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Maria
von Wilhelm Stählin

O selig bist du,
die du geglaubet hast
denn es wird vollendet werden
was zu dir gesagt ist
von dem Herrn. Luk. 1, 45

Nach einer Predigt am 4. Advents-Sonntag 1932

LeerWie ferne ist es unsrem protestantischen Herzen gerückt, der Mutter des Heilandes zu gedenken! Wir singen zwar von Maria der reine Magd; aber unsre Gesangbücher sind Zeugen, wie ängstlich unsre Kirche selbst die Strophen meidet, die wirklich von Jesus singen und Maria. Wohin ist die Süßigkeit entschwunden, die himmlische Anmut, die kindlich-überirdische Freude, die die Meister unserer Altäre in das Angesicht der Maria gemalt haben? Wundern wir uns nicht beinahe, daß die Worte auch in „unserer” Bibel stehen, die die Lippen unserer katholischen Mitchristen zu wiederholen nicht müde werden:
Gegrüßet seist du
Holdselige
Du bist gebenedeiet unter den Weibern
und gebenedeit
ist die Frucht deines Leibes.
LeerDie alten Marienfeiertage sind unserem Gebrauch entglitten. Aber am letzten Sonntag des Advents gedenken wir der Mutter des Heilands. Da ist dieses Gedenken am rechten Ort: noch in der Vorfreude, noch an der Pforte; noch in der verehrungswürdigen Reihe derer, die - bis hin zu Johannes dem Täufer - demütig bekennen: Ich bins nicht. Nein, Maria ist „es” wirklich nicht. Aber über diesem Wissen sollte doch nicht vergessen werden Verkündigung und Heimsuchung und Lobgesang.

LeerWenn die Kirche allabendlich einstimmte in Marias Magnificat anima mea Dominum, - warum müßten wir beiseite stehen? Warum sollten wir uns den Gruß nicht zu eigen machen, mit dem Elisabeth Maria gegrüßt hat:
O selig bist du,
die du geglaubet hast!
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LeerDie biblische Geschichte erzählt wohl von den Freuden, mehr noch von den Schmerzen der Maria; aber sie redet nicht von ihren Tugenden, weder von ihrer Reinheit und Gütigkeit. Maria wird selig gepriesen, gebenedeit, nicht um des willen, was sie ist, sondern um des willen, was an ihr geschieht und was sie an sich geschehen läßt: Selig bist du, die du geglaubet hast.

LeerGlauben ist keine Tugend.

LeerEs ward gesandt der Engel Gabriel zu Maria nach Nazareth. Alte Bilder von der Verkündigung schwelgen förmlich darin, die Herrlichkeit und göttliche Majestät dieses Engels auszumalen: die gewaltigen glänzenden Fittiche, die rauschend den Raum erfüllen, die kunstvoll sich breitenden Falten prächtigen Gewandes, die den Boden überfließen, so daß kaum mehr Raum bleibt für ein armes Menschenkind, neben solcher Erscheinung zu existieren. Und Maria erschrak.

LeerWie sollte auch ein Mensch  n i c h t  erschrecken, wenn der Bote des Himmelsherrrn einbricht gleich einer sengenden Sonne, in die Kammer unsres Daseins?

LeerGibt es ein Glauben, dem niemals dieses Ungeheure widerfahren ist? Das niemals erschrecken mußte bis auf den Grund der Seele? „Weh mir, ich vergehe!”

Leer„Wie mag solches zugehen?” Weiß der Glaube jemals, wie „es” zugeht? Reißt nicht das Glauben den Glaubenden empor ins Grenzenlose und Unfaßbare, jenseits aller verständlichen Zusammenhänge? „ Ü b e r  die Natur”. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie Du gesagt hast. Maria bekennt ihre Niedrigkeit. Sie „macht” nichts aus sich; sie steht nicht auf der Sichel des Mondes, und sie hat nicht den Strahlenkranz der Himmelskönigin um ihr Haupt. Wie ernstlich hat Luther eben diese humilitas als Marias Art und Wesen gerühmt! Aber er rühmt ebenso sehr das andere, daß Maria nun nicht etwa in ihre Armut und Geringigkeit starrt, in ihrer Niedrigkeit befangen bleibt, oder gar ihre Bescheidenheit als heimliche Tugend herausstellt. Wie leicht werden wir verführt, aus unsrem Nicht-Können, unsrem Nicht-Sein ein neues Schmuckstück zu machen und mit den demütigsten Bekenntnissen ein neues Pharisäertum aufzurichten!


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Maria läßt es einfach geschehen, daß der Herr des Himmels die geringe Magd angesehen hat.
„Mir geschehe, wie Du gesagt hast!”
Sie sagt nicht: Nein, denn ich . . .
Sie sagt nicht: Ja, aber ich . . .
Sie sagt auch nicht : Ja, und ich will . . .
Sondern sie sagt einfältig: Mir geschehe, wie Du gesagt hast!
LeerGlauben, das ist: geschehen lassen. „Dir uns lassen ganz und gar!” Nicht dreinreden mit theologischem oder anderem Eigensinn! Nicht verderben durch Ungeduld und Machen! Nicht hemmen durch falsche Demut!

LeerWas geht es uns an, wenn Gott wirklich an uns kümmerlichen Menschen etwas ganz Großes vollbringen will?

Leer„Du hast Gnade gefunden” so sagt der Engel zu Maria. Sie hat keine Gnaden auszuteilen; sie ist nicht die Mutter der Barmherzigkeit. Aber sie ist eine Stammutter gläubiger Seelen. Denn sie hat Gnade gefunden und läßt die Gnade an sich geschehen.

