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Der deutsche Garten
von Wilhelm Thomas

LeerEine Besucherin des neuen Rußland erzählt nach ihrer Rückkehr: „Ich habe in ganz Rußland nicht einen einzigen Garten gesehen. Gewiß, es gibt Volksparks, öffentliche Gärten. Alle großen privaten Gärten sind zu solchen Volksparks umgestaltet worden. Sie werden auf Staatskosten gepflegt. Man kann da Teppichbeete sehen, die Lenin als Redner darstellen. Aber es gibt keinen Menschen in Rußland, der selbst ein Gärtchen pflegt und sein eigen nennt. Der Sinn für eine eigene persönliche Welt ist ausgetilgt. Als ich den ersten Garten in Deutschland wiedersah, mußte ich weinen. So ergriff mich der Anblick.” Das ist die Welt, die zur einen Seite Deutschlands liegt: das bolschewistische Rußland, das durch die Ausmerzung des Eigenheims und des eigenen Gartens den Menschen in Tendenzparks zwingt, daß er lerne, kollektiv zu denken und zu leben.

LeerAuf der andern Seite Deutschlands liegt Frankreich, der Sitz großer Organisationen für Schrebergärten. „Wir sind keine Vereinigung von Gemüse- und Blumenzüchtern” schreibt das Büro einer solchen Gartenliga. „Wir sind die Züchter eines neuen Geistes; die Züchter der Erneuerung der Arbeiterfamilie durch den Kleingrundbesitz, die Züchter der Befestigung des Friedens, des Volksfriedens zuhause und infolgedessen des Friedens unter den Völkern”. Das ist die Welt, die auf der andern Seite Deutschlands zu finden ist: das kleinbürgerliche Frankreich, das durch die Pflege des Eigenheimgartens Familiensinn wie Kohl und Rüben zu züchten hofft, jenen friedlichen Familiensinn, bei dem man es verlernt, sich um die andern Menschen viel zu kümmern, wenn man im engsten Kreise sein Glück findet.

LeerUnd in der Mitte zwischen beiden liegt Deutschland. Liegt Deutschland, das auch öffentliche Parks wie Rußland und Schrebergärten wie Frankreich hat. Das Deutschland, das den Bolschewismus abgelehnt hat, aber auch die westliche Demokratie. Wir fragen, wie sein Garten aussieht.

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LeerWir können es nicht leugnen: so fern uns jene überschwängliche Ideologie der französischen Kleingärtner liegt: die Wirklichkeit, die dahinter steht, hat auch in unserm Volke Bejahung gefunden und gehört zur Wirklichkeit des großstädtischen, des kleinstädtischen und des ländlichen Daseins des deutschen Menschen. Als in den Nachkriegsjahren kommunistische Abgeordnete für eine Gruppe von Anhängern Siedlungshäuser mit Gartenland erkämpft hatten, wurden diese für die politische Verhetzung so rasch unzugänglich, daß man schleunigst von der Vermittlung weiterer Siedlungen Abstand nahm. Solche Kraft, den Menschen zu befrieden, hat heute der Garten mehr noch als der Acker; der Acker ist schon viel zu sehr industrialisiert und unter kapitalistische Betrachtung gerückt - im Garten kommt die menschliche Hand selber mit der Erde in Berührung, und Baum und Strauch, Blume und Kraut können mit menschlicher Nähe und Wärme umfangen werden.

LeerUnd dennoch steigt in uns eine Sorge auf, wenn wir den gartenbauenden Menschen so sehen als ein Objekt jener klugen Politik, die den Bürger friedlich macht, indem sie ihn im kleinen Rahmen ausfüllt und beschäftigt. Es liegt etwas in unsrer Seele, das hinausverlangt über solche engen Grenzen. Wir wollen gern im Kleinen wurzeln, aber zugleich ins Große wachsen. Darum gehört zum Deutschen nicht nur das kleine Gärtlein, als der Fleck eigener Erde, darauf einer fußt, sondern zugleich der Anteil an dem großen Garten unsres Volkes, den wir den deutschen Wald, die deutsche Landschaft nennen. Mit dem nur-deutschen Wort: die Heimat. Da geht der Landmann seinem Ackerbau nach, Jäger und Förster pflegen den Wald, tausend nüchterne, praktische Überlegungen beherrschen das Feld: und mitten hindurch geht der wandernde Deutsche und sieht ganz etwas anderes als den wirtschaftlichen Wert rationaler Maßnahmen zur Steigerung des Ertrages - er sieht seinen, des deutschen Volkes Garten.

LeerEs beschleicht ihn etwas von Paradieseserinnerung, wenn er eine Hand voll Beeren erntet, oder einen Strauß Blumen bricht, wo er nicht gesät hat, und er nimmt schließlich noch ein paar Pflänzlein mit aus dem großen Garten des Volkes und pflanzt sie in sein eigen Gärtlein hinterm Haus oder am Rande der Stadt. Und so gehört ihm beides: der Anteil an dem großen, über alle Rationalisierung hinaus reichen Garten der Heimat, und das Schaffen und Wirken im engsten Rahmen des eigenen Hauses und Blumengärtleins und Gemüsebeetes. Beides ist deutscher Garten: die Weite von Feld und Flur, angeschaut mit den Augen der Paradiesessehnsucht und ausgekostet von einem Herzen, das von unwiderstehlichen Kräften über sich selbst und den eigenen Ort hinausgetrieben wird; und die Enge der kleinen Parzelle, belebt von dem Willen zum eigenen Werk, bearbeitet mit der Lust, das sprossende Leben den nüchternen Nöten des Tages dienstbar zu machen.

LeerDer deutsche Garten: er ist nicht fertig da. Er will noch gebaut und gepflegt, erobert und erweitert sein. Es ist ein friedenstiftendes Werk, ihn zu bauen. Aber es ist zugleich ein Werk, das die ewige Unruhe groß erhält, die hinausverlangt über alles Menschenwerk zu den Quellen des Lebens, die vor uns gerauscht haben und bestehen werden über uns hinaus.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 121-123

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-26
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