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Der Stern der Weisen
von Otto Heinz v. d. Gablentz

LeerMit dem Evangelium nach Matthäus beginnt das Neue Testament. Nicht nur der äußeren Ordnung nach schließt dieses Buch an das Alte Testament an, auch seinem Sinn nach. Es führt die Geschichte des jüdischen Volkes fort und zu ihrem Abschluß, es berichtet von Geschlechtern und Königen und umreißt noch einmal den Schauplatz der Geschichte dieses Brückenlandes zwischen jenem Asien, von dem seine Geschichte anhebt, und jenem Ägypten, in dem Israel Zuflucht findet. Drei mal zwei mal sieben Geschlechter zählt das erste Kapitel auf: zwei mal sieben von Abraham, dem Anfang in Ur im Osten, bis zu David, dem heiligen König, dem Höhepunkt der Geschichte; zwei mal sieben von David bis zur babylonischen Gefangenschaft, dem tiefsten Fall des Volkes; und wieder zwei mal sieben Geschlechter von der babyIonischen Gefangenschaft vorwärts, Geschlechter nicht mehr von Herren und Königen, Geschlechter stiller schlichter Menschen, die nicht mehr hervortraten, an denen das Treiben der Welt vorbeiging, die nur noch Nachhall vergangener Größe waren und stille Vorbereitung auf das Kommende. Und nach drei mal zwei mal sieben Generationen war das Geschlecht bereit nicht zur schöpferischen Höchstleistung aus eigner Kraft, aber zur Übernahme der höchsten Verantwortung, die Gott ihm aufzuerlegen hatte: dem Josef vertraute er seinen Sohn an und Maria, seine Mutter.

LeerIn den Hintergrund der äußeren Geschichte mußte das Geschlecht treten, ehe es zu dieser Aufgabe würdig war. Im Hintergrund des Bewußtseins, wo das persönliche Leben als Führung erfahren wird, in seiner Einflechtung m den Gang der Weltgeschichte und das Weben des Alls, spielen sich die entscheidenden Ereignisse ab. Im Traum wird Josef vom Engel angewiesen, Maria nicht zu verlassen; im Traum wird er angewiesen, nach Ägypten zu fliehen, damit der Erfüller der israelitischen Geschichte in seiner Jugend das Geschick des jugendlichen Volkes im Sinn-Bilde wiederhole; im Traum wird er angewiesen, nach Israel zurückzuziehen. Der Engel des Herrn ist um ihn.

LeerAus diesem Hintergrund, wo die Engel des Herren walten, tauchen die Weisen aus dem Morgenlande auf. Die Seher heißen sie in der Bibel, mit dem fremden persischen Wort, die „Magier”. Das Buch weiß nichts von ihrer Reise; sie sind mit einem Male da in Jerusalem, und sie überfallen den König, indem sie ihm den Hintergrund seines eigenen Lebens aufreißen. Herodes ist nicht aus königlichem Geschlecht; er hat den Thron usurpiert. Er hat nicht unwürdig regiert, geschickte Politik getrieben, die Wohlfahrt des Landes gefördert, Stadt und Burg und Tempel ausgebaut. Aber er ist nicht König, er ist nur Statthalter, politisch für den römischen Kaiser, geistig für den Messias, den das Volk aus dem Geschlechte Davids erwartet. Und darum gerät er in furchtbare Aufregung und mit ihm die ganze Stadt, als die Seher ihn fragen nach dem neugeborenen König der Juden, der doch nicht ihm geboren ist. Die Frage kommt aus heiterem Himmel. In den Sternen haben die Seher es gelesen. Sie kommen vom Osten, wo die Gestirne aufgehen, wo die Menschen mitschwingen in der Ordnung, in der die Gestirne laufen und sich begegnen. (In den Jahrhunderten kurz vor und kurz nach Christi Geburt wurde in Indien der Yoga-Sutra zusammengestellt, das klassische Werk östlicher Versenkungs-Weisheit.)

