sich in der Tat beim Familienabendmahl als der regelmäßigen Form des Abendmahlsganges um eine typisch städtische Form, die aufs Dorf nicht paßt und vielleicht doch auch für die Stadt keine wirklich glückliche Lösung bedeutet. Es kann hier nur skizzenhaft versucht werden, den Sinn der dörflichen Ordnung deutlich zu machen. Das Familienleben des Städters ist ständig dadurch bedroht, daß die Familie keine Lebensgemeinschaft ist, sondern durch Beruf und Schule zerrissen wird. Darum das Verlangen, den Sonntag mit allen seinen Feiern im Kreise der Familie zu feiern.

LeerDie Bauernfamilie, die noch Wirtschaftseinheit und Lebensgemeinschaft die ganze Woche hindurch ist, geht am Sonntag auseinander, jeder in seinen Altersstand: der Mann zu den Männern, der Bursch zu den Burschen, das Mädchen zu den Mädchen, die Frau zu den Frauen. Dementsprechend ist sowohl das Sitzen in der Kirche als auch der Besuch des Abendmahls nach Altersständen und Geschlechtern geordnet. Das entspricht durchaus dem inneren Erleben des Dorfes, das weniger nach Familienindividualitäten als nach Alter und Geschlecht gegliedert ist. Ist es nicht überaus sinnvoll, wenn etwa die jungen Leute geschlossen zu Weihnachten, die alten geschlossen zu Ostern zum Abendmahl gehen? Wo diese alte Ordnung schon aufgelöst ist, da ist doch wenigstens dies geblieben, daß innerhalb einer Abendmahlsfeier Männer und Frauen, Alter und Jugend gemeinsam gehen.

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LeerHinter der städtischen Ablehnung des Standes-Abendmahls steht ja nicht nur ein bestimmtes Familienideal, sondern weiterhin der Individualismus und Subjektivismus eines Erlebnischristentums, das den Abendmahlsgang vom augenblicklichen Bedürfnis des Einzelnen abhängig machen möchte. Von hier aus gesehen erscheint es dann als Gewissenszwang oder gar als Beeinträchtigung der Feier selbst, wenn sich kein Bursch, kein Mädchen zur festgesetzten Zeit vom Abendmahlsgang ausschließen kann, ohne aufzufallen. An diesem individualistischen Einschlag pflegt ja auch das Familienabendmahl zugrundezugehen, weil in unserer heutigen Lage der Gleichklang der subjektiven Bedürfnisse zwischen Mann, Frau und heranwachsenden Kindern einfach nicht zu erzielen ist.

LeerAber wie liegen die Dinge denn eigentlich bei der festen Standessitte? Sie ist in Wirklichkeit der einzig mögliche Schutz für ein religiöses Innenleben, das sich nicht allen Blicken preisgeben will: wo immer man nach Bedürfnis zum Abendmahl geht, kann ich nicht zum Abendmahl gehen, ohne damit öffentlich den Anspruch zu erheben, als glaubte ich mehr als andere die seelischen Voraussetzungen zum Abendmahlsgang zu erfüllen. Wo dagegen der Rahmen einer festen Sitte besteht, bleibt der Einzelne mit seinen persönlichen Lebenserfahrungen und Erlebnissen verborgen. Hat er sie, so kann er ihnen im Rahmen der Sitte nachkommen, ohne damit vor den anderen aufzufallen. Hat er sie nicht, so ist das freilich die entscheidende Frage, was wichtiger ist beim Abendmahlsgang: die persönliche Disposition, die der Mensch mitbringt, oder das, was ihm durch die Kirche im Sakrament geschenkt wird.

LeerÜbrigens werden wir uns nach all dem Gesagten nicht wundern, wenn wir beobachten, daß auch in der Stadt die Erneuerung des Abendmahls nicht selten von einem Standesabendmahl ausgeht, vom Jugendabendmahl. So ist als das Mindeste zu fordern, daß die ständische Gliederung beim dörflichen Abendmahl vor zersetzenden Einfluß bewahrt und nötigenfalls wieder davon gereinigt werde. Sie ist ja auch die einzige sinnvolle Grundlage der sog. „goldenen Konfirmation”. Es wäre aber darüber hinaus zu fragen, ob nicht gerade für den Städter mit fernem stark persönlichen Eigenleben der Schutz der festen, vom Augenblicksbedürfnis unabhängigen Sitte in irgend einer Form wiedergewonnen werden müßte, wenn ihm die heutige Schutzlosigkeit seines religiösen Innenlebens nicht auf die Dauer zur ernsthaften Lebenshemmung werden soll.

LeerAbschließend sei darauf aufmerksam gemacht, daß es noch Landgegenden in Deutschland gibt, wie etwa Oberhessen und Teile Hannovers, wo der Freudencharakter des Abendmahles noch darin lebendig ist, daß der Karfreitag nicht Abendmahlstag ist, wohl aber, und in erster Linie, der Ostertag. Es ist deutlich, wie sehr sich hier bäuerliche Sitte mit dem entscheidenden Anliegen dieses ganzen Osterbriefes berührt. Aber wie rasch kann man auch an solchen Orten ein Karfreitag-Abendmahl neben dem Osterabendmahl einführen - alle städtisch gesinnten Gemeindeglieder werden es bevorzugen - und schon ist ein Ansatzpunkt für die Wiedergewinnung der altchristlichen Eucharistie zerstört!

LeerEs konnten hier nur einige wenige Punkte des dörflichen Abendmahlslebens berührt werden; vielleicht haben sie die Verantwortung des städtisch denkenden Menschen in dörflicher Umgebung deutlich gemacht. Das Dorf kann sich von sich aus nicht wirklich erfolgreich mehren gegen die Zersetzung dessen, was wertvoll ist an seiner Eigenart. Alle Glieder unserer Kirche, die wissen, was auf dem Spiele steht, müssen hier zusammenhelfen, damit Wege in die Zukunft nicht unnötig verschüttet werden.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 81-83

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-26
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