LeerGlauben heißt Empfangen. Es gibt alte Verkündigungsbilder, auf denen dieses Empfangen in einer ganz kindlich naiven Weise dargestellt ist: Vom Engel geht ein Lichtglanz aus, und der schönste und hellste aller Strahlen trifft in Marias Schoß. Und der Bahn des Lichtstrahls folgend kommen die Worte der Engelsbotschaft zu Maria: Maria, gratia plena! Das „Wort”, das eingeht in den Grund des Wesens, segnend, wandelnd, zeugend! „Hören”, das ist nur ein armseliges und leicht entleertes Bild für dieses Empfangen: Das Wort ist der lebendige Samen, der zeugend unser Sein wandelt zur Stätte der neuen Geburt.

Leer„Mit dem Glauben an des Engels Wort empfing und gebar Maria im Herzen geistlich zugleich, da sie ihn in ihrem Leibe empfing und leiblich gebar. Denn wo sie nicht hätte Christum in ihrem Herzen empfangen geistlich, hätte sie ihn nimmermehr empfangen leiblich. - Da sie das Wort faßte und durch den Glauben damit im Herzen schwanger ward, ward sie auch leiblich schwanger mit dem, das das Wort im Herzen ihr sagte.”

LeerSo schreibt - nach Augustins Vorbild - Martin Luther, und er schreibt so, um die unaufhebbare Einheit des leiblichen und geistlichen Empfangens im Sakrament darzutun, Welche Weiten tun sich auf!

LeerGlauben, das heißt Ackerfurche werden, in die der Same gelegt wird, Ackerfurche, in der das Samenkorn eindringen, Wurzel schlagen und Frucht tragen kann.

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LeerWarum sollen wir nicht das rechte und kühne Bild wagen: Glauben, das heißt der Mutterschoß werden, der das Leben - das  L e b e n ! - empfängt und trägt und gebiert.

LeerUnd wer dies Kind empfangen will, der muß darum leiden. Welche Wände müssen bersten, welche Riegel müssen gesprengt werden, welche Eispanzer müssen schmelzen, welche Todesängste und Todesnöte müssen erlitten sein, ehe wir bereit sind zu empfangen!
„Jetzt ist die Stunde, da die Jungfrau den Sohn gebiert”. So sprach die heilige Elisabeth - in der Stunde, da sie starb.
Aber welche Mutter wäre  n i c h t  bereit zu sterben, wenn es darum geht, daß das Kind geboren wird!
LeerMaria ist das Bild des glaubenden Menschen; darum ist sie auch das Bild der glaubenden Kirche.

LeerDenn die Kirche ist der Ort, wo geglaubt wird; der Ort - das ist das Gleiche! - wo Christus Gestalt gewinnen will in der Welt.

LeerGott hat diesen „Ort” erkoren, nicht um der Tugenden dieser Kirche willen, - wer wollte mit leichtem Herzen von den Tugenden der Kirche reden? - sondern er hat „die Niedrigkeit seiner Magd angesehen”. Aber weil Gott sie ansieht, darum ist sie der Ort, wo der Same sein Erdreich findet, der Ort, wo Christus geboren wird; der Schoß, aus dem die Kinder des Reichs geboren werden.
„Sie ist die Braut
Dem Herrn vertraut;
Ihr ist weh und muß gebären
Ein schönes Kind, den edlen Sohn
Und aller Welt ein Herren.
Dem ist sie unterthan.”
LeerDas Wort der Kirche ist darum nicht zuerst:
Wir müssen. . . . .
Wir wollen. . . . .
Leersondern: Ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie Du gesagt hast!

LeerWas ist zu sagen zum Lobe der Maria-Kirche? Nichts als dies, daß sie „empfangen” darf „von dem heiligen Geist”.

LeerIn der Schau des Offenbarungsbuches hat jede Gemeinde ihren „Engel”, der ihr verkündigt, was ihr im Guten und im Schlimmen, zu Trost und Warnung gesagt werden soll.

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LeerWas können wir uns und der ganzen Kirche Größeres und Herrlicheres wünschen, als daß der Engel des Herrn sie, die Kirche, grüßen wollte mit dem Gruß, den Maria von Elisabeth empfangen hat:
O selig bist du
die du geglaubet hast.
Es wird vollendet werden,
was dir gesagt ist von dem Herrn.

Herr unser Gott
wir preisen Dich
daß Du Dein Volk auf Erden heimgesucht hast
und Wohnung bei uns gemacht hast.
Du hast das Herz und den Leib der Maria bereitet
daß Dein ewiges Wort darin Gestalt gewinnen möge
daß Dein Sohn geboren werde aus menschlicher Mutter.

Wir bitten Dich
bereite auch unsere Herzen
zur Stätte da Dein Wort fruchtbar wird
da Dein Sohn geboren wird.
Mache Deine Kirche
die Du Dir erwählt und berufen hast
zur Stätte Deiner Ankunft
zum Schoß der neuen Geburt.

Segne an uns und an aller Welt
diese heilige Zeit.
Wehre ab allen Unfrieden
alles laute und eitle Wesen
daß wir in Demut empfangen
und in Stille bewahren
den Samen des Geistes
bis zur Stunde der Geburt.

Wir bitten Dich
Vollende an uns
was Du verheißen hast
durch die Botschaft des Engels
was Du begonnen hast
in der Geburt des Sohnes
auf daß Deine Christenheit
mit Maria Dich erheben
und sich freuen dürfe
des Heilandes.
Jahresbriefe des Berneuchener Kreises, S. 11-15

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-24
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