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LeerHerodes und die Synagoge der Erzpriester und Schriftkundigen, die er nun einberuft, leben nicht in diesem Einklang mit der Ordnung der Natur, mit dem Lauf der Gestirne. Aber sie wissen um die Geschichte ihres Volkes, um das Vergangene und das Kommende. Und da finden sie die Schrift des Propheten, daß in Bethlehem der zukünftige Führer geboren werden soll. Und so viel wissen sie noch von den Sternen, daß man aus ihnen das Geschick verstehen kann. Herodes zweifelt nicht, daß die Sterne von demselben Ereignis sprechen wie seine heiligen Schriften. Er forscht nach ihrem Stande und ihrem Gange durch die Zeit, und er selbst weist die Seher nach Bethlehem, denn die Seher hatten nicht den Ort des Ereignisses geschaut und den Menschen, an dem es geschehen sollte, sondern nur den Sinn des Ereignisses, den König in Juda. Herodes zweifelt nicht, aber er vermag nur das Geschaute und Erforschte auf sich zu beziehen, nicht sein eignes Wesen und Leben dem Geschauten und Erforschten einzuordnen und nach dem Maße seiner Einsichten zu wandeln. So wird das Heil der Welt ihm zum Verhängnis, und seine Kraft reicht noch weit genug, es auch einer großen Zahl unschuldiger Menschen zum Verhängnis zu machen, ohne daß er am Wesentlichen das Geringste ändern kann. So geschieht der Kindermord aus Angst vor dem Unabwendbaren, vor der Rückgabe der geliehenen Krone. (Der Kindermord, dessen schauriges Gegenstück sich 1600 Jahre später in Rußland abspielte, als Boris Godunow, auch er kein unwürdiger Statthalter, den Knaben Demetrius ermorden ließ und doch damit nur seinen eignen Untergang beschleunigte - und wie oft und wo sonst noch mag er sich wiederholt haben!)

LeerDie Seher aber ziehen weiter nach Bethlehem, und wieder ist der Stern ihr Führer, und als sie in den Ort kommen, sehen sie ihn über einem Hause stehen und finden darin das Kind und seine Mutter. Und sie beten an und opfern ihre Schätze. Und der Engel des Herren, wie er ihnen vorher im Stern geleuchtet, erscheint ihnen jetzt im Traum und weist ihnen den Weg, wie sie dem entgehen, mitschuldig zu werden an dem Unheil, das Herodes heraufbeschworen hat.

Leer„Wir haben seinen Stern gesehen im Osten” sagen die Seher zu Herodes. Es scheint nicht, daß sie ein besonderes Zeichen am Himmel gesehen, einen großen Kometen oder dergleichen, denn das hätte auch ohne ihre Frage die abergläubische Scheu des Volkes erregt. Wohl aber sprechen die Astrologen von einer besonderen Konstellation der Gestirne in Kreuzesform zur Zeit der Geburt Christi, und es täte Not, daß wir dem heute nachgingen in ebenso nüchterner Berechnung wie ehrfürchtiger Schau. Die Seher aus dem Osten haben beides getan. Sie haben errechnet, daß etwas Wichtiges geschehen würde, und sie haben geschaut, was dieses Geschehen bedeutete.

LeerAber kann denn der Mensch in den Sternen menschliches Geschick schauen? Die Erde schwingt sich mit uns durch den Weltenraum, durch die Sternenwelt, durch die Nacht zum Tage, durch den Tag zur Nacht. Sie schwingt im Einklang mit den Bahnen der anderen Gestirne, sie tauscht mit ihnen Strahlen des Lichtes und der Kraft. Wir schwingen mit ihr in diesem Rhythmus, wir empfangen mit ihr die Stärkung und die Bedrohung dieser Strahlen. Alles in der Welt ist mit allem andern in Beziehung. Das sinnlose Wunder eines sternenunabhängigen Menschenlebens wäre unendlich viel rätselhafter, als das sinnvolle der Verbundenheit es ist. In die Allverbundenheit der Natur ist der Mensch eingeschlossen. Er kann nichts schaffen, was in ihr nicht angelegt ist, aber er kann alles gestalten, was sie ihm darbietet. Der gesunde Mensch steht nicht im dumpfen Zwang der Gestirne, wie der Mondsüchtige im Schlaf den Strahlen nachwandelt. Aber die Sterne können ihm zeigen „das Gesetz, nach dem er angetreten”, sie können ihn lehren, sich selber und die Bedingungen seiner Umwelt zu erkennen. Sie sind nicht seine Herren, aber sie sind Boten des Herrn, und „Bote” ist die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes für Engel.

