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von Winfried Wendland |
Vor einigen Monaten fand ich in einem Münchner Geschäft ein kleines Reisealtärchen, das einen gekreuzigten Christus darstellte. Es war das ein Stück jener noch heute lebendigen Volkskunst der oberbayrischen Herrgottschnitzer, deren alte Handwerkstradition vom Mittelalter herüber auf unsere Tage kam und heute noch lebendig ist, wenn sie auch die „Kunstindustrie” unserer vergangenen Zeit mit ihren unechten Gipsfiguren verdrängt hat. Und doch ist dieses Altärchen, so klein und unscheinbar es zuerst anmutet, tausendmal mehr wert, als alle jene Christusgestalten aus Gips und anderem unechten Material, die uns eine geschäftige Industrie liefert. Denn dieses, mag es auch eine Typenarbeit sein, ist Arbeit, Schöpfung frommer Hände. Wir sind im Verlauf der letzten hundert Jahre ein sehr armes Volk geworden, arm an schöpferischer Kraft, arm an Menschen, die sie verstehen. Denn Kunst ist nicht nur Können, als was man es einst nahm, sondern Kündung. Und so muß auch ein Kunstwerk künden, verkünden, predigen. Jener kleine Altar des oberbayrischen Holzschnitzers kann es; denn er ist Werk, Schöpfung eines Menschen, der durch seine Werke verkünden will, der sein Können daran wendet, daß Christus in der Welt im Bild lebendig sei. Der Christus von Thorwaldsen, der zumeist auch heute noch in unseren Pfarrhäusern, in unseren Gemeindehäusern zu finden ist, ist kein solch frommes Werk, sondern schlechte Katalogware, Abgüsse, die vom Original so entfernt find, wie eine Photographie vom lebendigen Menschen. Darum ist letztlich auch jede Reproduktion, mag sie noch so gut sein, für eine wirkliche künstlerische Arbeit unserer Zeit eher ein Verderben als eine Hilfe. Auch sie ist nichts Geschaffenes, sie ist letzten Endes tot. Aber Gott gab uns nun einmal jenen schöpferischen Sinn ein, daß wir als höchsten Ausdruck des Wahrheitsgehaltes seiner Schöpfung ein Kunstwerk schaffen und ansehen. Und so greift auch noch heute der Bildhauer zum Meißel und der Maler zum Pinsel, um das Bild Christi zu gestalten. Aber eines ist anders geworden: Der Künstler ist durch Fabrikware und Reproduktion vom Volke entfernt und spricht, da er auch nicht mehr als tätiges Glied und priesterlicher Mensch in der Gemeinde lebt, oft eine künstlerische Sprache, die heute niemand versteht. Dazu kommt, daß die Kirche, weil sie unter dem „Wort” Rede verstand, dem Künstler keine Gelegenheit mehr gab zu seiner Verkündigung. Heute, wo wir an der Zeitenwende gelernt haben, schärfer zu sehen, fordern wir wieder das fromme Werk des Künstlers als „Verkündung”. Weil aber unsere Zeit eine Zeit des Umbruches ist, ist es uns heute unmöglich, das Bild, das die vorhergehende Zeit sich von Christus schuf, als für unsere Zeit bindend anzuerkennen. Der Künstler unserer Zeit muß aus dem Lebensgefühl unserer Zeit und aus dem Glauben heraus das Christusbild schaffen, das uns entspricht. Weder der Christus von Thorwaldsen ist für uns heute das Bild, das in unserer Not den Erlöser darstellen könnte, noch der süße Christus des Pietismus, noch der milde Mann, den Rudolf Schäfer uns zeichnet. Der Christus unserer Zeit sieht anders aus. Er ist Führer im wahrsten Sinne des Wortes, nicht in einem schwachen Nachfühlen des politischen Begriffs, sondern in der ganzen Fülle, die dieses Wort umschließt. Er ist Kämpfer, er ist der Mann, der die größten Entscheidungen von den Menschen verlangt hat, die je einer verlangen konnte. Aber er ist nicht für uns Protestanten der Christuskönig, den die Katholiken vor Jahren ausriefen, sondern er ist der Volksmann und Volksführer und zugleich der Vater der Bedrängten. Er ist der Mann, der den Frieden bringt, aber auch das Schwert. Darum ist er für uns kein formales Problem, sondern ein Problem des Glaubens. Aber der Künstler, der mitten im Leben und in dem Wandel unserer Zeit steht, der