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von Wilhelm Stählin |
O selig bist du, Wie ferne ist es unsrem protestantischen Herzen gerückt, der Mutter des Heilandes zu gedenken! Wir singen zwar von Maria der reine Magd; aber unsre Gesangbücher sind Zeugen, wie ängstlich unsre Kirche selbst die Strophen meidet, die wirklich von Jesus singen und Maria. Wohin ist die Süßigkeit entschwunden, die himmlische Anmut, die kindlich-überirdische Freude, die die Meister unserer Altäre in das Angesicht der Maria gemalt haben? Wundern wir uns nicht beinahe, daß die Worte auch in „unserer” Bibel stehen, die die Lippen unserer katholischen Mitchristen zu wiederholen nicht müde werden: Gegrüßet seist duDie alten Marienfeiertage sind unserem Gebrauch entglitten. Aber am letzten Sonntag des Advents gedenken wir der Mutter des Heilands. Da ist dieses Gedenken am rechten Ort: noch in der Vorfreude, noch an der Pforte; noch in der verehrungswürdigen Reihe derer, die - bis hin zu Johannes dem Täufer - demütig bekennen: Ich bins nicht. Nein, Maria ist „es” wirklich nicht. Aber über diesem Wissen sollte doch nicht vergessen werden Verkündigung und Heimsuchung und Lobgesang. Wenn die Kirche allabendlich einstimmte in Marias Magnificat anima mea Dominum, - warum müßten wir beiseite stehen? Warum sollten wir uns den Gruß nicht zu eigen machen, mit dem Elisabeth Maria gegrüßt hat: O selig bist du, Glauben ist keine Tugend. Es ward gesandt der Engel Gabriel zu Maria nach Nazareth. Alte Bilder von der Verkündigung schwelgen förmlich darin, die Herrlichkeit und göttliche Majestät dieses Engels auszumalen: die gewaltigen glänzenden Fittiche, die rauschend den Raum erfüllen, die kunstvoll sich breitenden Falten prächtigen Gewandes, die den Boden überfließen, so daß kaum mehr Raum bleibt für ein armes Menschenkind, neben solcher Erscheinung zu existieren. Und Maria erschrak. Wie sollte auch ein Mensch n i c h t erschrecken, wenn der Bote des Himmelsherrrn einbricht gleich einer sengenden Sonne, in die Kammer unsres Daseins? Gibt es ein Glauben, dem niemals dieses Ungeheure widerfahren ist? Das niemals erschrecken mußte bis auf den Grund der Seele? „Weh mir, ich vergehe!” „Wie mag solches zugehen?” Weiß der Glaube jemals, wie „es” zugeht? Reißt nicht das Glauben den Glaubenden empor ins Grenzenlose und Unfaßbare, jenseits aller verständlichen Zusammenhänge? „ Ü b e r die Natur”. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie Du gesagt hast. Maria bekennt ihre Niedrigkeit. Sie „macht” nichts aus sich; sie steht nicht auf der Sichel des Mondes, und sie hat nicht den Strahlenkranz der Himmelskönigin um ihr Haupt. Wie ernstlich hat Luther eben diese humilitas als Marias Art und Wesen gerühmt! Aber er rühmt ebenso sehr das andere, daß Maria nun nicht etwa in ihre Armut und Geringigkeit starrt, in ihrer Niedrigkeit befangen bleibt, oder gar ihre Bescheidenheit als heimliche Tugend herausstellt. Wie leicht werden wir verführt, aus unsrem Nicht-Können, unsrem Nicht-Sein ein neues Schmuckstück zu machen und mit den demütigsten Bekenntnissen ein neues Pharisäertum aufzurichten! Maria läßt es einfach geschehen, daß der Herr des Himmels die geringe Magd angesehen hat.Glauben, das ist: geschehen lassen. „Dir uns lassen ganz und gar!” Nicht dreinreden mit theologischem oder anderem Eigensinn! Nicht