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Geistliche Wochen
von Artur Kreiner

LeerWeitab von der großen Welt, in einem vorn Lauf der Zeit verschütteten Donautal oberhalb Ulms, vereinigen sich die unterirdischen Wasser zu ganzen Quelltöpfen, klar und geheimnisvoll wie das Auge Gottes.

LeerIhrer schönsten einer ist der Urspringtopf. Dort, in einem evangelischen Landschulheim und ehemaligen Kloster, vereinigen sich seit Jahren allsommerlich aus der vom Lauf der Zeit verschütteten Jugendbewegung Männer und Frauen verschiedenster Strömungen zu geistlichen Wochen, in denen die Jugend von damals inzwischen heimgefunden hat zu dem geheimen Ziel ihres Suchens und Sehnens.

LeerNicht als ob nun alle Teilnehmer dieser „Freizeiten” des „Berneuchener Kreises” ehemalige Angehörige der Jugendbewegung wären oder sein müßten. Doch so, daß sich alle diese reifen, im Beruf stehenden Menschen zu dem Geist und Lebensstil bekennen, der damals aufbrach, ein Jahrzehnt in die Irre ging und nun seine Erfüllung findet.

LeerWo sind sie heute, die Jungen von damals? Viele sind durch das bündische Leben gegangen; nicht wenige kämpfen heute in der Front der nationalen Bewegung; manche sind „Stille im Lande” geworden und nicht die schlechtesten - Einzelgänger.

LeerDie meisten aber sind der Kirche entfremdet. Hier in diesen Urspringer Wochen nun wird ihnen allen ein Weg eröffnet, aus ihrer Jugendgesinnung heraus oder aus allen Strömungen, die sie befruchtet hat, zurückzukehren zu den Ursprüngen ewigen Lebens.

LeerUnverzichtbare Erfahrungsschätze sind es, die die Führer dieser „Freizeiten”, Pfarrer K. B. Ritter (Marburg) und Professor W. Stählin (Münster) von uralter Weisheit bis zu dem stellvertretenden Austragen aller geistigen Einflüsse der letzten Jahrzehnte, hier gesammelt haben.

LeerWie die Wassergewächse im Urspringtopf verwachsen sich in diesen Wochen alle jugendlichen Bewegungen zu schöner Verschlingung: von der Wiederbelebung der Liturgie bis zur Gymnastik; von der Singbewegung bis zu praktischer Tiefenpsychologie; von der Möglichkeit vorurteilsloser Aussprache bis zu geistlicher Zucht: und das alles aus einem einzigen, dem göttlichen Quellgrund.

LeerUnd mir ist, wie wenn all diese Strömungen, die sich für Selbstzweck hielten, nun erst ihr Ziel fänden: die Singbewegung das Lob Gottes, die liturgische den Weg ins Volk; die Gymnastik die Befreiung der Seele von körperlicher Verklammerung und Meditationsübungen die Überwindung unserer seelischen Verklammerung; die Freizeitbewegung zu verinnerlichter Lebens- und Gebetsgemeinschaft, zur Aufgabe Seiner Heiligkeit, des „lieben Ich” und Erziehung zur Einkehr in Gott.

LeerUnd wie vollzieht sich das Wunder der Wandlung? Allmorgendlich hebt uns ein Lied mit sanftem Flügelschlag die Lider, auf dem Hof gesungen von einem freiwilligen Kreis, der sich schon am ersten Abend von selbst zusammenfindet. Gleich darauf lösen sich unter der Leitung einer Fachlehrerin in der Morgensonne die federnden Gelenke zu freiem Kräftespiel. Um 8 Uhr ruft die Glocke in die Kirche. Die alten Tonarten mit ihren starken Stufen und die schlichten Worte der gewählten Lieder künden kräftigstes Christentum: „Lasset uns nüchtern sein!” Und die Liturgie ist nicht das Außerordentliche des Berneuchener Kreises, nur sein außen bekanntester, ihm selbstverständlicher Ausdruck.