mitgerissen ist von den Bewegungen und der das Erlebnis seines Glaubens in sich trägt und aus diesem heraus gestalten muß, wird zu anderen Formen kommen. Viele sind da, die lehnen solches Gestalten ab; aber diese Ablehnung erfolgt nicht aus dem Glauben heraus, sondern weil manch ein Künstler mit seinem Werk alte Vorstellungen aufrüttelt und zerschlägt, die falsch in uns waren. So ist die Darstellung Christi in der Kunst nicht dazu da, daß unsere persönlichen Gedanken vielleicht daran Genüge finden, sondern daß wir durch das Werk immer wieder angeregt werden, uns mit diesem Mann zu befassen und seiner Lehre nachzugehen. Ein protestantisches Christusbild soll immer von neuem den Menschen packen, immer von neuem soll es von den Gleichnissen erzählen und eine Bergpredigt halten. Alles das muß in dem Metall, in dem Holz, in dem Stein, im Bilde geschaffen sein und mit sprechen. So formt sich denn heute das Bild Christi des protestantischen Künstlers zu einer neuen Gestaltung. Sie liegt jenseits vielleicht unseres persönlichen Erlebnisses, aber sie wird wieder Predigt sein. Auch der protestantische Mensch wird zu diesem Symbol, das ein solches Bildwerk dann darstellt, aufblicken können und auch einen Trost darin finden. Nicht die persönliche Eigenart des Künstlers ist es, die das Kunstwerk bestimmt, sondern der Künstler wird hinter seinem Werk vergehen wie einst, und allein das Werk wird zu der Gemeinde sprechen. Darum wollen wir uns heute nicht vermessen in unserer Zeit des Unglaubens und der Zersetzung, die sich erst wieder in einer Regeneration befindet, ein allgemein gültiges Christusbild zu finden, sondern das was da ist, sind Ansätze zu einer neuen Entwicklung. Aber wir wollen das Geschenk, das uns die Künstler gaben, dankbar hinnehmen, und es in uns lebendig werden lassen. Denn dann erst ist ein Kunstwerk vollendet, wenn das, was der Künstler da hineingelegt hat, in dem Beschauer zum Erlebnis wird. So wird das Bild Christi in unserer Zeit zu einer Predigt seines Evangeliums durch die Gestaltung des Künstlers. Wir wissen, daß die Bilder Christi unserer Zeit nicht vollendet sind, aber welcher Mensch könnte sich vermessen, ein vollendetes Bild Christi zu schaffen? Auch sind die Künstler heute erst im Beginn, sie haben bewußt die Illustration frommer Gedanken verlassen, die dem vergangenen Zeitalter vorbehalten bleiben soll, und sie sind vorgestoßen zum Symbol der Gestalt Christi im Sinne eines neuen kämpfenden Zeitalters, dessen Herr Christus, der Herzog der Menschheit, der Führer der Völker, der Unerbittliche und Friedensbringer und Überwinder des Todes, der Auferstandene ist. Weil wir das Wunder auferstehenden Lebens heute durchleben, ist der Auferstandene Symbol, im Gegensatz zum Mittelalter, dem der Gekreuzigte Symbol war. Diese tief in der Auffassung wurzelnde Änderung der Ideale muß aber auch da zum Ausdruck kommen, wo im Bild der lebende Christus uns gegenübertritt. Er muß immer Symbol der Auferstehung sein! Nicht die Dornenkrone ist das Symbol unserer Zeit, sondern das offene Grab, aus dem Christus auferstand. Das muß im heutigen Christusbild leben. Dieser Weg kann aber nur zum Erfolge führen, wenn die ganze Gemeinde mit dem Künstler ihn geht, denn ohne Gemeinde keine evangelische Kunst. So steht jeder an der Arbeit, malt und bildhauert mit, schafft mit am Symbol unseres Christusbildes, wenn er Christus dient im neuen, ewig alten Sinne und dem Künstler den Weg bereitet zum Schaffen für die Gemeinde. „Jesus Christus, gestern und heute und derselbige auch in Ewigkeit”. Das Gestern starb, das Heute ist da, sorgen wir, daß er heute uns als Bild in den Herzen lebe, aber auch vor aller Augen bildhaft in dem Werke des Künstlers in Erscheinung trete, als Verkündigung seines Evangeliums. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1934, S. 48-51 |
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