verderben durch Ungeduld und Machen! Nicht hemmen durch falsche Demut! Was geht es uns an, wenn Gott wirklich an uns kümmerlichen Menschen etwas ganz Großes vollbringen will? „Du hast Gnade gefunden” so sagt der Engel zu Maria. Sie hat keine Gnaden auszuteilen; sie ist nicht die Mutter der Barmherzigkeit. Aber sie ist eine Stammutter gläubiger Seelen. Denn sie hat Gnade gefunden und läßt die Gnade an sich geschehen. Glauben heißt Empfangen. Es gibt alte Verkündigungsbilder, auf denen dieses Empfangen in einer ganz kindlich naiven Weise dargestellt ist: Vom Engel geht ein Lichtglanz aus, und der schönste und hellste aller Strahlen trifft in Marias Schoß. Und der Bahn des Lichtstrahls folgend kommen die Worte der Engelsbotschaft zu Maria: Maria, gratia plena! Das „Wort”, das eingeht in den Grund des Wesens, segnend, wandelnd, zeugend! „Hören”, das ist nur ein armseliges und leicht entleertes Bild für dieses Empfangen: Das Wort ist der lebendige Samen, der zeugend unser Sein wandelt zur Stätte der neuen Geburt. „Mit dem Glauben an des Engels Wort empfing und gebar Maria im Herzen geistlich zugleich, da sie ihn in ihrem Leibe empfing und leiblich gebar. Denn wo sie nicht hätte Christum in ihrem Herzen empfangen geistlich, hätte sie ihn nimmermehr empfangen leiblich. - Da sie das Wort faßte und durch den Glauben damit im Herzen schwanger ward, ward sie auch leiblich schwanger mit dem, das das Wort im Herzen ihr sagte.” So schreibt - nach Augustins Vorbild - Martin Luther, und er schreibt so, um die unaufhebbare Einheit des leiblichen und geistlichen Empfangens im Sakrament darzutun, Welche Weiten tun sich auf! Glauben, das heißt Ackerfurche werden, in die der Same gelegt wird, Ackerfurche, in der das Samenkorn eindringen, Wurzel schlagen und Frucht tragen kann. Und wer dies Kind empfangen will, der muß darum leiden. Welche Wände müssen bersten, welche Riegel müssen gesprengt werden, welche Eispanzer müssen schmelzen, welche Todesängste und Todesnöte müssen erlitten sein, ehe wir bereit sind zu empfangen! „Jetzt ist die Stunde, da die Jungfrau den Sohn gebiert”. So sprach die heilige Elisabeth - in der Stunde, da sie starb.Maria ist das Bild des glaubenden Menschen; darum ist sie auch das Bild der glaubenden Kirche. Denn die Kirche ist der Ort, wo geglaubt wird; der Ort - das ist das Gleiche! - wo Christus Gestalt gewinnen will in der Welt. Gott hat diesen „Ort” erkoren, nicht um der Tugenden dieser Kirche willen, - wer wollte mit leichtem Herzen von den Tugenden der Kirche reden? - sondern er hat „die Niedrigkeit seiner Magd angesehen”. Aber weil Gott sie ansieht, darum ist sie der Ort, wo der Same sein Erdreich findet, der Ort, wo Christus geboren wird; der Schoß, aus dem die Kinder des Reichs geboren werden. „Sie ist die BrautDas Wort der Kirche ist darum nicht zuerst: Wir müssen. . . . .sondern: Ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie Du gesagt hast! Was ist zu sagen zum Lobe der Maria-Kirche? Nichts als dies, daß sie „empfangen” darf „von dem heiligen Geist”. In der Schau des Offenbarungsbuches hat jede Gemeinde ihren „Engel”, der ihr verkündigt, was ihr im Guten und im Schlimmen, zu Trost und Warnung gesagt werden soll. O selig bist duJahresbriefe des Berneuchener Kreises, S. 11-15 |
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