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LeerDer Frühstückstisch vereint die aus allen deutschen Gauen zusammengewürfelte Gesellschaft vom alten Adel bis zu dem der Neu-Armen zum erstenmal zu fröhlicher Tischgemeinschaft. Folgt der - im Gegensatz zu anderen Freizeiten, oder gar „Kongressen” und „Konferenzen” - einzige Vortrag des Tages, der bei beiden Leitern - ein Zeichen tiefster Freundschaft - unabhängig voneinander, je eine Woche, das Gebet und das Geheimnis des Johannesevangeliums betraf. Wollte Gott, daß unser geistlicher Nachwuchs und alle, die dafür Ohren haben, nur davon nichts wußten, diese tief quellenden Gedankengänge und Deutungen gehört hätten! Tragisch zu wissen, wieviel Hunger gestillt und wieviel Schlaf aufgerüttelt worden wäre, wenn mehr Dürstende um diese Quelle wüßten!

LeerDer weitere Vormittag ist frei oder dient gesanglicher Übung. Dann wird dem Tag seine Mitte gegeben mit einem Kanon und Gebet im Gartenkreis oder Nonnenchor. Und nun beginnt eine kleine klösterliche Zucht, indem bei rauch- und rauschgiftfreiem Tisch und köstlicher Küche, mit täglich wechselndem Platz, Schweigen geboten wird zur Vorlesung von Heiligenlegenden, Märchen o. a. und nach gemeinsam gesungenem frischen Dankgebet, weitere 2 Stunden Schweigen zur Vertiefung und Besinnung. Umso innerlicher ist dann der Austausch bei und nach dem Kaffee auf dem Gang durch Tal und Wald, wobei schon nach wenigen Tagen aus sich erst völlig Fremden bald jene Gemeinschaft wächst, die sich am Wochenende als Gemeinde fühlt. Wieder ruft die Glocke zur Vesper. Wieder beschweigen wir das Abendbrot, um nach einer Stunde der Entspannung uns zu stiller Andacht in der Kirche zu versammeln, wo uns für die Nacht heilsame Sinnbilder in die Tiefe der Seele versenkt werden, wie wir morgens durch Töne geweckt wurden.

LeerWie so der Tag, bei allem Spielraum, seine innere Ordnung hat, so auch die ganze Woche. Am Montag abend findet nach alter Erfahrung die gegenseitige Bekanntschaft am besten allgemein statt, indem die Erwachsenen eine Stunde Schule spielen und jeder aufgerufen sein eigen Sprüchlein sagt, was ihn hierher führt. Aber schon nach dem ersten Tag taucht unsere liebe Persönlichkeit gut und gern unter in solche Gemeinschaft, gliedert sich ein, richtet sich aus nach dem gemeinsamen Mittelpunkt der Tisch-, Lebens- und Gebetsgemeinschaft zur Pflege unpersönlichen Lebens. So ist am Donnerstag alles innerlich bereitet zur Gemeindebeichte, am Sonntag morgen zum frohen Fest der Abendmahlsfeier.

LeerWie denn überhaupt der Geist des Ganzen durchaus nicht jene düstere Kirchlichkeit ist, die nicht die schlechtesten daraus vertrieben hat, sondern jene wahre innere Heiterkeit, die Gottes Gegenwart verleiht. Wird doch auch bei all dem gar nicht über Gefühle geredet, oder in Stimmungen geschwelgt, nur zu allen heiligen Tageszeiten gilt es atemlose Andacht. Und wie ein Orgelpunkt zieht sich durch alle Gottesdienste die Losung der Woche, auf die auch Lied und Bild sich einspielen, so die 7 Tage zu einem geschlossenen Erlebnis beispielhafter Kirche zu gestalten. Daß wir dabei kein Klüngel sein wollen, beweist die Gepflogenheit, den Predigtgottesdienst am Sonntag mit der Gemeinde zu Schelklingen in ihrem schlichten Kirchlein zu feiern. Und das alles ist tief deutsch: Die geschichtlich gewordene Form der ganzen Christenheit in deutscher Sprache, um die heute so leidenschaftlich gerungen wird: hier ist sie!

LeerWer, der sein Volk liebt, darf an diesen Möglichkeiten vorübergehen, in solchen geistlichen Wochen allen, die durch falsche Jugendeindrücke gegen die Kirche vergrämt sind, den Weg zu wahrer Kirche zu weisen?

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1932/33, S. 162-164

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-01-26
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