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LeerAber die Boten rufen nicht nur von außen. Der Mensch schwingt mit der Erde im Rhythmus der Gestirne, er empfängt mit ihr die Stärkung und Bedrohung ihrer Strahlen. Das Menschenleben schwingt über die Erde hin in eignem Rhythmus und empfängt von der Erde Stärkung und Bedrohung. Ist er ganz sicher in seinem Rhythmus, weiß er aus aller Naturbedingtheit den Sinn zu entfalten, alle Stärkung aufzunehmen, alle Bedrohung gelassen abzuwehren, dann ist der Mensch gelöst vom Zwange der Erde, frei schwingt er ihrem Laufe zugeordnet mit im ewigen Wandel der Gestirne. Dies ist das Geheimnis, wie der Mensch ganz Gefäß werden kann des göttlichen Geistes. Grünewald hat uns Maria gemalt, wie sie, Menschenweib, die Sternenkrone trägt und in ihrem Schmucke leuchtet, und um sie herum sind die Sternenengel und die Musik und der Bau des Himmels. Goethe hat uns in zartester Andeutung von Makarie erzählt, der reinen, „seligen” Frau, die ein Teil des Sonnensystems ist, wie sie entzückt unter den Gestirnen mitschwingt und wie sie Güte und Kraft ausstrahlt an alle, die sie umgeben.

LeerDie Sterne schwingen in unermeßlichen Weiten, und der Mensch wandelt auf der engen Erde. Aber je sicherer er auf der Erde wandelt, je mehr in ihm die Erdhaftigkeit wirklich und wirksam wird, um so offener wird er der Wirkung der Sterne, um so wirklicher wird er Glied der Sternenwelt. „Wir haben seinen Stern gesehen im Osten” sagen die Seher zum König Herodes. Den Stern des Heilands? Es ist nie wieder die Rede von ihm, nachdem die Weisen unter seinen Strahlen in die Hütte eingegangen sind, da das Kindlein war. Der Bote hat seine Aufgabe erfüllt. Sie brauchen keinen Stern am Himmel mehr, denn sie haben den Herrn der Erde gefunden. Und hier leuchtet das letzte Geheimnis auf. In jener furchtbar erregten Zeit vor 400 Jahren, als das deutsche Volk in Schauer und Begeisterung seiner großen Aufgabe in der christlichen Welt inne wurde, haben einige unsrer Meister, wenn sie die Geburt des Heilands malten, etwas Besonderes gesehen, und sie haben sich bemüht das darzustellen. (Es gibt solche Bilder von Hans Baldung, dem viele Ekstasen vertraut sind, von dem Holländer Geertgen tot Sint Jans, der so klare holländische Landschaften und so nüchterne holländische Menschen wiedergegeben hat, von Albrecht Altdorfer, der über Wäldern und Bergseen träumt, aber auch vom jungen Hans Holbein, dem harten, klaren Mann der Renaissance.) Das Besondere ist dieses: Die Hütte ist in tiefe Nacht getaucht; kein Licht dringt herein; aber es ist strahlend hell, denn verklärt leuchtet der Körper des Kindes, von ihm angestrahlt schimmert das Gesicht der Mutter, der Bart Josephs, Augen und Mäuler von Ochs und Esel, und das Sichtbar-Gewordene der Engel, die es umschweben. Von innen her dringt das Licht vor, vom kleinsten Menschenwesen strahlt es aus. Hier strahlt der Stern, den die Seher suchten. Die Natur der Erde ist noch da, aber sie ist mit ihrem Sinn erfüllt. Die Natur des Menschen ist geblieben, aber sie ist ausgerichtet nach ihrem Sinn. Sie ist durchkreuzt und geordnet. Die Mitte ist gefunden. Aus dem unendlichen Raum, in dem die Seher des Ostens suchend standen, hat sie sich verdichtet zum kleinsten Punkt. Geordnet ist der Raum: von der gewandelten Erde aus wird sein Sinn bestimmt. Geordnet ist die Zeit. Natur wird Geschichte. Der Mensch wandelt frei auf der Erde, und je wie er frei ist, wandelt er die Erde von Jahr zu Jahr - nach Christi Geburt.

Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 15-19

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-11-09
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